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Durch das dunkle Börshoop ging Rode Harms. Die schmalen Wege waren leer. Die Häuser lagen still da. Nur ab und zu schlug ein Hund an, wenn der Schritt des Mannes lauter vorüberklang, aber er beruhigte sich bald wieder.

Rode Harms trägt eine Taschenuhr in der Hand. Es ist eine billige Uhr mit zerbeultem Gehäuse. Sie ist stehengeblieben um die Stunde, da Rudolf Harms starb. Die Mutter hat sie nie wieder in Gang gebracht. ›Damit du weißt, wann deines Vaters Stunde war‹ – so stand in dem Brief geschrieben, den Rode Harms obenauf in der Truhe gefunden hatte.

›Geliebter Sohn! Mein Herz geht schlecht und mit der Lunge ist es auch so. Wer weiß, wie es um mich steht. Da sollst du diesen Brief haben, wenn du wieder da bist und ich nicht mehr bin. Ich bete jeden Abend, du möchtest bald zurückkommen, daß ich dich noch einmal sehen kann. Aber ich will dich nicht betrüben mit meinem Herzleid. Wenn du nur gesund bist. Auch darum bitte ich oft den Himmel, er möge es gut mit dir machen.‹

Rode Harms hat den Brief in die Tasche geschoben, aber jedes Wort sitzt fest in seinem Gedächtnis. Es ist so, als spräche eine Stimme in ihm, innig und unbeholfen, so wie jeder Buchstabe hingeschrieben war.

›Auch hätte ich große Freude gehabt, von dir noch einmal zu hören. Aber wie Gott will. Dein Vater war sehr krank die ganze letzte Zeit, ehe es mit ihm zu Ende ging, doch er hat es ohne Aufwallung getragen. Gesprochen hat er nichts mehr. In der Nacht, wo ich ihm das Kissen niedriger legen mußte, forderte er sich die Uhr und hat sie nicht mehr aus der Hand gelassen. Aber bevor der letzte Krampf kam, gab er sie mir und sagte dazu deinen Namen. So sollst du sie nun haben nach seinem Willen. Auch seinen Mantel lege ich mit in die Truhe. Es ist ein guter Stoff und wird noch manches Jahr vorhalten. Auch die Stiefel. Wir haben ihn barfuß in den Sarg gelegt, damit ihm die Füße leicht sind auf seinem letzten Wege. Und eins von den neuen Hemden sollst du auch haben. Das andere haben wir ihm mitgegeben. Ich habe sie im letzten Winter vor seinem Tod genäht. Du magst es vielleicht gut gebrauchen.‹

Und diese andere Stimme in Rode Harms redet weiter, kleine zärtliche Worte, warm wie ein Herdfeuer, und mit einem ängstlichen Aufhorchen darin, ob nicht ein hartes unerbittliches Klopfen sie zerschlagen würde, ehe der letzte Satz gesagt wäre, jene allerletzte Bitte um Segen für den Sohn, der im Zorn gegangen war.

Dunkle stumme Nacht über Börshoop. Warum wird die See nicht laut und wirft sich tobend gegen den Strand. Warum ist das Kreischen der Möwen verklungen und das Krächzen der Krähen. Warum türmen sich keine Wolken auf und werfen Donner und Blitz über den Dranshoper See. Das alles wäre eine Wohltat gewesen für Rode Harms. Vielleicht hätte das Wetter die Stimme überschrien, die aus dem Unfaßbaren zu ihm spricht. Aber die See ist still und der Himmel schlummert in den Dunkelheiten.

»Ich wollte doch kommen, Mutter, aber wußte ich denn – – – «, sagt Rode Harms laut und bricht erschrocken ab. Die Stimme in ihm ist fort. Nur ein Lachen ist über ihm. Er blickt hastig empor. Es ist das Haus der Schwestern Sterenbrink auf der Rowen Düne. Licht ist auf dem Balkon und die Schwestern sitzen zusammen unter gelbem Schirm.

Rode Harms geht langsam weiter. Dann ist ihr Lachen nur noch wie ein ferner Vogelruf.

Vom Strand her kommt ihm ein Paar entgegen, versunken umschlungen. Sie gehen wie Schatten an Rode Harms vorbei, der hinter einen Strauch getreten ist.

»Und wenn deine Mutter hundertmal nein sagt, Hilke, ich hole dich doch«, sagt der Mann.

»Sie gibts nie zu, Stim Kaat«, sagte das Mädchen.

Und die beiden gleiten vorüber und ihre Stimmen gleiten fort. Über den Sandweg verrinnt es.

Überall ist es der gleiche Trotz und der gleiche Jammer, denkt Rode Harms, wendet sich um und geht zurück. Er biegt vor dem Haus, darin Kiek Möns wohnt und zu dem er heimgekehrt war, jäh ab in die Landstraße.

Die Liebe ist aufgestanden gegen ihn und sie, die alles versöhnen wollte, hat ihn seiner Schuld sich bewußt werden lassen. Er ist einmal in Haß fortgegangen, und er ist das zweite Mal hinausgeschlichen scheu und schuldig vor soviel Gutsein.

Rode Harms geht wieder den Weg zurück nach Bögerlant.

 

In den Dünen nicht weit von dem Hause der Schwestern Sterenbrink, so daß das Dach ziegelrot sich vor das Dorf stellt und keinen Ausblick nach dem Dranshoper See gestattet, steht der Räucherofen, der Mole Deep gehört. Hartes Gras weht darum, spitze zähe Halme, einige auch mit einem grauen Kranz von Staubfäden, denn es geht in die wärmeren Monate, und über dem niedrigen Birkengestrüpp, das wie ein Zaun den Rauchherd umschirmt, jagen sich weiße Schmetterlinge.

Um diese Zeit taumeln sie lichttrunken oft weit auf das Meer hinaus, flattern ihre Seligkeit über weiße Schaumkronen hin, senken sich lustvoll über silbernen Wellenstreif, bis eine Woge sie hinabzieht, mitreißt und an den Strand wirft in tödlichem Spiel.

Aber vor dem kleinen Räucherofen hält Zeit und Vergänglichkeit still. Da ist kein Tod, der sich wandelt in neue Geburt, kein Wachsen, Werden und Vergehen wechselnder Jahrzehnte. Die Uhr hat hier ihre Zeiger verloren und der Stundenschlag seinen mahnenden Ruf.

Aus rohen Backsteinen gefügt, mit Lehm bestrichen und innen mit Teer gesichert, der glänzend wie Lack den Rauch halten soll, darunter die Feuerstätte aus kreuzweis geschichtetem Buchenholz, so bescheiden in ihrer zeitlosen Einfachheit ist diese Werkstatt, die Mole Deep täglich ein paar Pfennige Verdienst geben soll.

Hier treffen sich die alten Leute von Börshoop, Fischer, deren Knochen zu steif geworden sind für Bootsfahrt und Fischfang, Frauen, die ihren Haushalt an jüngere abgaben und nun die wirblige Schar ihrer Enkel hüten. Wenn man mitten im Tag eine Lust zum Schwatzen hat, setzt man sich vor dem braunen Lehmofen zusammen und erzählt zum aberhundersten Mal Geschichten, die man schon zum hundertsten Mal gehört hat.

Andrees ist der jüngste in diesem Kreise. Er ist erst in den Fünfzigern, aber da er den Räucherofen bedient, weiß er sich als Mittelpunkt und trägt Geschichten zusammen, die er auf den kleinen Märkten der Umgegend hört, wenn ihn Mole Deep zum Verkauf der geräucherten Fische dorthin schickt.

Er hat Flundern und Dorsche aufgereiht, in den Ofen gehängt und die Tür geschlossen. Der Rauch muß nun die Arbeit vollenden.

Er wischt die Hände an der alten Jacke ab und zu gutem Gespräch aufgelegt, sieht er sich um, ob nicht jemand in dem Dünenweg auftaucht. Aber sein Blick wird verdrießlich, denn nur Jakob Tharden, der Schweigsame, geht vorüber. Den Garnsherrn nennt man ihn im Dorf. Das ist ein stolzer Name, denn Herr der Netze genannt zu werden, das setzt schon Hoheit und Würde voraus. Um Haupteslänge überragt Jakob Tharden noch jetzt mit seinen achtzig Jahren die anderen.

Als man ihm diesen Namen gab, krönte man die Armut in Börshoop, jene Armut, die sich nie armselig macht, sondern das harte Brot hinnimmt, ohne eine Bitte zu finden oder ein Wort der Klage.

Ein helles Singen hebt nun an. Alma Stieven geht an den Strand, um ihrem Vater am Boot zu helfen. Vierzehn Jahre ist sie alt, aber es gibt keine Frau in Börshoop, die das Haus besser zusammenhält als sie. Ihre Mutter ist seit Jahren tot. Auch hat das Leben für Per Stieven immer nur einen schmalen Napf gehabt. Da ist Alma der Singvogel über den grauen Tagen.

Und ihr Lied wandert an Andrees vorbei, klingt noch einmal wieder von den Dünen und wird mitgetragen in dem Rauschen der See.

Aber jetzt wird Andrees lebendig. Stim Kaat kommt. Er trägt die langen Wasserstiefel über der Schulter und will wohl mit Per Stieven hinausfahren. Aber das hat Zeit. Der Ärger hängt sich einem wie ein Drahtseil an den Fuß, daß man schleppt und schleppt und nicht loskommt. Stim Kaat schleudert die Langschäfte an die Lehmwand.

»Hol der Teufel die Mole Deep!« und er wirft sich neben Andrees ins Gras, spuckt aus. »Sie hat die Hilke schon düsig gemacht mit ihrem Geklöhn. Aber das sag ich, da gibts nichts! Und wenn die Alte kratzt und schreit! Soll sie ihre Dreier behalten und das Bett. Wir heiraten auf die glatte Hand.«

Andrees schiebt den Kopf vor und schielt ängstlich nach allen Seiten.

»Hats denn wieder was gegeben?« flüsterte er.

»Gestern abend. Sie hat Hilke abgefangen. Wir wollten uns am Steg treffen. Das Mädchen war ganz verheult. Sie kann Gott danken, daß sie bei den Fräuleins ist und nicht den ganzen Tag bei dem Drachen im Haus. Seit der Pudmar die Martha hat, ist es ihr wohl in den Kopf gestiegen. Aber so dick sind die Protzen nicht gesät. Ihr Mann war doch auch bloß ein kleiner Fischer.«

»Der Hochmut hat sie nicht,« sagt Andrees leise, »kannst es glauben. Sie stöhnt und quergelt den ganzen Tag. Das stimmt schon. Aber hochmütig, nein, das ist sie nicht. Seit Christian Deep ertrunken ist, hat sie Angst vor dem Meer.« Andrees hat sich dicht zu Stim Kaat gebeugt. »Du kannst dir nicht denken, was sie sich immer für Sorge macht, wenn Peter rausfährt. Dann ist sie gar kein Mensch mehr. Wie ein scheuer Hund schleicht sie rum. Hat sie ihrem Sohn doch einreden wollen, Maurer zu werden. Bloß damit er vom Wasser wegkommt. Lieber sieht sie ihn in Lohn und Brot bei Fremden. So ist die Frau. Das ist bloß die Angst, die an ihr reißt. Nein nein, Stim Kaat, gegen dich hat sie nichts. Ihrethalb könntest du Dünenarbeiter sein, das macht ihr nichts aus, aber deine Betätigung, mußt du wissen, da steckts. Könntest du es nicht an den Nagel hängen? Tüchtige Kerle wie du werden überall gesucht. Geh nach Dranshop, sag ich dir. Da gibt sie dir Hilke mit. Das kannst du glauben.«

»Du bist ein Spökenkieker, Andrees. Was du dir so zusammenreimst. Ich sage dir, der Pudmar steckt ihr im Kopf. Meinethalb brauchte sie vor dem Wasser keine Angst zu haben. Wir werden unser Boot schon halten. Da müßte man ja kein Kaat sein. Die sind zäh wie Leder. Sowas frißt das Meer nicht.«

»Verrufs nicht«, erschrickt Andrees. »Bloß nicht so reden. Du bist ein unbändiges Blut, Stim Kaat. Solltest mal bei dem Garnsherrn in die Lehre gehen. Eben ist er vorbeigekommen. Der hat sein Lebtag den Mund nicht aufgemacht, aber von dir ist jedes zweite Wort eine Versündigung.«

Alma kommt angelaufen. Per Stieven will nicht mehr warten. Zu zweit haben sie das Boot und fahren auf Teilung. Auch die Netze haben sie gemeinsam, und seitdem die alte Frau Kaat ihrem Mann im Tode nachgefolgt ist, hat ihr Sohn seine Kammer bei Stieven.

»So, dem Vater pressierts. Habt wohl nen Walfisch gesehen, Alma?«

Stim Kaat nimmt die Langschäfte und geht. »Teufel«, flucht er noch.

Die beiden sind kaum in den Dünen verschwunden, als Mole Deep angehastet kommt. Hinter ihr trottet Jöken Mürk, kratzt sich am Ohr und macht Andrees Zeichen.

»Das war doch Stim Kaat eben. Was hat er hier schon wieder rumzuschnüffeln?«

Mole Deep ist einmal ein flinkes Mädchen gewesen, rasch zu jeder Arbeit und mit klarem Verstand. Als Christian sie nahm, konnte er sich keine bessere wünschen. Doch diese Flinkheit ist Unruhe geworden, als hielte sich immer etwas Feindliches für sie im Hinterhalt, das unverhofft vorspringen will und vor dem man ständig auf der Hut sein muß. Ihre Lippen bewegen sich in einem fort, aber es ist nur ein Zucken und Beben, wie bei einem Falter, dessen Flügel durchnäßt und den kein Sonnenstrahl mehr zu trocknen vermag. So flackert Mole Deep durch ihr Leben.

»Stim Kaat«, wiederholt Andrees und brummelt etwas dazu.

»Er soll nicht immer der Hilke nachstellen.«

»Wir sind auch mal jung gewesen«, will Andrees begütigen.

»Willst wohl sagen, daß du auch Liebschaften gehabt hast?«

»Die meinens ernst, Mole Deep, kannsts glauben.«

»Auf den hab ich grad für Hilke gewartet. Soll sich das Mädchen wohl schinden und plagen und eines Tages hat ihn das Meer, und was dann?«

»Es bleibt ja nicht jeder draußen. Kuck den Garnsherrn an oder da den Kaptän. Die sind ja auch immer wiedergekommen.«

»Bis nach Schweden bin ich gesegelt und drüber raus. So'n Kerl war ich!« versichert Jöken.

»Du mußt dich schon breit machen, Mürk. Aber wo seid ihr denn gewesen in der Nacht, als Christian Deep ertrank? In euren Betten habt ihr gelegen. Und er hat draußen geschrien. Aber keiner war da. Bloß Brink, und der hat gedacht, es war eine Uhl, die schrie. Und da ist er weitergegangen und hat den Mann schreien lassen und schreien. Aber nun hat ihn das Meer selber geholt, und da wird er wohl wissen, wie 'ne Uhl schreit.«

Mole Deep jammert und weint. »Peter, Peter«, ruft sie ein paarmal halblaut dazwischen. Ihr Sohn kommt ihr wohl in den Sinn, der sich nicht von dem Meer trennen will.

Die beiden Männer stehen hilflos dabei und versuchen, sie zu beruhigen.

»Nun hat es sie wieder,« sagt Andrees, »sie muß sich ausweinen, da hilft nichts.«

Mit einem Mal ist Mole Deep wieder still, wischt die Augen mit ihrer Schürze und fährt mit dem Handrücken über Stirn und Kinn.

»Hilke solls besser haben. Du darfst das mit Stim Kaat nicht unterstützen, Andrees«, sagt sie fast bittend.

»Wo werd ich dir denn zuwider sein, Mole Deep. Ich hab bloß gedacht, wo sich die beiden liebhaben. Aber du bist ja die Mutter.«

»Laß nur, Andrees, ich weiß ja auch, Stim Kaat ist ein guter Mensch. Ein bißchen ungebärdig, aber doch guttätig. Und es ist mir ja auch leid um Hilke. Aber siehst du, Andrees, ich möchte sie gern in ein warmes Nest haben. Martha hats ja auch nicht leicht, aber sie hat doch nicht die Sorge, daß dem Mann was zustößt. Pudmar ist doch den ganzen Tag in der Wirtschaft. Was fällt einem da schon an!«

Jöken Mürk denkt: Ob das schließlich nicht was mit dem Rode Harms wäre? Wo er wieder im Land ist, wird er wohl eine Frau suchen. – Und er sagt laut:

»Da ist ja nun einer vor Anker gegangen in Börshoop.«

Er zwinkert zu Mole Deep hin, aber die fährt ihn an:

»Willst dich wohl in anderer Leut Sachen drängen, Mürk. Bei mir kannst du keinen Kuppelpelz verdienen. Aber er muß ein Stattlicher geworden sein, der Harms. Wenn man das so hört, was Mürk erzählt.«

Andrees hat den Mund auf.

»Ja ja«, kichert Mürk.

»Wer sagt denn, daß der wieder hier ist?« fragt Andrees endlich.

»War doch bei Kiek Möns. Wir haben bis Mitternacht aufgesessen.«

»Soll mans glauben, Kaptän, Rode Harms ist wieder da?«

»Das will ich dir sagen, Andrees.« Jöken Mürk setzt sich zu ihm.

»Er macht gerade, als ob der Millionen mitgebracht hätte.« Mole Deep geht ärgerlich fort.

Jöken Mürk will die Geschichte von Rode Harms' Heimkehr erzählen. Er ist damit schon seit dem frühen Morgen von Haus zu Haus gegangen.

Aber plötzlich trat ein Mann aus den Birken hervor. Er trug ein Gestell umgehängt, daran Besen, Bürsten und kleine Gegenstände, wie man sie täglich in der Wirtschaft braucht, befestigt waren.

Man kannte ihn gut. Er hieß Kog, aber die Leute nannten ihn nur den Danziger, denn er war vor Jahren aus jener Gegend zugewandert, hatte Haus und Boot erworben, dann aber, von Mißgeschick verfolgt, beides wieder verloren. Er fristete nun mit seinem kleinen Handel notdürftig das Leben.

»Kommst grade zu paß, Danziger, will eben dem Andrees was berichten. Wirst Augen machen. Denkst immer bloß, wo anders passiert was, aber nicht bei uns. Sollst diesmal dein Maul halten.«

»Wird schon was Rechtes sein!« stichelt Kog und blinzelt Andrees zu.

»Was Rechtes, natürlich was Rechtes, so wahr ich Kaptän Mürk bin!«

»Deine Flotte schwimmt wohl hinter Grönland, hä?«

Andrees fahrt mit einem guten Wort dazwischen.

»War nicht so gemeint, Andrees«, lacht Kog.

»Nämlich der Rode Harms ist wieder da! Was sagst du nun, Danziger?«

»Hast du ihn denn gesehen, Jöken Mürk?«

»So wahr ich hier sitze. Bei Kiek Möns ist er gewesen. Bis Mitternacht haben wir aufgesessen!«

»Hat einer schon gehört, daß ein Mensch an zwei Orten auf einmal sein kann?« sagt der Danziger. »Nun will ich dir was sagen. Ich habe nämlich mit Rode Harms zusammengesessen!«

Jöken Mürk erschrickt: »Du?«

»Jawohl! Und wenn ich auch bloß der Danziger bin und kein Kaptän, sondern nur ein Besenbinder, aber das soll wahr bleiben: Gestern nacht um Uhrer zwölf habe ich mit Rode Harms leibhaftig gesprochen!«

»Da soll doch – – – «, wettert Mürk, »und wo denn, wenns erlaubt ist?«

»In Bögerlant, Herr Kaptän, in Drüsels Wirtschaft.«

»Also das ist ja – – – , Andrees, hörst du, er hat mit Rode Harms zusammen gesessen. Wo ich den Jungen doch auf den Knien gehabt habe! Ist wohl extra deinetwegen hergekommen, Danziger, hä?«

»Glaubs nicht,« sagt der, »ich kann meine Worte auch wo anders loswerden, hätte euch sonst was Neues von ihm erzählen können. Da würdet ihr staunen, sag ich euch!«

»Wie er sich aufbläst«, ärgert sich Mürk.

»Laß ihn doch erzählen, Kaptän,« vermittelt Andrees, »wollen mal hören, was er weiß.«

»Also wenn ich dir sage, Andrees – – – «, Jöken Mürk kann sich noch immer nicht beruhigen, aber er ist unsicher und fängt im stillen an, auf Kiek Möns zu zanken, weil er glaubt, daß die ihn an der Nase herumgeführt hat. Vielleicht war Rode Harms gar nicht bei ihr, und sie hat bloß geschwatzt, wie alte Weiber so tun. Das war ein schöner Reinfall, denkt er. Nun, man wird ja hören.

Kog aber fängt gar nicht so schnell an, seine Neuigkeit auszupacken. Er hat das Gestell mit den Bürsten und Besen abgenommen und macht es sich vor dem Räucherofen bequem, stopft die Pfeife und raucht bedächtig.

»Wie gehts denn mit dem Geschäft, Andrees? Ist der Fang gut? Was macht Mole Deep? Ist Hilke noch bei den Sterenbrinks? Von denen hört man ja auch so allerlei. Da ist ein Reeder in Dranshop. Behnke heißt er. Führt ein großes Haus. Da sitzen die Fräuleins wie die Fliegen. Vielleicht denken sie da 'ne gute Partie machen zu können. Es wird auch Zeit, daß sie sich nach was Sicherem umsehen. Man hat gesagt, daß es mit ihnen gar nicht mehr so gut stehen soll. Ihr Pächter ist ein toller Kerl. Spielt und sitzt hinter Frauen her. Der wird ihnen bald alles runterwirtschaften. Du kannst es mal der Hilke stecken, was man so erzählt. Vielleicht haben die Fräuleins ein bißchen Gehör auf sie. Haben sie denn den Kutscher noch, den Frems? Die Älteste kutschiert ja immer selbst. Man sieht ihn gar nicht mehr.«

»Der hat jetzt den ganzen Tag im Garten zu tun. Da ist er noch. Er war ja schon beim alten Herrn Sterenbrink.«

»Vielleicht wollen die Fräuleins ihn nicht mithaben, wenn sie in die Stadt fahren«, sagt Kog, »ja, das ist 'ne alte Geschichte. Manchen sticht das Geld so, daß ers wie die Flöhe wegjagt. In meiner Heimat sagt man immer – – – «

Jöken Mürk unterbricht ihn ungeduldig: »Dein Maulwerk geht wies Fischlaichen. Bloß was Neues kommt ihm nicht vom Mund, was, Andrees? Will wohl ablenken von wegen Rode Harms!«

»Ich denke, Kaptän, du hast ihn selbst gesprochen. Was brauch ich da noch zu erzählen!«

»Nun leg doch schon los«, redet Andrees ihm zu. Auch er ist schon ungeduldig geworden.

»Dann sollt ihrs hören. Rode Harms will nämlich hier eine Räucherei aufmachen!«

»Was sagst du?«

»Jawohl! Eine Räucherei, und zwar eine richtige Räucherei, eine Fabrik sozusagen. Funkelnagelneu wird das alles aufgebaut. Da könnt ihr einpacken mit eurem Lehmofen, Andrees!«

Der ist ganz stumm geworden, starrt nur auf den Danziger, und in seinen Augen duckt sich eine bange Angst.

Jöken Mürk aber schlägt die Hände zusammen.

»Das ist eine Idee! So war der Junge immer. Stets ins Große! Also hier in Börshoop. Na, da wird man staunen!«

Und ohne sich weiter um die beiden zu kümmern, stapft er davon. Er ist schon zwischen den Fischerhäusern. Werdet Augen machen, Nachbarn, was Kaptän Mürk euch jetzt für Post bringt. Da soll noch einer sagen, daß man den Rode Harms nicht kennt.

Andrees aber fragt langsam: »Ist denn das wahr, Kog?«

»So wahr ich hier sitze, Andrees. Gestern nacht, es ging schon auf zwölf, und ich sitze noch bei Drüsel an der Tonbank, da kommt Rode Harms rein. Ein bißchen verklammt, als wär ihm was quer gegangen. Aber solch Mensch hat ja auch seine Sorgen. Er kennt mich nicht. Ich bin ja erst nach ihm hierher gekommen. Aber Drüsel hat es mir später erzählt. Er ist vor ein paar Tagen schon mal in Bögerlant gewesen. Da war er beim Pastor, und nachher hat er bei Drüsel mit einem Herrn gesessen, der extra aus Dranshop gekommen war, und da haben sie gezeichnet und geredet. So neugierig konnte ja Drüsel nun auch nicht sein, aber das hat er doch gehört, daß es um eine Räucherei hier geht. Nun, warum nicht, wenn er es richtig anfängt, kann schon ein gutes Geschäft sein. Sowas muß natürlich im Großen aufgezogen werden, und nicht solch Klüterkram wie das hier von der Mole Deep. Hab ich ja immer gesagt. Was soll dabei rauskommen. Und dann der Sohn, der Peter, das ist doch kein Geschäftsmann! Da muß man schon ein bißchen wendig sein! Aber mit Rode Harms, das glaub ich! Wenn einer so in der Welt rumgekommen ist, dann kriegt er solche Sache schon in Schick!«

»Man scheint doch noch nichts Genaues zu wissen«, versucht Andrees sich zu trösten.

»Das wird was, paß auf!«, und der Danziger hängt seine Bürsten und Besen wieder um. »Ich hab mich hier schon ein bißchen verschwatzt. Die Frauen sind jetzt grade in der Küche. Da trifft man sie am besten. Wollen mal sehen, ob in Börshoop nicht ein paar Pfennige zu verdienen sind.«

Nun ist Andrees allein. Er sitzt in sich verloren vor dem kleinen bröckelnden Räucherofen.

Man müßte es mit Mole Deep besprechen, denkt er. Aber noch ist es ja nicht so weit und vielleicht meint es der Himmel doch noch gut und macht einem diese kleine Welt nicht kaputt. Da hat man nun Tag aus Tag ein davor gesessen, auch winters, wenn einem der Schnee an den Schuhen fror. Und nun sollte das auf einmal nicht mehr sein? Wenn das wahr wird, was der Danziger sagt, dann kann man zumachen. Das schluckt einen dann einfach über. Für die Kleinen ist eben kein Platz. So ist das immer gewesen. Und das wird auch so bleiben.

Andrees legt etwas zittrig neue Buchenscheite ins Feuer, sitzt wieder da und horcht manchmal auf, als käme da schon ein Schritt, unaufhaltsam und bedrohlich.

Aber alles ist still, nur die Gräser sprechen. Denn wer sagt, daß die Gräser stumm sind?

Jetzt im Wind klirren und sirren sie, schwirren wie Bienengetön, und nun der Wind stärker über sie hingeht, reden sie wie der gläserne Klang des Libellenflugs.

Bis über die Dünen ist dieses schwingende Geflüster der Gräser.

 


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