Willy Seidel
Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Willy Seidel

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Berufung

Im Lokalblättchen war eine Notiz zu finden, daß ein ostasiatischer Gelehrter, der sich schon einiger Entdeckungen in der Chemie rühmen durfte, ein Herr namens Dr. Sze, den Aufenthalt in Deutschland als so fruchtbringend empfinde, daß er gewissermaßen in Dankbarkeit für die genossenen wissenschaftlichen Förderungen beschlossen habe, Heim und Werkstatt in Deutschland aufzuschlagen. Und zwar – so durfte das Lokalblättchen seinen Lesern verraten – habe er vor, unser Mitbürger zu werden. Er habe ein größeres Grundstück erworben, einen Teil des Pfaffenwäldchens, den er aus Privathänden erstanden, und die Absicht ausgesprochen, denselben zu entwässern. Dadurch werde gleichzeitig das Klima der Gegend befördert, indem nämlich der Sumpf dort verschwinde. Dr. Sze habe zugleich die amüsante Marotte, sein Haus so anzulegen, daß es einen Garten im Innenhof enthalte, der auch das sogenannte »Hünengrab« umfasse. Er beabsichtige – (habe er dem Reporter verraten) – Zwergbäumchen dort zu züchten und auch Tiere, die er für seine Experimente nötig habe; eine zugleich glückliche und praktische Lösung.

Es entspann sich noch eine kurze Debatte darüber, ob nicht, wie man im Leserkreis vermutete, die Gegend dadurch um ein Naturdenkmal ärmer werde; denn ein solches sei das von Aberglauben umwitterte Hügelchen doch sicher. Jedoch der aufgeklärte Redakteur wußte solchen Einwänden witzig zu begegnen, indem er meinte: jener Herr sei vielleicht der Berufenste dazu, dem Aberglauben »im eigenen Heim« wirksam zu Leibe zu gehen. Zudem dürfe man nicht übersehen, daß der Stadtsäckel einen anständigen Steuerzahler gut brauchen könne und der fremde Gelehrte entschieden rentabler sein würde, als der betreffende Grund und Boden jemals gewesen sei.

Der alte Freiherr von Calmus las diese Nachrichten aus der Zeitung beim Frühstück vor. Er riet zwar den Völkern Europas noch nicht, ihre heiligsten Güter zu wahren, war aber ungehalten und äußerte sich rauh über den »zudringlichen Gelben«, der doch weiß Gott hier nichts verloren habe und sicher nur die fragwürdige Absicht hege, deutsche Patente zu stehlen.

Harald saß dabei und tat keinen Muck. Die Versuchung, von seiner Begegnung zu erzählen, war für einen Augenblick fast unwiderstehlich. Doch da glaubte er, im gelben Seidenschirm der Eßzimmerlampe zwei schwarze Augen auftauchen zu sehen, die ihn faszinierten und lähmten, ihn erwartungsschwanger stimmten wie ein ungewiß glänzender Hort aus dunkler Wassertiefe. Er sagte nichts und biß sich auf die Lippen.

Mittlerweile wurde da draußen im Pfaffenwäldchen, so hörte man von Zeit zu Zeit, mächtig gearbeitet.

Von der Überlandstraße her schlug man eine breite Bresche zu dem Hügel hinüber, und vier Wochen hindurch knarzten ziegelbepackte Lastwagen von dieser Straße in den Wald hinein.

Von September ab bis Neujahr wurde gebaut, und auf einmal hieß es, das Gebäude sei fertiggestellt. Jedoch hatte Dr. Sze die ärgerliche Vorsicht getroffen, das Gelände mit einer hohen Bretterwand, die teilweise an die Stämme genagelt war, abzusperren. Hinter dieser entstand, wenn man den Berichten der Arbeiter zuhörte, ein sehr hohes, spitziges Eisengitter, so daß man befürchten mußte, es werde auch für die Zukunft nicht so einfach sein, die Baulichkeit in näheren Augenschein zu nehmen.

Der Architekt selbst, den Dr. Sze beschäftigte, schwieg sich über alle Einzelheiten aus. Er hatte auch offenbar den Auftrag dazu erhalten. Keineswegs wurde er schlecht bezahlt, und dies erleichterte ihm das Schweigen darüber.

Etwa Mitte Januar wurde die Lattenwand entfernt. Doch nun zeigte es sich, daß hinter dem Eisengitter rings um das ganze Besitztum herum an zwei Meter hohe, dichte Tannen gepflanzt waren, die den Einblick fast noch wirksamer verwehrten. Außerdem liefen unterhalb der wie geschliffen blitzenden Spitzen Drähte, die keineswegs Vertrauen erweckten und offenbar darauf berechnet waren, jedem unbefugten Eindringling mit einer entsprechenden Ladung von Strom zu begegnen.

Nur durch das Haupttor konnte man den vorspringenden Eingang zu dem Hause entdecken, der mit einer Messingtür, die dicke flaschengrüne Glasplatten trug, geschlossen war. Außerdem tummelten sich, wie man aus dumpfem Bläffen erraten konnte, große Hunde im Garten umher. Näherer Augenschein belohnte Wartende mit der fast allzunahen Bekanntschaft von drei ungeheuren dänischen Doggen, die ihre eckigen Kopfe dicht ans Gitter schoben und Wolken von heißem Atem aus wehrhaften Rachen dem Beschauer ins Gesicht fauchten. Es waren keine liebenswürdigen Hunde. Ihre bernsteingelben kleinen Augen hatten auch untertags etwas tückisch Schillerndes; sie wedelten nie, diese Hunde. – Es war eigentümlich, so versicherten müßige Spaziergänger, mit welcher Nonchalance Herr Sze mit den Bestien umsprang; wie bedingungslos sie selbst kleinen, kaum wahrnehmbaren Gesten parierten, die er nebenhin vollführte; oder wie sie sich duckten, wenn er ihnen einen Schwall nie gehörter Silben entgegenschleuderte, bunter Silben, die wie Magie wirkten.

Harald hörte alle diese Gerüchte mit jenem Gefühl, das Kinder in Erwartung einer kommenden Weihnachtsbescherung haben, und je näher der Zeitpunkt rückte, wo er Grund zu haben glaubte, von seinem seltsamen Freunde zu hören, desto lebhafter und aufgeweckter erschien er im Familienkreis. Die Eltern wunderten sich fast darüber, und wenn sie sich ihrer Liebe zu diesem prächtigen Jungen auch nicht immer bewußt gewesen, so empfanden sie doch jetzt diesen fröhlichen Geist im Hause mit verstärkter Zärtlichkeit. Der alte Freiherr zog ihn öfter als sonst ins Vertrauen, machte Pläne mit ihm, schwor ihm zu, es in seiner künftigen Ausbildung an nichts fehlen zu lassen – wenn Gott ihm das Leben schenke.

»Vater,« rief Harald, »du wirst uralt.«

»Wenn wir zusammenbleiben, vielleicht. Denn zum Teufel, du hast etwas Ansteckendes. Ich vergesse schon schier meine Gicht, wenn du dabei bist.« Und der alte Mann, seine unmilitärische Befangenheit mit rasselndem Lachen bemäntelnd, schlug ihm mit der unsteten Hand derb auf die junge Schulter.

Es war Harald noch nie ins Bewußtsein gekommen, wie wohl es tut, achtzehn Jahre zu zählen. Er bereitete sich auf das Abenteuer, das seiner harrte und das er sich keineswegs als schlimm oder schwierig vorstellte, zwischendurch mit leisem Gruseln vor. Seltsamerweise kam ihm nie der Gedanke an eine wirkliche Gefahr. Wo wäre die auch zu erblicken gewesen? Und wenn es dazu kommen sollte, daß jener etwas Fragwürdiges mit ihm im Schilde führe, so brauchte er sich bloß zu betrachten, um eine kühle Sicherheit zu finden. Er war über sein Alter hinaus kräftig. Unablässige Muskelbewegung hatte seinen Körper gestählt.

Doch bald fand er den Gedanken lächerlich; denn gleichzeitig kam ihn eine knabenhafte Scheu an: der Respekt bloßer Jugend vor dem Hirn. Ein verdammt kluger Bursche muß er doch sein, sonst hätte er mich damals nicht so zum Schwatzen gebracht, sinnierte er. Für mich als – sagen wir – künftigen Diplomaten ist es vielleicht eine gute Schule, schon jetzt mit solchen Herren umgehen zu lernen und hinter ihre Verschmitztheiten zu kommen. Warten wir es ab.

 

Es war im März und warm.

Die Äcker waren noch brüchig und braun.

Der Föhn brauste im Pfaffenwäldchen und bewegte die Zweige, die von Keimen strotzten.

Die Telegraphenstangen orgelten, und nächtens schwangen die Bogenlampen hin und her und erzeugten gespenstische Wettrennen von Schatten auf der Gasse, an der Harald wohnte.

Er saß eines Nachts am Fenster.

Ein halber Mond blickte durch hastende Wolken.

Er hörte das unablässige Brausen des Windes, der sich stöhnend um die Ecke drängte und, wo er eine Freistatt fand, sich dröhnend entfaltete. Das Geräusch in den Kaminen ringsum gemahnte an fernes Stimmkonzert von Kindern, die um Hilfe schreien. Das Fenster klirrte so heftig, daß Harald die Lampe löschte und es öffnete. Eine feuchtwarme, riesige Hand griff ins Zimmer und verrückte die Gegenstände, wühlte in seinem Haar und umhüllte seine Brust.

Aus der unendlichen Verschiedenheit der Laute konnte er keinen bestimmten herausheben. Nur auf einmal war es ihm, wie wenn während einer kurzen Sturmpause oder gleichsam unter dem Sturme ein Klang von der Gasse heraufwehe, der mit seinem Namen verwandt schien.

Jetzt hörte er es noch einmal ganz deutlich, das Wort »Harald«.

Er beugte sich mit geknicktem Leib aus dem Fenster und spähte hinab.

Da sah er einen Schatten drunten stehen. Es war ein Mann, in einen Ulster gehüllt, der sich im Winde blähte und seinem Träger die verschiedensten grotesken Formen gab. Auf einmal erglühte etwas am Gesicht des Mannes, ein elektrisches Lämpchen, und beleuchtete die Züge Dr. Szes. Es war ein kurzes Aufblitzen, doch es genügte für Harald, um das große gelbe Gesicht zu erkennen. Kurz darauf hörte er eine Stimme, die ihm zurief leise, dringend und doch deutlich: »Heute nachmittag drei Uhr!«

Der Sturm wälzte gleich darauf eine Brandung von Geräuschen herzu. Ein Barbierschild rasselte klirrend auf die Straße herab. Irgendwo polterte ein brüchiger Schornstein knatternd über das Blech von Regenröhren, und ehe Harald sein eigene Stimme bemerkbar machen wollte, war der Schatten auf der Straße spurlos verschwunden, wie aufgelöst in den Hexentanz der anderen, die längs der Häuserwände hin und her fuhren.

Er schlief in dieser Nacht nicht mehr. Die Erwartung des Abenteuers bedrückte sein Herz und ließ es beschleunigt schlagen wie in frühen Schulzeiten, wenn er einen gewagten Streich im Sinne hatte, zu dem wohl alle Sicherungen getroffen waren, der aber unter Umständen Ertappung und Bestrafung möglich machte.

Die knabenhafte Freude an Geheimniskrämerei überwog.

Er überlegte sich, ob er für alle Fälle – und sei es nur der Hunde wegen – eine Waffe mitnehmen solle; schlich dann ins Arbeitszimmer des Vaters hinüber und stahl nach einigem Suchen dessen automatischen Revolver, ein kurzes, handliches Ding aus schwarzem Stahl, das sich gut in der hinteren Hosentasche unterbringen ließ.

Er verwischte die Spuren des Diebstahls, so gut es ging, ging dann wieder in seine Kammer und kleidete sich an. Er durfte kein Aufsehen erregen durch zu frühes Wachsein. Es hieß Geduld üben und beim Frühstück wie auch beim Mittagessen das gewöhnliche Gesicht zeigen. Was brauchten seine Eltern auch zu wissen, daß er Beziehungen zu dem Gelben unterhielt? Mit der Zeit, wenn unsere Bekanntschaft nicht mehr so jung ist, kann ich sie ja darüber aufklären, und mein Vater wird Lebensart genug haben, nicht taktlos dazwischenzufahren.

Der Föhn dauerte auch den ganzen Morgen noch an. Leichte warme Regenschauer wechselten mit blauem Himmel. Um zwei Uhr machte er sich auf den Weg, ohne sich zu verabschieden, denn er würde ja bis Abend wieder zurück sein, und wenn es später wäre, so könne er ja irgendeine Ausflucht bis dahin ersinnen.

Als er in das Wäldchen eintrat, übersprühten ihn die Bäume mit unablässigen Tropfengarben, so daß ihm die Nässe bis auf die Haut drang. In ziemlich beschmutztem Zustand und von Kühle schauernd, kam er um die angegebene Zeit vor dem schmiedeeisernen Gitter der Umfriedung an.

Eine Klingel war nicht zu entdecken. Die drei großen Doggen schritten langsam heran, die eckigen Köpfe starr dem Besucher zugewandt. Er versuchte, sie zu locken und ein freundliches Wort zu sprechen. Doch all dies hatte nur den Erfolg, daß sie etwas näher kamen, dann auf säulenstarren Beinen gleich Monumenten umherstanden und leise knurrten, mit jenem tief aus der Brust heraufgeholten Knurren, das viel bösartiger ist als lautes Gebell.

Er suchte nach einer Klingel und fand sie nicht. Doch mit einem Male tat sich lautlos die Tür im Eingang hinten auf, und der Doktor schlüpfte heraus.

»Im Interesse der Wissenschaft . . .«

Er war makellos gekleidet. Ein niederer Kragen von schneeiger Korrektheit mit schwarzer Binde umschloß seinen Hals, und ein unauffälliger grauer Anzug von bestem englischen Stoff umhüllte, verschwenderisch geschnitten, die hohe Figur. An den Füßen trug er ausgeschnittene Hausschuhe aus Ziegenleder. Da der Weg mit Kies bestreut war, brauchte er keine Angst zu haben, sie zu beschmutzen, was er bei seinem katzenleichten Gang auch sonst vermieden hätte. Er trug eine goldene Brille und winkte freundschaftlich mit der Hand. Auf ein kurzes unverständliches Wort hin zogen die Bestien sich in geziemende Entfernung zurück. Der Doktor raschelte eine geraume Weile mit einer großen Menge von kleinen Schlüsseln an allerhand versteckten Innenschlössern; dann öffnete sich das schwere Tor lautlos und ließ Harald durch.

Dr. Sze schloß ebenso sorgfältig wieder ab – (der Hunde wegen – wie er lächelnd sagte; denn diese hätten schon öfters versucht, auszubrechen); – und dann führte er seinen Gast in das Haus.

Die Messingtür schnappte hinter ihnen zu mit einem leisen »Klick«, und Harald kam es einen Augenblick so vor, als ob etwas in seinem Leben damit entzweigeschnitten werde . . . Auch besorgte es ihn flüchtig, daß die Tür innen keine sichtbare Klinke oder Schloß trug, sondern glatt poliert war und sich schier ohne Ritzen in ihren Rahmen fügte.

Dr. Sze geleitete ihn in einen kleinen Vorplatz und von dort in eine Art Laboratorium, das in jeder Beziehung modern eingerichtet schien, besonders was die elektrischen Anlagen anging, die er offenbar durch einen Motor vom Keller her speiste. Ein leises Vibrieren kam von dort, das mit dem Pulse der Maschine auf einem großen Dampfer vergleichbar war.

Durch das Laboratorium hindurch geleitete er den jungen Bekannten, dann schlug er eine blauseidene, mit goldenen Drachen bestickte Portiere zurück, und man war in einem sehr einfach ausgestatteten Gemach, worin sich nur ein großer grasgrüner Teppich mit antiker Ornamentierung und wenige geschnitzte Taburetts befanden. Eine Unmenge von Kissen war am Boden verstreut.

»Gedulden Sie sich gütigst einen kleinen Moment«, sagte Dr. Sze.

Harald setzte sich resolut auf eines der Kissen, und es dauerte keine fünf Minuten, bis der Wirt mit einer lackierten Tragplatte erschien, auf der sich ein blauweißes, sehr schmuckloses Teeservice befand ohne Zucker und Milch; zwei henkellose Täßchen ohne Untersatz und eine Kanne.

Grünlicher Tee ward ausgeschenkt. Harald verbrannte sich fast die Finger, als er die Tasse mit der Faust umschloß, und Dr. Sze lächelte und sagte: »Es ist die Art, Tee zu genießen. Außerdem verbrenne ich mich nie; denn meine Hände sind sehr kühl.« Ja, es schien ihm noch daran gelegen zu sein, sie zu wärmen; denn er hielt die Tasse volle fünf Minuten lang mit beiden Händen umschlungen, ohne eine Miene zu verziehen.

Als die ersten Täßchen geleert waren und eine wohltätige Wärme in Haralds Magen entstanden war, verschwand der Doktor wieder und kehrte nach einiger Zeit zurück. Er war nicht der unauffällig-elegante Europäer mehr; er trug jetzt ein hemdartig geschnittenes Gewand aus schwarzer Seide, über der Brust farbig bestickt; und statt in filzbesohlten Schuhen staken seine lautlosen Füße in flachen Sandalen. Die Ärmel des Gewandes waren weit und hingen ihm in Ruhe bis zu den Fingernägeln herab. Sein Haar war mit einer schwarzen Tuchkappe eng an den Kopf gepreßt. Er brachte ein zweites, genau so geschnittenes Gewand mit, das er vor Harald hinlegte.

»Sie sind ganz durchnäßt, wie ich bemerke«, sagte er vertraulich. »Es ist hier gut geheizt, und es ist besser, Sie ziehen sich um, damit man Ihre Sachen trocknen kann.«

Während Harald dies tat, beobachtete ihn der Doktor aus halbgeschlossenen Lidern, wobei seine Nüstern leise vibrierten. Das Gewand paßte dem Jungen wie angegossen, ebenso die Sandalen, und der Doktor trug die Kleider hinaus. Kurz bevor er den Vorhang erreichte, tastete er das Ding ab, das sich in Haralds Hosentasche befand, und ein leiser Zischlaut kam aus seinem Mund.

Nach seiner Rückkunft tranken sie schweigend zwei weitere Täßchen leer. Der Doktor bot Zigaretten an. Sie waren dick und äußerst aromatisch mit fremdem Beigeschmack, der Harald nicht weiter störte und ihm äußerst »echt« vorkam. Er war jetzt mit der Zeit neugierig geworden, ob das zeremonielle Betragen des Gastgebers nun sein Ende erreicht habe und bat ihn in Gedanken, er möge zur Sache kommen, da es doch offenbar ein ganz bestimmter Zweck war, zu dem er geladen schien.

»Sie haben recht,« sagte Dr. Sze auf einmal, »ich komme jetzt zur Sache.«

Harald fuhr erschrocken zusammen. War dies Gedankenleserei? – oder Zufall?

»Was die da unfreiwillig entdeckt haben im letzten Sommer,« fuhr Dr. Sze fort, »es ist ein großer Meteorit. Sie werden mir es wohl nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich diesem Meteoriten schon einige Zeit auf der Spur bin. Er ist doppelt so groß als der ›Eiserne Berg‹ in der Melville-Bai, der, wie Ihnen bekannt sein dürfte, achtzehnhundertachtzehn gefallen ist, also erst ganz kürzlich, wenn ich so sagen darf . . . Derlei Neulinge sind gar nicht der Rede wert, denn aus Schriften, die ich kenne, stand es schon vor dreitausend Jahren fest, daß vor schon damals undenklichen Zeiten unser Besuch hier angekommen sei; und zwar deuteten gewisse Formeln jener uralten Schriften darauf hin, daß er irgendwo im Herzen des jetzigen Europa stecken müsse.

Ich bin vielleicht einer von dreien, denen es im Laufe von Jahrhunderten gegeben war, diese Schriften überhaupt zu entziffern; sicherlich aber der einzige, der die Berechnungen deuten konnte. Und daß ich nicht schlecht geraten habe, dafür zeugt ja meine Anwesenheit hier . . .

Mein junger Freund! Ich habe keine politische Mission. Meine Mission ist unendlich viel wichtiger. Augenblicksgeschäfte mache ich nicht. Um vor Neugier sicher zu sein, habe ich den Ort dieses Meteoriten abgegrenzt; denn man muß ihn studieren. Es ist wichtig, daß man sich näher mit ihm befaßt.

Sie werden verstehen, daß die Wissenschaft ein brennendes Interesse daran hat, und ich bin vielleicht eitel genug, mein alleiniges Patent auf diese Entdeckung nach Kräften auszunützen. Der Grund, weshalb ich Sie hierhergebeten habe, ist der, daß Sie mir helfen möchten, den Klotz auszugraben und der Betrachtung zugänglich zu machen. Ich brauche eine junge Kraft dabei, obwohl ich selber ziemlich gut arbeite. Aber zu zweit geht es besser, das verstehen Sie wohl.«

Haralds Mund hatte sich vor Erstaunen geöffnet. Er starrte seinen Gastgeber aus seinen blauen, unschuldigen Augen an und rief eifrig: »Natürlich helfe ich Ihnen! Welch ein Abenteuer! Und ich werde keinem Menschen etwas davon sagen, bis Ihre Schrift erschienen ist!«

»Nein, Sie werden keinem Menschen etwas sagen«, meinte Dr. Sze und lächelte. »Aber ich möchte Sie bitten, bis das Werk vollendet ist, mein Gast zu sein.«

Dieser Gedanke war neu für Harald. Er verfiel in Grübeln. »Ob das aber gut möglich ist?« fragte er bescheiden. »Sie wissen, meine Eltern haben noch keine Ahnung, daß ich hier bin, und eine Verständigung müßte erfolgen. Ich bin sicher, daß sie mir die Erlaubnis nicht verweigern werden.«

Dr. Sze lächelte stereotyp, indem er leise sagte: »Sie werden niemanden verständigen.«

Eine Stille folgte.

Das Blut wich langsam aus Haralds Gesicht. Er ward sich plötzlich mit kurzem Schreck bewußt, daß er seinen Revolver in der Tasche gelassen hatte. Er sagte: »Wenn Sie wünschen, werde ich natürlich nichts von mir hören lassen, obwohl es grausam gegen meine Angehörigen ist.«

Er stand auf.

»Ich habe übrigens mein Taschentuch vergessen . . .«

Dr. Sze bemerkte ruhig: »Greifen Sie in Ihren Ärmel.« Harald tat es und zog ein mächtiges Tuch von Rohseide hervor.

»Die Sachen trocknen draußen. Ich habe sie versorgt.«

Harald setzte sich ratlos wieder hin.

»Sehen Sie,« fuhr der Unerschütterliche fort, »es hat gar keinen Zweck, meine Wünsche zu mißachten. Sie könnten gesehen werden. Man wird Sie ausfragen, die Sache wird ruchbar, ob Sie es wollen oder nicht. Und im Interesse der Wissenschaft . . .«

»Das Interesse der Wissenschaft«, schrie Harald auf, der jetzt die Fassung verlor, »ist mir auch nicht so viel wert (und er knallte mit den Fingern), wenn es sich um die schwerste Angst meiner Eltern handelt, die so leicht beruhigt werden könnten.«

»Ihnen nicht,« war die Antwort, »aber mir.«

In diesem Moment verspürte Harald die größte Lust, in dieses glatte, lächelnde Gesicht mit der Faust hineinzuschlagen. Jetzt geht es Mann gegen Mann, schoß es ihm durch den Kopf. Mit plötzlicher Wucht und mit einem Sprung warf er sich auf den Chinesen.

»Sie führen etwas im Schilde«, keuchte er dabei. Er entwickelte ungeahnte Kraft. Er packte den Gelben bei den Schultern und zwang ihn nach rückwärts auf den Boden.

Dr. Sze hatte die Augen geschlossen und lag schier leblos dort. Sein Lächeln hatte etwas Ekstatisches. Harald glaubte ihn von einer Ohnmacht befangen und eilte in schnellen Sätzen auf den Vorhang los; da hörte er ein Gewisper hinter sich.

»Es ist fruchtlos, mein Freund. Sie können nicht hinaus, und außer mir ist niemand da, der Ihnen öffnen könnte.«

Dies erhöhte seine Verzweiflung. Er raste durch das Laboratorium, um seine Kleider zu suchen. Doch wie fieberhaft er auch suchte, es war vergebens. Gebrochen, mit wankenden Knien kehrte er endlich nach dem Zimmer zurück. Dort saß der Chinese wie früher und schluckte von der vierten Tasse Tee, mit der er sich soeben versorgt. Er machte eine grandiose Handbewegung und lud seinen Gast wieder zum Sitzen ein.

»Es führt, wiederhole ich Ihnen, zu nichts, wenn Sie sich aufregen. Sie können sich übrigens beruhigen. Wir sind beide nur zwei Puppen in der Hand eines Schicksals, und die Berufung, die wir beide zu erfüllen haben, ist so ungeheuer wichtig, daß meine und Ihre kleinen Interessen dagegen gänzlich verblassen. Lassen Sie sich aufheitern!« Er zauberte irgendwo eine gestielte Flasche hervor, aus der er einen gelblichen Trank schenkte.

»Ein wenig Reisbranntwein; und wenn Sie wollen, fügen Sie einige Tröpfchen aus diesem Fläschchen bei. Sie brauchen nicht zu besorgen, daß ich Sie vergiften will; ich habe Sie viel zu nötig.«

Er maß zehn grüne Tröpfchen in Haralds Glas, das dieser zögernd in der Hand hielt.

»Trinken Sie es hinunter«, sagte Dr. Sze. Harald tat es, und schier gleichzeitig kam eine große Gleichgültigkeit über ihn. Kaum hatte der Trank halbwegs seine Wirkung getan, als diese Gleichgültigkeit sich in eine wohlige Unternehmungslust auflöste, die eng mit der geplanten Arbeit zusammenhing.

»Gut,« sagte er aufatmend, »tun Sie mit mir, was Sie wollen; aber bedenken Sie, daß Sie eine große Verantwortung auf sich laden und daß wir hier in Deutschland leben, wo es Gesetze gegen Freiheitsberaubung gibt.«

»Ich habe alles bedacht«, meinte der Doktor gleichgültig. »Meine Berechnung wird stimmen. Sie werden sich nicht zu beklagen haben, doch wollen wir jetzt einmal sehen, wie wir am besten beginnen.«

Der eiserne Kopf

Er stand auf, und beide gingen aus dem Zimmer hinaus. Ein kleiner Gang nach dem Innenhof zu ward durchschritten, und was Harald zunächst zu sehen glaubte, war ein Treibhaus. Doch bei näherer Betrachtung, als sie angelangt, erwies sich dieses Treibhaus als eine mäßig erwärmte Halle, dem Patio eines spanischen Hauses nicht unähnlich, die von ganz bedeutender Größe und Höhe war.

Quadratische Glasplatten, die durch elektrische Klappvorrichtungen zu öffnen waren und durch deren grüne Decke der Himmel wie durch Wasser herabschimmerte, überdachten den Hof, der so geräumig war, daß der ganze kleine Hügel darin Platz fand.

»Ein hübsches Arrangement, wie?« meinte Dr. Sze und lächelte.

Er kletterte, die schwarzen, knisternden Ärmel wie Flügel schwingend, auf dem Hügel umher, einer tropischen Fledermaus ähnlich, einem Fliegenden Hund, der im Dämmerlicht beginnt, sich zu regen. Als er oben stand, konnte er das Glasdach gerade mit gestrecktem Flügel erreichen.

Er stelzte wieder herab und deutete auf Hacken und Schaufeln, die in einer Ecke aufgestapelt lagen.

»Wo tun wir die Erde hin?« meinte Harald.

Dr. Sze führte ihn um den Hügel herum, und hier öffnete sich vor ihnen ein Loch mit schiefem Eingang, wie ein Kellerfenster, durch das man Kohlen schüttet.

»Es ist Platz genug da unten für die Erde; außerdem schälen wir den Block nur heraus und brauchen nicht den ganzen Hügel abzutragen. Der Block sitzt nicht tief in der Erde, sondern die Steine haben ihn nicht eindringen lassen, so daß er gleichsam als Bekrönung auf einem eigenen Fundamente sitzt. Es wird einige Zeit dauern, bis wir dieses Monstrum, das Hunderte von Tonnen wiegt, ganz befreit haben; doch für einen so kräftigen Jungen wie Sie müßte es eine Leichtigkeit sein und eine Freude zugleich.«

Diese suggestiven Worte bewirkten, daß Haralds Knabenneugier die Oberhand gewann und er mit ehrlichem Interesse den Weisungen des Doktors folgte.

»Am besten, Sie befreien sich jetzt von Ihrem Gewand«, sagte der Doktor. »Ich werde dirigieren und Ihnen sagen, wo Sie die Sache anzupacken haben.«

Harald warf den schwarzen Kittel ab und ergriff eine Hacke, mit der er auf den Hügel zurückkehrte.

Die Treibhauswärme machte es ihm direkt zum Bedürfnis, nackt zu arbeiten. Er hieb mit aller Gewalt in die Stellen, die der gelbe Finger mit dem spitzen Nagel ihm wies, der brüchige Lehmboden kollerte in großen Brocken hernieder. Unablässig, unermüdlich schwang er die Hacke. Nicht einmal Schweiß trat auf seine blanke Haut. War das etwa den grünen Tropfen zu danken, die er zu sich genommen?

Er vergaß völlig der Zeit.

Der Himmel über dem grünen Glasdach dunkelte und nahm die Färbung der Tiefsee an. Gleichzeitig aber machte sich ein schon vorher phosphoreszierendes Licht bemerkbar, das an Intensität wuchs und das Glasdach wiederum erhellte, so daß wundervoll funkelnde Strahlenbrechungen darin entstanden.

Das Licht nahm seinen Ursprung offenbar von versteckten elektrischen Lampen. Das Funkeln wurde so stark, daß es die ganze ungeheure Halle mit Tageshelle erfüllte.

Was hatte es jetzt noch für einen Sinn, sich nach dem Stand des Zeigers umzutun? Uhren hatten hier ihren Sinn verloren, da es sich doch um Wochen handelte, die er hier zuzubringen hatte und Tag und Nacht ohne die Trennung von Hell und Dunkel verliefen.

Von dem Sturm draußen drang nicht das leiseste Wispern durch Mauern oder Glasplatten. Manchmal erzitterten diese ganz unmerklich; vielleicht war ein Ast darauf gestürzt. Sonst aber behielten sie das stille, intensive Glühen bei.

Unablässig klang die Hacke. Fortwährend schlug sie an Eisen mit klirrendem Ton, der an zerborstene Kirchenglocken gemahnte.

Stunden mochten verflossen sein, ehe Dr. Sze, der jede neue Entblößung des Meteoriten mit aufmerksamsten Augen verfolgte, die Hand hob und ihn anzuhalten bat.

»Es ist soweit«, sagte er. »Wir dürfen es nicht allzusehr beschleunigen, du mußt dich für den Anblick stärken.«

Harald blickte für einen Augenblick verblüfft auf. Das »Du« klang eigentümlich in dieser Stille, überraschend für einen, der ihn gefangen hielt und ihn bis jetzt mit eisiger Korrektheit behandelte.

Aber seine Verwunderung darüber dauerte nicht an. Es hatte zu natürlich geklungen, und es war ihm auch inzwischen das Bewußtsein in Fleisch und Blut übergegangen, daß er und dieser seltsame Asiate von irgendeinem Zwang zusammengeschmiedet seien, der sich nicht lockern ließ, und an dessen Fessel alle Phrasen wirkungslos zerschellten.

»Komm jetzt herab«, sagte Dr. Sze.

Harald folgte ihm bis hinunter. Und was er dort unten erblickte, machte ihm den Atem stocken.

Er wäre fast nach hinten gesunken, wenn nicht des Doktors Hand sich eng um seinen Arm gepreßt und er nicht ein leichtes Eindringen der spitzen Nägel auf der Haut gespürt hätte, einen leichten Schmerz, der ihn bei vollem Bewußtsein erhielt.

Zunächst sah er freilich nur eine Masse von zackigem Nickeleisen, von Löchern durchbohrt wie ein Schwamm und mit geborstenen Spitzen bekränzt. Dann auf einmal ward ihm klar, daß dies ein ungeheurer Kopf schien, den er ausgegraben.

Es war ein Antlitz, was dort herabstarrte; es war formlos; doch alles, was zu einem Antlitz gehört, war deutlich erkennbar. Zwei Löcher, in denen schwarze Dunkelheit saß, glotzten blind hernieder; eine gebogene Nase mit scharfem Rücken, besetzt von widerlich silbrigen Protuberanzen, wuchs zwischen ihnen herab. Lehm klebte noch an ihrer Spitze, aber was unter diesen Nüstern quer durch das zerfetzte Metall wuchs, war ein Maul, ein schnappendes Maul von so unerhörter Brutalität, von solchem Ausmaß, daß jede lauernde Maske, in Alpträumen erdacht, zu nichtssagender Puppenunschuld schrumpfte.

Es war ein klaffender Schlund, mit zerfressenen Zähnen besetzt, die gleich unregelmäßigen Hauern wie ein Gestrüpp von metallenen Zacken am Rand emporgezerrter Lippen kranzartig durcheinanderwucherten . . . Was das Widerlichste war: dieses Maul, dieses alles schlingende, schien zu lächeln; – ja, die Spitzen dieser gierigen Höhle schienen emporgezerrt zu satanischem, stillem, unersättlichem Grinsen.

Dieser Dämonenkopf glotzte von dort oben herab, und all das funkelnde, grünliche Licht, das so lebensvoll unter dem Dache spielte, rief nur stumpfen Reflex, den von Eisen und starrer Kälte, auf ihm hervor. Der Ausdruck war so entsetzlich in seiner versteinerten Tierhaftigkeit, daß Harald trotz der feuchten Schwüle sein Blut gefrieren fühlte und an allen Gliedern zitterte.

»Sieh ihn jetzt nicht an. Beuge den Kopf. Ich werde dich stärken.«

Dr. Sze war wieder entschwunden und kehrte mit der selben Flüssigkeit zurück, die Harald schon einmal so wohlgetan.

Er brachte sie an des Knaben erblaßte Lippen, und dieser schlürfte. Als er wieder aufblickte, sah er dort oben ein Stück Eisen hervorlugen, das nichts weiter zu sein schien, als eben das Erwartete, nämlich ein Teilstück des Meteoriten von vielleicht reichlich abenteuerlicher Form.

»Um Gottes willen,« stammelte er, »was war das dort oben?«

Dr. Sze lächelte und sah ihn fast erstaunt an.

»Du erschrickst leicht, mein kleiner Freund«, meinte er plaudernd. »Doch ich gebe zu: es ist eigentümlich, wie seltsam der Durchgang durch die äußerste Luftschicht so ein Stück Eisen aus dem Weltenraum modellieren kann. Da gibt es manchmal fratzenhafte Gebilde . . . Stelle dir vor,« meinte er und beugte sich gemütlich herab, »du hast hier ein Stück Blei. Du schmelzest es und läßt es in kaltes Wasser rinnen. Du erhältst einen Hund oder einen Schlitten oder ein Häuschen oder ein Gesicht, alles, was dein Herz begehrt. Das ist nichts Abnormes, und der Vorgang ist hier der gleiche.«

Harald blickte wieder auf.

»Nein,« schrie er plötzlich, »es kann nicht sein, es lebt schon wieder, das Ding dort oben, es schnappt nach mir. Helfen Sie«, und außer sich, drängte er sich an den Chinesen. »Lassen Sie mich heraus. Ich halte es nicht aus, lassen Sie mich, ich beschwöre Sie!«

»Phantastereien«, murmelte der Asiate. Er legte ihm die kühlen Hände, die welken Kastanienblättern glichen, auf die heiße Stirn und strich ihm leicht mit den Fingern über die geschlossenen Augen.

Sofort verstummte das Schluchzen. Harald richtete sich auf.

Dr. Sze blickte ihn mit etwas erweiterten Augen an. Mit einem Male versank alle Angst, alle Beklemmung, ja alles Gedächtnis an das Frühere wie ein böser Traum.

Erstaunt blickte Harald auf: wie kam er hierher? Wo war er hier? – Nichts beunruhigte ihn mehr. Nur das wußte er, daß er ein Werk zu vollenden hatte, und dieses Werk erschien ihm nicht mehr schwierig. – Er blickte sich suchend um. »Soll ich weitergraben?«

»Wenn du nicht müde bist, so tue es. Wir können uns Zeit lassen. Übrigens hast du so schnell gearbeitet, daß ich sehr zufrieden mit dir bin. Wenn du willst, kannst du dich jetzt damit beschäftigen, die Erde in den Schacht zu werfen. Ich denke, wir räumen sie regelmäßig zwischendurch hinaus, damit wir immer genug Platz haben.«

Harald, ohne ein Wort zu sagen, warf die Hacke weg, ergriff eine der Schaufeln und machte sich an die Arbeit. Als er damit fertig war und sich umsah, hatte die Beschaffenheit des Lichtes in der Halle sich wieder geändert. Das Geflimmer hatte sich in ein breites, ruhiges Glänzen verwandelt. Das war Tag, war Sonnenlicht da oben.

In Klarheit übertraf es das künstliche kaum, so daß man sich immer noch einbilden konnte, es sei Nacht. Doch der Übergang war so zart und unvermutet, daß die Tageszeit gänzlich an Bedeutung verlor . . .

Harald versuchte wiederum nachzugrübeln, wie er hierhergekommen sei; jedoch standen nur wenige Dinge klar in seinem Gedächtnis; hoben sich beleuchtet darin ab inmitten einer Flut nun unerkennbar trüber und gänzlich verdunkelter Dinge. Er dachte an einen Spaziergang, an drei sich rätselhaft folgende Geschehnisse, die mit Blut verknüpft waren; er dachte an seine Begegnung mit dem Chinesen und an eine silberne Vision, die sich zutiefst in sein Hirn gebrannt. Er grübelte, wann und wo er all dieses erlebt. Nichts kam ihm zu Hilfe; und er gab es auf.

Sein Leben schien von nun ab nur mit Erlebnissen verkettet, die auf diesen seltsamen Menschen dort Bezug hatten. Das andere, ach, das andere war so unendlich belanglos, daß das Hirn sich nicht einmal Mühe gab, es in greifbare Bilder umzuschaffen.


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