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Einige Tage darauf kam Rode Harms wieder nach Börshoop.

In jener Nacht, als er zum zweiten Male aus seinem Vaterhaus ging, das Herz hinschwankend zwischen dem Bewußtsein seiner Schuld und dem dunklen Aufbegehren um das Recht zu eigenem Willen und Tun, glaubte er, sich auf immer von der heimatlichen Schwelle trennen zu müssen. Segen wird Unsegen, wenn er allzu gütig den andern mit seiner erbarmenden Liebe überschüttet, so daß er klein werden muß vor übermächtiger Güte. Der sonst sichere Schritt stockt und strauchelt, und es ist so, als wäre ein neues Gehen zu lernen.

So empfand es auch Rode Harms vor der Erinnerung, die aus dem Brief der Mutter aufgestiegen war. Er sah nur noch die eigene Schuld und er würde in solchem Augenblick, wenn es ihm noch vergönnt gewesen wäre, die alte liebe Hand streicheln zu dürfen, mit heißen Tränen darüber gestürzt sein, obgleich es nicht seine Art war, einem Gefühl Ausbruch zu geben.

So war er nach jenem Tage in Bögerlant wieder angekommen, hatte die Nacht auf in der Drüselschen Wirtschaft gesessen und war erst schlafen gegangen, als der Wirt verlegen hustete und durch allerlei überflüssige Hantierung andeutete, daß es wohl Zeit wäre, für diesen Abend Schluß zu machen.

Am Morgen darauf in aller Frühe nahm Rode Harms einen Wagen und fuhr nach Dranshop. Er ging unschlüssig durch die Straßen der alten Ordensstadt und kam in das geschäftige Treiben des Hafens. Ein norwegisches Schiff hatte angelegt, und die Ladung wurde durch viele rastlose Hände gelöscht.

Man wird wieder in die Welt gehen, sagte sich Rode Harms, das würde das Beste sein.

Er suchte den Baumeister auf, mit dem er schon seine Pläne für Börshoop besprochen hatte, um nun alles rückgängig zu machen. Hier aber traf er den Reeder Behnke, der schon mit Interesse von Rode Harms' Absicht durch den Architekten gehört hatte und ihn zu der guten Idee beglückwünschte. Er hatte sich in herzlicher Weise mit Rode Harms bekanntgemacht und dieser hatte schnell ein gutes Vertrauen gefaßt. Als er nun zögernd mit seinem Entschluß herausrückte, redete Konsul Behnke begütigend auf ihn ein: »Sie werden doch eine so gute Sache nicht aufgeben, Herr Harms! Denken Sie, wie günstig Börshoop für ein solches Unternehmen liegt. Das Meer, der Dranshoper See mit seinem Fischreichtum. Auch dürfen Sie nicht vergessen, daß eine großzügige Anlage einen bedeutenden Aufschwung für den ganzen Ort bedeutet. Ich sehe Ihnen an, daß Sie der rechte Mann dazu sind. Die Fischer würden durch Sie profitieren und jeder Mensch ist ja seiner Heimat etwas schuldig. Wir sitzen auch schon durch Generationen in Dranshop und lassen das bißchen Verstand, das der Himmel uns gab, unserer Vaterstadt von Nutzen sein. Das ist Menschenpflicht. Ein Mensch wie Sie gehört vielen, weil er für viele denken kann, und hat nicht das Recht, sich in die Welt treiben zu lassen.«

Vornehmlich dieser letzte Grund überzeugte Rode Harms. Er sah einen Fingerzeig darin, seine Schuld auf diese Weise gutzumachen. So reichte er dem Reeder die Hand und versprach, zu bleiben.

Sie erörterten nun zu dritt noch einmal die Pläne. Dabei kam das Verständnis und die Erfahrung des Dranshoper Schiffsherrn gut zu statten.

»Ich will Ihnen was sagen, Harms. Kaufen Sie die Sterenbrinksche Schäferei. Das ist ein massives Gebäude. Sterenbrink hat es noch in seinen letzten Jahren bauen lassen. Aber jetzt steht es leer und dient als Schuppen. Man hat die Schafzucht aufgegeben. Der Pächter legt keinen Wert darauf und die Damen werden es gerne losschlagen. Wenn Sie wollen, vermittle ich es Ihnen.«

So hatte also Rode Harms diese Schäferei, die zwischen Börshoop und Bögerlant lag, gekauft und als erstes einen Zugang zum See geschaffen, damit die Boote dort mit ihrer Fracht anlegen konnten. Es waren Maurer und Zimmerleute gekommen und nach den Entwürfen des Baumeisters wurde das Gebäude mit Räucherkammern versehen und in geeigneter Weise umgebaut. Man hoffte, den Aalfang im Herbst schon mitnehmen zu können.

Während des Umbaus wohnte Rode Harms bei Jürgen Pudmar, den er von der Schule her kannte und mit dem er sich, so lange er in Börshoop war, immer gut gestanden hatte. Wenn er auch tagsüber mit seinen Plänen und Ideen beschäftigt war, die manche Fahrt nach Dranshop notwendig machten, so saß er doch abends oft mit Martha und Jürgen zusammen. Auch der alte Christof gesellte sich zu ihnen dann auf ein kurzes Stündchen, denn er ging zeitig schlafen und war morgens vor Tag wieder auf. Aber diese kurze Stunde füllte er mit allerhand Klagen an. Bald war es der Ärger über Knecht und Magd, bald eine Bissigkeit gegen Martha, meistens doch beschwerte er sich in umständlicher Rede über seinen Sohn, der nun den Hof in Bögerlant hatte.

»Was man Kindern Gutes tut, wird nie gelohnt. Was habe ich nicht alles an Karl getan! Kann er sich einen besseren Hof wünschen? Land auf Land ab sollte er gehen, um dergleichen zu finden. So habe ich alles in Zug gehalten. Das ist ein bittres Los, im Alter sehen zu müssen, wie der Junge im Fetten sitzt, das man ihm zugeworfen hat, und den alten Vater abtut, als hätte er keinen Verstand mehr. Dabei ist man mit allem aufgewachsen, hat seinen Kopf noch zusammen und könnte noch alles gut selber machen. Aber da denkt man eines Tags, nun ists genug, die paar Jahre, die dir noch zustehen, willst du in Ruhe sitzen. Was war das für eine Närrischkeit, den Jungen so schnell heranzulassen.«

So klagte der Alte und Rode Harms mußte ihm zuhören. Mit Jürgen Pudmar stand sich der alte Christof gut, denn Jürgen war klug genug, dessen Erfahrungen nicht außer Acht zu lassen und manchen Vorschlag von ihm anzunehmen. Dazu kam, daß Christof bares Geld in das Pudmarsche Anwesen gegeben hatte. So konnte Jürgen sein Besitztum erweitern, Wiesen hinzukaufen, Vieh und Ackerland, auch ein neues Heuboot war gebaut worden, denn die Ländereien lagen zum Teil auf der Dranshoper Seite des Sees.

Rode Harms ahnte bald Marthas schwierige Stellung im Hause. Da sie ihm gegenüber nicht klagte, so glaubte er nicht das Recht zu haben, Worte daran wenden zu dürfen. Aber er hatte eine tröstliche Freundlichkeit zu ihr und sah ihr oft mit teilnehmendem Blick nach, wenn sie still in ihrer Art und ernst durch das Haus ging.

Einmal an einem Abend erfuhr er ihr Leid.

Ein Gewitter war vor Mitternacht noch über den See gekommen. Als die Blitze heftiger fielen und der Donner dicht über den Häusern war, stand Jürgen Pudmar auf, zog sich an und ging über den Hof. Er sah in die Ställe, ob alles in Ordnung wäre, doch das Vieh lag ruhig. Er ließ den Knecht die Pferde schirren, damit man sie bei Gefahr leichter aus dem Stall herausführen könnte, und so traf er für alle Fälle seine Anweisungen, denn wenn das Gewitter einmal über den See gekommen ist, setzt es sich fest und geht schwer und selten ohne Gefahr vorüber.

Auch Rode Harms hatte sich erhoben und ging in die Stube. Da saß Martha angezogen. Sie hatte ihr Kind nicht im Schlummer stören wollen und so lag es noch in tiefem Schlaf in seinem Bettchen. Jürgen kam herein und fuhr sie deshalb an. »Marie hätte ihr Kind nicht so achtlos liegen lassen. Nachher ist es zu spät.«

Martha stand seufzend auf und holte das Kind. Jetzt war auch der alte Christof hinzugekommen und Jürgen beklagte sich bei ihm wegen Marthas scheinbarer Fahrlässigkeit.

»Marie würde beim Gewitter dran gedacht haben«, bestätigte der Alte.

Martha hatte diese Worte bei ihrem Eintreten noch gehört und fing an zu weinen. Es war das erste Mal, daß Rode Harms sie in Tränen sah, aber vielleicht kam es auch nur durch ihre Aufregung vor dem Gewitter und dem jämmerlichen Schreien des aufgeschreckten Kindes.

Rode Harms saß schweigend dabei, doch empfand er in diesem Augenblick Marthas Schmerz mit, denn er fühlte, daß die Tote noch auf dem Hofe lebte und daß Martha nie über ihren Schatten kommen würde.

Am nächsten Tag hätte er gerne mit ihr darüber gesprochen, weil er sich sagte, daß es einem Menschen wohltäte, wenn er einmal sein Herz erleichtern könnte. Aber Martha wich ihm aus. Es ging ihr schwer nach, daß ein Fremder in ihre Ehe gesehen hatte.

Einmal während dieser Zeit war auch Mole Deep zu Martha gekommen.

»Was soll ich nun anfangen?« klagte sie. »Rode Harms wird mich totmachen. Wenn er so im Großen räuchert, hat er bald alle Märkte bis Dranshop und drüber raus versorgt. Wer kauft dann noch von mir? Er kann ja viel billiger sein. Das weiß man doch. Einem solchen steckt man alles billig in die Hand. Das ist ein Unglück, Martha.«

Die Tochter versuchte sie zu trösten, aber Mole Deep ließ sich nicht beruhigen.

»Wenn Christian noch lebte, wäre das anders. Aber was soll ich Alleinstehende machen? Wenn Rode Harms noch unsereins wäre, dann wüßte ich wohl einen Weg. Andrees meint das auch. Aber er ist ja ein großer Herr geworden und wird sich eine andere Frau suchen als Hilke. Er braucht ja bloß die Finger auszustrecken.«

»Das ist unrecht, Mutter. Soll Hilke auch ohne Liebe heiraten?«

»Es ist alles nicht so, wie man es sich wünscht, Martha. Du kannst doch wohl zufrieden sein.«

Die Tochter antwortete nicht darauf und Mole Deep ging kleinmütig davon.

»Wirst schon nicht verhungern, Mutter. Ich bin ja noch da«, sagte Martha ihr nach, aber ihre Stimme hatte einen harten Ton.

 

In Börshoop redete man, daß die Sterenbrinks Glück mit dem Verkauf der Schäferei gehabt hätten. So haben sie ihre Beutel wieder aufgefüllt. Man wollte wissen, daß Rode Harms von der Kaufsumme nichts abgehandelt hatte.

Die Schwestern kamen ein paarmal und sahen neugierig den Arbeiten zu, denn in dem Fischerdorf passiert selten etwas, das einem Unterhaltung gibt. Karla interessierte sich nicht allzusehr für die Werkerei. Sie hatte nur einen oberflächlichen Blick dafür und ging bald an den See, um die Boote zu besichtigen und später machte sie sich in der Koppel bei den Pferden zu schaffen. Auch Syrrha hatte andere Gedanken, aber Vrena ließ sich von Rode Harms vielerlei erklären. Er tat es gern, war stolz über das gute Vorwärtsschreiten des Umbaus, lobte die Arbeiter und die Klugheit des Architekten.

Einmal kam auch Konsul Behnke heraus. Die Sterenbrinks waren gerade da und man veranstaltete mit vielem Hin und Her ein Picknick in dem Vorraum. Frems, ihr Kutscher, mußte bis nach der Rowen Düne, um Teller und Gläser aus dem Hause herbeizuschaffen. Rode Harms, dem solche Geselligkeit fremd war, überwand nach und nach seine Ungeschicklichkeit und erzählte von seinen Fahrten. Auch der Konsul war viel im Ausland gewesen, und die Schwestern taten Erinnerungen an ihre Reisen hinzu. So war man bald in einer guten Unterhaltung und Rode Harms mußte beim Abschied versprechen, die Fräulein in ihrem Hause auf der Düne zu besuchen. Aber er konnte sich nicht dazu entschließen, auch hielten ihn die Arbeiten zu sehr in Atem, und schließlich kamen ihm die Sterenbrinks ganz aus dem Sinn.

Erst als er sie zufällig wieder bei Konsul Behnke traf, erinnerte er sich an sein Versprechen und suchte sie eines Nachmittags auf, doch fühlte er sich befangen in all dem bunten Kram, mit dem sie sich umgeben hatten. Er ging bald wieder und wußte, daß er so bald nicht wiederkommen würde.

Im Herbst konnte ein Teil der Räucherei schon in Betrieb genommen werden. Um diese Zeit wandert der Aal am Grunde längs der Ufer des Sees durch das Tief in das freie Meer. Da fangen die Fischer mit dem Setzen ihrer Reusen hart am Ufer an, leeren am Tage die engmaschigen Rundsäcke, durch deren Kehlen der Aal in das spitze Netz gleiten soll, lassen die Fanggeräte in der Herbstsonne trocknen und legen sie mit der Dunkelheit wieder im Wasser aus, denn im Hellen wird der Aal unruhig. Der nächtliche Raubgeselle dreht ab und versteckt sich vor dem lichten Schein des Tages tief in Schlaf.

Bis in den November waren linde Nächte, und so hatte man einen guten Fang, den man täglich an Rode Harms abliefern konnte. Die Fischer lebten einen zufriedenen Tag. Rode Harms war nicht kleinlich, und mit dem Preis, den er zahlte, konnten sie gern einverstanden sein. Auch ihre Frauen halfen in der Räucherei, packten die Fische in Holzkisten, die dann zum Versand abgeholt wurden. Konsul Behnke hatte in den Küstenstädten seine guten Verbindungen, die er nun auch für Rode Harms nützlich machte. Er dachte eigene Pläne dabei, aber vor der Hand wollte er erst sehen, wie sich das junge Unternehmen anließe.

Rode Harms hatte eines Tages Peter Deep durch Martha vorschlagen lassen, bei ihm in der Räucherei zu arbeiten. Ein guter Lohn und Selbständigkeit sollten ihm zugesichert sein. Es lag Rode Harms daran, einen tüchtigen Menschen, der mit allem Bescheid wüßte und auf den man sich verlassen könnte, in seinem Betrieb zu haben.

Peter hatte Martha nicht ausreden lassen. Er war in Zorn auf sie gegangen, so daß Mole Deep ihn kaum beruhigen konnte. »Was fällt dem Hergelaufenen ein! Er denkt wohl, mit einer Hand voll Geld kann er einen gleich ködern. Davon steht nichts drin, versteht ihr! Hier gehts weiter. Was Christian Deep hielt, halte ich auch. Lieber klein auf eigener Karre, als groß im fremden Wagen. Kommt mir nicht wieder mit solcher Rede.«

Mole Deep fand Rode Harms' Vorschlag nicht so uneben. Sie dachte wohl auch, daß Peter dann vom Meere wegkäme, doch kam sie nicht gegen den Sohn auf. So jammerte sie hilflos herum und klagte über ihr Los.

Zu Kiek Möns ging Rode Harms während der ganzen Zeit nicht. Er gab sich keine Rechenschaft darüber. Ein Mensch, der mitten im Leben steht, sucht nicht gern die Stätte auf, darüber wie ein graues Gespinst wehes Gedenken gebreitet ist. Aber die Alte sah es ihm übel nach, nicht so, daß sie nun ein großes Gerede darüber erhoben hätte. Sie hatte von je ihre Worte zusammengehalten, und man sah sie selten mit anderen Frauen. Auch fand sie keinen Gefallen, in den Küchen zu sitzen oder neben den Mädchen zu stehen, wenn sie im See Wäsche spülten, doch vor sich selbst machte sie sich ihre Gedanken.

Sie nannte Rode Harms undankbar gegen das Gedächtnis der Eltern und hielt ihn für einen, der hochfahrend heimkommt und die Türe zu Hause allzu enge findet. Vor allem verschmerzte sie es nicht, daß er die Truhe von seiner Mutter nicht in sein Haus hatte holen lassen, das nun fertiggeworden war und schmuck an der Landstraße stand.

»Mag es ihm nicht so gehen, daß er einst noch froh ist, seinen Kopf darauf betten zu können.« Sie ging ihm aus dem Wege, wenn der Zufall sie aneinander vorbeiführen wollte, und lieber tat sie einen Umweg, als daß sie seine Schritte gekreuzt hätte. Allzu oft auch trafen sie sich nicht, denn Rode Harms kam nur wenig bis zu den kleinen Häusern. Die Fischer kamen zu ihm, und wenn er einmal in das Dorf ging, war es höchstens zu Pudmar. Doch auch dort fand er sich nur noch selten ein, schützte Geschäfte vor und traf Jürgen, wenn es sein mußte, lieber in der Drüselschen Wirtschaft.

Auch Jöken Mürk war mit Rode Harms unzufrieden. Er hatte ihn in den ersten Tagen gleich aufgesucht und in tausend Erinnerungen hineingucken lassen. Da war Kindheit und Später in wirrem Gestüm um Rode Harms getaumelt und aus allen Weißtdunochs vermochte er sich nicht herauszufinden, zumal das meiste erst in Jökens Kopf entstanden war und nimmer im Leben Gestalt gehabt hatte. Auch war Rode Harms diese Einkehr in das Alte und Vergangene schmerzlich und er ließ sich, als Mürk tags drauf wieder mit vorsprach, verleugnen. Jöken aber merkte es und ging verbittert fort. Da er vorher im Dorfe viel von sich und Rode Harms geschwatzt hatte, so schämte er sich, seine Abfuhr wahrhaben zu können, verschwieg sie und redete groß daher, als wäre er bei Rode Harms wie zu Haus und ließe ihm auch manchen guten Rat zufließen. Bloß wenn es ihm gar zu sehr die Kehle schnürte, ging er zu Andrees und machte sich Luft. Er brachte sein abgegriffenes Kartenspiel mit und die beiden saßen vor dem Räucherofen und spielten auf ihre Weise.

»Anker hoch, Maat«, kommandierte Jöken und ließ die Karten auf dem Baumstumpf tanzen, der ihnen den Tisch hergeben mußte.

»Da kommt aber einer angesegelt! Was sagst du nun, Kaptän?«

»Über Bord mit dem Kerl«, schimpfte Jöken und schmiß die Karten durcheinander. Er saß mißmutig da.

»Noch ein Spiel, Kaptän?«, aber Mürk schüttelte den Kopf, stand auf und stelzte verdrießlich auf und ab.

»Hab ich ihm nicht beigebracht, wie man auf Gras pfeift, Andrees? Kannst glauben, er hing an mir mehr als an seinem leiblichen Vater. Auch nachher noch. Nun soll das wohl nicht wahr sein. Sag selbst, ist man Kaptän Mürk oder nicht? Sagt man zu Kaptän Mürk, man ist nicht da? Und geht gleich drauf über den Hof. Aber kein Tau zieht mich mehr hin, verstanden? Denkt wohl, er hat nun die Welt und sieben Dörfer gesehen. Ist schon was, hä? War man doch selbst in Schweden und noch dahinter. Nein, Maat, nun ist Schluß! Aber laß es unter uns bleiben, Andrees. Braucht keiner zu wissen. Nachher hört ers und macht sich den Kopf deswegen schwer. Wird so schon seine Sorgen haben.«

Er nannte keinen Namen, aber Andrees wußte, wen er meinte.

Trotzdem machte sich Jöken Mürk oft ein Gewerbe und patrouillierte um die Räucherei oder zwischen den Booten, die am Ufer davor angelegt hatten. Aber je weniger er Rode Harms zu sehen bekam, umso häufiger stellte er sich bei Andrees ein. Schließlich verging kein Tag, an dem er nicht ein Stündchen lang mit vor dem Räucherofen saß und seine liebe Not klagte. Andrees wurde sein Vertrauter, doch wahrte Jöken Abstand, brachte oft sein Kaptän an und gewöhnte sich immer mehr, Andrees als Maat zu behandeln. Er machte sich groß an der Gutmütigkeit seines Gefährten und da sich der in alles willig schickte, zog der alte Mürk von Woche zu Woche mit volleren Segeln einher, schwadronierte herum, und es fehlte ihm bloß noch der Staat, um wie ein hohes Tier zu stolzieren.

Einmal traf er Andrees, als der mit einem verdeckten Korb kam.

»Was ist da drin, Maat!«

Andrees war etwas verlegen, schließlich öffnete er ihn und es lag ein gutes Dutzend fetter Aale darin.

»Sprich nicht drüber, Kaptän. Martha steckt uns die zu. Es ist unser einziger Verdienst. Das andere schluckt ja alles Rode Harms weg. Die Bauern kaufen sie gern, weil sie so stramm sind. Das sind Kerle, sieh mal! Hast du schon solche Rücken gesehen?«

Jöken Mürk begutachtete sie und mußte Andrees zustimmen. »Das da ist einer, was? Der hat seine paar Pfund!«

Der Korb war wieder zugedeckt.

»Ihr steht euch jetzt wohl besser mit Martha?« fragte Mürk.

»Wie mans nimmt. Mole Deep geht ja nicht mehr hin, der Peter hat ihr den Kopf voll geredet. Aber sie ringt sich das schwer ab. Bloß des lieben Friedens wegen im eigenen Haus macht sie sich fremd bei Martha. Aber die tut, als merke sie nichts. Einmal hat sie mich abgepaßt und gesagt, daß ich die Woche zweimal nach Aalen kommen kann. Pudmar weiß es, aber er soll nicht sehen, daß sie die besten aussucht, weil wir doch nichts dafür bezahlen. Da komme ich, wenn er nicht da ist und der alte Hingsten auch nicht. Der hat sich ja noch mehr. Den hat der Geiz bis oben hin. Peter denkt, wir haben einen regulären Preis ausgemacht. Er will sich von Pudmars nichts schenken lassen, aber Mole Deep meint, es wäre nicht schlimm, denn die sitzen ja im Vollen.«

Eines Tages kam Jürgen Pudmar wütend nach Haus. Er war sonst nicht kleinlich, aber er glaubte, daß hinter seinem Rücken mehr aus dem Haus kam als die fettesten Aale, für die Rode Harms willig jeden Preis bezahlt hätte. Er war gerade dazugekommen, als Andrees in Bögerlant mit einem Bauern handelte. Der Alte erschrak und wollte den Korb zudecken, aber Pudmar war schneller und musterte die Ware.

»Das kann euch so passen. Das glaub ich. Prachtstücke einer wie der andere. Das wird einfach so hingenommen ohne Dankeschön. Zehn Augen müßte man haben und dann ging noch was durch.«

Er ließ Andrees stehen, weil es ihm doch peinlich war vor dem Bauer, daß er so unbeherrscht gesprochen hatte.

Zu Hause gab es für Martha böse Stunden, doch ließ sich Jürgen vor Christof Hingsten darüber nicht aus, und Martha mußte ihm dafür noch dankbar sein.

Andrees hatte der Mole Deep von dem Zufall nichts erzählt und ging tags drauf wie immer zu Pudmars, um Aale zu holen. Er tat es nicht gern, aber was konnte es helfen. Jürgen war selbst da. Er gab sich so, als wäre nichts vorgefallen, doch zählte er die Fische selbst in den Korb und sie waren nicht besser und nicht schlechter als sie für gewöhnlich sind. Man konnte nichts dagegen sagen, nur waren nicht so ausgesuchte darunter, deretwegen man Andrees belobte und gern aufnahm, wenn er auf den Bauernhöfen vorsprach.

Mole Deep fiel es gleich auf, und er mußte gestehen, daß ihm diesmal Pudmar den Korb gefüllt hätte. Das gab nun ein großes Gezeter, aber dabei blieb es. Jürgen hatte mit Andrees die Zeit verabredet, wann er wiederkommen sollte, und er war jetzt immer dabei, wenn Andrees sich mit dem Korb einstellte. Die Bauern beschwerten sich über die geringeren Fische, doch kauften die meisten nach wie vor aus gutem Willen zu Mole Deep. Einige aber sprangen ab und ließen Andrees mit seinem Korb nicht wieder vor. So hatte der seine liebe Mühe, die Fische loszuwerden, blieb länger unterwegs und hatte wegen dieser Versäumnis manchen Ärger mit Peter. Es geschah sogar, daß er nicht alles unterbringen konnte, dann versteckte Mole Deep die Übriggebliebenen vor ihrem Sohn, damit er nicht wieder in seine Heftigkeit geraten möchte. Jedesmal brachte Andrees ein paar Groschen weniger mit nach Haus. Das war nun ein harter Schlag für Mole Deep und sie mußte sich darein schicken, den Tisch noch Karger zu bestellen. Peter hatte wenig Acht darauf, er war begnügsam und oft verschlug ihm der Ärger über das schwere Vorwärtskommen den Hunger.

Mit Martha wollte Mole Deep über die ganze Sache nicht reden. Sie stöhnte dafür umsomehr, wenn Hilke mit vorbeikam, so daß das Mädchen am liebsten gar nicht mehr gekommen wäre. Sie beklagte sich oft bei Andrees, aber was konnte der dazu tun. Er versuchte sie gut zu stimmen, sagte ihr, daß die Mutter es schwer genug habe und daß sie ihr das Herz nicht noch mehr betrüben sollte.

In dieser Zeit sah Mole Deep ein, daß Stim Kaat nicht der Schlechteste war. Er hatte sich jetzt enger an Peter angeschlossen und mit Jan, dem Enkel des alten Mürk, waren sie bald unzertrennlich. Wenn es ihm nicht um Per Stieven leid getan hätte, würde Stim Kaat das Boot lieber mit Peter und Jan zusammen gehabt haben. Sie waren wagemutiger als Stieven und sahen nicht nach jedem Wetter aus. Das hätte manchen besseren Fang gegeben.

Stim Kaats Freundschaft machte sich bald bemerkbar. Das Deepsche Haus war eines der ältesten im Dorfe und man hatte hier einen Schuppen angebaut und dort eine Kammer, da einen hölzernen Gang und hier wieder eine Waschküche, so wie es sich gerade gab und der Platz es zuließ. Das stand alles ungeschickt aneinander und glich in seiner Vielgestalt einem Burgwinkel, darin man sich bis an den Jüngsten Tag verstecken konnte, ohne von Spürsinnigen gefunden zu werden. Da waren nun einzelne Stellen mehr als baufällig, aber es ging schon lange knapp her, und man hatte nur notdürftig flicken können, so weit Peters Arme und Andrees' Umständlichkeit dazu ausreichten. Nun sah Stim Kaat das mit Mißfallen, schlug Verbesserungen vor und half tüchtig, um für billiges Geld das Bauwerk wieder zurecht zu kriegen. Auch Jan Mürk stellte sich oft zu den Arbeiten ein und sie fanden Gefallen daran, weil sie sahen, daß der Mensch zu allerlei geschickt ist und nicht bloß zu einem Geschäft. Stim Kaat tat das alles Hilkes wegen. Er hoffte, sie dabei zu sehen und glaubte, daß er ihre Mutter sich gnädiger stimmen würde. Bald auch bekam Hilke heraus, daß Stim Kaat täglich im Hause war, und so wußte sie es einzurichten, sich tagsüber zwischendurch immer einmal sehen zu lassen selbst auf die Gefahr hin, das Gestöhn der Mutter mit anhören zu müssen. Mole Deep aber wurde von Tag zu Tag gleichmütiger, denn Stim Kaat machte ihr oft in seiner Derbheit klar, daß, wenn man es recht betrachtete, doch alles nicht so schlimm wäre, als es sich zuerst anließe. Sein frisches Wort tat Mole Deep wohl, und sie fing an, sich im Stillen mit ihm auszusöhnen. Dazu kam, daß Stim Kaat einer der wenigen war, die sich gegen Rode Harms stellten. Er sah in ihm einen Fremden, der sich in Börshoop groß auftat, durch sein Vermögen täglich mehr an Einfluß gewann und die wohlhabenden Seefischer auf seiner Seite hatte. Auch Per Stieven war von ihm eingenommen und lieferte stets bei Rode Harms seinen Fang ab. Stim Kaat jedoch gab seinen Anteil an Mole Deep.

»Besser, die Armen hungern zusammen, als daß einer den andern verkauft.«

Auch das rechnete sie ihm hoch an, denn sie konnte ihm nicht soviel für die Fische zahlen. Wenn sie ihn seiner Uneigennützigkeit wegen lobte, lachte er und sagte: »Wie werde ich meine Groschen in fremde Tasche stecken. Wir werden schon noch zusammenkommen, Mole Deep.« Er hatte seinen Zorn gegen sie jetzt ganz verloren und behandelte sie mit aller Umsicht, die einer Mutter zukommt. Das dankte ihm Hilke von Herzen und alle hofften auf eine bessere Zeit.

 


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