Heinrich Seidel
Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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3. Hochzeit

Die kirchliche Feier war vorüber und wir befanden uns wieder in den festlich geschmückten Räumen der Hühnchenschen Wohnung. Dreimal hatten wir Spießruten laufen müssen auf dem Weg zur Kirche. Einmal vor dem Hause, wo ein Haufen von Kindern, Dienstmädchen, alten Weibern und solchen Müßiggängern sich angesammelt hatte, die überall stehenbleiben, wo es was zu sehen gibt, sei es ein umgefallenes Droschkenpferd, die Durchfahrt eines Kahnes unter einer Brücke oder sonst irgend etwas. Das anderemal blühte uns dieses Glück vor der Kirche und dort schlugen einige Bemerkungen an mein Ohr, die ich nicht unterdrücken will, obwohl manches nicht schmeichelhaft für mich war.

»Ach so eenfach«, sagte ein aufgedonnertes Dienstmädchen. »Bloß Kaschmir!«

Dann wieder eine andere Stimme: »Vor zwee Jahr' is sie erst injesegnet. Mit meine Hulda zusammen.«

»Ach, so jung!« flötete bedauernd eine ältliche Jungfrau.

»Und nimmt so 'n Ollen!« krächzte eine scheußliche Megäre. Als wenn man nicht mit neununddreißig Jahren heutzutage noch geradezu ein Jüngling wäre.

In der Kirche selbst saßen nun außer den wenigen Leuten, die ein Interesse an der Familie Hühnchen nahmen, erst die wahren Kennerinnen, gewisse Stammgäste, die solchen Schauspielen eine nie erlöschende Teilnahme beweisen und keines versäumen. Aber die Heiligkeit des Ortes dämpfte ihre Stimme zu leisem Flüstern, so daß ihre gewiß tief einschneidenden Kritiken uns nicht vernehmlich wurden.

Die Trauung verlief ohne jeden Zwischenfall. An keinem Pfeiler des Hintergrundes stand ein bleicher junger Mann mit der tiefen Falte des Grams zwischen den Augenbrauen, keine verschleierte Dame brach auf dem Chor beim Ringewechsel ohnmächtig zusammen, kein gebräunter junger Mann, soeben aus fernen Weltteilen mit Schätzen reich beladen zurückgekehrt, trat zufällig in die Kirche und sah erbleichend und mit zusammengebissenen Zähnen, wie der Traum seiner Jugend einem anderen die Hand reichte, kein geheimer Kriminalschutzmann legte mir nach vollendeter Trauung die Hand auf die Schulter und sprach: »Mein Herr, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes«, nein, alles ging ungemein wenig romanhaft und so nüchtern zu, wie man es sich nur wünschen kann.

Die Hühnchensche Wohnung war festlich geschmückt mit Blumen, Girlanden und Grün, und Hühnchens größter Stolz war, daß alles aus seinem kleinen Garten stammte. »Zwar«, sagte er, »kann man nicht leugnen, daß dieser Garten zur Zeit ein etwas abgerupftes Aussehen hat, allein die unverwüstliche Schöpferkraft der Natur wird das alles schon wieder ersetzen.«

An der ebenfalls mit Blumen schön ausgezierten Tafel versammelte sich nun die Hochzeitsgesellschaft in ihrem höchsten Staat. Da war mir zur Seite Frieda in schimmerndem Weiß, mit dem langen, wallenden Schleier und dem zarten Myrtenkranz im Haar, demütig und schön, da war meine Mutter in perlgrauer Seide sehr stattlich anzuschauen, da war Herr Nebendahl, dessen weißes Westenvorgebirge heute noch erhabener schimmerte als gestern und dessen Frack von den ungewohnten Strapazen in allen Nähten krachte, da war der Major in äußerstem militärischem Glanze und seine Frau in Purpur und köstlicher Leinwand, wenn man ihr dunkelrotes, mit Spitzen besetztes Kleid also bezeichnen darf, da zeigten sich die Trauführer neben ihren in schimmerndes Weiß gekleideten Damen, Freund Bornemann, heut fast noch mehr Vorhemd als gestern, Herr Erwin Klövekorn, der zur Feier des Tages so blasiert aussah, als hätte er alle Freuden dieser Welt bereits in der Windel ausgekostet, und Hans Hühnchen, der von Liebesgöttern umspielt neben seiner Brautjungfer, dem »Feuer«, sitzend, seinen Platz mit keinem König getauscht hätte. Den Beschluß machten Doktor Havelmüller und Fräulein Dorette Langenberg, die mir einst von Hühnchen zugedachte Zukünftige. Ein Zug weltschmerzlicher Entsagung, der ihr sehr gut stand, hinderte sie nicht, gegen ihren Nachbarn alle Wasser der Unterhaltung spielen zu lassen.

Wir hatten noch nicht lange bei Tisch gesessen, als Hühnchen sich erhob und eine kleine Rede hielt: »Meine lieben Freunde«, sagte er, »man pflegt im Leben von Glückspilzen und Pechvögeln zu reden, das ist mir immer falsch erschienen, ich für meinen Teil bin immer geneigt gewesen: Pechpilz und Glücksvogel zu sagen. Einen solchen Glücksvogel seht ihr in mir. Denn mir ist alles geglückt, was ich mir vorgenommen habe, ja über meine Wünsche hinaus ist mir liebliche Erfüllung zuteil geworden. Meine Eltern waren zwar sehr arm, aber liebevoll und gut gegen mich, kann man wohl in der Kindheit ein besseres Glück finden? Sie ließen mich eine gute Bildung erwerben, ich konnte das Gymnasium besuchen, doch weiter reichten ihre Mittel nicht. Als ich mich später dann dem Maschinenbau zuwendete, da war es mein höchster Wunsch, auf einer technischen Hochschule mich weiter für meinen Beruf auszubilden, und auch dies ward mir nach Jahren fleißiger Arbeit endlich zuteil. Dort auf dem Polytechnikum zu Hannover fand ich einen Schatz, der seltener ist als mancher weiß und denkt. Dort erwarb ich mir einen Freund, einen Freund fürs Leben, einen solchen, bei dem

Verständnis zu Verständnis sich gesellt,
Und was in einem tönt, im andern klingt
Und wiederhallt.

Und was noch mehr ist, nicht lange darauf gewann ich noch einen größeren Schatz, ein liebes, getreues Weib, das ich nicht anstehe, eine Perle ihres Geschlechtes zu nennen.« Frau Lore ward rot wie eine Purpurrose, und Hühnchen fuhr fort: »Diese meine liebe Frau schenkte mir zwei blühende gesunde Kinder, die ich weiter nicht loben will, denn das würde mir als Vater nicht wohl anstehen. Aber ich darf wohl sagen, daß sie mein Glück, mein Stolz und meine Hoffnung sind. Auch in den geringeren Dingen hat mich das Glück begünstigt, meine lieben Freunde. Nur eines will ich anführen. Schon ein Traum meiner Jugend war es, einmal ein eigenes Häuschen zu besitzen und in der eigenen Gartenlaube mein Abendpfeifchen zu rauchen. Ihr Freunde, die ihr versammelt seid in diesen festlich geschmückten Räumen, ihr wißt es, wie bald auch dieser Wunsch meines Herzens in Erfüllung ging und wie lange schon ich mit Dankbarkeit dies kleine Stück unserer großen Mutter Erde mein eigen nenne und mit welcher Freude ich in meinem Gärtchen die Gaben entgegennehme, die mir die Natur aus ihrem unerschöpflichen Schoße Jahr für Jahr aufs neue spendet.

Aber die Ursache, weshalb ihr heute hier versammelt seid, liebe Freunde, stimmt mein Herz zu besonderer Dankbarkeit und gerührter Freude. Denn die Berechtigung, mich einen Glücksvogel zu nennen, darf ich auch wohl daraus ableiten, daß mir ein Glück gegeben ward, das nicht alltäglich ist in diesem Leben. Ich durfte die Hand meiner einzigen geliebten Tochter legen in die Hand jenes vorhin genannten Freundes, den ich kenne seit früher Jugend, den ich liebe, schätze und verehre, ich durfte es tun mit Zuversicht und freudigem Vertrauen. Das ist bis jetzt der Gipfel meines Glückes, und keinen besseren Wunsch glaube ich deshalb heute aussprechen zu können für meine lieben Kinder, als den: ›Seid glücklich, wie wir es bis jetzt gewesen sind. Seid glücklich, glücklich, glücklich!‹« Hühnchen schwieg eine Weile, da ihm die Stimme versagte, dann fügte er rasch und leise hinzu: »Und darauf wollen wir unsere Gläser leeren!«

Es war eine merkwürdige gedämpfte Stimmung, in die hinein nun die Gläser klangen, und in manchen Augen schimmerten Tränen, deren sich diesmal keiner zu schämen schien.

Doch diese Stimmung machte bald wieder allgemeiner Heiterkeit Platz, zumal als nach einiger Zeit der Major an sein Glas schlug und eine Rede begann, die voll von den merkwürdigsten Pointen war. »Meine sehr verehrten Herrschaften«, begann er, »als ich an dem vergangenen Fastnachtsdienstag von meinem Büro nach Hause kam, da fiel mir der Laden des bekannten Bäckermeisters Bredow in die Augen und da ich nicht wußte, ob meine Frau für diesen Abend bereits die obligaten Pfannkuchen besorgt hätte, so trat ich hinein und erstand mir eine Tüte voll von diesem in Berlin so außerordentlich beliebten Gebäck, ohne das man sich einen Silvester- oder Fastnachtsabend nicht wohl vorzustellen vermag. Als ich aber nach Hause kam, da hatte meine Frau bereits von dem berühmten Konditor Westphal ebenfalls eine Anzahl dieser festlichen Backwerke mitgebracht. Da wir nun dadurch in der Lage waren, Vergleiche anzustellen, so mußten wir konstatieren, daß die Pfannkuchen des Bäckermeisters Bredow nicht allein größer, sondern auch bedeutend besser und wohlschmeckender waren als die des berühmten Konditors Westphal. Ja! – Hieran anknüpfend möchte ich mir die Bemerkung erlauben, daß ich vermöge meiner gesellschaftlichen Stellung« – hier richtete sich die Frau Majorin noch gerader empor als sonst und ein Abglanz ihrer ebenfalls vornehmen Vergangenheit verklärte ihr Antlitz, wie der Abendsonnenschein eine Burgruine – »daß ich vermöge meiner gesellschaftlichen Stellung die Gelegenheit hatte, in adligen und hochangesehenen Kreisen zu verkehren. Ja! Aber ich muß konstatieren, daß es mir dort gegangen ist wie mit den Pfannkuchen, daß ich mich in allen diesen Kreisen nicht so wohl gefühlt habe als in dem, den der einfache bürgerliche Ingenieur, Herr Leberecht Hühnchen, um sich versammelt hat. Ja! – Apropos Ingenieur! Nicht von allen Vertretern dieser Berufsklasse kann man sagen, daß sie sich einer gleichen Geistes- und Herzensbildung erfreuen. Ich habe dabei einen jungen Menschen im Auge, der auf dem Büro, wo ich die Plankammer verwalte, wegen Mangel an Platz auf kurze Zeit zu mir hineingesetzt wurde in mein Zimmer, um dort zu arbeiten. Der junge Mensch hatte in Zürich studiert und war voll von umstürzlerischen Ideen, so daß, als wir binnen kurzem in ein politisches Gespräch gerieten, wir natürlich bald konstatierten, daß sich unsere Ansichten diametral gegenüberständen. Ich sage di-a-me-tral! Nun, das hätte nichts zu bedeuten gehabt, denn wenn ich die Meinung eines ehrlichen Gegners auch nicht teile, so kann ich sie doch achten, allein der junge Mensch ließ sich zu einer Bemerkung hinreißen, die mich förmlich in Erstarrung versetzte, so daß ich vorzog zu schweigen, weil die mir zuteil gewordene Erziehung es nicht zuließ, die Antwort zu geben, die allein am Platz war. Dieser ›Ingenieur‹ behauptete nämlich, daß es unter den Offizieren, besonders unter der älteren Generation, doch manche gebe, denen es an allgemeiner Bildung mangele. Ich war, wie gesagt, starr! Aber als ich desselbigen Abends auf dem Sofa lag und las wie gewöhnlich, da fiel mir zufällig ein Roman in die Hände, der mir die richtige Antwort in den Mund legte, und am anderen Tag redete ich den jungen Menschen folgendermaßen an: ›Hören Sie mal, Herr Hannemann‹, sagte ich mit einem gewissen Nachdruck, ›es beliebte Ihnen gestern, einige inkrojable Bemerkungen fallen zu lassen über Offiziere und allgemeine Bildung. Darauf kann ich Ihnen nur erwidern, daß ich gestern abend zufällig einen Roman gelesen habe, in dem ein Ingenieur vorkam, der sich über alle Begriffe ungebildet und roh benahm. Ich sage Ihnen, er benahm sich sozusagen fast gemein. Sie sehen also, daß auch in Ihrem Stand die allgemeine Bildung nicht so durchweg verbreitet ist, wie Sie anzunehmen scheinen. Ja!‹ – Da war der junge Mensch, wie man so zu sagen pflegt, ›baff‹ und erwiderte kein Wort. – Aber meine verehrten Herrschaften, Sie werden fragen, warum ich diese Geschichte erzähle in einer Gesellschaft, in der, wie ich wohl weiß, sich drei Ingenieure befinden und einer, der es werden will. Ich erzähle sie, weil dieser junge, vorhin erwähnte Mensch eine der Ausnahmen bildet, die die Regel bestätigen, denn alle anderen Ingenieure, die ich sonst kennenlernte, erwiesen sich als liebenswürdige und fein gebildete Leute. Insbesondere unser hochverehrter Brautvater und Gastgeber, Herr Leberecht Hühnchen, der in so mancherlei Gebieten des Wissens zu Hause ist, gehört gewiß zu den seltenen Menschen, die keine Feinde haben und von allen geliebt werden, die sie kennen. Und was mich betrifft, so habe ich in den freundlichen Giebelzimmern dieses Hauses fröhliche und friedliche Jahre verlebt und mich am Verkehr mit dieser liebenswürdigen Familie erfreut, denn was Herr Leberecht Hühnchen in seiner vorigen Rede über seine Frau Gemahlin und seine Kinder zu äußern beliebte, das kann ich nur voll und ganz unterschreiben. Und was ferner mich betrifft, so bin ich diesem Hause ganz besonderen Dank schuldig, denn hier lernte ich meine jetzige hochverehrte Gattin kennen« – wieder fiel ein Strahl der Abendsonne auf die Burgruine – »ja, ohne das Haus Hühnchen wären meine sinkenden Tage wohl niemals von der Sonne ehelichen Glückes vergoldet worden.« Hier machte der Major eine Pause der Rührung, weil ihm diese letzte Redewendung wohl ganz besonders gelungen erschien, und fuhr dann fort: »Und so, getrieben von den Gefühlen der Dankbarkeit und der Verehrung, fordere ich Sie auf, hochgeschätzte Anwesende, mit mir auf das Wohl des Hauses Hühnchen ein Glas zu leeren. Es lebe hoch, dreimal hoch! Ja!«


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