Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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Die Landpartie

1. Frau Schüddebold

Ich hatte es ja am Ende sehr gut bei Frau Schüddebold, aber zuletzt ging es doch nicht mehr, und zwar aus mancherlei Gründen. Diese meine brave Hauswirtin sorgte mütterlich und musterhaft für mich, und meine beiden kleinen Zimmer glänzten von Sauberkeit und Ordnung; ja von diesem Artikel war sogar nach meinem Geschmack meistens etwas zu viel vorhanden, denn ich muß nur offen gestehen, daß ich zu den Naturen gehöre, die sich am wohlsten fühlen, wenn sie ein wenig in ihrem eigenen Müll sitzen, wie man bei mir zu Lande sagt. Ich wohnte an einem friedlichen Eckchen Berlins, in der Kesselstraße, und aus dem Fenster sah man auf einen kleinen Platz mit Grün und Blumen; es war eine jener stillen Buchten, an denen der Strom des großstädtischen Lebens fern vorbeirauscht. Man kannte schließlich alle von Ansehen, die in diesem abgelegenen Winkel ein- und ausgingen, man erzählte sich Geschichten von den einzelnen Bewohnern der Häuser, kurz, es wehte dort so ein angenehmer Hauch von kleinstädtischer Luft, der etwas ganz Behagliches und Heimliches hatte, zumal man jederzeit mit ein paar Schritten wieder mitten in dem Treiben eines riesig flutenden Lebens sein konnte. Es war also ganz hübsch dort und ich hatte es recht gut, doch sollte ich solches Glück nicht ungetrübt genießen wegen zweier Eigenschaften der Frau Schüddebold, die auf die Dauer schwer für mich zu ertragen waren. Zuvörderst hatte sie nämlich eine unüberwindliche Abneigung gegen Tiere und ich habe früher schon einmal erzählt, wie dieser Antipathie jenes dürftige stellenlose Hündchen zum Opfer fiel, das sich mir in der Hoffnung, endlich wieder in Lohn und Brot zu kommen, so vertrauensvoll anschloß. Ich war nun aber an Tiere gewöhnt von Kindheit an und wenn es auch nur Zwergmäuse oder Rotkehlchen gewesen waren, irgend dergleichen hatte ich immer um mich gehabt. An so etwas durfte ich aber gar nicht zu denken wagen, denn hier hatte die Güte der Frau Schüddebold ein Loch, das mit harter Verständnislosigkeit ausgefüllt war. Vögel waren ihr gleichbedeutend mit Schmutz, für die es in ihrer Wohnung keinen Platz gab, und nun gar für Mäuse, Eichhörnchen, Siebenschläfer, Wiesel, Ringelnattern, Laubfrösche, Eidechsen und dergleichen Ungeziefer erst recht nicht. Deshalb mußte ich schon dem häuslichen Frieden dies schwere Opfer bringen und fand nur einen geringen Ersatz darin, mir Terrarien und Zimmervolieren von wahrhaft wundervoller Einrichtung und märchenhafter Pracht im Geiste auszumalen und mit den seltensten und zierlichsten Tieren zu bevölkern.

Zweitens aber, und das fiel schwerer ins Gewicht, stellte es sich im Laufe der Zeit mit fast untrüglicher Gewißheit heraus, daß Frau Schüddebold mit der Absicht umging, mich zu heiraten. Ich hatte kein Recht, ihr das zu verdenken, und wußte das Schmeichelhafte, das in dieser Wahl der ansehnlichen und nicht unvermögenden Frau lag, sehr wohl zu schätzen, allein ich hatte aus einer schwärmerischen Jugend doch noch einige ideale Vorstellungen von dem Wesen gerettet, das ich mir einmal als meine Frau dachte, und diese entsprachen sehr wenig dem Bild der Frau Schüddebold. Vor allen Dingen hatte ich mir die Holde, die ich einmal zum Altar führen würde, immer mehr als eine rosige Apfelblüte denn als reifen Borsdorfer vorgestellt, und hier ließ sich doch nicht leugnen, Frau Schüddebold war recht reif, so rosig sie auch einmal geblüht haben mochte.

Wie und wann ich allmählich dahinter kam, weiß ich nicht mehr, mir ist nur erinnerlich, daß ich zuerst lange keinen Verdacht schöpfte, so wohlwollend auch die Blicke der braven Frau auf mir ruhten und so oft sie mir auch erzählte, wie kurze Zeit sie nur das Glück genossen hätte, mit ihrem Seligen vereint zu sein, und wie sonderbar sie auch seufzte, wenn sie das Zimmer verließ. Auch als sie mir den großen Beweis des Vertrauens gab, mich in Vermögensangelegenheiten um Rat zu fragen, und ich bei dieser Gelegenheit erfuhr, daß sie über mehr als zwölftausend Taler in Hypotheken und sicheren Staatspapieren verfügte, merkte ich nicht den Köder, denn in solchen Dingen war ich eigentlich immer ziemlich dumm. Dann aber stellten sich bei dieser Frau literarische Neigungen ein, und solches erfreute mich anfangs sehr als ein Zeichen spät erwachenden Bildungsdranges. Wenn ich nach Hause kam, fand ich oft aufgeschlagene Bücher aus meiner kleinen Bibliothek auf dem Tisch und durfte vermuten, daß Frau Schüddebold in meiner Abwesenheit darin gelesen hatte. Zuletzt aber fiel es mir doch auf, daß an solchen Stellen immer nur von Liebe die Rede war, daß die Bücher immer mit einer gewissen Absichtlichkeit an einem Ort lagen, wo sie mir ins Auge fallen mußten, und daß dies ganze Verfahren durchaus nicht mit der sonst so peinlichen Ordnungsliebe dieser Frau in Harmonie stand. Da ich mich zur Erholung von meinen Berufsgeschäften vorzugsweise gern mit den Werken älterer und neuer Dichter beschäftigte und zuweilen selber wohl einen kleinen Jagdausflug auf den Helikon unternahm, so fand sich zu solchen seltsamen Taten meiner Wirtin Gelegenheit genug. Trotzdem dauerte es lange Zeit, bis ich die eigentliche Bedeutung dieser Sache begriff, denn anfangs hatte ich dies nur für ein dem weiblichen Geschlecht innewohnendes allgemeines theoretisches Interesse für die Angelegenheit der Liebe gehalten, das ja selbst Urgroßmütter nicht ganz verlieren sollen. Aber eines Tages, als ich Mörikes Gedichte aufgeschlagen fand bei der Stelle:

»Fragst du mich, woher die bange
Liebe mir zum Herzen kam....«

da erleuchtete sich plötzlich alles elektrisch und ich sah mit einemmal klar. Von nun an schien mir mein Heil nur in der äußersten Würde und Gemessenheit zu liegen, aber die kühle Gleichgültigkeit, die ich jetzt im Verkehr mit Frau Schüddebold entfaltete, hatte das Gegenteil der gewünschten Wirkung. Ihr Wesen wurde immer elegischer, ihre Seufzer holte sie aus immer größeren Tiefen der Seele, und ein Ausdruck hinschmachtender unerwiderter Liebe wich nicht mehr aus ihrem Antlitz. Der Teufel plagte mich eines Tages, zu prüfen, wie weit wohl ihre Aufopferung bei dieser merkwürdigen Gemütslage gehen würde, und da ich vor kurzem ein Pärchen Bartmeisen in einer Vogelhandlung gesehen hatte, das mit dem brennenden Wunsch, es zu besitzen, mein Herz verwundet hatte, so fragte ich nach einer diplomatischen Einleitung vorsichtig an, was wohl Frau Schüddebold sagen würde, wenn ich mir diese reizenden allerliebsten Tiere anschaffen würde. Und was geschah? Mit einer Miene unendlicher demutsvoller Hingebung erwiderte sie: »Wenn Sie es wünschen, lieber Herr, gern!«

Über diese Antwort, so viel Verlockendes auch für mich darin lag, war ich heftig erschrocken. Ich sah es nun klar, der Wurm der Liebe nagte schon an den Grundfesten ihres Charakters, denn ich fand sie bereits entschlossen, Prinzipien zu opfern.

Für manchen hätten wohl die Annehmlichkeiten, die eine solche Verbindung mit sich führte, viel Verlockendes gehabt. Einfacher konnte ich gar nicht zu einer wohleingerichteten Häuslichkeit kommen, nicht einmal auszuziehen brauchte ich. Zwar fünf Jahre älter war Frau Schüddebold als ich, jedoch eine saubere, stattliche und wohlerhaltene Frau. Ich hatte schon andere Dinge erlebt. Einer meiner Freunde hatte eine Dame geheiratet, die ihn im Alter um acht Jahre übertraf, und es war eine glückliche Ehe geworden. Allerdings war sein Beweggrund Liebe und nicht Bequemlichkeit gewesen. Daß ich jedoch diesen gefährlichen Spekulationen nicht zu lange nachhing, habe ich dem Barbier Kräutlein zu danken. Herr Kräutlein war, wie fast alle Barbiere, von etwas ausschweifender, zur Romantik geneigter Gesinnung und feurigen Gemütes. Die mannigfachen Vorzüge der wohlhabenden stattlichen Witwe hatten sein Herz entzündet und seit einiger Zeit verfolgte er sie mit glühenden Werbungen. Es ist möglich, daß diese, bevor durch den Gott der Liebe ihr Sinn auf mich gewendet worden war, den schmeichlerischen Worten des Barbiers mehr Gehör geschenkt hatte, jetzt aber war sie eitel Grausamkeit und Härte gegen Herrn Kräutlein. Solches aber entflammte nur immer höher die Glut dieses Märtyrers der Liebe, und sehr bemerkenswert war es zu sehen, wie wohl sich die alternde Frau in dem Abglanz dieser schmeichelhaften Flammen gefiel, denn durch all den Zorn über die zudringlichen Werbungen dieses Hasenfußes leuchtete doch immer die stille Befriedigung, vor den Augen des geliebten Mieters so heiß begehrt zu werden. Überaus komisch war eine Szene, die sich fast täglich ereignete. Wenn der Barbier meinen Freund Oppermann, der drei Treppen hoch wohnte, des Morgens wie gewöhnlich rasiert hatte und wieder herunter kam, dann zog er regelmäßig die Türglocke, um Frau Schüddebold herbeizulocken. Wenn sie dann kam und vorsichtig zuerst durch das Guckloch in der Tür hinauslugte, girrte er ihr, die natürlich nicht öffnete, durch dieses kleine Loch die heißesten Schwüre und Liebesbeteuerungen zu, während sie als Gegengabe die härtesten Schmähungen auf seine wohlgekräuselten Barbierslocken häufte. Hatte er dann fruchtlos dort einige Zeit geseufzt und deklamiert, verließ er gekränkt den Ort seiner Schmach, ermannte sich aber vor der Haustür wieder, steckte die Hand in den Busen, warf noch einige großartig flammende Blicke auf die Fenster des Hauses und begab sich erhobenen Hauptes und wogenden Ganges hinweg. Einmal aber, als er gerade die Treppe herabkam und Frau Schüddebold in demselben Augenblick dem Briefträger geöffnet hatte, war er in geschickter strategischer Benutzung dieses günstigen Momentes eingedrungen, hatte auf dem schmalen halbdunklen Korridor zuerst einen großartigen Fußfall im Opernstil getan und war dann so feurig geworden, daß sich Frau Schüddebold seiner mit einer Feuerzange erwehren mußte, ihn auch nach mehreren tapferen Angriffen endlich in die Flucht trieb. Nun aber war ihre Geduld am Ende und das nächste Mal versuchte sie ein anderes Mittel zur Abkühlung dieser gewaltigen Liebesflammen. Als nun Herr Kräutlein schon am anderen Tag wieder unabgeschreckt seine gewohnten Liebesbeteuerungen durch das Guckloch girrte, da war sie doppelt hart gegen ihn und behandelte ihn so schrecklich, daß er früher als gewöhnlich abließ und sich davonschob. Im nächsten Augenblick sah ich Frau Schüddebold in großer Eile durch mein Wohnzimmer in die Schlafkammer rennen und ward durch ein seltsam furienhaftes Leuchten ihrer Augen erschreckt. Ich folgte ihr und sah sie am offenen Fenster stehen, wie sie lauernden Blickes ein großes Gefäß mit Wasser in den Händen hielt. In diesem Augenblick trat der Barbier aus dem Hause, und als er eben nach seiner Gewohnheit den großartig flammenden Blick auf die Fenster des Hauses senden wollte, da – klatsch – traf ihn ein wohlgezielter Wasserguß von den grausamen Händen der Geliebten und durchnäßte ihn von oben bis unten. Wenn diese aber geglaubt hatte, durch dieses Verfahren eine zerknirschende Wirkung auf Herrn Kräutlein auszuüben, da fand sie sich schwer getäuscht, denn nun erst fühlte sich dieser ganz auf der Höhe seines Märtyrertums und heiß durchströmte ihn das stolze Bewußtsein, für seine erhabene Liebe ungerecht zu leiden. Seine Augen flammten, seine Brust weitete sich, und hoch erhobenen Hauptes, stolze Blicke um sich sendend, ging er, obwohl naß wie eine gebadete Katze, fast eine Viertelstunde vor dem Hause auf und ab, nicht achtend der spöttischen Zurufe und der lächelnden Blicke, die ihm aus den Fenstern der Umwohnenden reichlich zuteil wurden. Sobald meinem Freund Oppermann dieses Abenteuer bekannt wurde, schaffte er Herrn Kräutlein ab, denn er fürchtete es, sich ferner dem Messer eines vom Wahnsinn der Liebe ergriffenen Barbiers anzuvertrauen: »De Kierl snitt mi jo womäglich den Hals af!« sagte er in seinem heimischen Idiom, und solchem Beispiel folgten noch einige andere Kunden in der Gegend, so daß der unglückselige Mann außer jener tiefen Herzenskränkung auch in seiner bürgerlichen Nahrung arg geschädigt wurde. Er mußte mich wohl hinter seiner geliebten Feindin haben stehen sehen, als er so grausame und verächtliche Behandlung von ihr erfuhr, denn von nun ab schien er mich mit Groll und Argwohn zu betrachten, warf aus rollenden Augen furchtbare Othelloblicke auf mich, wenn er mir begegnete, und murmelte Unverständliches zwischen den Zähnen. Um diese Zeit erhielt ich folgende Zeilen von Hühnchen:
 

»Liebster Freund!

Am ersten Juli zieht der Major aus, um zu heiraten. Als ich nun gestern mit Lore darüber sprach, da schoß wie ein glänzender Meteor ein herrlicher Gedanke durch die Nacht meines Hirnes. Teuerster Freund, die Wohnung ist ja gerade wie für Dich geschaffen! Nachdem ich diese geniale Idee geäußert hatte, verbreitete sich Sonnenschein durch das ganze Haus, Lore strahlte, die Kinder sprangen und ich mußte mir so lange die Hände reiben, daß ich siebenmal die Stube damit auf und ab kam. Dadurch angeregt, ließ unser neuer Kanarienvogel, der auch wieder Hänschen heißt, seinen ungeheuren Triller los, der so lang wie die Friedrichstraße ist, wahrhaftig wie ein Fußsteig in die Ewigkeit. Mit einem Wort, das Haus Hühnchen jauchzte. Da wir gerade zu Tische gehen wollten, holte ich zur Feier dieser glücklichen Stunde eine Flasche Sauren herauf und so wurden wir noch lustiger und ließen unseren zukünftigen Hausgenossen leben. Denn daß Du diese Gelegenheit beim Zipfel ergreifen wirst, erscheint mir außer aller Frage. Über Frau Schüddebolds Strenge und ihren unvernünftigen Haß gegen alles, was da fleucht und kreucht, hast Du Dich oft beklagt. Sieh mal, bei mir soll der Stab sanft über Dich geschwungen werden, bei mir kannst Du Dir meinetwegen eine ganze Menagerie anlegen und Dir die ungebräuchlichsten Tiere anschaffen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Giraffe? Zwar muß es schon eine Klappgiraffe sein, damit sie in unseren Salons Platz fände, oder es wird auf andere Weise Rat geschafft. In unserem Südzimmer kann sie wunderschön stehen in heimischen Klima, und damit sie in ihrer räumlichen Entfaltung nicht behindert wird, machen wir in Dein Zimmer hinein ein Loch in die Decke, wodurch sie den Hals und den Kopf steckt. So kannst Du den besseren Teil des anmutigen Tieres stets um Dich haben, kannst es streicheln, tränken und füttern und ihm Gedichte vorlesen, während wir uns zugleich unten seiner Lieblichkeit erfreuen. Mit einem Wort, bei uns kannst Du machen, was Du willst, und wenn es Dein Herz gelüstet, das Bombardon zu spielen, oder um das Abendrot auf einer Posaune zu blasen, so wird Dir niemand darin hinderlich sein, denn Nerven hat in diesem ganzen Haus kein Mensch.

Drum, lieber Freund, entschließe Dich und beglücke uns möglichst bald mit Deiner Zusage. Die Arme der Familie Hühnchen sind geöffnet, Du brauchst Dich nur hineinzustürzen. Wir wollen Dein Wohnzimmer neu tapezieren lassen; Lore hat kürzlich neue Tapeten gesehen mit Blumen, Vögeln und Schmetterlingen, sie sagt: märchenhaft wie aus ›Tausendundeiner Nacht‹. Der Wein ist nun schon so hoch emporgerankt, daß Dir die Trauben ins Fenster hängen werden, und dann die Aussicht auf den Garten, auf den Napoleonsbutterbirnbaum und den Gravensteiner und im Hintergrund die Laube mit dem Springbrunnen davor. Lockt Dich das nicht? Hurra! ich freue mich furchtbar auf Deine Zusage! Alle grüßen Dich herzlich!

Dein Hühnchen.«
 

Dieser Brief kam mir wie eine Erlösung. Ja, so war es am besten, so entging ich gleichzeitig der Liebe und dem Haß. Denn auf die Dauer war Frau Schüddebolds Zuneigung doch nicht gut zu ertragen und sehr wenig erheiternd war die Vorstellung, einen Feind in steter Nähe zu wissen von phantastischer und exzentrischer Gemütsart, der unausgesetzt einige haarscharf geschliffene Rasiermesser bei sich führte.

Schrecklich war der Augenblick, als ich Frau Schüddebold kündigte. Sie stand da bleich und starr wie eine Bildsäule mit der Unterschrift: »Der stille Vorwurf.« Dann traf mich ein Blick, in dem mit Riesenbuchstaben geschrieben stand: »Habe ich das um dich verdient?« und ohne ein Wort zu sagen, entfernte sie sich mit dem qualvollen Seufzer einer tief gekränkten Seele. Man vergönne mir zu schweigen über diese letzten Tage, wo Frau Schüddebold bei mir aus und ein ging wie eine stumme Anklage, still, aber groß in ihrem Schmerz.

Nur einmal noch fand ich Mörikes Gedichte wieder aufgeschlagen an einem Platz liegend, wo sie mir sofort in die Augen fallen mußten. Die Verse, die ich lesen sollte, lauteten:

»Lebe wohl! – Du fühlest nicht,
Was es heißt, dies Wort der Schmerzen;
Mit getrostem Angesicht
Sagtest du's und leichtem Herzen.

Lebe wohl! – Ach tausendmal
Hab' ich mir es vorgesprochen,
Und in nimmersatter Qual
Mir das Herz damit gebrochen!«

Ich kann aber zum Trost für alle zartfühlenden Seelen hier berichten, daß die Frau sich recht bald in ihr trauriges Schicksal gefunden hat. Indem sie sich zuletzt wohl überlegte, daß ein, wenn auch ein wenig verrückter, so doch einer ungewöhnlichen Liebesglut fähiger Lebensgefährte immerhin besser sei als gar keiner, hat sie zuletzt, geschmeichelt und gerührt von der unwandelbaren Beharrlichkeit, mit der dieser Mann ihr sein Herz entgegentrug, dem Barbier Gehör gegeben und ihn auf kurze Zeit zum Glücklichsten der Sterblichen gemacht. Denn nach der Hochzeit ist es bald anders geworden, und Herr Kräutlein schmachtet in furchtbarer Tyrannei. Sie hat das unglückselige Gewächs an den Stab ihrer Strenge gebunden und sich mit ganzer Kraft bemüht, alle seine vergnüglichen Auswüchse wieder geradezuziehen. Seiner leichtbeflügelten, phantasiereichen Barbierseele hat sie eine Feder nach der anderen ausgerupft und in dem Leben dieses unglückseligen Opfers der Liebe ist jetzt nicht mehr Romantik als in einem hohlen Hirsekorn Platz hat. Armer Kräutlein!


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