Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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2. Polterabend

Am Abend dieses Tages füllten sich die Zimmer mit Gästen. Da kam der Major Puschel mit seiner Frau. Sie war köstlich in violette Seide gekleidet und klirrte und bimmelte von allerlei Schmuck, wenn sie sich bewegte. Er aber war in Uniform und strahlte festlich in militärischem Glanze unter all den gewöhnlichen Sterblichen. Da war Doktor Havelmüller mit dem Ausdruck freundlicher Wehmut, der ihn immer zierte, wenn er auch noch so sehr den Schalk im Nacken hatte, da war unser Freund Bornemann mit seinem bartlosen lächelnden Vollmondgesicht, den breiten Schultern und der üppigen Fülle sämtlicher Gliedmaßen. Er hatte sich mächtig in Wichs geworfen, seine Stiefel schossen glänzende Blitze und oben war er mindestens zu sieben Achteln Vorhemd. Wenn er so dastand, den Chapeau claque elegant gegen das Bein gestemmt, so sah er aus wie der aufgegangene Tag eines Gesandtschaftsattachés. Da war Onkel Nebendahl in seinem Hochzeitsfrack, der leider dem leiblichen Wachstum seines Besitzers nicht gefolgt war und dessen Arme einzwängte, daß sie zwei stattlichen Mettwürsten glichen, während er vorn weit auseinanderklaffte und einer mit einer ungeheuren weißen Weste bedeckten imposanten Hügellandschaft Raum gab. Da waren außer anderen Freunden und Freundinnen des Hauses, deren Aufzählung zu weit führen würde, einige von Hans Hühnchens jüngeren Genossen, die sich entweder schüchtern in den Ecken herumdrückten oder sich, wie der junge angehende Kunstgelehrte Erwin Klövekorn, den Anschein gaben, als seien alle Genüsse dieser Welt bereits Schall und Rauch für sie, mit blasierter Miene an einem Türpfosten lehnten und in der Schnurrbartgegend an etwas Unsichtbarem drehten.

Von den jungen Mädchen, den Freundinnen Friedas, war noch nicht viel zu sehen, nur aus dem Zimmer, das ihnen als Garderobe diente, schallte Lachen und Gezwitscher, und zuweilen sah man dort ein phantastisch aufgeputztes Köpfchen hervorlugen, das aber, wenn es bemerkt ward, sofort kichernd wieder verschwand.

In dem größten Zimmer des Hauses, wo wir damals das Weihnachtsfest gefeiert hatten, war ein erhöhter Sitz für das Brautpaar gebaut und rings an den Wänden standen Stühle, so daß in der Mitte ein Raum für die Aufführungen frei blieb. Als dort die ganze Gesellschaft sich niedergelassen hatte, ergriff Hühnchen mit ungemeiner Wichtigkeit eine Tischglocke und läutete heftig. Auf dieses Regisseurzeichen öffnete sich die Tür und herein traten fast zugleich zwei hübsche Mädchen, die erste, eine blonde, war weiß gekleidet, die andere war schwarz von Haar und dunkelrot angetan. In den Händen trug jede eine flache runde Schachtel. Zum Verständnis des Folgenden muß ich einfügen, was ich bis jetzt schamhaft verschwiegen habe, daß nämlich schon vor einigen Jahren ein Bändchen Gedichte von mir unter dem Titel »Kornblumen« erschienen war, dessen Exemplare »zu scheußlichen Klumpen geballt« in dem Magazin des Verlegers ein unbegehrtes Dasein führten. Beide Mädchen betrachteten sich anscheinend mit Verwunderung und Eifersucht und die Schwarze begann:

S.
»Woher des Wegs? Was bringst du dort getragen?
B.
Ei, was du fragst! Dasselbe darf ich fragen!
S.
Zeig' her! Was, eine Schachtel rund wie meine?
Was birgst du drin?
B.
Ei nun, was birgt die deine?
S.
Was Rundes!
B.
Nun, was Rundes hab' auch ich!
S.
Zu gleichem Zwecke kommst du sicherlich.
Das merk' ich wohl und brauche nicht zu fragen,
Denn einen Kranz bringst du wie ich getragen.
B.
Ich kam zuerst, und du mußt vor mir weichen!
S.
Auch meinen Kranz denk' ich zu überreichen!
B.
Der meine ist der schönste in der Welt!
S.
Und meinen kaufst du nicht um vieles Geld!
B.
(nimmt ihren Kranz hervor).
Der schönste Kranz von allen, die sich zeigen,
Er ist gefügt aus zarten Myrtenzweigen.
Das schönste ist ein hold errötend Haupt.
Am Hochzeitstage myrtenzweigumlaubt!
S.
Den ersten Kranz von allen, die wir kennen,
Muß ich des Lorbeers stolze Rundung nennen,
Den man dem Sieger auf die Stirne drückt,
Und dem Poeten, der die Welt entzückt.
B.
Verzehrend sind der Ruhmsucht wilde Flammen
Und nur die Liebe hält die Welt zusammen!
S.
Zusammen hält die Liebe wohl das Leben,
Doch einzig vorwärts bringet nur das Streben!
B.
Laß uns nicht streiten. Jeder schätzt das Seine.
Mein's gilt der Braut, dem Bräutigam das deine!
S.
(öffnet die Schachtel; verwundert).
Welch seltsam Ding – fürwahr, was muß ich sehn?
Verwunderliches ist allhier geschehn!
(Zieht einen Kornblumenkranz hervor.)
Was ich als grünen Lorbeer eingehandelt,
In blaue Sterne hat es sich verwandelt.
Die zarte Blume, die das Kornfeld schmückt,
Sei statt des Lorbeers auf dein Haupt gedrückt.
B.
(zur Braut).
Dir reiche ich des Myrtenkranzes Rund,
In dem du schließest den ersehnten Bund,
Das Holdeste, das diese Erde hegt,
Das Lieblichste, das eine Jungfrau trägt.
Mag andern auch ein andrer Kranz gefallen,
Er ist und bleibt der herrlichste von allen!«

So waren wir denn beide bekränzt zur großen Ergötzung der Zuschauer über diese neue Form der Überreichung des Brautkranzes, die, wie ich nachher erfuhr, von unserem Freund Havelmüller erdacht war.

Aber zum zweitenmal ertönte Hühnchens Glocke und herein schwebten singend und im Reigen sich drehend die vier Elemente in eigener Person. Auch diese sprachen nacheinander sinnige und freundliche Worte, indem sie zwischendurch immer wieder zu ihrem eigenen Gesang zierliche Reigentänze aufführten. Da war die Erde, ein Mädchen in grünem geblümten Gewand und einen Rosenkranz im schwarzen Haar tragend. Sie wolle uns nähren und kleiden und ihre besten Schätze für uns hergeben, sagte sie, und zum Zeichen dessen überreichte sie Brot und Salz in einem schönen Korb.

Dann kam das Wasser in blauem Gewand mit Wasserrosen geziert und versicherte uns, schon die alten Griechen hätten gesagt, es sei von allem das Beste. »Mit in guten Schuß Rum mang«, murmelte Onkel Nebendahl dazwischen. Aber da kam er schön an, denn nachdem das Wasser seine Vorzüge dargelegt hatte, förderte es allerlei spitzfindige Bemerkungen zutage über gewisse andere Getränke, durch die nicht allein verwerfliche Junggesellen, sondern auch leider junge und alte Ehemänner bewogen würden, ihre Nächte außer dem Haus zu verschwärmen, während die armen Frauen in Trübsal und Trauer zu Hause säßen. Als Aufmunterung zur Tugend überreichte es dann eine Wasserflasche mit zwei Gläsern.

Darauf meldete sich die Luft, weiß wie eine Sommerwolke und überall mit Schmetterlingen besetzt, die auch über dem hellblonden Haar sich schwankend wiegten. Sie hielt einen zierlichen, kleinen hygienischen Vortrag über den Nutzen der Ventilation und stieß dabei ein wenig mit der Szunge an, gleichsam als wolle sie das Ssäuseln des Szephyrs dadurch andeuten. Ihr Geschenk war ein Blasebalg.

Das Feuer ward dargestellt durch ein zierliches Persönchen in rotem Gewand und trug eine wirkliche brennende Flamme auf dem Haupte. Die niedliche junge Dame hatte, wohl durch den Charakter ihrer Rolle verführt, eine etwas heftige Art zu deklamieren an sich, rollte beträchtlich mit den hübschen braunen Augen, und in gemessenen Zwischenräumen flammte ihr rechter Arm wie von einem unsichtbaren Draht gezogen zum Himmel empor, wobei gewöhnlich auch die etwas zu sehr angestrengte Stimme in die zweite Etage hinaufschnappte. Sie sprach mit vielem Ausdruck von der heiligen Flamme des häuslichen Herdes und von dem Feuer der Liebe, das nie erlöschen solle und uns wärmen bis in die spätesten Tage. Dazu überreichte sie ein Feuerzeug in Gestalt eines bronzenen Amors mit einer Butte auf dem Rücken. Als sie geendet hatte, hörte ich einen Seufzer hinter mir, wo Hans Hühnchen an die Wand gelehnt stand, und als mein Blick ihn streifte, bemerkte ich, wie er das zierliche Mädchen mit den Augen verfolgte. Er machte mir den Eindruck, als sei er von diesem Feuer etwas angesengt.

Als die vier Elemente sich nun wieder im Reigen gedreht hatten und singend zur Tür hinausgezogen waren, sagte Onkel Nebendahl befriedigt: »Das war mal nüdlich. Das haben die kleinen Dirns nett gemacht.«

»Ja, sehr niedlich«, sagte der Major, »und erinnert mich merkwürdig an einen anderen Polterabendscherz auf der Hochzeit meines Kameraden Hauptmann von Beselow. Damals waren es aber die vier Temperamente. Da passierte eine sonderbare Geschichte, denn die junge Dame, die das Phlegma darstellte, blieb ganz elend stecken, ich sage Ihnen so furchtbar stecken, daß sie nicht aus noch ein konnte. Sie mußte wahrhaftig ihren Zettel aus der Tasche kriegen und alles ablesen. Sie war eine Gutsbesitzerstochter aus der Gegend von Thorn – heiratete später meinen Kameraden Leutnant Dempwolf. Der Schwiegervater kaufte ihnen ein Gut und dann bekamen sie dreizehn Kinder. Sind alle noch am Leben. Ja!«

Onkel Nebendahl, der an die pointelosen Geschichten des Majors noch nicht gewöhnt war, sah ihn erwartungsvoll an und fragte endlich, als weiter nichts kam: »Und?«

Der Major blickte mit den hellen Augen etwas verwundert auf ihn hin und drehte an seinem Schnurrbart: »Der älteste Sohn dient bereits als Einjähriger, ja«, sagte er dann, »beim zweiten Garderegiment. Ja!«

Nebendahl kratzte sich hinter den Ohren und versank in Nachdenken. Doch konnte er sich dem nicht lange hingeben, denn Hühnchens Glocke ertönte wieder, und während vom Klavier her die Melodie des Liedes ertönte: »Guter Mond, du gehst so stille durch die Abendwolken hin«, wandelte, in einen langen silberglänzenden Talar gekleidet, unser Freund Bornemann als Mond herein. Sein großes, rotes, gutmütiges Gesicht schaute aus einer mächtigen goldenen Scheibe hervor, wahrhaftig, das war ein Mond, so ähnlich wie er es nur ein konnte.

»Da kommt dein Freund!« sagte ich zu Frieda. Sie lächelte und sah mich glücklich an. Sie ward nämlich immer ein wenig geneckt mit ihrer Vorliebe für den Mond, und sagte gerne, wenn er so durch die Zweige der Gartenbäume auf sie hinblickte, sei es ihr, als schaue ein guter Freund auf sie. Dieses kleine Verhältnis war zwar ohne die übliche Sentimentalität, doch seit ihrer Kinderzeit schon hatte sie, wenn sie abends allein und unbelauscht am Fenster saß und das freundliche Gestirn zu ihr hereinsah, ihm all ihre kleinen Leiden und Freuden anvertraut. Das mußte nun Bornemann wohl bekannt sein, denn er stellte sich vor als Freund der Braut, der eigens herabgestiegen sei, um an diesem schönen Tage ihr seine Glückwünsche zu bringen. Er wisse wohl, daß er schon seit lange ihr erster und eigentlich auch ihr einziger Geliebter sei. Da sie nun aber eingesehen habe, daß seine himmlischen Berufsgeschäfte und seine Verpflichtungen gegen die Liebenden der ganzen Welt eine nähere Verbindung nicht zuließen, habe sie sich endlich unter den Menschen nach einem Ersatz umgesehen, und da sei alsbald ihre Wahl auf mich gefallen, einzig und allein um meines schönen Mondscheins willen, der sie zart und sinnig immer an ihren ersten liebsten Freund erinnere. (So ein Schuft! Wenn ich das nicht gleich geahnt hätte!) Er könne diese Wahl nur billigen, denn gestehen müsse er ja, ihm sei ein steter Wechsel eigen, bald sei er schwarz, bald eine schmale Sichel, bald zu-, bald abnehmend und nur selten zeige sich sein voller Glanz. Der von ihr erwählte Mondschein aber würde an Größe, Pracht und Schimmer im Laufe der Jahre immer nur zunehmen und eine dauernde Quelle ungetrübter Freuden für sie sein. Damit nun auch ich an der Beobachtung dieses vorzüglichen Wachstums und dieser steten Veredlung teilzunehmen vermöge, so überreiche er hiermit diesen feingeschliffenen und in Bronze gerahmten Spiegel. Dann schloß er:

»Mein Schein ist Wechsel, deiner nicht,
Er strahlt in stets vermehrtem Licht
Und bleibt dir bis ans Ende treu!
Nun lebet wohl! – Ich werde neu!«

Er machte plötzlich linksum kehrt und nun zeigte sich, daß seine ganze Hinterseite schwarz wie Pech war, nur auf dem breiten Rücken war ein sichelförmiger Mond mit Profilgesicht dargestellt, der mit zwei gewaltigen Händen eine ungeheuer »lange Nase« machte.

Der Donner des Gelächters auf meine Kosten war unbeschreiblich. »Na, warte nur«, dachte ich, »du wandelndes Bierfaß, wenn einmal deine Stunde schlägt und du auf demselben Verwunderungsstuhl sitzest, dann soll meine Rache furchtbar sein!«

Es würde zu weitläufig werden, wollte ich alles anführen, was an diesem denkwürdigen Abend von ernst- und scherzhaften Vorträgen noch dargebracht wurde und wieviel liebenswürdige Freundlichkeit sowohl als scherzhafte Bosheit wir noch auszustehen hatten.

Als dann nach Beendigung aller dieser Aufführungen die Gesellschaft in den beiden anderen kleinen Zimmern herumwimmelte, weil nun der Tisch zum Abendessen im »Saal« gedeckt wurde, kam Hühnchen sehr vergnügt zu mir und sagte: »Du, willst du mal sehen, wie jetzt Bornemann als Oberpriester am Altar des Bacchus waltet? Es ist ein erhabener Anblick.«

Er führte mich in die Küche und dort stand Bornemann in seinem silberglänzenden Talar und hatte seine goldene Mondesscheibe nun wie einen Heiligenschein aufgesetzt. Vor ihm befand sich ein riesiges mit Blumen bekränztes Gefäß in einer mächtigen mit Eis gefüllten Schüssel. Hans Hühnchen entkorkte fortwährend Flaschen und reichte sie dem Meister zu, während ein anderer Jüngling ein großes mit Waldmeisterkraut gefülltes Sieb über die Bowle hielt. Nur war es bemerkenswert zu sehen, mit welcher Kennermiene Bornemann zuvor an jedem Kork roch, ehe er die Flasche verwendete. Wie er sie dann geschickt zwischen den Händen wirbelte, wodurch der Inhalt eine kreisende Bewegung erhielt und die Luft in der Mitte eindringen konnte, so daß der Wein in hohlem Strahl ohne zu blubbern schnell aus der Flasche herausschoß und durch das mit Waldmeister gefüllte Sieb in die Bowle plätscherte. So ging es fort Flasche für Flasche, ohne Ende, wie es uns dünkte. Hühnchen wurde ganz ängstlich und sagte: »Bornemann, du denkst wohl an eine Herrengesellschaft, bedenke, es sind über die Hälfte Damen dabei.« Bornemann erwiderte mit dem Ton eines Mannes, der sich nicht in seine Angelegenheiten reden läßt: »Leberecht, das verstehst du nicht. Wenn ich eine Bowle ansetze, dann saufen die Menschen schrecklich, und es bekommt ihnen.«


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