Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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Die Hochzeitsreise

1. Hochzeitsreise nach Tegel

Ja nach Tegel ging unsere Hochzeitsreise und nicht weiter. Dort an dem Ort, wo wir uns damals gefunden hatten, wollten wir die ersten vierzehn Tage unserer Ehe verbringen, und zwar in einem Häuschen, das im Ort unter dem sonderbaren und wenig verlockenden Namen »die fröhliche Flunder« bekannt ist. Den Grund dieser Bezeichnung habe ich niemals entdecken können, und so schlagend sonst manchmal dergleichen Namensgebungen des Ortswitzes sind, so wenig zutreffend war mir diese immer erschienen. Die »fröhliche Flunder« ist ein niedliches Fachwerkhäuschen, das zwischen dem Wirtshaus »Seeschlößchen« und dem Eisenhammer liegt in einem kleinen noch erhaltenen Teil der Tegeler Gemeindeheide, die sich früher bis in diese Gegend erstreckte. Es steht sehr freundlich unter den sorglich geschonten Kiefern und zwischen diesen ist allerlei Gebüsch- und Blumenwerk angepflanzt. Von dem kleinen Haus steigt man auf einigen Terrassen zum Seeufer hinunter, wo das aus feuchtem Grund üppiger aufschießende Gebüsch über den leichten Zaun hinüberhängt, und überall an passenden Stellen sind lauschige Sitze oder trauliche Lauben angebracht, von denen aus man durch die Lücken im Buschwerk auf den schimmernden See, seine lieblichen Inseln und die in der Ferne bläulich dämmernden Waldufer hinblickt.

Der Weg von Steglitz nach Tegel beträgt in der Luftlinie gemessen schon zwei Meilen, und unsere Fahrt dauerte deshalb eine ziemliche Weile. Als wir dann endlich über Friedenau, Schöneberg und Berlin die langweilige Tegeler Chaussee erreicht hatten, da war es schon dunkel, der Mond goß sein Licht über die Welt und verzauberte die dürftige Kiefernheide in einen Märchenwald mit schwarzen, phantastischen Zacken, ließ die ärmlichen Häuser, die fast den ganzen Weg begleiten, mit freundlichem Schimmer aus der Finsternis leuchten und hob die staubige Chaussee wie einen silbernen Streifen hervor, so daß wir über die freundliche Verwandlung dieses sonst so häßlichen Weges fast in Verwunderung gerieten. Doch mochte auch wohl in unserem Innern etwas sein, das liebliche Verklärung über alle Dinge dieser Welt ausgoß.

Als wir nach zweistündiger Fahrt in Tegel anlangten und am Seeschlößchen vorüberkamen, da glaubte ich aus einer Laube des Wirtsgartens jemanden lauschen zu sehen, dessen Anwesenheit mich sehr verwunderte, da er bei unserer Abfahrt noch in Steglitz zugegen gewesen war. Ich hätte darauf schwören mögen, daß Doktor Havelmüller dort hervorschaute, als das Rasseln unseres Wagens vernehmlich ward. Möglich war es ja bei Benutzung der Stadtbahn und der Pferdebahn, unsere gemächlichen Mietsgäule zu überflügeln, aber welchen Zweck konnte dies haben? Doch ich zerbrach mir darüber nicht weiter den Kopf, zumal uns bald noch weitere Überraschungen begegneten. Wir fanden die Türe unseres kleinen Häuschens sehr schön mit Blumengewinden geschmückt, in denen farbige Lämpchen freundlich glühten. Auch das Hauptzimmer in der Mitte, das sich auf die Veranda nach der Seeseite zu öffnet, war hell erleuchtet, als hätten Heinzelmännchen ihr Werk getan, überall schimmerte es von Blumen, deren feine Glöckchen und Kelche sich gar zierlich im Glanz der Lichter abzeichneten, und Maiblumenduft durchhauchte alle Räume. Ja, noch eine größere Überraschung stand uns bevor, denn der Tisch vor dem Sofa zeigte sich mit einem schneeweißen Tuche gedeckt, das mit blauem Zierat schön gerändert war, und darauf stand in funkelnagelneuen, fein geblümten Porzellangeschirren ein Abendimbiß für zwei Personen. Der Teekessel summte, alles war bereit, doch keine Menschenseele ließ sich sehen, wahrhaftig, gerade wie in einem Märchen. Wir ließen uns diesen freundlichen Zauber gern gefallen und setzten uns in vergnüglicher Rührung an unser Tischlein-deck-dich. Aus dem Essen ist aber nicht viel geworden, wie man sich wohl denken kann. Wir traten bald hinaus auf die dunkle Veranda und sahen aneinandergelehnt, während wir uns umschlungen hielten, in die Nacht hinaus. Der Mond war hoch ins Blau gestiegen, durch die finsteren Kieferstämme schimmerte der See wie glattes Silber und traumhaft verschwommen lagen die Insel Hasselwerder und die gegenüberliegenden Waldufer in weißlichem Dunst. Ringsum war es still, nur vom Garten des Seeschlößchens her hörte man das Stimmengemurmel der wenigen Gäste und im Park des Eisenhammers sangen die Nachtigallen. Da wurden neue Töne vernehmlich, das taktmäßige Rucksen von Rudern und das Geplätscher des rückfließenden Wassers, und nach einer Weile glitt in den unbewegten Silberspiegel vor uns der schwarze Schattenriß eines Kahnes. Wir hörten, wie die Ruder eingezogen und an Bord genommen wurden, und bald lag das Fahrzeug, in dem dunkle Gestalten sich bewegten, regungslos da. Nach einer Weile ertönte von dort ein schöner vierstimmiger Gesang und nun wußte ich mit einemmal, daß ich vorhin recht gesehen hatte und wem wir alle diese kleinen Überraschungen zu danken hatten. Ja, etwas wie Rührung ergriff mich, denn was dort klang, war mein Lieblingslied, jenes Volkslied aus dem Bergischen mit der seltsam schönen Melodie, das Ludwig Erk in seiner bekannten Sammlung vorangestellt hat.

Verstohlen geht der Mond auf!
Blau, blau Blümelein!
Durch Silberwölkchen führt sein Lauf.
Rosen im Tal,
Mädel im Saal,
O schönste Rosa!

Er stieg die blaue Luft hindurch,
Blau, blau Blümelein!
Bis daß er schaut auf Löwenburg.
Rosen im Tal,
Mädel im Saal,
O schönste Rosa!

O schaue, Mond, durchs Fensterlein,
Blau, blau Blümelein!
Schön Trude lock mit deinem Schein!
Rosen im Tal,
Mädel im Saal,
O schönste Rosa!

Und siehst du mich, und siehst du sie,
Blau, blau Blümelein!
Zwei treure Herzen sahst du nie!
Rosen im Tal,
Mädel im Saal,
O schönste Rosa!

Nach Beendigung dieses Liedes setzte der Kahn sich wieder in Bewegung und fuhr langsam ein großes Stück weiter in den See hinaus. Aus dieser Ferne klang dann ein anderes Lied in lieblicher Weise über die silberne Flut zu uns her. Dann wieder nach längerer Stille schallte es noch einmal ganz fern aus der geheimnisvollen Monddämmerung wie der Gesang seliger Geister über den Wassern. Wir lauschten noch einige Zeit, doch nichts weiter mehr ward vernehmlich, nur der Gesang der Nachtigallen tönte lauter und sehnsuchtsvoller durch das Schweigen der mondhellen Nacht.

 

Für Tegel haben wir beide, meine Frau und ich, eine kleine Schwärmerei. Das kann man sich wohl denken, denn wir haben dort die lieblichsten Tage unseres Lebens verbracht. Und noch jetzt, da diese sonnigen Frühlingswochen längst entschwunden sind und wie eine freundliche Zauberinsel im Meer der Vergangenheit liegen, da gedenken wir oft an sie, und kein Frühling vergeht, daß wir nicht an einem schönen Tag uns nach Tegel aufmachten, um dort auf unseren eigenen Spuren zu wandeln und alle die idyllischen Orte wieder aufzusuchen. Denn eine Gegend, die an und für sich schon lieblich und voll Anmut ist, wird es doppelt, wenn freundliche Bilder der Erinnerung mit ihr verknüpft sind. Wir sehen uns dann wieder unter der herrlichen Eiche im Park, nicht der größten, aber der schönsten, die ich kenne, deren Äste so mächtig weit ausladen und bis in die höchste Spitze begrünt sind mit üppigem Efeu und deren Kuppel sich wölbt so gleichmäßig, wie die eines gewaltigen Domes. Wir gedenken dann jenes Maimorgens, als wir dort saßen, während die goldenen Schmetterlinge um uns spielten und die Vögel jubilierten, daß man es fast einen Lärm nennen konnte. Und wie die blanke frische Luft erfüllt war mit Sonnenschein, den würzigen Düften der jungen Blumen und Kräuter und lauter Sang und Klang, so war alles dies auch in unserem Innern. Wir sprachen nicht und saßen aneinandergelehnt still Hand in Hand und fühlten, daß wir ein Teil waren dieser unermeßlichen Frühlingswonne.

Ja überall grüßt uns liebliche Erinnerung, wenn wir diesen für uns geweihten Boden betreten. Schon am Eingang in den Park, wo die mächtigen Platanen, Ulmen und Silberpappeln aufragen und eine grüne kühle Dämmerung verbreiten. Wie oft haben wir gemeinsam aufgeschaut zu der gewaltigen Höhe ihrer Wipfel und sind dann wieder niedergetaucht in die Tiefe unserer Augen. Wie oft sind wir an dem kleinen sauberen Schlößchen vorbeigewandelt zu der Höhe, wo wir damals in der Mondnacht dem Gesang des Doktor Havelmüller lauschten, während die funkelnden Glühwürmchen unsere Häupter umspielten. Dort an der Stelle, wo wir uns damals gefunden hatten, ließen wir jetzt an den schönen Frühlingstagen die Blicke in der Ferne weiden, wo hinter grünen Wiesen und jungaufschießenden Rohrwäldern der blanke Spiegel des waldumdämmerten Sees blitzte und in der weiten Ferne aus bläulichem Duft die Türme von Spandau und die mächtige Kuppel von Westend emporstiegen. Doch immer kehrten die Blicke wieder zurück

In deiner Augen heimatliche Sterne.
aus aller Wunderferne

Wie oft wanderten wir durch den feierlichen Kreis der dunklen Fichten, die die Grabstätte der Familie Humboldt umrahmen, und weiter durch Feld, Wiese und Wald. Wie oft saßen wir am Fuß jener uralten mächtigen Kiefer am Ufer des Sees in ungestörter Einsamkeit. Nur ein Gartenlaubvogel sang zu unseren Häuptern, fern rief der Kuckuck und mit leisem Geplätscher schlugen die Wellen des leicht bewegten Sees an das Ufer.

Oft nahmen wir auch ein Boot und fuhren nach Hasselwerder, einem ganz mit Haselbüschen und anderen Sträuchern bewachsenen Eiland von länglicher Form und geringer Größe, gerade ausreichend, um sich dort ein Häuschen zu bauen und einen hübschen Garten anzulegen. Diese Insel betrachteten wir als die unserige, und obwohl wir keine Ahnung hatten, wie es geschehen sollte, und wir wußten, daß sie unverkäuflich war, so stand es uns doch ganz fest, daß wir uns dort einmal ansiedeln und uns sehr behaglich einrichten würden. Einstweilen beschäftigten wir uns im Geiste damit, sie zu bebauen und zu bepflanzen und sie mit allerlei Getier zu bevölkern. Damit konnten wir uns stundenlang beschäftigen und in großen Eifer dabei geraten. Ja, diesen aussichtslosen Projekten hatten wir sogar den ersten kleinen Streit unserer Ehe zu verdanken. Zwar, wo das Haus stehen und wie es beschaffen sein sollte, darüber waren wir uns einig, aber wegen des Gartens kamen wir aneinander. Ich wollte ihn zum größten Teil durch Anpflanzung von dichtem Buschwerk, wie Weißdorn, Schlehen, wilden Rosen, Liguster, Teufelszwirn, Holunder und dergleichen, in ein Vogelparadies verwandeln, in Sonderheit den von Rohrwald umgebenen Teil der Insel nahm ich in ganzer Ausdehnung für meine Pläne in Anspruch, während Frieda ihn durchaus zur Hälfte mit zum Gemüsegarten ziehen wollte, denn in dem kleinen väterlichen Anwesen hatte sie viel Neigung zu solchen Dingen gewonnen. Umsonst entwarf ich verlockende Schilderungen von dem entzückenden Gewirr der Vogelgesänge, das dort im Frühjahr herrschen würde, wenn Rohrsänger, Grasmücken, Laubvögel, ja vielleicht sogar Nachtigallen und Blaukehlchen dort miteinander wetteiferten, und welche Fülle idyllischer Freuden uns erblühen würde aus der Beobachtung des Familienlebens dieser zierlichen Geschöpfe, allein Frieda entwickelte plötzlich einen eminent praktischen Sinn und wollte den größten Teil dieser zukünftigen Poesie für die Prosa des Kopfsalates, der Mohrrüben und Stangenbohnen geopfert wissen.

»Bedenke doch«, so rief sie eifrig, »wir wohnen dann auf einer Insel und das Mädchen kann nicht wie in Berlin um jede Handvoll Suppengrün nebenan in den Gemüsekeller hüpfen, nein, wir müssen unseren notwendigsten Bedarf selber bauen und dazu brauche ich diesen Raum ganz unbedingt.«

»Aber liebe Frieda«, rief ich, »soll ich denn die Erfüllung eines Lieblingstraumes für ein paar Kohlrabiköpfe hingeben!«

»O«, sagte sie, lief hinzu und zog mit ihrem Sonnenschirm einen energischen Strich in den Ufersand, »sieh doch nur, dir bleibt ja dieses ganze große Stück. Da kannst du furchtbar viel Büsche pflanzen, du mußt sie nur recht dicht aneinandersetzen. Und den ganzen Uferrand bekommst du auch noch. Ringsherum um die ganze Insel. Bedenke doch, du willst das Land doch nur für eine Spielerei haben, ich aber gebrauche es für höchst nötige Dinge.«

»Spielerei?« wiederholte ich fast etwas unwillig, denn ich muß gestehen, daß auch ich nicht frei bin von der Schwäche der meisten Männer, die stets geneigt sind, ihre Liebhabereien für geheiligte Dinge zu halten.

»Ja«, sagte Frieda und vertiefte den Strich im Sande durch energisches Nachziehen, »ich kann es nicht anders nennen. Und ganz gewiß, es geht nicht, es geht wirklich nicht. Hier mußt du nachgeben.« Und damit sah sie mich fest an und suchte sich einen Anstrich von entschlossener Energie zu geben, der zu ihren sanften Zügen gar nicht passen wollte.

Ich war schon im Begriff, etwas Törichtes zu erwidern, als mir plötzlich, gerade noch im rechten Augenblick, die große Komik dieser Situation zum Bewußtsein kam, und daß wir im Begriff waren, uns um das Fell des Bären zu zanken, den wir noch gar nicht hatten und höchstwahrscheinlich auch nie im Leben bekommen würden. Diese Überlegung mußte sich wohl sehr deutlich auf meinem Gesicht abspiegeln, denn alsbald fing auch Frieda an zu lachen, wir eilten uns in die Arme und küßten uns und konnten uns lange Zeit nicht von einem stets erneuten Gelächter erholen.

»O wie schrecklich«, sagte Frieda dann, »wir hätten uns ja beinahe gezankt.«

»Und um Luft«, erwiderte ich.

»Aber recht hab' ich doch!« rief sie schnell.

Als ich sie dann etwas befremdet anblickte, lief sie rasch fort, zog an einer anderen Stelle einen kräftigen Strich in den Sand und sagte: »Weil du aber so vernünftig und brav gewesen bist, so sollst du alles haben, was du verlangst, und dieses Stück schenke ich dir noch dazu, du lieber Brummbär.«

Da aber wurden auch in mir die nobelsten Gefühle wach, wir suchten uns nun gegenseitig zu überbieten und unter fröhlichem Lachen und in den Regungen wetteifernden Edelmutes schwang dies erste winzige Steinchen, das in den klaren Spiegel unseres Glückes gefallen war, seine Kreise aus.

An demselben Nachmittag fuhren wir auch nach der Liebesinsel, jenem winzigen Eiland, wo wir im vorigen Jahr am Johannistag die höchst merkwürdigen Ausgrabungen vorgenommen hatten. Da das schöne Wetter erst seit kurzem eingetreten war, so hatte das Inselchen in diesem Jahre wahrscheinlich noch gar keinen Besuch von Berlinern gehabt und lag scheinbar noch ganz so unberührt da, wie es aus dem Schnee des Winters hervorgeblüht und gegrünt war. Auf dem Sand des Landungsplatzes war noch keine Fußspur abgedrückt, kein Hälmchen war geknickt und keine Blume gebrochen, wir konnten uns einbilden, das winzige Eiland sei eben zuerst von uns aufgefunden worden. Das taten wir denn auch und stellten sofort eine Entdeckungsreise an in das Innere, das nach etwa zehn Schritten auch glücklich erreicht wurde, und begannen nach echter Forscherweise alle bemerkenswerten Punkte mit Namen zu versehen. Den von einer Gebüschgruppe umgebenen einzigen Baum der Insel, den Hühnchen damals in liebenswürdiger Übertreibung ein Wäldchen genannt hatte, tauften wir »Leberechts Hain«, die kleine mit Blumen und jungem Gras bewachsene Landspitze »Kap Frieda« und die größte Erhöhung, die mindestens einen Meter über das Wasser und somit zweiunddreißig Meter über den Spiegel der Ostsee hervorragte, »Havelmüllers Höhe«. Der Landungsplatz aber wurde, eben weil dort gar keine Bucht vorhanden war, dem Major zu Ehren die »Pointenbucht« getauft, und so hatten wir bald »die Rollen ausgeteilt und alles wohl bestellt«, so daß wir uns nach dieser Arbeit auf eine kleine natürliche Rasenbank setzen und uns dem Genuß dieser freundlichen Einsamkeit hingeben konnten. Sonderbar war es, wie in den tiefen Frieden des spiegelglatten Sees, den kein Lüftchen bewegte und der im Kranze seiner besonnten Uferwälder in träumerischer Stille dalag, der mahnende Donner des Krieges und das emsige Gehämmer rastloser Arbeit hineintönte. Denn auf dem Schießplatz in der Jungfernheide donnerten unablässig die Kanonen, und wir fühlten deutlich die leise Erschütterung der Luft, die jeden dumpfen Knall begleitete. Vom Eisenhammer her aber schallte ganz aus der Ferne das Brummen der Ventilatoren und emsiges Gehämmer, während die Schornsteine dieser Fabrik sowohl als die der Wasserwerke hohe schwärzliche Rauchsäulen in die fast unbewegte Luft emporsendeten. Doch alles dieses schien uns hier so fern und ging uns ja gar nichts an, es trug nur dazu bei, die holde Abgeschiedenheit dieses kleinen Inselchens so nahe bei dem Brausen einer Riesenstadt und deren geschäftiger und geräuschvoller Umgegend noch mehr hervorzuheben.

Doch der Abend nahte, das ferne Gehämmer verstummte und die Kanonen schwiegen, so daß die herrschende Stille uns nun doppelt schweigsam erschien. Nur das liebliche Geschwätz der Dorngrasmücke, die auch in diesem Jahr wieder das Inselchen bewohnte, tönte aus dem Buschwerk und in fernen Rohrwäldern lärmten die Drosselrohrsänger. Die Sonne versank hinter dem Wald, und in der großen goldenen Glut, die ihr folgte, sah man zuweilen den Flügelblitz eines Vogels, der über die Wipfel dahinzog. Wir bestiegen nun wieder unser Boot, und während ich es im Rudertakt durch die immer rosiger sich färbende stille Flut dahintrieb, summte Frieda die holde Weise eines kleinen Liedes vor sich hin, das ihr durch die Stimmung dieses Abends wohl in den Sinn gekommen war:

»Sinkt der Tag in Abendgluten,
Schwimmt das Tal in Nebelfluten.
Guten Abend, guten Abend!

Heimlich aus der Himmelsferne
Blinken schon die goldnen Sterne.
Guten Abend, guten Abend!

Flieg zu Nest und schwimm zum Hafen!
Gute Nacht, die Welt will schlafen!
Gute Nacht, gute Nacht!«


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