Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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Als ich um sieben Uhr kam, ihn abzuholen, hatte er sich bereits fertiggemacht, und wir begaben uns gemeinschaftlich zu seiner Wohnung, die in der Gartenstraße gelegen war. Unterwegs machte er einige Einkäufe, erstand in einem Keller nach sorgfältiger Auswahl zwei silberblanke Heringe und holte sich aus einem Gemüseladen eine Handvoll Zwiebeln. Er zeigte sie mir und sagte: »Als ich das erstemal in Berlin Zwiebeln kaufte, bekam ich nicht so viele. Ich war damals noch nicht lange hier und ging in den Keller und forderte etwas zaghaft für sechs Pfennige Zwiebeln. Die Frau sah eine Weile nachdenklich aus, dann nickte sie, weil sie wohl dahinterkam, was ich eigentlich wollte, und hatte unterdes auch wohl festgestellt, daß ich nicht von hier wäre. Ich bekam zwei kleine Dingerchen, die kaum zu sehen waren. Im Lauf der Zeit bin ich nun dahinter gekommen, wie man Zwiebeln kaufen muß. Jetzt gehe ich kühn und zuversichtlich in den Keller und fordere mit starker Stimme: ›Forn Sechser Bollen!‹ Sehen Sie, dann gibt's so viele!« schloß er und schaute mit wahrhaft mephistophelischem Grinsen auf seine gefüllte Hand.

Er wohnte in der Gartenstraße in einem häßlichen Haus. Die schmutzige Treppe und der Geruch nach aufgewärmtem Kohl, der dort herrschte, erweckten keine besonderen Erwartungen, um desto größer war meine Überraschung, als ich in sein sauberes und freundliches Wohnzimmer trat, das zwar einfach, aber nett und sehr reichlich mit Möbeln ausgestattet war. An den Fenstern standen schöne Blumen; es sah bei ihm so ordentlich und sauber aus wie bei einer alten Jungfer. Die Wohnung bestand aus zwei Zimmern, einem Kämmerchen und einer vollständig eingerichteten Küche, in die wir uns jetzt begaben. Meine Überraschung wuchs, denn ich hatte ihm nie mehr als das gewohnte etwas unwirtliche Chambregarniezimmer zugetraut. Und in dieser Küche fehlte nichts, was in eine zwar einfach, aber ordentlich eingerichtete Küche gehört. Das nötige Geschirr hing an den Wänden oder blinkte durch die Glasfenster des Küchenschrankes, und alles war sauber und ordentlich gehalten.

Der alte Gram zog sich seinen Hausrock an und band eine mächtige Küchenschürze vor. Sodann machte er sehr geschickt Feuer auf dem Herd, und ehe er begann die Kartoffeln zu waschen, von denen ein kleiner Vorrat vorhanden war, holte er ein weißgescheuertes Brett von der Wand, aus dem Küchenschrank ein Messer und aus der Speisekammer ein Stück Speck, legte alles auf den Küchentisch zu den Zwiebeln und fragte: »Würden Sie sich wohl getrauen, diesen Speck in viertelzöllige Würfel und diese Zwiebeln in feine Löckchen zu zerschneiden?«

»O natürlich«, sagte ich sehr zuversichtlich, »ich koche selbst und mache mir fast jeden Abend meine Karbonade oder mein Beefsteak.«

»Ei, ei, sehr interessant«, sagte er, »wie machen Sie denn das Beefsteak? Vielleicht kann man da noch etwas lernen. Es gibt verschiedene Methoden.«

»Zunächst«, antwortete ich, »kaufe ich mir ein halbes Pfund Schabefleisch.«

»Üppig, üppig!«, meinte er, »anderthalb Viertel ist schon sehr reichlich.«

»Sodann lege ich dies Fleisch zu Hause auf ein Blatt weißes, starkes Papier und halte es gegen den Ofen.«

»Warum gegen den Ofen?« fragte er höchst verwundert.

»Nun, auf dem Tische bauzt es so, daß man es im ganzen Hause hören kann, denn nun nehme ich meinen Stiefelknecht und wamse das Fleisch so furchtbar durch, daß es nur noch in den Fetzen zusammenhängt. Das schadet nichts, denn in der Pfanne zieht sich alles wieder zusammen.«

»Das stimmt«, sagte er befriedigt, »aber was den Stiefelknecht betrifft – Stiefelknecht ist gut!« Und er grinste vor Vergnügen wahrhaft teuflisch.

»Ich benutze ihn nur zu diesem Zwecke«, sagte ich entschuldigend; »zum Stiefelausziehen habe ich einen anderen. Sodann salze ich das Fleisch und mache auf meinem Spiritusschnellkocher in einer kleinen Weißblechpfanne wenig Butter braun, so braun, daß sie nicht im geringsten mehr schreit, sondern ganz mausestill ist. Denn das Beefsteak soll nicht schmoren, sondern braten, und so muß erst alles Wasser heraus aus der Butter. Dann bekommt nämlich das Fleisch einen so mordsmäßigen Schreck, wenn ich es nun plötzlich in das heiße Fett lege, daß es sich sofort mit einer Haut überzieht, die den Saft nicht auslaufen läßt.«

Der alte Gram nickte sehr wohlwollend zu der Fülle meiner Kenntnisse.

Ich aber fuhr fort: »Ist es nun auf der einen Seite gut, dann hebe ich es eine Weile heraus, bis die Butter zum zweitenmal still wird, und nun kommt die andere Seite dran. Ist auch diese gut, lege ich das Beefsteak auf einen Teller, und nun mache ich etwas mehr Butter braun als das erstemal. Da hinein kommen die Zwiebeln, die ich schön braun brate. Diese Sauce muß so heiß werden, daß das Beefsteak schreit, wenn sie drüber gegossen wird. Dieses sieht dann, mit krausen Zwiebellöckchen bedeckt, schön dunkel, glänzend und appetitlich aus und nicht blaß und hellgrau, in ausgetretenem Safte schwimmend, wie Dilettanten es zurechtzuschmoren pflegen.«

»Alle Achtung«, sagte der alte Gram und legte die Hand militärisch an seine Schläfe, »Sie dürfen heute Speckstippe machen.«

Unterdes war er nicht müßig gewesen, hatte seine Kartoffeln gewaschen und aufgesetzt, und nun machte er sich im Wohnzimmer zu schaffen, während ich mich meiner angewiesenen Arbeit mit großer Hingebung widmete und wahrhaft ideale Speckwürfel und Zwiebellöckchen zustande brachte. Als er nun seine Kartoffeln gekocht, das Wasser abgegossen und sie zum Abdampfen auf den warmen Herd gestellt hatte, brachte ich dann auch eine Speckstippe zustande, die die Küche mit einem wahrhaft bezaubernden Duft erfüllte und den alten Gram, der gerade wieder aus dem Wohnzimmer kam, zu lüsternem Schnuppern verführte.

Wir trugen auf. Der alte Gram hatte sauber den Tisch gedeckt und es sah wirklich nicht aus wie in einer Junggesellenwirtschaft. Als nun von den Kartoffeln nur noch ein Haufen Pellen, von den Heringen ein paar traurige Gräten und von der bewundernswürdigen Speckstippe gar nichts mehr da war, sagte der Gastgeber: »Ich könnte nun wohl von der Tochter meiner Aufwärterin, die hier auf demselben Flur wohnt, ein paar Flaschen Bier herumholen lassen, aber es war heut' ein kühler Tag und der Regen klatscht schon wieder an die Fenster. Ich denke, wir machen uns ein Grögchen!«

Ich hatte nichts dagegen, obwohl wir Anfang Juli hatten, denn ich stammte aus einer Gegend in der Nähe des Seestrandes, wo man den »ostpreußischen Maitrank« auch im Sommer fleißig genießt, und wo man die Geschichte erzählt, daß ein bei solchem Anblick erstaunter Fremdling auf seine Frage: »Aber Leute, was trinkt ihr denn im Winter?« die Antwort erhalten habe: »Viel Grog!«

Das erwärmende und belebende Getränk machte meinen Wirt noch mitteilsamer, als er heute schon war. Beim zweiten Glas merkte ich, daß er sich mit dem Gedanken trug, mir etwas anzuvertrauen, allein er kam nicht hinaus über die Anfänge und Andeutungen, die ich nicht verstand. Endlich schien er Mut zu fassen, sah mich eine Weile forschend an und sagte dann: »Ist es Ihnen nicht aufgefallen, wie vollständig eingerichtet ich bin?«

»Jawohl«, antwortete ich, »eine förmliche kleine Aussteuer«.

»Ja, Aussteuer, das ist das richtige Wort, und Sie haben noch nicht alles gesehen.« Damit öffnete er die Tür zu seinem geräumigen Schlafzimmer und ließ mich hineinschauen. Ich sah dort in der beginnenden Abenddämmerung eine gute und vollständige Einrichtung für zwei Personen. Das andere Bett stand an der Wand dem seinen gegenüber, war hoch mit überzähligen Kissen bepackt und mit einem Laken zugedeckt, das sorgfältig an den Seiten eingestopft war.

»Wohl für Logierbesuch«, sagte ich, indem ich auf das zweite Bett deutete.

»Logierbesuch?« fragte er verwundert. »Ich habe nie Logierbesuch. Sie wissen übrigens doch, daß ich verlobt bin?«

Ich hatte allerdings gehört, daß er damit geneckt wurde. Es gab öde Spötter, die behaupteten, er heirate nur nicht, weil es zu teuer sei, nach dem Muster jenes Geizhalses, der aus Angst vor den Begräbniskosten nicht sterben konnte und uralt wurde.

»Ah so«, sagte ich, »dann steht die Hochzeit wohl bald bevor und dies ist die Aussteuer Ihrer Braut?«

»Es ist meine Aussteuer«, sagte er fast mit etwas stolzer Betonung, »und wann die Hochzeit sein wird, das weiß Gott. Es ist ein Hindernis da. – Der Alte will nicht. – Wir warten –«, schloß er resigniert.

»Ihre Braut ist doch mündig?« fragte ich.

Er mußte unwillkürlich lächeln. »Ja mündig ist sie wohl, aber wo denken Sie hin. Ohne den Willen des Vaters? Dabei ist kein Segen.«

Wir waren in das Wohnzimmer zurückgekehrt und setzten uns wieder. Es dunkelte, der Regen prickelte ans Fenster und auf dem Tisch sang leise der Wasserkessel über einer kleinen Spiritusflamme. Die Dämmerung schien ihm Mut zu machen, er rückte ein paarmal auf seinem Stuhl hin und her und begann dann:

»Sie sind mein Landsmann. Sie sind nicht wie die anderen und lachen nicht immer über Dinge, die einem gar nicht lächerlich sind. Es mag wohl sein, daß den Leuten manches an mir schnurrig erscheint. Aber ich bin von Jugend auf allein meinen Weg gegangen und niemand hat mir beigestanden. Andere können sich wehren, aber das ist mir nicht gegeben. Wenn ich harte Worte höre oder häßliches Gelächter, so macht es mich stumm und traurig, und ich habe ein Gefühl, als ob ich mich verkriechen möchte. Aber wenn man auch jahrelang in der Einsamkeit hinlebt und sich daran gewöhnt, als ob es nicht anders sein könnte, so bleibt einem doch immer die Sehnsucht, sich einmal auszusprechen mit einem, der Anteil nimmt und nicht mit anderen sein Gespött darüber treibt. Sie wundern sich vielleicht, daß ich von Einsamkeit rede, da ich doch den ganzen Tag mit Menschen verkehre und mich den ganzen Tag mit ihnen unterhalte – ach, dabei kann man doch sehr einsam sein.«

Er machte eine Pause, rührte ein wenig in seinem Glas, trank ein Schlückchen und fuhr dann fort:

»Ich bin jetzt achtunzwanzig Jahre in Berlin. Zuerst besuchte ich das Gewerbeinstitut und als ich dies verlassen hatte, fand ich gleich eine Stelle in der Fabrik, wo ich noch bin. Ich war damals zweiundzwanzig Jahre alt und ein bißchen lebenslustiger als jetzt und verkehrte in einer Familie, deren einer Sohn mein Kollege war. Eines Tages im Juli war unter mehreren bekannten Familien eine Landpartie nach der alten Fischerhütte am Schlachtensee im Grunewald verabredet, und ich war auch eingeladen. Wir fuhren in einem Kremser, der natürlich, wie das immer ist bei solchen Gelegenheiten, gepreßt voll war. Als ich endlich Platz gefunden hatte und mich umsah, da durchfuhr es mich wie ein Schreck und gab mir einen Schlag auf das Herz, denn mir schräg gegenüber saß ein Mädchen, das ich wohl kannte, hier aber nicht erwartet hatte. Zwar hatte ich sie nie gesprochen, desto öfter aber gesehen, denn solange ich in Berlin war, seit drei Jahren, wohnte ich ihr gegenüber. Als ich zuerst auf sie aufmerksam wurde, war sie vierzehn Jahre alt und noch ein Kind, das kurze Kleider trug. Trotzdem besorgte sie die ganze Wirtschaft des Vaters, der, obwohl ihm das ganze Haus gehörte, nur eine kleine Wohnung inne hatte und sich kein Mädchen hielt. Wenn ich an meinem Schreibtisch am Fenster bei der Arbeit saß, konnte ich, da die Straße nicht breit war, einen Teil der gegenüberliegenden Wohnung übersehen und hatte meine Freude daran, mit welchem Fleiß und Ernst und welcher hausmütterlichen Verständigkeit das Kind bei der Arbeit war. Auch auf der Straße sah ich sie zuweilen, wenn sie mit wichtiger Miene und einem großen Korb auf den Markt ging, wo sie trotz ihrer Jugend geschickt einzukaufen wußte und mächtig zu handeln verstand wie eine Alte. Niemals sah ich sie müßig, denn wenn alle andere Arbeit, wie Reinemachen, Fegen, Scheuern, Einholen und Kochen besorgt war, saß sie am Fenster und nähte oder strickte mächtige graue Strümpfe für den Alten oder zarte weiße für sich. Ich dachte mir, das müsse einmal eine ganz ausgezeichnete Hausfrau geben, und stellte mir vor, so müsse meine Mutter als Kind gewesen sein. Auch sie sah öfter zu mir herüber, und wenn ich ihr auf der Straße begegnete, da merkte ich, daß sie mich kannte. So waren drei Jahre vergangen, sie war siebzehn Jahre alt geworden, und nun saß sie mir mit einemmal ganz unerwartet gegenüber und wir wurden beide rot, ohne recht zu wissen warum. Ich muß nur gleich sagen, daß sie nicht hübsch war, aber doch mochte man sie gerne ansehen, weil so eine angenehme Güte in ihrem Gesicht war. Sie schien sich nicht behaglich zu fühlen, da sie ganz gegen ihre Gewohnheit nichts zu tun hatte, aber es dauerte nicht lange, da hatte sie sich ein zweijähriges Kind geholt, das mit bei der Partie war und immer schrie, obwohl, oder vielmehr weil es von seiner unverständigen Mutter fleißig zur Ruhe geknufft und geschüttelt wurde. Bei ihr war es gleich still, sah sie mit großen Augen von unten auf an und benahm sich sehr gnädig. Sie behielt es den ganzen Weg lang und machte ihm was vor und benahm sich sehr niedlich und mütterlich. Auf der alten Fischerhütte wurde natürlich zunächst mächtig viel Kaffee gekocht und der mitgebrachte Kuchen ausgepackt. Als man damit fertig war, beschloß man, im Walde gesellschaftliche Spiele zu spielen. Ich war dazwischen an den See gegangen und hatte mich dort ein wenig umgesehen. Denn meine Vaterstadt liegt an einem großen See, und darum habe ich so gern den kräuterigen Geruch am Seeufer und höre gern, wie die kleinen Wellen ans Land plätschern und das Rohr dazu raschelt. Als ich wieder zurückkam, war die Gesellschaft schon weg. Einer mußte aber doch bei den Sachen bleiben und dazu hatte sich das junge Mädchen, mein Gegenüber, erboten, was ihr natürlich wieder ähnlich sah. Das kleine Kind hatten sie auch bei ihr gelassen. Es saß auf der Erde, hatte in der einen Hand ein Stück Kuchen, in der anderen einen alten Blechlöffel und spielte ganz stillvergnügt mit Sand. Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm, aber ich fragte sie, ob ich ihr ein wenig Gesellschaft leisten dürfe. Und dann haben wir uns allerlei erzählt, daß wir uns eigentlich schon drei Jahre kennen und was für ein Geschäft ich hätte und wie eigen ihr Vater wäre, und wo ich her wäre, und ob ich auch noch Eltern hätte. Dabei strickte sie emsig einen weißen Strumpf und ich sah zu, denn wenn Mädchen oder Frauen stricken, das habe ich immer gern gesehen. Für mich ist der Strumpf ein fast unbegreifliches Kunstwerk und ich denke mir, die Frau, die den ersten Strumpf erfunden hat, muß ganz unglaublich klug und geschickt gewesen sein. Wie dem Mädchen die Finger gingen! Zwar sehr zart waren diese natürlich nicht, dazu mußten sie zu viel arbeiten, aber fix und zierlich sah es doch aus, wie sie die blanken Stricknadeln so emsig tanzen ließ. Dann aber wurde die Unterhaltung spärlicher, denn sie war an den Hacken gekommen und mußte aufpassen. Da durfte ich sie nicht stören und sah ruhig zu, wie sie zählte und strickte.


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