Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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2. Es kommt noch mehr Besuch

Ich will einen hohen Preis aussetzen für den, der mir ein Dienstmädchen nachweisen kann, das einen Vetter hat, und bin überzeugt, daß ich mein Geld behalten werde. Einen »Cousin« dagegen haben sie alle ohne Ausnahme und sollten sie ihn aus der Erde graben. Diese liebliche verwandtschaftliche Beziehung dient ihnen gern zur Entschuldigung, wenn sie in einem vertraulichen Umgang mit männlichen Wesen getroffen werden, und ist natürlich sehr geeignet, die Herrschaft zu entwaffnen, denn wer wollte wohl ein solcher Barbar sein, mit rauher Hand in den Verband einer Familie zu greifen und nahe Verwandte am Verkehr miteinander zu hindern. Unter Umständen aber tritt für den Cousin auch der »Landsmann« ein, der von ihnen ebenfalls wie eine Art Verwandter, etwa im Sinn der schottischen Clanschaft, betrachtet wird. Lotte war merkwürdigerweise schon über zwei Jahre bei uns und hatte sich noch immer sowohl ohne Cousin als auch ohne Landsmann beholfen, als Frieda einmal gegen Abend ganz blaß aus der Küche kam und zu mir sagte: »Du, ich habe mich sehr erschrocken, denn eben als ich in die Küche kam, war bei Lotte ein Mann. Sie hatten mich wohl nicht gehört, weil ich auf Hausschuhen ging, und als ich plötzlich in die Küche trat, da war es mir, als führen sie auseinander. Lotte war hochrot und tat, als ob der Mann gar nicht da wäre, und klapperte mit den Ringen auf dem Feuerherd, obgleich es heute abend gar nichts zu kochen gibt. Der Mann aber stand da und wußte nicht, wo er mit seinen Händen und seinen Augen bleiben sollte, und tat ebenfalls, als ob er gar nicht da wäre. Und in der ganzen Küche roch es nach Pferden. Ich war so erschrocken, daß ich gar nicht wußte, was ich sagen sollte, und nahm nur schnell ein Sahnetöpfchen, als sei ich darum gekommen, und ging wieder hinaus. – Was macht man nun dabei? Es geht doch nicht, daß fremde Männer Lotte in der Küche besuchen.«

»Die noch dazu nach Pferden riechen«, sagte ich.

»Ach scherze doch nicht«, erwiderte Frieda, »es ist mir sehr ernst.«

»Na, ich will mal hingehen«, sagte ich.

»Aber werde nur nicht so heftig«, bat sie. »Sieh mal, du bist ja sonst immer so ruhig, aber wenn du außergewöhnlicherweise mal aus dir herausgehst, dann wirst du gleich so furchtbar wild.«

»Sei nur ohne Sorge«, sagte ich, »ich will sein wie ein Lamm, aber wie ein energisches Lamm.«

Als ich in die Küche kam, befand sich der Mann dort nicht mehr, und Lotte putzte mit verzehrendem Eifer irgendein Geschirr.

»Lotte«, sagte ich, »was hatten Sie eben für Besuch?«

»Das war ja man bloß mein Landsmann«, sagte sie und hörte auf zu scheuern, denn arbeiten und zugleich sprechen, das überschritt ihre geistige Befähigung. Dann fuhr sie mit einer gewissen Entschlossenheit fort, indem sie zwischendurch immer ein Stückchen putzte: »Er is mit mich aus ein Dorf. – Er kennt mir schon lang'. – Wir sind zusammen eingesegnet. – Er is bei die Anibusgesellschaft bei die Ferde. – Er verdient sich sein schönes Lohn.«

»Ja«, sagte ich, »das ist alles ganz gut, aber Sie wissen doch, was wir gleich zu Anfang ausgemacht haben, daß Sie Bräutigambesuch in der Küche nicht haben dürfen.«

Nun fing sie aber an ganz mächtig zu kichern und rief: »Er is ja gar nich mein Bräutigam, er is ja bloß mein Landsmann.«

Da ich nun auf diese feinen Unterschiede nicht eingearbeitet war, so beruhigte ich mich dabei, und es ward nun ausgemacht, daß ein fernerer Austausch heimatlicher Erinnerungen und landsmannschaftlicher Gefühle abends nach getaner Arbeit und nach vorher eingeholter Erlaubnis vor der Haustüre stattzufinden habe, und somit ward diese Angelegenheit zu allgemeiner Zufriedenheit erledigt.

Wir sahen denn die beiden später auch manchmal um die Zeit der Abendröte in spärlicher Unterhaltung nebeneinander wandeln oder zusammen vor der Haustüre stehen. Da diese sich neben meinem kleinen Zimmer befand, so fing ich bei geöffnetem Fenster zuweilen drollige Bruchstücke ihrer Gespräche auf. Einmal unterhielten sie sich über die Titel des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin. »Ja«, hörte ich Lotte sagen, »unser Großherzog hat auch szu un szu viele Titels.«

»Wie heißen sie doch man all noch?« fragte der Pferdemensch, »Großherzog von Mäkelburg, Fürst zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg, auch Graf zu Schwerin, der Lande Rostock und Stargard Herr... ich krieg's gar nich all mehr zusammen, es is noch 'n ganz Teil mehr.«

»Wo Sie das all auswendig wissen!« sagte Lotte bewundernd.

»Ja«, fuhr der Pferdemensch fort, »un nu könnt' er sich ja noch mehr Nams geben nach seine Güter un was ihn sonst noch gehört. Er könnt' sich ja noch nennen: Herr zu Ludwigslust und Herr von Raben-Steinfeld un so. Aber das tut er nich, das is ihn viel zu klein.« Das Gespräch ward für eine Weile durch das Rollen eines Wagens übertönt und deshalb verlor ich den Übergang zu der nächsten Unterhaltung, die sich, wie es schien, um gesalzene Heringe drehte. Denn ich hörte nur noch, wie der Landsmann den großartigen Ausspruch tat: »Ja, das muß ich nu sagen, so 'n rechten schönen weichen Matjeshering, der is mich viel lieber as 'n schlechten.« Nun waren aber die beiden guten Leute beim Essen angelangt, eine Unterhaltung, bei der jedem echten Mecklenburger ganz besonders das Herz aufgeht, und damit kamen sie in flottes Fahrwasser und steuerten alsbald auf die Gans los.

Als mein Freund Bornemann einmal gefragt wurde, welcher Vogel den größten poetischen Reiz auf ihn ausübe, antwortete er ohne Zögern: »Die Bratgans.« Ähnlichen Anschauungen huldigten auch Lotte und der Landsmann. Sie sprachen von diesem Vogel mit Hochachtung, Sachkenntnis und Liebe und zeigten sich wohl bewandert in den verschiedenen Formen seiner Zubereitung. Als sie aber auf das heimatliche Schwarzsauer kamen, nahmen ihre Stimmen einen elegischen Klang an und ich merkte, es war ihnen zumute wie dem Schweizer, wenn er in der Fremde das Alphorn hört. »Ja, hier kennen sie das nich«, sagte Lotte in mitleidigem Ton, »un all so 'n schönes Essent, als wie Apfel un Getoffel un rote Grütz' un Mehlgrütz' un Mehlbutter un Musgetoffel mit Buttermilch un all so was, das kennen sie hier auch nich.«

»Ja, in Mäkelburg is 's schön«, sagte nun der Landsmann elegisch, »un was 'n richtigen Mäkelbürger is, der wird's in die Frömde nie recht an.«

»Jawoll«, erwiderte Lotte, »das muß ich Beifall geben. Un was ich sonst noch sagen wollt, nu denken Sie sich bloß mal an: Was hier in 'n Keller den Schuster seine Frau is, die is aus Dräsen, un die hat mich erzählt, in Sachsen da füllen sie die Gäns' mit Beifuß. Haben Sie woll so was mal gehört?«

»Ne, wo is 's einmal möglich?« rief der Landsmann, und die unglaubliche Tatsache, daß man für diesen Zweck anstatt der uralt geheiligten Äpfel und Backpflaumen ein bitteres Unkraut nehmen könne, das an Feldwegen wächst, mußte unendlich viel Komisches für die beiden haben, denn sie brachen in ein anhaltendes Lachduett aus.

Derartig harmloser Art waren die Unterhaltungen dieser beiden Landsleute und da auch der Pferdemensch uns in seinem Wesen sehr wenig von einem Don Juan zu haben schien, so sahen wir diesem Verkehr bald mit Beruhigung zu.

Als unser Wolfgang schon bald zwei Jahre alt war und fleißig auf seinen kleinen Beinchen im Hause herumpuddelte, kam plötzlich wieder Besuch, und zwar diesmal in Gestalt eines lieblichen Fräuleins, das ebenfalls nach Aussage aller weiblichen Wesen übermenschlich schön und »ganz die Mutter« war. Hühnchen ließ sich durch dieses Ereignis sogar zu Versen hinreißen, die lauteten:

»Welch wundervolles Märchen!
Hurra, hurra! Ein Pärchen!«

In der Taufe sollte dieses kleine Mädchen den Namen Helene erhalten und zu dieser feierlichen Handlung hatten wir außer anderen auch Tante Lieschen eingeladen, eine alte Dame, die früher eine kleine Stellung im großherzoglichen Schloß zu Schwerin innegehabt hatte und nun von ihrer Pension und den Zinsen eines kleinen Vermögens in derselben Stadt ganz behaglich lebte. Es hatte sie einen großen Entschluß gekostet, die Reise nach Berlin anzutreten, einem Ort, den sie sich vorzugsweise von Mördern, Dieben, Einbrechern, Bauernfängern, Falschmünzern, Betrügern und Angehörigen ähnlicher interessanter Geschäftszweige bewohnt dachte, die nur darauf lauerten, sie sofort beim Betreten dieses Gomorras um das Ihrige zu bringen. »Mein lieber Neffe«, hatte sie geschrieben, »hole mich doch ja vom Bahnhof ab, ich sterbe sonst vor Angst, wenn du nicht da bist.« Nun, ich fand mich auch zur rechten Zeit dort ein und hatte das Glück, gerade neben dem Wagen zu stehen, wo von rückwärts etwas sehr bekanntes, eingemummeltes Weibliches, in der einen Hand eine Reisetasche, in der anderen einen Pompadour, hinausstieg. Ich nahm ihr leise, ohne ein Wort zu sagen, die Reisetasche aus der Hand und sah im nächsten Augenblick in ein von Angst versteinertes Gesicht. Doch ihre Züge verklärten sich, als sie mich erkannte, und sie rief: »Gott sei Dank, du bist es! Gott sei Dank! Ich dacht', es ging' schon los.«

Dann als wir mit dem Strom der Menschen dem Ausgang und der Gepäckausgabe zustrebten, fielen ihre Augen auf eine Tafel, auf der stand: »Vor Taschendieben wird gewarnt!«

»O wie schrecklich, wie schrecklich!« flüsterte Tante Lieschen: »Sieh mal, was da steht! Und ich habe über hundert Mark bei mir. Wo ist denn mein Portemonnaie? Gott sei Dank, ich hab' es ja noch!«

Dann blickte sie sich scheu um und flüsterte mir wieder zu: »Du, hinter uns geht einer, der hat solche Diebsaugen.«

»Liebe Tante«, sagte ich, »das ist ein harmloser Arbeiter, Taschendiebe sehen vornehmer aus.« Ich setzte sie nun in eine Droschke und ließ sie zu ihrem Entsetzen allein, um das Gepäck zu besorgen. Der Zug war stark besetzt gewesen, und es dauerte etwas lange, bis ich mit einem Gepäckträger und dem stattlichen Korb zu dem Wagen zurückkehrte. Sie hatte unterdessen sichtlich wieder entsetzliche Angst ausgestanden und ihr Gesicht klärte sich sehr auf, als sie sich wieder unter meinem Schutze befand.

»Du, dem Kutscher trau' ich nicht, er sieht so veniensch aus!« sagte sie. »Wenn er uns nur richtig fährt. Und denk' mal, unterwegs bin ich, weil das Damencoupé besetzt war, ›für Nichtraucher‹ gefahren, mit drei Männern zusammen, die waren ganz gewiß Bauernfänger. Denn, stelle dir nur vor, sie spielten Karten. Es war gewiß das fürchterliche ›Kümmelblättchen‹, denn sie brauchten ganz schreckliche Ausdrücke dabei, wie zum Beispiel ›der grüne Junge‹ und der ›rote Junge‹, und ›Null auf'n Bauch‹, und sprachen eine Art Gaunersprache, wovon ich kein Wort verstand. Denk' dir meine Angst. Wenn sie mich nun aufgefordert hätten zum Mitspielen, was hätt' ich da machen sollen?«

Ich lachte laut auf. »Aber, Tantchen«, sagte ich, »das waren drei harmlose Philister, die Skat spielten.«

Tante Lieschen war aber schon wieder auf neue Angstgedanken gekommen. »Du«, sagte sie, »der Kutscher fährt und fährt und biegt in immer neue Straßen ein, paßt du denn auch auf, wo er uns hinfährt? Wenn er nun... o du mein Schöpfer, wo ist meine Handtasche?« – »Hier, Tantchen, es ist ja alles da!«

Wir kamen nach Hause zu einer früheren Zeit, als man uns erwartet hatte, und als ich die Tür aufschloß, fand ich inwendig die Kette vorgehängt. Klingeln konnte ich nicht, weil dieser Mechanismus, einer Lieblingsgewohnheit von ihm folgend, einmal wieder nicht in Ordnung war, und auf mein Klopfen ward mir nicht aufgetan. Pauline, das neue Kindermädchen, war mit Wolfgang nach den Schöneberger Wiesen, Frieda von notwendigen Besorgungen noch nicht zurückgekehrt, und Lotte konnte dies Klopfen, wenn sie sich hinten in ihren Regionen befand, nicht hören. Die vorgehängte Kette und die Schwierigkeiten, in die Wohnung zu kommen, beunruhigten Tante Lieschen sehr. »Ach, da sieht man ja, wie ihr euch einschließen und einriegeln und einketten müßt!« jammerte sie. »Bei uns in Schwerin ist das nicht nötig. Wenn ich da ausgehen will, da schließe ich zu und hänge den Schlüssel auf die Türangel. Dann weiß jeder, der mich besuchen will, daß ich nicht zu Hause bin, und Diebe gibt's da nicht.«

Wir mußten uns zur Hintertür der Wohnung begeben und als wir über den Hof gingen, sah ich Lottes Kopf am Fenster des Fremdenzimmers. Sie lugte, durch das Geräusch unserer Schritte aufmerksam gemacht, dort aus und kam dann, wie es mir schien, mit sehr rotem Kopfe und einer seltsamen Verwirrung, um uns die Hintertür zu öffnen. Ich schickte sie fort, damit sie den Reisekorb von der Droschke hole, und als Tante Lieschen und ich dann bei dem kleinen Fremdenzimmer vorbeikamen, führte ich sie hinein und überließ sie dort eine Weile sich selber.

Schrecken über Schrecken stürzten auf die arme Tante ein, seit sie den Fuß in das fürchterliche Berlin gesetzt hatte, und die zufällige Zukettung der Tür war ein wichtiges Glied zu einer Verkettung von Umständen, wie sie bei der Gemütsart von Tante Lieschen nicht schrecklicher ausgedacht werden konnte. Denn kaum war sie kurze Zeit in dem kleinen Zimmer gewesen, als sich Fürchterliches ereignete. Sie hatte ihre Reisebekleidung abgelegt und ordentlicherweise wollte sie diese gleich in den Kleiderschrank hängen. Als sie aber die Tür dieses Möbels öffnete, stand darin – o Grauen und Entsetzen – ein Mann, ein Mann, der, wie sie auf den ersten Blick hätte sehen müssen, fast noch mehr Angst hatte als sie, der an allen Gliedern zitterte und vor entsetzlicher Verlegenheit nicht vermochte, den Mund aufzutun. Dafür aber hatte Tante Lieschen kein Auge. Sie sah nur, daß es wirklich so zuging in dem entsetzlichen Berlin, wie sie es sich gedacht hatte, und daß der erste Schrank, den sie öffnete, gleich einen schauderhaften Einbrecher enthielt. Sie war so entsetzt, daß sie nicht einmal einen Schrei auszustoßen vermochte. Aber sie nahm sich zusammen, denn hier, so sagte sie sich, ging es ums Leben. Mit zitternder Hand grub sie ihr Portemonnaie hervor und hielt es dem entsetzlichen Mann entgegen. »Nehmen Sie, nehmen Sie, lieber Herr Einbrecher, und schonen Sie mein Leben. Es ist alles, was ich habe!«

»Ich bin ja man bloß der Landsmann von das Mädchen«, stotterte der vermeintliche Einbrecher, »von die Lotte. Die Herrschaften haben uns ja übergerascht und da hab' ich mir in das Schrank verstochen. Ach, verraten Sie mir nich un lassen Sie mir gehn.«

»Nehmen Sie alles, nehmen Sie meine Reisetasche, aber gehn Sie doch!« jammerte Tante Lieschen, die in ihrer Aufregung und Angst gar nicht verstand, was der Mann sagte.

»Ach, verraten Sie mir nich un lassen Sie mir doch gehn!« wimmerte der Landsmann wieder in seiner Angst, und so lamentierten sie eine Weile in gegenseitiger Furcht gegeneinander an. Die Tür des geöffneten Schrankes verdeckte nämlich zum Teil den Ausgang des engen Zimmers und in der Lücke stand die zitternde Tante, die nicht zu fliehen wagte, aus Furcht, sowie sie den Rücken wendete, den Mordstahl im Nacken zu haben. So konnte der unglückselige Landsmann nicht hinaus, ohne meine Tante beiseite zu schieben, und das wagte er nicht. Nun aber kam ein Umstand hinzu, der ihn alle Rücksicht vergessen ließ, denn ich war aufmerksam geworden auf die seltsamen jammernden Stimmen, die sich dort vernehmen ließen, und das Geräusch meiner nahenden Schritte brachte den Landsmann zur Verzweiflung. Er faßte einen furchtbaren Entschluß, stürzte aus dem Schrank hervor, schob meine Tante zur Seite auf einen Stuhl und entfloh. Ich hörte einen furchtbaren gellenden Schrei und dann das Geräusch polternder Schritte über den Korridor nach der Küche hin, und als ich nun schnell hinausstürzte, fand ich die gute Tante bleich und zitternd in einer entsetzlichen Verfassung.

»Ist er fort?« flüsterte sie fast tonlos.

»Wer?« fragte ich.

»Der Räuber, der Einbrecher, der schreckliche Mörder!« wimmerte sie. »Er fuhr auf mich los und wollte mich umbringen. Er machte Augen wie ein Tiger!«

Ich wollte zur Küche eilen, doch Tante Lieschen schrie: »O Gott, er läßt mich allein!« Sie klammerte sich krampfhaft an meinen Arm und ich mußte sie mitnehmen. In der Küche fand ich Lotte mit schlotternden Knien, bleich und von Tränen überströmt.

»Herr du meines«, jammerte sie, »es war ja doch man bloß mein Landsmann. Er bimmelte an die Küchentür un wollte mich bloß mal was sagen, un indem daß ich keine Zeit hätte, indem daß ich doch die Fremdenstub' zurechtmachen müßt', da hab' ich ihn gesagt, er sollt' man 'ne Momang bei mich reinkommen. Un da is gleich der Herr übern Hof gekommen un da verfehrte ich mir ganz fürchterlich, indem daß der Herr das doch verboten hätte, un in mein Angst un meine Biesternis verstach ich ihm in das Schrank!« Die letzten Worte brachte sie nur noch mühsam hervor und brach dann in ein schluchzendes Geheul aus.


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