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Drüsel brachte den Kaffee und sah erwartungsvoll auf Karla, die prüfend einen Schluck genommen hatte.

»Ein guter Guatemala«, sagte er, »ich beziehe ihn seit Jahren. Kräftig, aber nicht streng im Geschmack.«

»Was hatte Stim Kaat vorhin?« fragte Rode Harms leise Jürgen Pudmar, der nun neben ihm saß.

»Er war betrunken«, gab der zurück, »er hatte schon Krach mit dem Danziger.«

»Daß diese Leute immer unverträglich werden, wenn sie ein paar Glas getrunken haben«, sagte Karla.

»Das ist es nicht«, antwortete Rode Harms, »es sitzt tiefer bei ihnen. Sie haben viel Not.«

»Wieso?« meinte Karla. »Es geht knapp bei ihnen zu, aber dafür sind sie ihre eigenen Herren, haben ihr Haus, ihr Boot und richten sich den Tag nach Gefallen ein.«

»Der eigene Herr will teuer bezahlt sein, Fräulein Sterenbrink. Die Strandfischer haben ein schweres Leben.«

»Sie brauchen aber auch kein Betriebskapital. Das Meer gibt ihnen die Fische umsonst. Mit dem Wasser sind sie von klein auf vertraut. Sie leben primitiv, aber daran sind sie gewöhnt. Besondere Ansprüche haben sie nicht«, sagte Karla.

»Für sie ist das Netz, ein einziges Netz schon ein Vermögen«, warf Rode Harms ein.

»Wie oft habe ich mir solch idyllisches Haus gewünscht. Abends sitzt die Frau vor der Tür, flickt das Netz oder schält Kartoffeln. Der Mann raucht die Pfeife. Es ist Feierabend, und die Sonne geht über dem Meer unter«, malte sich Syrrha aus.

Rode Harms lächelte. »Manchmal sehnt man sich danach, aber wenn man darin ist, sieht es doch anders aus. Das Meer ist nicht immer freundlich. Ja, wenn die Netze immer voll wären, und wenn es keinen plötzlichen Sturm gäbe, sondern nur einen guten Segelwind. Aber die harte Arbeit des Ruderns, die einem den Körper müde macht, und die Angst zuhaus, wenn ein Wetter heraufzieht, und das Boot ist noch draußen. Oder wenn die See so laut ist, daß man tagelang nicht hinausfahren kann. Oder wie jetzt im Winter, wo sich das Eis schiebt, und die Fischer die paar Groschen, die sie vom letzten Fang zurückgelegt hatten, verzehrt haben. Winters, wenn das Wasser an den Händen friert und man die Finger kaum krumm kriegt. Glauben Sie es mir, mein Vater war selbst Strandfischer, und ich habe es am eigenen Leibe erfahren.«

»Sie mögen recht haben«, sagte Syrrha, »wir sehen es ja nur aus der Entfernung. Wie selten kommt man mit den Leuten zusammen, obgleich man so dicht wohnt.«

»Aber Sie haben es doch zu etwas gebracht, Herr Harms«, mischte sich Vrena hinein. »Warum gehen die jungen Fischer nicht auch hinaus? Die Welt steht ihnen doch offen.«

Rode Harms antwortete nicht. Er sah Pudmar an, der schweigend dabei saß. Ihre Blicke trafen sich. Pudmar nickte ihm zu.

Der alte Frems kam herein. Er hatte die Pferde noch besorgt und ihnen Decken übergelegt. Er war ganz durchfroren und bekam einen Grog, um sich aufzuwärmen. Ab und zu sah er nach der Uhr und gähnte verstohlen. Es war schon Mitternacht.

»Bleibst du über Nacht hier, Jürgen?« fragte Rode Harms.

»Sie können doch mit uns fahren, Herr Pudmar! Wenn wir zusammenrücken, ist noch Platz, und wir sind ja schnell da. Herrn Harms bringen wir auch nach Haus«, lud ihn Vrena ein. »Was meinst du, Karla, das würde doch gehen?«

»Bitte sehr, Herr Pudmar«, sagte Karla kühl.

»Wir sind schon oft zu sechs gefahren«, warf Syrrha ein, »es gibt nicht Schöneres als Schlittenfahrten, wenn das Land so verschneit ist.«

»Schnee haben wir dieses Jahr genug«, meinte Drüsel, »ich sage immer, tiefer Schnee, hoher Klee. Was sagen Sie, Herr Pudmar?«

Jürgen fühlte sich unbehaglich. Er saß zum ersten Mal mit den Fräulein an einem Tisch. Besonders Karlas Art war ihm fremd, und er war mit jeder Antwort auf einmal unbeholfen. Er ärgerte sich, daß er nicht schon gegangen war. Auch zerrte es an ihm, daß die Schwester seiner Frau bei ihnen im Dienst stand, und es hing ihm auf einmal an, daß er niedriger geheiratet hatte als es einem Pudmar zukam. Marie Hingsten war sein gewesen, von einem großen Hof, und ihr Bruder konnte es sich erlauben, die Sterenbrinks an seinen Tisch zu laden. Aber wenn er sie zu sich bitten würde, würden sie große Augen machen. Die Schwestern Sterenbrink bei Martha Deep.

Alle diese Gedanken gingen ihm während der Gespräche durch den Kopf. Er dachte auch, daß Rode Harms von kleiner Herkunft wäre, so wie die Deeps, aber er konnte es sich leisten, das einzugestehen, denn er hatte sich in der Welt umgesehen, es zu etwas gebracht, und über seinem Aufstieg war das Vergangene vergessen. Peter Deep aber, sein Schwager, blieb hocken und trug nur seine Wut über seine Armseligkeit herum. Das paßt schlecht zusammen, entschied Jürgen Pudmar, und er sagte laut: »Ich bleibe hier.«

»Sie werden es sicher zu Haus bequemer haben, wir sind ja in einer halben Stunde da«, sagte Vrena freundlich.

Jürgen Pudmar wagte nicht mehr, nein zu sagen. Sie stiegen in den Schlitten.

Frems nahm den Pferden die Decke ab und breitete sie umständlich über seinen Kutschersitz. Karla nahm ihm die Zügel aus der Hand. Der Schlitten sauste über die Straße nach Börshoop.

An der Räucherei stieg Rode Harms aus. Pudmar saß jetzt Syrrha und Vrena allein gegenüber. Karla auf dem Bock neben Frems war zornig, daß Hilkes Schwager sich in ihrem Schlitten breit machte, und daß Vrena in ihrer gedankenlosen Freundlichkeit daran schuld war. ›Solche rührseligen Anwandlungen führen zu nichts. Man soll Abstand halten. Das Alltägliche kommt oft genug dicht an einen heran.‹ Wie oft hat sie Vrena das schon zu verstehen gegeben. Aber Syrrha mit ihrer Romantik muß so etwas noch unterstützen. Sie ließ die Pferde die Peitsche fühlen.

Als wenn Pudmar ihre Gedanken errät, sagt er unvermittelt zu den Schwestern:

»Ihren Vater habe ich noch gut gekannt. Er war ein freundlicher Herr. Er hat mich öfter mit auf die Jagd genommen. Ich war damals noch ein junger Bursche. Er sagte einmal zu mir, die alten Geschlechter müssen zusammenhalten. Wir Pudmars sind ja auch schon lange hier ansässig und haben schon seit ein paar hundert Jahren die Gerechtigkeit am See. Ich habe auch in der alten Chronik, die der Pastor in Bögerlant hat, gelesen, daß die eine Wiese auf der Dranshoper Seite den Pudmars noch von den Klosterherren zuerkannt wurde. Das wird gut seine fünfhundert Jahre her sein.«

Es war sonst nicht seine Gewohnheit davon zu sprechen, aber jetzt mühte er sich, seine Verwandtschaft zu Mole Deep und Hilke hinter dem Glanz des alten Namens zu verstecken. Er sprach plötzlich wie ein Schuljunge. »Daß man dann später so auseinander kommt! Aber Sie waren ja viel auf Reisen und nach Ihres Vaters Tod lebte Ihre Mutter ganz zurückgezogen.«

»Jeder geht seinen eigenen Weg«, wehrte Vrena ab. Pudmar saß wieder still da.

Es begann zu schneien. Die Flocken fielen ihnen dicht ins Gesicht. Karla schlug mit der Peitsche in den Flockenwirbel. Sie hatte die Zügel locker und die Pferde griffen weit aus.

»Wir müssen jetzt langsamer fahren, wir sind gleich an der Biegung«, rief Pudmar und hob sich etwas hoch.

Karla achtete nicht darauf. Sie ist den Weg hundertmal gefahren, tags, daß die Hühner erschrocken davonstoben, nachts, daß die Hunde wütend aufbellten. Frems wagte nicht sie zu mahnen, aber er hatte die Hände schon aus der Decke herausgeschält und saß in Bereitschaft. Er atmete auf, die Kurve war genommen. Doch plötzlich, dicht vor Pudmars Haus schon, glitt das Handpferd, knickte, stürzte, rutschte nach vorn. Der Zügel riß Karla aus der Hand. Das andere Pferd sprang erschrocken hoch, aber sie hatte die Leine schon wieder fest und hielt es zurück. Der Schlitten schwankte. Syrrha und Vrena schrieen auf. Pudmar sprang heraus, hielt das Pferd. Der Schlitten saß jetzt tief im Schnee. Mit einem Sprung ist Karla neben dem gestürzten Pferd. Frems klettert vom Bock. Syrrha und Vrena sitzen noch immer erschrocken. Pudmar hebt den Fuß des zuckenden Pferdes. »Gebrochen«, sagt er kurz. Dichter fällt der Schnee. Pudmar ist ins Haus gegangen und hat ein Gewehr geholt.

»Wollens kurz machen.«

Karla nimmt ihm das Gewehr aus der Hand. Ein Schuß fällt hart durch die Nacht.

Erschrocken empfangt Martha ihren Mann. Sie hat den Schuß gehört. Ihr Gesicht ist noch verwirrt. Auch der alte Hingsten kommt begierig hinzu. Er hat einen alten Mantel über das Hemd gezogen. In dem hochgeschlagenen Kragen sitzt sein Kopf feucht von Schlaf. »Was war denn los?« mummelt er. Pudmar sieht ihn verbissen an. Ohne Antwort läßt er den Alten stehen, er geht in die Kammer und wirft die Tür zu. Als Martha hereinkommt, liegt er schon auf dem Bett. Er hat nur die Stiefel ausgezogen.

Sie wagt nicht, ihn zu fragen.

 

Am nächsten Tage zogen die Fischer das Netz von der Bögerlanter Seite bis Börshoop.

Pudmar hatte das tote Pferd vorläufig auf seinen Hof bringen lassen, damit es von der Straße fort käme. Als Mariechen das Tier sah, das starr unter einem Plan lag, fing sie an zu weinen und ließ sich den ganzen Tag nicht beruhigen.

»Sie hat es mit den Nerven«, sagte Pudmar zu Martha, »du müßtest mal mit Kiek Möns sprechen. Die soll ja allerlei wissen.« Martha hatte eine Abneigung gegen die Alte. Als Kind konnte sie nie die Geschichten, die Kiek Möns erzählte, glauben, und wenn die Alte von dem Pferd Witfodt berichtete, das wie ein Mensch sprechen gelernt hätte, oder von dem Bauer Steinbein, der zu Lebzeiten durch falschen Eid eine Wiese sich in die Tasche gelogen hatte und nun nach seinem Tode als Scheidengänger nachts sein Unwesen trieb, im Pferdemond, wenn der Michaelismann zu Bier geht, dann hatte Martha der Kiek Möns ins Gesicht gelacht und gesagt: »Das ist nicht wahr.« Dann konnte die alte Möns fuchtig werden und sie ließ die kleine Martha nicht mehr in ihre Stube. Draußen mußte sie stehen bleiben, während die anderen Kinder am warmen Ofen um Kiek Möns saßen, gebratene Kartoffelscheiben bekamen und manchmal sogar süße Milch. So war eine Fremdheit zwischen beiden bestehen geblieben, und sie konnten auch jetzt nach Jahren nichts miteinander anfangen.

»Ich kann ja mal mit vorbeigehen«, sagte sie zögernd zu Pudmar, aber sie verschob es von Tag zu Tag.

Den ganzen Vormittag kamen Kinder auf den Hof, um das tote Pferd zu sehen.

Auch Jöken Mürk kam und war neugierig und schwatzte lange mit dem alten Christof Hingsten, der so tat, als wäre er dabei gewesen und hätte den Unfall mit eigenen Augen gesehen. Er hatte immer noch seinen Ärger auf Pudmar und sprach in vielen Andeutungen von Menschen, die alles besser verstünden. »Ich meine, man hätte das Pferd noch retten können. Aber red einer!«

»Solch schönes Tier«, sagte Jöken Mürk, »es ist seine fünfhundert wert. Ein Wasserdäne«, lobte er. Jöken Mürk verstand nichts von Pferden, aber er hatte das Wort einmal bei Drüsel in der Kneipe aufgeschnappt und es war für ihn der Inbegriff aller edlen Pferde geworden.

Gegen Mittag kam Rode Harms im Wagen mit dem Danziger. Man sah schon die Fischer, die sich im langen Zug mit dem Netz dem Ufer langsam näherten. Kog sollte den Fang wie gestern nach der Räucherei fahren.

Sie hatten schon von dem Ereignis der Nacht gehört und Rode Harms erkundigte sich eingehend bei Pudmar.

»Die Fräulein werden einen tüchtigen Schreck bekommen haben«, sagte er, »man muß nachher mal bei ihnen Vorfragen.«

»Die Älteste, die Karla, ist ein Satan«, antwortete Pudmar, »ich habe solch Weib noch nicht gesehen. Wie kaltblütig sie das Pferd zusammenschoß. Die beiden anderen sind wie Tauben gegen sie.«

Der Danziger schob sich langsam näher. »Eine Frage«, sagte er, »was wird mit dem Pferd?«

»Was soll mit ihm werden? Frems wird es zur Abdeckerei schaffen müssen oder der Schinder aus Dranshop kommt selbst und holt es.«

»Schade«, meinte Kog, »das ist gutes Fleisch. Das Tier war noch nicht alt. Da war mancher froh, wenn er da 'neu Braten von hätte. Nun holt sowas der Schinder. Die armen Fischer vom Strand würden sich da die Finger lecken!«

»Das glaub ich schon«, sagte Rode Harms, »mein Großvater hat mir erzählt von einer Kneipe im Dranshoper Hafen, wo sie oft Pferdefleisch gegessen haben. Es soll sehr gut schmecken. Appetitlich mag es schon sein, aber ich könnte nicht ran.«

»Jung und frisch, da geht nichts drüber, Herr Harms«, schwelgte Kog, »jetzt im Winter hält sichs auch. Ich meine, wo sich so eine Gelegenheit bietet.«

»Ja, Kog, sprich doch mal mit Sterenbrinks. Vielleicht lassen sie euch das Pferd. Dann müßtet ihr mit dem Fleischer da in Bögerlant sprechen, daß der kommt.«

»Das machen wir schon selbst, Herr Harms«, lachte Kog, »man hat ja alles gelernt im Leben. Da werden wir schon mit fertig. Wenn die Fräuleins nichts dagegen haben, das andere ist ein Kinderspiel. Dann will ich man mal fragen.«

Er trollte davon.

Karla hatte nichts dagegen. Das Tote interessierte sie nicht. Der Danziger kam vergnügt zurück. Der alte Frems war bei ihm und jammerte noch immer.

»Ein gutes Pferd wars, ein kluges Pferd. Was, Brauner? Gestern hat das nun noch seinen Hafer gefressen. Solch Pferd gibts kein zweites.«

»Aber nobel sind die Fräuleins, das muß man ihnen lassen«, sagte Kog, »alle Achtung. Da können wir mal Fettlebe machen.«

Er sah vom Schuppen aus über das Eis. Es konnte noch gut eine Stunde dauern, bis die Fischer da waren.

»Wir könnens noch vorher rüberschaffen, Frems«, sagte er, »dann ist es hier weg. Nachher, wenn die Fische kommen, liegts doch bloß im Weg.«

Sie hatten zu tun, um das Pferd auf den Wagen zu schaffen. Der Knecht mußte noch helfen. Frems ging niedergeschlagen nach Haus.

Der Danziger fuhr los. Unterwegs stieg noch Jöken Mürk auf. Sie waren guter Laune und lachten, als sie bei Kog auf den Hof kamen. Seit einiger Zeit wohnte er bei Holwe, dessen Haus dicht vor den Dünen lag. Frau Holwe kam sprachlos aus der Küche.

»Was haben wir hier?« schrie der Danziger, »einen echten Vollbluthengst aus Arabien, Stück für Stück einen Taler! Immer ran, meine Herrschaften!«

»Eine Wurst, einmal rund um den Bauch, eine Seeschlange für den Kaptän«, rief Jöken Mürk.

»Ihr seid wohl am hellichten Tag besoffen! Hat einer schon solch Geschrei gehört? Was ist denn damit?« Sie stand neben dem Wagen und starrte auf das Pferd.

»Schlachtefest, Frau Holwe, und zwar akkurat hier auf dem Hof. Was sagst du dazu?«

Er erzählte weitschweifig die ganze Geschichte, lobte seinen fixen Entschluß und die Großzügigkeit der Sterenbrinks.

»Ich bringe gleich die Waschküche in Ordnung, da könnt ihr dann rein. Aber dafür krieg ich was extra!« Sie lief schon nach Eimer und Besen.

»Direkt von der Leber, Madam«, rief Kog ihr nach.

Jöken Mürk hatte sich bereits davongemacht und verbreitete die Nachricht im Dorf.

Am Abend standen die Fischer neugierig dabei, als der Danziger das Pferd zerlegte. Sie waren zufrieden, auch der heutige Fang hatte sich gelohnt, und sie würden sich morgen von Pudmar das Garnsgeld holen. Nun gab es noch Fleisch obendrein, harte glänzende Würste und rote saftige Stücke. Suppe löffelte man, die fett über die Kelle lief. »Das gibt Wärme ins Blut«, sagte man. »Die feinen Herren in der Stadt essen das auch gern«, versicherte der Danziger, »hab dich nicht, Wine Mürk, und zieh kein Maul. Die Beefsteaks sind eine Delikatesse. Das glaub ich, Steppe, das schmeckt! Friß bloß die eigenen Finger nicht! Komm her, Stim Kaat, jetzt kommt der Schinken. Faß mal mit an, so jupp, und nun ran an den Speck! Das ist eine Sache, was, Andrees?«

Die Fischer hatten zusammengelegt und Branntwein geholt. Den trank man nun reihum. »Prost, Stieven, nichts für ungut wegen gestern!« ruft der Danziger. Er hebt die Flasche gegen Stim Kaat: »Ich trink dir zu!« »Das tu!« antwortet Stim Kaat.

»Ich hab dir zugetrunken!«

»Hast den rechten Mann getroffen!«

Stim Kaat nahm die Flasche: »Ich seh dich, Jöken Mürk.«

»Das freut mich!«

»Ich hab dich gesehn, Kaptän!«

»Solls besser gehn!«

So saßen sie auf der Bank oder standen gegen die Wand gelehnt, prosteten sich zu, tranken und kauten.

Und es kam Simon Gülke von der letzten Düne und Hannes Lietz mit den roten Backen und Ocke Holm, der ein steifes Bein hatte. Willi Pröhl kam, der lang wie ein Mast war, und Kars, der Schwerhörige, der beim Sprechen dem andern ins Ohr kroch. Und die Frauen kamen, die meisten in schwarzen Röcken und Tüchern, denn in jeder Familie fast hatten sie schon einen begraben. Sie brachten Töpfe und Schüsseln mit, um für die Kinder noch etwas mitzunehmen.

»Du auch, Minna Völz«, lachte Kog, »bei dir langts doch zu. Du siehst nach 'nem guten Brotkorb aus.«

Minna Völz war rund wie eine Tonne und das Kinn lag schwer auf dem Hals.

Sie japste beim Sprechen. »Das ist bloß vom Zucker«, entschuldigte sie sich, »aber er geht jetzt zurück, sagt der Arzt.«

Spät noch kam der alte Brattke, der Großvater, dem die Enkel den Tod wünschten. Er ging langsam am Stock.

»Nun wieder gut bei Fuß, Großvater«, empfing ihn der Danziger, »das geht ja wieder wie ein junges Fohlen.«

»War doch ein weiter Weg«, seufzte er, »aber hier gibts was zu essen, hab ich gehört.«

Er gehörte eigentlich nach Bögerlant, aber die Fischer wußten, wie schwer er es zu Hause hatte. Sie machten ihm Platz. »Iß, Großvater«, sagten sie. »Schmeckts, Alter?« »Trink.«

Sie füllten ihm den Teller und zerschnitten ihm das Fleisch und er schlürfte und mahlte das Fleisch lange im Mund wie eine Kuh, die wiederkäut.

Vor dem Haus war ein Rumpeln. Fenner war gekommen mit seinem brüchigen Gaul. Müde hing das Pferd im Geschirr. Die Fischer lachten, als sie es sahen.

»Halt deinen Vollblut zurück«, rief der Danziger, »sonst kommt er mit in den Kessel!«

»Der Wagen wird gleich verheizt«, schrie Steppe, »her mit dem Beil!« Er kam mit einer Axt herangelaufen und fuchtelte damit herum.

»Mach keinen Unsinn«, sagte Fenner, »nimm das Beil weg.«

»Hast wohl Angst um deinen Scheitel«, brüllte Steppe, »kommt her, hier ist einer, der Angst hat.«

Sie drängten sich um Fenner, der besorgt vor seinem Wagen stand.

»Da ist man wohl in eine Hölle geraten«, versuchte er zu scherzen.

»Wir wollen ihn braten«, rief Steppe und zog ihn in die Küche.

Sie gaben ihm Schnaps und obgleich er ihn nicht mochte, trank er doch, um sich keine Blöße zu geben. Er war nicht mehr bei sich und aß das Fleisch mit den Fingern, fing an zu singen und kniff die Frauen, bis es ihnen zu viel wurde. Sie nahmen ihn unter den Arm und setzten ihn auf den Bock, gaben ihm die Zügel in die Hand und johlten »hüh«. Dreimal ruckte der Gaul an und dann kam der Wagen in Fahrt.

Bis in die Nacht saßen sie zusammen. »Das ist ein Leben!« lachte Kog.

Man konnte sich nicht trennen, denn morgen war noch ein Feiertag, da wurde das Garnsgeld verteilt. Die Welt hatte ein anderes Gesicht. Noch lange sagte man in Börshoop: Damals, als wir Sterenbrinks Pferd schlachteten.

 


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