Willy Seidel
Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Willy Seidel

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Viertes Bild

Die Rückkehr der Violante

Willst du sie nicht aufziehen lassen? – –

Der Freiherr Kaspar von Zachwyl oder schlechthin Kaps (wie wir ihn nannten) schob sein blondes Primanergesicht in den Lichtkreis der abgedämpften Rauchtischlampe. In dieser Beleuchtung fiel mir wieder auf, wie schwach entwickelt sein Kinn war.

»Was? – Wen? . . .«

»Nun, das Ungetüm da hinten«, und ich wies mit der Pfeife in die Ecke. – Er wurde lebendig.

»Du meinst die alte Standuhr dort? – Die ich neulich vom Speicher herunterholen ließ? –«

Er redete schrill und versorgte sich emsig mit einer Zigarette. Immer redete er in dieser etwas atemlosen Art – als sei er im Prinzip äußerst bereit zu jeder Gefälligkeit, müsse aber erklären, schnell noch vor Torschluß, daß er nicht zaubern könne . . . Träger ganz alter Namen haben noch den Tonfall, als hätten sie vom Söller aus Wälder zu verschenken. Diese Geste konnte er sich nun zwar durchaus nicht leisten; immerhin saßen wir im Wohngemach einer leibhaftigen Burg, die (man höre und staune!) das Zachwylsche Wappen ob der Toreinfahrt trug. Und so etwas hat heutzutage den Reiz der Seltenheit.

Ich hatte seine wasserblauen Augen aufglitzern sehen während meiner Frage; nun war er wieder im Schatten des Sessels versunken. Aus diesem hervor quollen ein paar Schichten von Tabakrauch. Dann stieß er hervor:

»Lieber Marbold! Verlang' das nicht. Ich mache am liebsten einen weiten Bogen um das Ding herum . . . Galizenstein ist längst auf dem laufenden. Zweimal war er schon hier und handelte. Gutes Frühbarock sei nun einmal seine Schwäche, und wenn das Ding auch zehnmal an einen Sarg gemahne, – (du siehst das silberne Tödchen im Ziffernblatt? mit der Sense, die mit einem so vertrackt tückischen Schwung als Minutenzeiger herumfahren soll?) – so sei er doch nicht abergläubisch . . . ›Gott soll schützen,‹ waren seine Worte (er schwatzt zuweilen unerträglich) – ›was haben Sie davon, Herr Baron? Es is, wie es dasteht, ane schwarze Blasphemie . . . Ob sie wohl noch anen Pendel hat? Und der Schlüssel – wo is der Schlüssel? – Na, er hat den Schlüssel nicht bekommen. Er hat sich auch nicht gefunden; das Schloß ist eingerostet. ›Sie kaufen doch die Katze nicht im Sack, Galizenstein!‹ sagte ich. – ›Ich gebe das Ding nur her, weil dies Barock sich mit meinem Biedermeier beißt.‹ – ›Machen Se keine Witze, Herr Baron‹, sagt er und senkt sein eines Lid auf Halbmast (das sah ganz abscheulich aus. Sozusagen makabre Schelmerei!) ›vielleicht kauf ich die Katz' doch im Sack; und es is kane schöne Katz' . . .‹ – Hast du schon einen solchen Unsinn gehört?«

»Preisdrückerei, Kaps. – Übrigens kommt's mir vor, als seist auch du abergläubisch.«

Ich war derweilen aufgestanden und zur Uhr hinübergeschlendert. Ich knipste die Deckenbeleuchtung an und betrachtete sie gründlich. Das Tödchen war herrliche italienische Arbeit. Es war schwarz oxydiert; fleckig, als leide es an einer ganz seltenen Seuche, – die ihm ja übrigens nichts schaden konnte. Es mußte nur geputzt werden. Der eine Arm als Stundenzeiger hielt ein Stundenglas, und zwar auf Punkt eins. Der andere mit der Sense reckte sich parallel zu ihm, so daß Sense und Glas sich in der Mitte schnitten. Die anderthalb Meter hohe Uhr hatte edelste Form, sparsamen Girlandenschmuck aus Silber, das Zifferblatt bestand aus Schildpatt, die Zahlen aus gelbem Elfenbein. Das ganze Material war Ebenholz. Ich klopfte an den Pendelkasten; es gab einen hohlen Ton.

»Klopf' mal stärker,« sagte Kaps aus seinem Sessel heraus mit eigentümlich belegter Stimme, – »und halte dann dein Ohr dran.«

»Dann hört man wahrscheinlich das Schlagwerk«, meinte ich. »Es wäre doch amüsant . . . sie aufzuziehen . . .«

Ich klopfte stärker und hielt das Ohr dichter ans Holz. Und nun hörte ich etwas Eigentümliches . . . Ein hohes Sirren wie einen ganz, ganz fernen spitzen, langgezogenen Schrei . . . Womit, zum Teufel, konnte man das vergleichen? Die tremulierende »I«, das sich wie ein trompetender Moskito an meinem Trommelfell rührte? Es schien kein mechanisch hervorgerufener Ton; es schien irgendwie mit einer grausig feinen Qualität geladen; – es vibrierte schwächer, und dann plötzlich – riß es ab.

Ich trat zurück. Etwas hatte da geklungen, das mir Pein verursachte wie ein Nadelstich am Herzen. Ich hielt nochmals das Ohr ans Gehäuse: nun schwoll mir lediglich ein Sausen entgegen; das Sausen des eigenen Blutes. Oder war es das Rauschen der Zeit, das sich in dieser Muschel verfangen hatte wie im Leib eines finsteren Cellos?

»Irgendein altes Zinkenspielwerk steckt dadrin«, meinte ich plaudernd und schlenderte zurück. »Venetianische Arbeit. Sie riecht außerdem ungemein muffig, deine Uhr. Gründlich desinfizieren, Kaps, das wäre das Wahre. Ölen, reinigen, in Betrieb setzen . . .«

»Sonst noch etwas?« fragte er salopp, noch immer mit dieser belegten Stimme. »Übrigens wirst du dich wohl schon gewundert haben, daß ich das Ding, so wie es ist, los sein will. Lache nicht . . . Aber neulich hatte ich eine Art von Erscheinung, die irgendwas mit dem Möbel zu tun hatte.«

»Mit deinem normalen Quantum Portwein?«

»Meinem ganz normalen Bettquantum. Zwei Gläsern. – Doch warte: eh' ich dir's erzähle, muß ich dir was zeigen.«

Er stand auf und winkte mir, ihm zu folgen. Wir überquerten einen Korridor in der Dunkelheit. Dann öffnete er eine Tür und drehte Licht an in einem geräumigen Gemach, in das ich (ich war erst seit gestern geladen) noch nicht getreten war. Es ergoß sich eine taghelle Flut von Licht: vierundzwanzig Mattbirnen an einem schönen Lüster flammten auf. Keine Maus hätte sich in der Beleuchtung verstecken können. Wir standen in einer Art Ahnengalerie . . . Man verzeihe mir diesen Ausdruck! »Ahnengalerie« klingt so sehr romantisch, wie? Doch nachdem ich das »Wappen« in der Toreinfahrt erwähnt habe, muß man mir auch diese letztere Feststellung nicht verdenken . . . Es hingen in Gottes Namen wirklich einige Bilder da, die nachweislich Vorfahren von Kaps vorstellten, von guten Künstlern gemalt. Er führte mich vor ein leicht nachgedunkeltes Gemälde. »Schöne Person, was?« sagte er nicht ohne Selbstgefälligkeit.

»Ahnen vermehren sich in die Vergangenheit hinein wie Kaninchen«, versetzte ich hämisch. »Wann soll sie gelebt haben?«

»Dem Bild nach –« dozierte er unangefochten, »war sie Anno sechzehnhundertzwanzig ungefähr dreißig Jahre alt. Damals gab es natürlich ganze Horden von Ahnfrauen zum Endzweck meiner eigenen kürzlichen Geburt; immerhin ist sie in ziemlich direkter Linie mit mir verknüpft, denn unsere männlichen Vorfahren, soweit sie nicht Eigenbrödler blieben, waren kinderarm; und bei den Weibern schätzten wir das Temperament höher als wirtschaftliche oder Mutter-Meriten. – Ich muß dir gestehen, sie wäre mein Fall, wenn sie aus dem Rahmen stiege . . .«

Ich staunte immer mehr. Die junge Ahne wurde verteufelt lebendig, wenn man sich in ihre schwarzen Augen verlor. Die kurzen Lippen standen etwas geöffnet, als sei sie kurzatmig; ein raffiniert duftig gemalter Spitzenkragen in Mühlsteinform lastete auf ihren zarten Schultern. Der sechsfach gepuffte Ärmel entließ unten wie eine Blume eine gespreizte blasse Hand, die in der Hüfte saß. Ein großer Rubinring glänzte am Mittelfinger. In der anderen Hand hielt sie tändelnd einen roten Fächer. Es war ein kecker weinroter Farbfleck.

»Sieh mal genau über ihre Schulter«, sagte Kaps still.

Ich spähte. Aus der purpurbraunen Dunkelheit des Hintergrundes gruppierte sich langsam aber unabweislich ein silbernes Tödchen . . . auf einem Zifferblatt.

»Die Uhr!!« Ich schrie fast.

»Allerdings«. sagte Kaps sehr stolz.

»Teufel auch . . . Das ist seltsam . . .«

»Nun, seltsam . . .« summte er; es war für ihn anscheinend eine Selbstverständlichkeit. – Wir traten nun vor das nächste Bild; das heißt er zog mich hin.

»Ein nettes Raubtier, was? Hat die Schlacht von Pavia leidlich gesund überlebt; soll aber ein heidenmäßig kurzweiliges Leben geführt haben. Ich hab' über beide Herrschaften in meinen alten Schmökern nachgelesen. Er soff sich zu Tode, dieser Kumpan hier. Vorher hat er aber noch die Dame nebenan, unsere hübsche Freundin mit dem Fächer, stranguliert. Und dann weggeschafft, wer weiß wohin. Ob er das nur zur Unterhaltung tat, oder seine Gründe hatte . . . Ich neige übrigens dazu, ihm Gründe zuzubilligen. Die alte Chronik wispert da einiges. Daß sie ein Luder gewesen sein muß, sieht man ihr ja an . . .«

Ein schwergeharnischter Kondottiere blickte uns entgegen. Er trug blonde Simpelfransen, die knapp über den buschigen Brauen wie gezirkelt abgeschnitten waren. Er trug seinen Helm wie ein Spielzeug in der Hand; die andere Pranke wühlte in den Nieten seines Brustpanzers, dicht oberhalb des schwarzen Lederetuis, das in brutaler Art sein Geschlecht markierte. Seine Lippen waren zum Strich geschlossen.

»Lieber Freund Marbold«, sagte Kaps nach einer Weile, »jetzt kennst du die Bilder. Sie sind ekelhaft gut gemalt und wahrscheinlich ihr Stück Geld wert. Besonders die Violante (so hieß sie) tut es einem an; du weißt, ich bin ein versponnener Bursche . . .« Er ging weiter. Während er das Licht ausdrehte und wir über den Korridor wieder dem Wohngemach zustrebten, hörte ich seine eintönige Stimme fortfahren: »– und da setzt sich dann manchmal etwas fest . . . Kurz und gut –« Wir saßen wieder, und diesmal leistete eine große Karaffe Portwein uns Gesellschaft. »– Ich bin ganz froh, daß du da bist. Denn ehem, ich wollte doch erzählen . . .« Er nahm einen Schluck und schloß die Augen. »Ich bin so verdammt allein zuweilen. Da sitze ich neulich hier, wo ich jetzt sitze, und blicke, ohne was zu denken, nach der Uhr . . . und auf einmal fällt mir ein, sie ist ja auch auf dem Bild. Und wie ich das denke, steht sie vor der Uhr, genau wie auf dem Bild . . . verdeckt den unteren Teil, steht da – buchstäblich . . . verdammt, ich lüge nicht! Blickt mich an.« Er war ganz blaß.

»Sehr erklärlich, Kaps«, meinte ich fröhlich. »Dein Portwein übrigens . . . Woher beziehst du den?«

»Ach, von Lavery . . . Glaubst du wirklich, der Portwein . . .?«

Ich fühlte mich immer behaglicher, ohne zunächst zu bemerken, daß ihm immer unbehaglicher wurde. Erst als er sich wieder im Sessel vorbeugte mit seinem tieferblaßten Primanergesicht, das sich vor einer Prüfung ängstigte, wurde ich etwas aufmerksamer. Sollte er am Ende nicht ganz . . . Wie?

»Na, Alter,« sagte ich bieder, »und machtest du ihr den Hof?«

»Ging nicht«, sagte er dozierend mit gerunzelter Stirn und ganz ernst. »Ich dachte zuerst, sie lächele mit offenem Mund . . . Aber dann kam ich dahinter, daß sie – keine Luft bekam! Oder vielmehr: daß die Luft ihr ausging; sozusagen aus ihr . . . herauspfiff . . .« Er sah mich mit aufgerissenen Augen an. Die Sache wurde mir allmählich zu bunt.

»Hast du nicht –« fuhr er mit zitternden Lippen fort, »den Ton gehört, als du an der Uhr lauschtest, wie? Zinkenspielwerk, meinst du? Doch du weißt selbst, das war ein feiner Schrei, ein langer, qualvoller Schrei! Siehst du! – Ich konnte ihr nicht den Hof machen . . . aus diesem Grunde!«

»Und dann?« Ich wurde selbst leicht erregt. Fand er nicht für mein eigenes Empfinden ein richtiges Wort? »Und was passierte dann? Was glaubtest du zu sehen?«

»Sie wurde langsam in die Uhr (wie soll ich sagen?) hinein gesogen . . . Sie verblaßte langsam in die schwarze Uhr hinein . . . Natürlich –« und er sank ächzend in den Stuhl zurück, nachdem er gierig ein ganzes Glas hinabgeschüttet – »natürlich sind das meine Nerven. Aber du begreifst jetzt, warum ich die Uhr los sein will.«

Eine Pause folgte. Ich hatte meinen Gleichmut wiedergefunden; er hatte gesprochen wie auf der Bühne; doch weil er sonst ein so nüchterner Knabe war, hatte diese Tatsache mich leicht verwirrt. Jetzt aber rumorte der wirklich ausgezeichnete Portwein mir in den Adern; Unternehmungslust rührte sich.

»Du sagst also selbst, daß du halluziniertest. Lieber Kaps, wir wollen es doch bei der Wurzel packen. Es wäre wirklich schade, das kostbare Familienstück an einen Trödler zu verschleudern. Weißt du was? Wir beseitigen deinen Komplex, indem wir dir dessen schale Nichtigkeit demonstrieren . . .« Ich lachte laut.

Er fuhr empor. »Was?«

»Wir öffnen den Kasten und gucken hinein . . . Drehen das Spielwerk an . . .«

Noch seh' ich sein Gesicht vor mir, voll äußersten Grauens . . .

»Nein, nein, nein!«

»Bist du ein erwachsener Mensch, oder bist du es nicht? Laß dich doch nicht auslachen!«

Er schien sich leicht zu schämen. »In Gottes Namen,« flüsterte er. »Aber du mußt es machen; du allein. Weißt du, ich bin ein Idiot; aber ich rühre das Ding nicht an . . . Ich weiß ja, es ist alles Unsinn . . .«

Schon hatte ich mein Taschenmesser, das ein reichhaltiges Besteck aufwies, hervorgezogen und war zur Uhr hinübergegangen. Ich drehte die Deckenbeleuchtung an; das Zimmer war hell. Zunächst versuchte ich es mit einer Nagelfeile, dann mit dem Knopfhaken. Mir war fröhlich und unbekümmert zumute. Ich pfiff vor mich hin, schabte, drehte und bohrte in dem alten rostigen Schloß. Und auf einmal sprang die Tür auf.

Es war, als werde sie aufgedrückt.

Ein Gegenstand rollte aus dem Ritz hervor, ein metallisch klingender kleiner Gegenstand. Es war ein Fingerring mit einem Rubin.

Tiefes Röcheln kam von Kaps.

Sein Glas fiel klirrend aufs Parkett.

Ich weiß nicht, ob ich die Folge der sich überstürzenden Geschehnisse richtig einhalte: ob er sofort ohnmächtig wurde, als er den Ring sah, oder ob das ein paar Sekunden später geschah, als er das übrige sah . . . Jedenfalls war es ein Durcheinander.

Denn nun folgte, während die Tür sich weiter auftat, ein roter Damastfächer, zerfranst und zerfressen . . . Immer hin kenntlich.

– – – Und nun machte die Urahne uns ihre Verbeugung. Sie neigte sich zeremoniell. Es war, als versuche sie, einen Schritt in den hellen Raum zu tun, jedoch war sie nicht mehr gut genug zu Fuß; sie sackte langsam zusammen in einem Haufen von alter Seide, muffiger Watte und bröckelnden Spitzen. Sie brachte es jedenfalls fertig, ihren Schädel in Bewegung zu setzen; er rollte klappernd in der Richtung des Ringes und verlor unterwegs einige Zähne.

Ich war zu verblüfft, um ihn aufzuhalten.

Aber gottlob erlebte Kaps die schauderhafte Annäherung seiner Ahne nicht mehr bei klarem Verstand.


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