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Nun am Abend waren Syrrha und Vrena gekommen.

Vrena war in das Zimmer gelaufen und hörte ratlos die Auseinandersetzung zwischen Karla und dem Oberschweizer mit an. Karla wandte sich plötzlich heftig an sie: »Wo ist Syrrha?«

Sie stürzte aus dem Zimmer und fand Syrrha weinend in einer Ecke der Veranda, noch in Mantel und Hut. Sie hatte sich dorthin geflüchtet, um mit ihrer Verzweiflung allein zu sein. Sie hielt sich nach dem gestrigen Abend für alles verantwortlich, was jetzt hier vorging. Sie erschien sich wie eine Komplicin des geflüchteten Pächters, und wagte nicht, aufzusehen, als Karla sie mit Vorwürfen überschüttete.

»Ganz Börshoop spricht schon von deinem Abenteuer mit dem sauberen Herrn in der Spelunke. Du hast ihm den letzten Abend noch angenehm vertrieben, nicht wahr? Lachen wird man über uns, wenn es sich jetzt herumspricht, daß er über alle Berge ist. Weißt du denn nicht, was du deinem Namen schuldig bist? Ich sitze hier und zerbreche mir wegen des Patrons den Kopf und du amüsierst dich mit ihm. Wir können ja überhaupt nichts gegen ihn unternehmen. Blamieren würden wir uns nur, oder glaubst du, daß ein solcher Betrüger Kavalier genug ist, um den Mund zu halten?«

Sie war ganz außer sich. Sie hatte Syrrha gepackt. »Hör mich doch an«, jammerte die, »so war es nicht!« Karla ließ sie nicht zu Worte kommen. Sie schüttelte sie: »Weißt du, was dein Vater getan hätte? Die Reitpeitsche hätte er genommen.«

»Schlag mich doch«, heulte Syrrha, »es ist ja niemand da, der mir glaubt.«

Der alte Frems kam angstvoll über den Lärm die Treppe empor, stand zitternd vor der Tür, horchte, wollte anklopfen und wagte es nicht. Er rief: »Fräulein Karla«, aber das Wort war ihm in der Kehle hängen geblieben und wurde nur ein rauher Ton, der, vor der Tür aufbellte.

Die Tränen liefen dem alten Mann über das Gesicht, seine Hand fuhr stolpernd über die Türklinke, unfähig, den Griff herunterzudrücken.

Vrena hatte den Oberschweizer fortgeschickt, die Tür hinter ihm verriegelt. Sie wußte nicht, was sie tun sollte.

Die Gutsarbeiter hatten sich durch das Dorf verstreut. Sie standen hier und dort mit den Fischern und Frauen.

»Der Himmel weiß schon wozu«, rief Frau Holwe, »bei denen hat sich ja immer was getan, das konnte ja nicht groß genug hergehen. Nun packts die auch mal. So weiter, und sie werden auch mal wissen, wie trockner Fisch schmeckt.«

»Das bricht denen das Genick«, warf Ocke Holm ein.

»Wenns Genick weg ist, taugt der ganze Kerl nicht mehr«, lachte Steppe.

»Die gute alte Frau Sterenbrink«, klagte die dicke Frau Völz, »ich habe da noch gewaschen. Ich sehe sie noch vor mir, wie eine Bachstelze war sie.« Sie sah beschämt auf ihre eigene Fülle.

Jakob Tharden, der Garnsherr, hatte schweigend dabei gestanden. Jetzt sagte er leise: »Die Ersten werden die Letzten sein«, und ging grußlos weiter.

Der Oberschweizer kam im Gespräch mit Fenner. Der Handelsmann hatte Butter vom Gut holen wollen, mußte aber bei dem Wirrwarr dort ohne Ware wieder abfahren. Nun war er im Dorf auf den Oberschweizer gestoßen und beklagte sich bei ihm.

»Morgen muß ich vor Tag schon los und hab keine Butter. Drüsel und die andern werden schön schimpfen. Die warten immer schon drauf. Wenn euer Pächter sich davon macht, kann ich doch nicht meine Kundschaft verlieren. Das ist schlecht organisiert bei euch.«

»So ist es ja nun auch nicht«, beruhigte ihn der Schweizer, »die wissen bloß keinen Bescheid. Ich gebe die Butter raus, so ist es immer gewesen. Wenn du nochmal mitkommst, kannst du sie gleich kriegen.«

Fenner schimpfte noch vor sich hin, aber er ging schon an seinen Wagen und wendete. »Nun komm ich vor Nacht wieder nicht nach Haus. Man fällt schon um. Den ganzen Tag fürn paar Groschen. Lieber Gott.«

»Da können wir gleich mitfahren«, rief der Oberschweizer und holte die Arbeiter zusammen.

»Wenn euch bloß das Brackvieh nicht unterwegs zusammenbricht«, schrie Steppe hinterher, »der Gaul schläft schon nachts im Stehen, weil er weiß, daß er nicht wieder hochkommt.«

Es war ein dunkler Abend. Langsam schwankte und verschwand die Laterne, die zwischen den Hinterrädern von Fenners Wagen schaukelte.

 

Am nächsten Morgen kam Hilke zu ihrer Mutter. Mole Deep bemühte sich gerade, das Feuer im Herd anzufachen. Der Wind draußen zerblies immer von neuem die matte Glut. Sie war ärgerlich, gab dem feuchten Holz die Schuld und zankte deswegen mit Andrees, der an dem Tisch in der Küche seine Morgenkartoffeln zerdrückte.

Hilke hatte sich über die Ereignisse des gestrigen Abends noch nicht wieder beruhigt. Sie war sonst nicht so veranlagt, daß fremde Schicksale sie sonderlich berührten. Sie war ein gleichmütiger Mensch, der nur für sich und seine engsten Bande Wärme aufbrachte. Nun ging ihr doch das Unheil der Sterenbrinks nach.

»Sie wollten sich schlagen«, erzählte sie, »wenn Frems nicht gekommen wäre, hätte es Mord und Totschlag gegeben. Erst hat er sich gar nicht hineingewagt, aber dann schrie Syrrha, und da hat er sich doch ein Herz gefaßt. Nun hat Karla ihn rausgeworfen. Er soll sich nicht wieder sehen lassen. Aber Vrena meint, die wird sich schon wieder beruhigen, und er sollte vorläufig in seiner Kutscherstube bleiben. Syrrha ist ganz kleinlaut. Ich mußte ihr den Kaffee aufs Zimmer bringen. Sie wagt gar nicht, einen anzusehen, so ist es ihr aufs Gemüt geschlagen.«

Mole Deep unterbrach sie: »Andrees hat gestern abend schon davon gehört. Wenn man das aber auch bedenkt, erst trinkt er mit den Fräuleins noch Wein und dann betrügt er sie und geht durch nach Amerika. Daß die Fräuleins auch an solchen Pächter geraten mußten. Gott ja, wenn das alles war, und was geht es einen schließlich an! Aber nun ist doch der alte Hingsten mit seinem Sohn zusammengeraten, mit dem Karl. Und Pudmar soll dazwischen stecken. Wenn ich bloß wüßte, was mit Martha ist. Die ganze Nacht hab ich nicht geschlafen. Und nun brennt der Herd auch nicht. Mein Gott, es kommt aber auch alles zusammen.«

»Streu Salz auf die Glut«, riet Hilke.

»Das war Verschwendung«, wehrt Mole Deep. Sie kauerte, die Hände schwarz von Ruß, vor dem Herd.

»Was ist denn mit Hingsten los?« fragte Hilke dazwischen, »was hat er denn mit Karl?«

»Rode Harms hat die Wiese gekauft. Er will sich doch vergrößern«, antwortet Andrees vom Tisch her. »Mole Deep hat recht. Angeschrien haben sie sich, wegen der Wiese natürlich. Immer ist es doch bloß das Geld. Karl wills haben und Pudmar solls kriegen. So wirds schon sein. Simon Gülke hats mit eigenen Augen gesehen. Blaurot ist der alte Hingsten gewesen und hat kaum noch Luft gekriegt. Sollst mal hören, was Gülke erzählt. Die sind ja immer gleich wie die Stiere, die Bauern, und sie haben doch genug. Was für uns hundert Taler sind, ist doch für die bloß ein Pfennig.«

Er hat sich so in Ärger geredet, daß er gar kein Ende findet und immer noch vor sich hin brabbelt, obgleich keiner mehr zuhört. Seine Stimme burrt noch lange wie eine Hummel durch das Jammern der Mole Deep, bis Hilke ihn anfährt und er verdrießlich schweigt.

»Kannst du dir nicht ein Gewerbe machen und mal zu Martha gehen«, sagt Mole Deep zu Hilke. »Dann wüßte man doch wenigstens Bescheid. Ihr habt ja nichts mit einander gehabt. Ich bin so lange nicht dagewesen, und hier läßt sie sich ja nicht sehen. Und den Andrees hat Pudmar neulich so angeschrien, bloß weil er mal außer der Zeit da war. Peter darf das gar nicht wissen.«

»Wo ist er denn?« fragte Hilke.

»Er ist mit Deinem rausgefahren. Stieven hilft doch wieder bei Harms. Gestern sind sie auch schon zusammen draußen gewesen. Sie hatten ganz schön was im Netz. Ich muß schon sagen, wenn Peter mit Stim Kaat fährt, hat er Glück. Ich denke schon, die müßten sich ganz zusammentun, das war für uns gut.«

»Er will, daß wir zu Oktober heiraten«, sagte Hilke.

»Es ist wohl doch am besten so. Was soll man machen, wir kommen doch nicht vom Meer los und Stim Kaat hat ja wohl einen guten Stern, sonst war ihm schon längst was passiert bei seiner Dreistigkeit. Ja, wenn ihr zum Oktober heiraten wollt, dann müssen wir aber sehn, daß wir was zurücklegen. Da muß doch ein Kleid sein und so allerhand noch, und da muß man ja auch eine Hochzeit herrichten.«

»Mach dir deswegen keine Sorgen, Mutter. Ich hab mir ja auch was gespart. Sterenbrinks sind ja nicht knauserig gewesen, und Stim Kaat sagt, daß er auch noch was im Kasten hat. Das ist noch von seiner Mutter, Leinen, selbst gesponnen. Das hält immer am besten.«

»Von mir könnt ihr ja den Schrank haben, der vorne steht«, überlegte Mole Deep, »und den Tisch könnt ihr auch kriegen. Dann wäre bloß noch das Bett. Da müßtet ihr mal mit Simon Gülke sprechen. Der hat 'ne geschickte Hand. Für Minna Völz hat er mal 'ne Truhe gemacht, ganz künstlich sah die aus.«

»Wenn ich bis zum Herbst bei den Sterenbrinks bleibe, werden die sich auch nicht lumpen lassen, wenn da nicht vorher alles in die Brüche geht.«

»Ich bin nun doch froh, daß das mit Stim Kaat was wird. Der Himmel wird schon ein Einsehen haben. Das Jahr scheint sich auch ganz gut anzulassen, Andrees meinte, wir sollten ruhig noch einen Räucherofen bauen und uns auch vergrößern. Man bleibt sonst so hintenan. Das ist gar keine schlechte Idee. Die Jungens können in ihrer freien Zeit den Herd schon bauen. Sie verstehen sich ja darauf. Das hat man im vorigen Jahr gesehen, als sie hier am Haus gemauert haben. Und die Steine, meint Andrees, die fallen schon von Rode Harms ab. Da braucht man bloß abends mal mit dem Handwagen hin.«

Sie redeten noch hin und her.

»Sieh doch zu, daß du zu Martha mit rangehst«, bat Mole Deep, als Hilke gehen mußte.

Hilke ging zufrieden den Dünenweg entlang. Wie einfach ist doch das Leben. Unruhig und beschwert war sie zu ihrer Mutter gekommen. Hastig und ungewiß hatte Mole Deep sie empfangen. Wie Felsblöcke schienen plötzlich fremde Schicksale vor ihnen aufgetürmt. Hier die Sterenbrinks und da der alte Christof. Und wie ein Nebel dahinter das eingefangene Leben der Schwester.

Nun war das alles wie weggeblasen, bloß man selber war noch da mit seinen frohen Hoffnungen. Man hatte von Schrank und Tisch gesprochen, von dem fertigen Linnen und dem Bett, das noch beschafft werden mußte, und von dem klapprigen Handwagen des alten Andrees. Aber daraus sollte ein neues Leben wachsen. Man hatte sich ausgemalt, wie man zufrieden sein könnte und sich über den winzigen Kreis seines Tages um eine Handbreit erheben würde. Man will ja nichts Unmögliches. Man wünscht ja nichts weiter als sein Leben zu haben, daß es ein wenig freundlicher wird. Hilke hat immer daran geglaubt und Stim Kaat war es ganz selbstverständlich, daß man sich durchbeißen würde, aber daß nun auch die Mutter unbedenklicher mit einstimmte, das ließ Hilke heute vollends froh sein. Sie ging jetzt leichten Herzens an den Feldstücken entlang, die eingeklemmt zwischen Düne und Dorf lagen.

›Das wird hier bald alles grün sein‹, dachte sie vor sich hin. ›Im Februar fängt es schon an sich zu regen, bloß man sieht es noch nicht.‹

Da war das schmale Kartoffelland von Simon Gülke, und daneben das Kleefeld von Ocke Holm, nicht größer, als zwei aneinandergestellte Tische, und auf der andern Seite der Hafer von Fenner, ein Streifen, so breit wie ein Handtuch und so lang, wie ein Floh springt. Jetzt war es noch schwarze Erde, aber wenn es seine Zeit war, würde da wieder der Rauhhafer stehen, blaßgrau und dicht bespelzt. Und daneben die Handvoll Wiese, auf der zwei Weidenstümpfe standen, kaum einen Schritt breit auseinander. Jöken Mürk saß dort immer bei seiner Kuh, denn das Stückchen von Fenners Hafer bis zu den Weiden gehörte ihm. Hinter den Weiden aber fraß Holwes Kuh, und es gab oft Ärger um den Schritt, der dazwischen war. Man mußte schon in Börshoop geboren sein, um sich durch all die Grenzen hindurchzufinden, und man mußte schon von Kind auf karges Brot gegessen haben, um zu wissen, wie wertvoll ein Fußbreit Erde ist.

Anfangs hatte Hilke wenig Lust, Martha aufzusuchen, aber schließlich tat sie es doch aus ihrer guten Stimmung heraus und in der Hoffnung, die Schwester etwas aufzumuntern. Was kann schon passieren. Martha wird nur froh sein, wenn sie sieht, daß sich jemand um sie kümmert, und Pudmar? Man müßte ihm mal die Meinung sagen, wenn er seine Launen haben und den Herrn herauskehren sollte. Was hatte er da wieder Andrees anzuschreien, wie die Mutter erzählte. Andrees ist doch nicht sein Knecht, mit dem er so umspringen kann! Schließlich ist man doch verwandt, und er könnte vor den Leuten mehr Rücksicht nehmen. Das muß man ihm mal zu verstehen geben.

Martha strickte an einem Kleid für Mariechen, als Hilke kam. Die Kleine saß auf einer Fußbank daneben. Sie weinte vor Hilke erschrocken auf.

»Sie sieht dich so selten«, sagte Martha, »sie ist immer scheu vor Fremden.«

»Das mußt du ihr aber abgewöhnen«, meinte Hilke, »solche Ängstlichkeit ist schlecht, wenn sie nachher in die Schule kommt, und das ist doch bald so weit.«

Sie versuchte freundlich mit Mariechen zu sprechen, aber das Kind verkroch sich hinter der Schürze der Mutter und sah, während die Frauen sprachen, ängstlich hervor. Erst nach einem Weilchen faßte es Mut und setzte sich wieder auf die Fußbank.

Hilke hatte von den Sterenbrinks erzählt, und da Martha nicht von der Geschichte anfing, fragte sie nach dem alten Christof und was er mit Karl gehabt hätte.

Martha wußte auch nichts weiter, als daß es sich um das Geld für die Wiese handelte, die Rode Harms gekauft hatte.

»Du kannst es wirklich glauben«, sagte Martha, »Pudmar drängt sich dem Alten nicht auf. Es ist nicht wahr, daß er ihn beschwatzt, wie die Leute immer sagen. Der Alte tut das aus sich. Ich wundere mich sogar, daß er Pudmar das Geld für die Wiese geben will. Du kannst dir nicht denken, wie Pudmar jetzt immer zu dem Alten ist. Sie sehen sich kaum an. Ich glaube auch, der alte Hingsten tut es nur wegen Mariechen. Die hat er jetzt in sein Herz geschlossen. Früher war er immer gegen sie, aber seit Pudmar sich nicht mehr so um ihn kümmert, hat er sich an die Kleine gehängt. Sie heißt ja auch nach seiner Tochter.«

»Wie ist denn Pudmar sonst?« fragte Hilke.

»Du meinst zu mir?« antwortete Martha. Sie sah hastig auf das Kind, als fürchtete sie, daß Mariechen es hören und verstehen könnte.

»Geh mal zum Großvater, Mariechen«, sagte sie zu dem Kind, »er ist heute noch gar nicht aus seinem Zimmer gekommen.«

Die Kleine nahm einige bunte Wollfäden und drückte sich hinaus.

»Die schenkt sie dem Alten«, erklärte Martha, »sie nimmt ihm immer was mit, wenn sie auf seine Stube geht. Neulich hat sie ihm meinen Fingerhut gebracht. Ich habe lange danach gesucht. Du hast eben nach Pudmar gefragt.« Martha dämpfte ihre Stimme. »Es ist manchmal nicht mehr zum Ertragen. Er tut so, als wäre unsereins Luft. Bloß wenn er was haben will, soll man gleich springen.«

»Es ist also schlimmer geworden«, flüsterte Hilke.

»Seit dem Abend, wo das mit Sterenbrinks Pferd passiert ist. Ich weiß auch nicht, was er hat. Manchmal glaube ich, die haben ihm den Kopf verdreht. Aber das kann doch gar nicht sein. Solche Mädchen gucken doch Pudmar nicht an. Wenn ich bloß wüßte, wie man ihm beikommen könnte. Aber er ist für kein Wort zu haben.«

›Das ist ein Unglück,‹ denkt Hilke, ›aber was kann man dazu tun? Da muß Martha schon selber sehen, daß sie durchkommt. Warum ist man überhaupt hergekommen? Es ist ja immer das gleiche. Martha kann einem schon leid tun, das ist richtig, aber schließlich hat jeder seins mit sich selber abzumachen.‹

Martha wirft das Wollkleidchen beiseite und springt auf.

»Da sitzt du nun und redest kein Wort. Mit allem muß man allein fertig werden. Aber das ist bei euch immer so gewesen. Jeder dachte zu Hause bloß an sich, Mutter mit ihrer Jammerei und Peter mit seinem Dickkopf. Und du warst doch auch kein Kind mehr, als ich heiratete. Das ist doch erst sechs Jahre her. Aber keinen Menschen habe ich gehabt, mit dem ich sprechen konnte. Mutter war ja ganz wild darauf, daß das mit Pudmar was wurde. Sie hatte ja immer den Kaffee schon fertig, wenn der alte Hingsten kam. Und nun, wo man drin sitzt, läßt sich keiner sehen. Mutter kommt nie und wann bist du schon mal hier? Ihr macht ja so, als wäre man schon aus der Welt.«

»Du kommst ja auch nicht«, wirft Hilke dazwischen.

»Ich habs schon schwer genug. Wenn ich jeden Tag noch zu Mutter laufen würde, möcht ich nicht wissen, was Pudmar sagt. Aber sie kann doch zwischendurch mal kommen. Aber ihr kriecht alle vor ihm ins Mauseloch. Bloß den alten Andrees schickt sie. Der soll hier herumspionieren. Gar keiner braucht zu kommen. Du willst ja auch weiter nichts als hören, was es gestern für Krach gegeben hat. Wenn sich Hingsten nicht mit Karl geschlagen hätte, wärst du doch heute nicht gekommen.«

»Dann kann ich ja gehen«, sagt Hilke, »denkst du, ich bin eine, die bloß für Tratsch ist?«

Sie ist aufgestanden und hat den Stuhl zornig an den Tisch geschoben. Sie wartet noch einen Augenblick, aber Martha hat ihr den Rücken zugekehrt und sieht zum Fenster hinaus. Die Hühner laufen über den Hof in die Kornkammer. Martha klopft hart gegen die Fensterscheibe und gibt der Magd, die in Eimern den Drank für das Vieh herbeischleppt, ärgerlich einen Wink.

Hilke geht. Martha läßt sie fort ohne ein Wort noch zu sagen. Im Hoftor trifft Hilke Pudmar. Er grüßt nicht und sieht an ihr vorbei.

Die Dorfstraße entlang kommt Simon Gülke. Er zieht einen kleinen Wagen, der mit Holz vollgepackt ist. Im Februar ists noch bannig kalt, da ist ein warmer Herd mehr wert als eine Equipage. Gülke hat auch eine Petroleumkanne am Wagen hängen. Licht braucht man auch, abends, wenn die Frau noch die Strümpfe stopfen will und man für Helmut, diesen Racker, diesen neunjährigen, einen Peitschenstiel zurechtschneidet und die Schnur zusammenknotet, damit der Junge am nächsten Tag wieder knallen kann. Da hat er eine Fertigkeit drin, als kam er direkt aus dem Zirkus. Simon Gülke pfeift vergnügt vor sich hin. Das Leben ist noch lange keins der schwersten, und wenns auch bloß mittags Stampfkartoffeln gibt. Sollt mal sehen, wie Helmut dazwischen fahren wird, mit beiden Händen gleich in die Schüssel.

Simon Gülke ruft im Vorbeifahren Hilke ein Scherzwort zu, aber sie hört es nicht.

 


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