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Über den Weg fort wohnte damals Hede Lorm. Sie war eine junge Frau, die seit einiger Zeit bei Rode Harms in der Räucherei arbeitete. Ihr Vater war ein Strandfischer gewesen, dann aber hatte er einen besseren Verdienst in Dranshop gefunden. Die Mutter hatte nur schweren Herzens das Dorf verlassen. Ihre Ahnung betrog sie nicht. Die Gelegenheiten der Stadt gewannen ihr den Mann ab und als er bei einer Stecherei am Hafen umkam, kehrte sie so gut wie mit dem Bettelsack nach Börshoop zurück. Das war, als Hede ins dreizehnte Jahr ging, also schon alt genug war, um allerhand Flausen im Kopf zu haben. Später ging das Mädchen nach Dranshop in Stellung und heiratete bald einen verwegenen Burschen, der viel auf See fuhr. Er kam von seinen Fahrten immer mit einer Tasche voll Geld heim und sie lebten einen guten Tag. Nun aber hatte er schon seit ein paar Jahren nichts mehr von sich hören lassen. Ihr Kind, ein Mädchen, das Mute genannt wurde, war inzwischen fünf Jahre alt geworden.

Die alte Frau Lorm brachte sich in Börshoop so gut es ging mit allerlei Arbeit durch. Sie half meistens in Bögerlant auf den Feldern oder in den Ställen. Da sie an ihrem Enkelkind hing, holte sie eines Tages ihre Tochter und die kleine Mute zu sich.

Als sie bald darauf starb, übernahm Hede ihre Handreichungen auf den Bauernhöfen. Es gab ihretwegen oft blutige Köpfe unter den Knechten. Dann, als Rode Harms seine Räucherei aufmachte, fand sie, daß dort leichter Geld zu verdienen wäre, und so ging sie zu ihm. Sie war tüchtig, von flinkem Verstand und eine geschickte Arbeiterin. Rode Harms konnte sie überall gut anstellen. Sie merkte das bald und maßte sich kleine Vorrechte den anderen Frauen gegenüber an.

Tagsüber war die kleine Mute sich selbst überlassen und sie saß dann gern bei Kiek Möns, die ihr Geschichten erzählen mußte.

»Ich habe gestern auch einen Rotjack gesehen«, berichtete Mute.

Wenn Kiek Möns von den Kobolden sprach, die den Menschen Gutes tun und denen man undankbar dafür Schabernack nachsagt, hatten die kleinen Unholde immer rote Jacken an. Sie wohnten unter dem Herd, denn sie liebten die Wärme. Hielt man den Herd nicht sauber, wurden sie böse und gaben dem Säumigen einen Denkzettel. Sie wollen es schmuck um sich haben und darum kommen sie nachts hervor und helfen hier und da heimlicherweis, aber nur den Fleißigen, die abends müde vor lauter Arbeit ins Bett fallen.

Mute merkte sich alles und stellte viele Fragen. Am liebsten hörte sie Geschichten von den Klabautermännchen.

Olaf Tharden, das ist der Vater von Jakob Tharden, dem Garnsherrn, der hat noch eins auf seinem Boot gehabt. Das war ihm viele Jahre nützlich, holte den Wind für die Segel, wenn die See still war, trieb Fische ins Netz und gab acht auf das Steuer. Aber es ließ sich nie sehen. Einmal jedoch in einer Mondnacht hatte es sich mit seinem Fuß in einem Tau verfangen und kam nicht schnell genug los. Da bemerkte es Olaf Tharden und sah voll Mitleid, daß es nackend herumlief. Als er wieder daheim war, nähte er aus einer Wolldecke eine warme Jacke für das Klabautermännchen und legte sie ins Boot, damit der Kleine sie finden möchte. Als das winzige Gutherz sie sah, ist es ganz traurig geworden, denn es meinte, es sollte damit für seine Arbeit abgefunden werden. Es ist mit dem Jäckchen seit dem Tage verschwunden gewesen. Olaf Tharden hat von da an schwer arbeiten müssen, und es ist ihm viel schief gegangen. Auch seinem Sohn Jakob war das Leben nicht leicht. So trägt es oft Böses ein, wenn man vorgreifen will, um das zu verbessern, was man nicht begreifen kann.

Mute hörte aufmerksam zu, und abends schwatzte sie viel davon zu ihrer Mutter. Hede Lorm war oft unwillig, daß Kiek Möns der Kleinen den Kopf voll redete, aber auf der anderen Seite war sie stolz, daß Mute gescheiter war als die anderen Kinder. So ließ sie Kiek Möns gewähren, zumal sie die Kleine da gut aufgehoben wußte in den Stunden, wo sie nicht zu Hause sein konnte.

Rode Harms' Räucherei hatte einen guten Aufschwung genommen, und um die Verbindungen, die ihm Konsul Behnke verschaffte, auszunützen, hatte er auf dessen Vorschlag auch einen Versand frischer Seefische eingerichtet. Manchmal reichte der Börshooper Fang nicht aus, und er kaufte dann in den umliegenden Fischerdörfern das Fehlende nach. Die Fische wurden gleich vom Dranshoper Hafen weitergeschickt, und Hede Lorm als die Anstelligste mußte zuweilen hin, um die notwendigen Frachtpapiere zu überbringen. So kam sie wieder mit den Stätten in Berührung, die ihr von früher vertraut waren, und da man sie in den Wirtschaften am Hafen noch kannte, so gefiel ihr das alles gut.

Einmal wurde ihr Name über die Straße gerufen. Es war ein Seemann, der früher oft mit ihrem Mann zusammen gefahren war, und sie erfuhr, daß der Verschollene sich in Amsterdam an eine Frau gehängt hatte, die im Zeedijk eine Kneipe betrieb.

»Du mußt nicht denken, Hede, daß das, wie man sagt, so über ihn kam. Das ging alles auf langsame Fahrt. Er war bei der Landung zu Schaden gekommen und hatte sich das Bein kurz und klein gebrochen. Es ist steif geblieben. Da war es aus mit der Seefahrt. Aber er war ja immer fix mit dem Schifferklavier und singen kann er auch. Da spielte er abends in der Kneipe, um sich ein paar Mark zu verdienen. Er wollte auch wieder nach Haus. Aber dann ist doch nichts mehr draus geworden. Wie das so geht.«

Hede Lorm berührte diese Nachricht nicht weiter. Sie hatte sich damit abgefunden, daß er für alle Zeiten weg wäre.

»Soll ich ihm was ausrichten, Hede? Übermorgen gehts hin.«

»Es ist gut,« sagte sie, »wozu das.«

Aber beim Abschied meinte sie: »Du kannst ihm einen Gruß bestellen, oder bestell ihm keinen, aber wenn er mal für Mute was übrig hat, soll er dran denken.«

Einige Zeit daraufbekam sie ein Paket. Ein Brief lag nicht darin, aber eine Bluse für sie, dünn und mit allerlei Rüschen, auch Schokolade, eine Flasche Rum und für Mute ein Paar Holzschuhe, wie man sie in Holland trägt. Der Freund hatte das Paket mitgenommen und in einem heimischen Hafen zur Post gegeben. Nun klapperte Mute den ganzen Tag in den holländischen Schuhen herum und hätte sie am liebsten abends mit ins Bett genommen.

Hede Lorm freute sich über die Bluse. Sie ging Sonntags in die Drüselsche Wirtschaft zum Tanz. Da waren auch die jungen Fischer aus Börshoop und die Bauernburschen von Bögerlant. Sie hatte sich mit Jan Mürk angefreundet und sie tanzten immer zusammen. Er bezahlte ihr auch das Bier, aber dafür steckte sie ihm Tabak zu, denn sie wollte sich von ihm nichts schenken lassen. Im Dorf aber ging Jan ihr immer aus dem Weg, denn er wollte kein Gerede aufkommen lassen.

»Warum bringst du nicht deinen Freund Kaat mit?« fragte sie einmal. Sie hatte ein Auge auf Stim Kaat geworfen. Auch kam er jetzt oft an ihrem Fenster vorbei, abends, wenn er zu Deeps ging.

»Der hat kein Gefallen dran. Er ist ja mit Hilke versprochen«, sagte Jan Mürk verstimmt über Hedes Frage. Sie merkte seinen Verdruß und ließ solche Rede, doch sah sie Stim Kaat oft nach und stellte sich ihm wie zufällig in den Weg. Aber er achtete es nicht.

Abends kam sie einmal zu Mole Deep. Sie saßen in der Waschküche, denn da hatten sie alle Platz, Mole Deep, ihr Sohn, Hilke, Stim Kaat, Andrees und Jan Mürk. Auch seine Schwester Wine war dabei. Sie hatten fleißig geschafft und schlürften nun über den Tellern voll Milchsuppe. Trockene Brotscheiben lagen dabei und auf dem Tisch stand noch eine Kruke mit Salz. In dem runden Backofen brannte ein tüchtiges Feuer, denn es war schon hubbriges Wetter. Dieser Ofen stand noch aus besseren Tagen, als man noch selber buk und seine Freude an dem sich bräunenden Brotlaib hatte. In einer Blechwanne neben der Tür zappelten Fische, die Andrees noch für den Rauch fertigmachen wollte. Das Leben mußte noch herausgeschnitten werden.

Hede Lorm kam mit einem Vorwand. Sie wollte bei Mole Deep eine Bütte ausleihen, weil ihre undicht wäre, und sie noch die Wäsche durchreiben müßte. Jan Mürk sah ärgerlich auf, als sie eintrat. Mole Deep hatte auch nicht viel mit ihr im Sinn, aber da Hede freundlich kam, so mußte man sie gleicherweise empfangen.

»Setz dich einen Augenblick. Du nimmst uns sonst die Ruhe mit. Andrees muß auch erst die Bütte holen.«

»Wenns bloß keine Umstände macht. Laß dir nur Zeit mit dem Essen, Andrees, ich warte schon.«

Hede Lorm zog ihren Schemel so, daß sie neben Stim Kaat saß.

»Ihr scheffelt wohl jetzt das Geld«, fragte Peter bissig über den Tisch.

»Was hab ich davon, wenn ers verdient. Was ich kriege, dafür reicht das Einmaleins bis zehn«, antwortete sie, denn sie wußte, daß man in diesem Hause nicht gut über Rode Harms sprechen durfte.

»Na na«, stichelte Peter, »das soll ja sonntags schon in Seide gehen, was, Jan?«

Der lachte tolpatschig, um sich nichts anmerken zu lassen.

Hede Lorm fühlte, daß es gegen sie ging und warf Jan einen raschen zornigen Blick zu. Er kriegte einen roten Kopf und schielte etwas dumm von einem zum andern. Wine sah ihm verwundert mitten ins Gesicht.

»Was glotzt du denn?« herrschte er sie an. Peter hatte seinen Spaß daran und lachte schallend. Mole Deep, die von allem nichts verstand, wandte sich an Hede Lorm: »Er soll ja wie ein Graf wohnen. Andrees weiß es vom alten Mürk. Drei Zimmer für sich alleine und dann kann er noch ausbauen. Das ist gleich so eingerichtet. Er war ja auch schon bei den Sterenbrinks und die bei ihm. Wenn man bedenkt, wie sein Großvater hier so angekommen ist. Die Fräuleins sollten sich was schämen. Für deinen Großvater wird er auch bald zu fein sein, Wine!«

»Großvater läßt nichts auf ihn kommen«, warf Wine schüchtern ein.

»Hat er auch Grund«, rief Peter, »gehts dem vielleicht an den Kragen?«

»Der hat auch – – «, begann Andrees, aber dann schwieg er und schnitt gleichmütig an den Fischen herum. Er hatte vergessen, daß er die Bütte für Hede Lorm holen sollte, und sie erinnerte ihn nicht daran, damit sie noch länger bleiben könnte. Aber nun hatte sie ihren Ärger über Jan und das ganze Gerede. Besonders aber verdroß es sie, daß Stirn Kaat keinerlei Notiz von ihr genommen hatte, sondern leise mit Hilke tuschelte, als säße weiter keiner am Tisch.

Sie wollte schon aufstehen, aber da räkelte sich Stim Kaat:

»Nun steig mal in deinen Weinkeller, Mutter!«

Mole Deep gluckste vor Lachen: »Was er so für Einfälle hat. Aus der Plumpe werd ich dir was holen! Ach Gott, Kinder, wenn Christian Deep noch lebte, dann gab es wohl auch mal 'nen Grog. Der war gar nicht abgeneigt dagegen. Aber so ist man froh, wenn man seine Suppe hat.«

»Da werde ich mal in meinen Keller steigen«, fiel es Hede Lorm plötzlich ein. Die anderen sahen sie verdutzt an, aber sie war schon aufgestanden und hinaus.

»Die macht einen neugierig, sie hat wohl was Extras bekommen«, sagte Stim Kaat hinter ihr her.

»Sie ist bei Harms gut angeschrieben. Du sollst mal hören, was Frems erzählt, wie sie da angibt, wenn er Fische holt«, ereiferte sich Hilke. Sie hatte wohl bemerkt, daß Hede Lorm sich gleich so dicht an Stim Kaat heranmachte.

»Früher mußten die Fräuleins bei uns kaufen. Aber jetzt schicken sie natürlich zu dem großen Herrn. Das ist eine Schande, wo doch Hilke bei ihnen im Haus ist.«

»Ich kann nichts dazu tun, Mutter. Was hören die auf unsereins. Sie sind eben die Herrschaft und fertig.«

»Dann mußt du ihnen den Kram vor die Füße schmeißen. Die längste Zeit war es sowieso«, muckte Stim Kaat auf.

»Such mal heute einen guten Dienst. Ich habe doch da nichts auszustehen«, begütigte Hilke.

Hede Lorm kam wieder in die Küche. Sie war noch außer Atem, so hatte sie sich beeilt. Hilke sah auch, daß sie sich die Haare lockerer gemacht und einen Kamm hineingesteckt hatte.

Hede stellte die Flasche Rum, die aus Amsterdam gekommen war und die sie für eine gute Gelegenheit aufgehoben hatte, mitten auf den Tisch.

Die Männer bekamen große Augen. Andrees trat schmunzelnd, einen zappelnden Fisch noch in der Hand, heran. Wine kicherte und Mole Deep saß mit offenem Mund. Bloß Hilke ließ sich nichts merken. Hede sah sich in der Küche um und suchte schon nach Gläsern und Tassen. »Wer macht sie nun auf?« lachte sie. Andrees warf den Fisch in den Holzbottich und nahm das Messer.

»Das kann man doch nicht annehmen«, sagte Mole Deep, doch war sie schon aufgestanden und kramte aus dem Spind noch ein paar Gläser hervor. Sie stellte vor Hede Lorm eins hin, das einen Goldrand hatte und eine verwaschene Inschrift. »Christian hat es mal mitgebracht. Das ist für den Gast.«

Andrees hatte die Flasche geöffnet und wollte eingießen, aber Stim Kaat nahm sie ihm aus der Hand und tat es selbst. »Wär schade um jeden Tropfen bei deiner zittrigen Hand. Na dann allseits aufs Wohl!« Und sie prosteten sich zu, nippten erst und gossen den Rest dann schnell hinter. Die Männer leckten die Lippen und die Frauen schudderten etwas.

»Das ist ein guter Jahrgang«, lobte Stim Kaat, »sowas will schon bezahlt sein.«

Hede Lorm errötete: »Ich hab ihn mal geschenkt bekommen.«

»Der muß Geld gehabt haben«, zwinkerte Peter und stieß Jan in die Seite.

»Auf einem Bein steht bloß der Storch«, zapfte Andrees an.

»Die soll leer werden, gießt nur ein«, ermunterte ihn Hede, aber Stim Kaat war schon dabei ohne groß zu fragen. Mole Deep zierte sich etwas vor dem zweiten Glas. »Das fährt einem in die Beine.« Doch dann trank sie wie die anderen, verschluckte sich und hustete. Man klopfte ihr den Rücken. Sie hielt die Arme hoch, kam schnaufend wieder zu sich, rieb sich die Augen, lachte und vergaß ihre Not. Nach dem dritten Glas schwatzte man schon durcheinander, neckte sich und rückte näher zusammen. Vor allem machte ihnen Andrees Spaß, der nichts mehr gewöhnt war, sich zwischen den Gläsern seiner Arbeit erinnerte und Hede Lorm mit den zappelnden Fischen in Gefahr brachte. Man lachte, wenn sie sich kreischend ängstigte. Hilke nahm das für Absicht und machte nur gezwungen mit.

»Daß man so lustig sein kann, das ist ja Sünde«, rief Mole Deep erschrocken dazwischen, aber die anderen hörten nicht darauf und so vergaß es Mole Deep auch wieder.

»Jetzt sollte man Musik machen«, meinte auf einmal Wine. Sie saß sonst immer zu Haus. Jan achtete darauf, daß sie sich gut führte, und sie hatte Respekt vor ihm.

»Spielt keiner von euch Harmonika?«, fragte Hede, »ich kannte einen, der sich darauf verstand. Er spielte alles aus dem Kopf. Man brauchte es ihm bloß zu sagen.«

»Wen sie so alles kennt! Einen mit Rum und einen mit der Harmonika und einen mit der seidenen Bluse!«, rief Peter.

Hede Lorm sah Stim Kaat an: »Mein Mann war es, damit ihrs wißt. – Er ist ja nun weg«, fügte sie leise hinzu.

Hilke sah sie mitleidig an: »Und nichts wieder gehört?« »Nein, bloß das Kind.«

Einen Augenblick schlug um sie vom Herd die Wärme. »Dann ist Mute von ihm?«, fragte Stim Kaat.

Es war das erste Wort, das er direkt an sie richtete. »Was dachtest du denn?«, sagte sie spitz.

»Nun, nichts für ungut«, entschuldigte er sich und trank ihr zu. Sie sahen sich dabei in die Augen. Hilke trat Stim Kaat auf den Fuß und er wandte sich wieder zu ihr.

Von der Tür kam ein Zugwind. Sie war aufgesprungen und Hede zog sie barsch ins Schloß.

Andrees saß vor dem Holzbottich und sang mit torkelnder Stimme:

Peter geht an Strande
Wischt sin Orsch mit Sande,
Wischt sin Orsch mit Haberstroh,
Morgen gehts allwedder so.

Wine wollte sich ausschütten vor Lachen. Sie hatte Mole Deep untergehakt und die beiden wiegten sich langsam auf den Stühlen hin und her.

Den Rest der Flasche nahmen die Männer für sich. Peter knobelte mit Jan das letzte Glas aus.

Als die Flasche dann leer war, saß man noch einige Zeit bei einander. Man war müde, gähnte und ließ das Gespräch einschlafen. Es ging schon auf elf.

Hilke stand als erste auf und Stim Kaat ging mit ihr fort, um sie bis zu den Sterenbrinks zu begleiten. Jan wäre Wine gern losgewesen, denn der Rum hatte ihm Laune gemacht und er hätte Hede Lorm gern noch in die Arme genommen. So druckste er am Tisch und suchte nach einem Vorwand.

Hede Lorm aber war plötzlich verschwunden. Da trollte er ärgerlich mit Wine davon. Peter brachte sie vor die Tür. Mole Deep schob schläfrig die Gläser zusammen und Andrees schnarchte schon vor dem Bottich.

Stim Kaat und Hilke gingen zuerst schweigend nebeneinander. Er hatte sie umgefaßt und sie hielt seine Hand fest. Das Meer floß aus der Dunkelheit wie schweres Eisen träge gegen den Strand.

Über der Rowen Düne war ein Licht, dem sie sich langsam näherten.

»Die Fräuleins sind noch auf«, sagte Stim Kaat, »sie können ja auch bis in den lichten Mittag schlafen. Für mich ist die Nacht bald zu Ende. Um drei wollen wir rausfahren.«

»Da hätten wir früher Schluß machen sollen. Mir wärs schon recht gewesen«, sagte Hilke, »ich kann mit der nicht warm werden.«

»Aber der Rum war gut, der sitzt einem ordentlich in den Knochen.«

»Nun wird sie wohl öfter rüberkommen zu Mutter.« Hilke war stehen geblieben und schluchzte plötzlich.

»Was hast du denn? Du kannst es wohl nicht vertragen.« Er nahm besorgt ihren Kopf.

»Sie soll dir nicht solche Augen machen«, weinte sie. »Bloß um dich ist sie doch gekommen.«

»Das ists! Ihr seid schon, ihr Frauensvolk. Da kannst du ruhig sein, Hilke. Die kommt nicht ran.«

»Das sagt ihr immer und nachher ists doch.«

»So ists richtig. Was ihr schon redet!« Er wollte sie herüberbiegen und küssen, aber sie wehrte sich. Sie war ganz wild geworden gegen ihn. Doch plötzlich heulte sie wie ein Kind und warf sich an seinen Hals.

»Das ist ja dumm von mir, Stim Kaat, aber manchmal hats einen. Da kann man nicht gegen an.«

Sie war zwischen Lachen und Weinen. Ihre Tränen fielen ihm auf die Schulter und ihr Lachen hing an seinem Mund. So standen sie lange an der Düne. Die Wolken schoben sich schwerfällig auseinander. Nun waren schon Sterne da.

»Du weißt doch genau, wie ichs meine, Hilke, da mach dir man den Kopf nicht schwer.«

Dann ging sie den Weg hoch. Stim Kaat sah ihr über das Gitter nach.

»Solch Mädchen«, sagte er mit Verwunderung und wandte sich nur schwer um.

Als er den Strandweg zurückkam, stand auf einmal Hede Lorm da. Sie war aus der Dunkelheit herausgetreten und ihr leiser Schrei der Überraschung flirrte an sein Ohr. Er blieb stehen und sie atmete dicht vor ihm.

»Du noch? Ich denke, man schläft schon.«

»Läufst ja selbst noch herum, Stim Kaat. Mir war ganz konfus geworden bei Mole Deep. Nach solcher Lustigkeit schläft es sich schwer. Da dachte ich, gehst noch ein Stückchen.«

»Du wirst dich erkälten, Hede Lorm. Hast doch bloß ein dünnes Tuch um. Das seh ich doch.«

»Mir ist warm«, lachte sie.

Dann waren sie still.

»Ja denn – 'Nacht auch«, sagte er, »ich muß mich noch ein Stündchen aufs Ohr legen.«

Sie ging neben ihm. »Ich will auch umkehren. Es ist doch zu dunkel und so allein, da kann einem was zustoßen. Ich bin ja nur ein schwaches Weib. Wenn man so stark ist wie du, Stim Kaat, dann hat man nichts zu fürchten.«

»Dann komm«, sagte er kurz.

Sie war so eng an seiner Seite, daß ihr Haar ihm ins Gesicht wehte und daß er ihre Hüfte an sich fühlte. Es wurde ihm heiß hinter der Stirn und er schob die Mütze zurück. Sie sprachen nichts, doch ihre Gedanken verwirrten sich ineinander, banden sie und verwickelten sie mit jedem Schritte mehr. Stim Kaat schob seine Hand hoch an ihrem Arm, und als er keinen Widerstand fühlte, legte er sie fest um ihre Schulter. Sie glitt an ihn und er hielt ihre Brüste in seiner Hand, beugte sich vor, hatte seinen Mund an ihrem Ohr, flüsterte was, daß sie bebte. Ihre Stimme huschte hin und ihre Finger drückten sich tief in seinen Arm. Da warf er sie in den Sand.

Plötzlich ist ein Wort in seinem Herzen, steigt auf, sitzt in seinem Kopf, reißt ihn zurück: Hilke.

Er läßt von der Liegenden. Wortlos dreht er sich, geht ohne Gruß, mit breitem Schritt.

Dann ist nur Dunkel.

Zu Hause stößt Stim Kaat wütend die Tür auf. »Das wär eine schöne Geschichte geworden. Hätte Hilke doch recht behalten.« Er spuckt aus, schleudert die Mütze in die Ecke und macht Licht im Flur. Auf dem Gesims steht eine Kiste. Zwei Kaninchen sitzen darin. Sie sind mausgrau und haben ein weiches Fell. Man kann sie gut kraulen. Das Licht hatte sie aufgeweckt und sie standen auf den Hinterbeinen und streckten die Vorderpfoten durch das Geflecht. Stim Kaat tatschte an ihnen herum. Es waren liebe Tiere und eigentlich war es schade, daß man sie winters, wenn es knapp wurde, abschlachten mußte. Stim Kaat hing seine Jacke über die Kiste, damit sie es wärmer hätten. Dann ging er in seine Stube.

Aus der Kammer nebenan kam das gleichmäßige Schlafen des Per Stieven.

 


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