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XII.
Die große Ausstellung

Tatsächlich, die gütererzeugende Wirtschaft stand nach außen noch ganz fest, die Werke hatten Aufträge in den Büchern auf fünf bis sechs Monate, die Löhne konnten gehalten und glatt ausgezahlt werden, doch die alten Kenner mit einer Erfahrung von drei und vier Krisen, die ja aller zehn Jahre so sicher kommen, wie die Heuschrecken in Afrika, welche sich erst in unbetretenen Geländen stärken, vermehren und dann ausbrechen, diese alten Pioniere der Industrie, wozu auch Kraforst II gehörte, sie wußten es besser: die Aufträge stammten aus der Zeit der unerschütterten Hochkonjunktur und der Warenknappheit, es waren Angstkäufe und Spekulationskäufe, sie hingen noch in den Büchern, aber sie wurden nie abgenommen, weil der Besteller nicht abnehmen oder nicht zahlen konnte. Doch da die Millionen Hände der Arbeiter noch schafften und Geld in ihre Stube trugen, so floß es von da über das ganze Land, das eigentlich gar kein Land war, sondern auf tausend Quadratkilometern nur noch Städte hatte.

Kraforst III, der mit seinen naturwissenschaftlichen Grübeleien solchen Fragen nachging, verfluchte drob oft die Steinkohlenalpen und das Kohlenmeer: »Was preist ihr diesen Gespenstersumpf? Mußte diese Steinpfütze mit ihren Schachtelhalmen auf diesen einen winzigen Punkt zusammenlaufen? Konnte sie sich nicht ostwärts tausend Kilometer weit ausstrecken bis an die Karpathen? Dann hätten alle Provinzen ihr kaiserliches Regale mitbekommen, die Kohlenstädte hätten sich wie Perlen bis Krakau aneinandergereiht, und das ganze Deutschland wäre befruchtet.«

Neveling, der solche Phantasien einmal hörte, sagte: »Man hätte diesen langen Bengel zum Erdgeist ernennen sollen, er hätte dem Herrgott rechtzeitig Rechtsbelehrungen und technische Kenntnisse beigebracht.«

Aber alle solche Erwägungen, Besorgnisse und Ansichten versanken zunächst in der großen Kirmes, welche die Metallstadt beschlagnahmte statt des Sommers, dessen Herrlichkeiten glatt vergessen waren, so daß man sich erst im Spätherbst besann, daß man hätte Ausflüge machen und grüne Bäume sehen können.

Die große Ausstellung setzte an.

Aufsätze, Leitartikel, Broschüren, Programme machten den Anfang, dann kamen Maschinen und Zelte an, es folgten hohe Beamte, Exzellenzen, gleich dahinter Fackelzüge, Paraden, Festaufführungen, ein Ordensregen prasselte in die Säle, zugleich mit einem Bonbonregen auf dem Hauptfestplatz.


Die zwei Kraforst fuhren bei der Großmutter vor, um sie abzuholen. Die alte Frau hatte sich lange geweigert, ihr Kommando-Fernrohr für einige Stunden abzulegen, aber die Neugier und Erregung war schließlich doch nach dreimonatlicher Laufzeit von den Küchenmädchen, Stubenmädchen, Kutscher, Gärtner und allen Bekannten bis in den Kopf von Frau Kraforst gelangt.

Aber der Kaffee mußte doch zuerst bei ihr genommen werden: »In der Ausstellung soll er unverschämt teuer sein«, sagte sie. »Wir müssen sparen. Übrigens wie weit seid ihr mit der Aktiengesellschaft?« fragte sie ohne Übergang.

»Es ist alles vorbereitet.«

»Konntet ihr nicht anderswo Geld erhalten?«

»Die Großbanken haben alle die Taschen zugeknöpft, sind auch alle bis zum letzten Pfennig schon engagiert, das Geld ist knapp«, erwiderte ihr Sohn sichtlich bedrückt.

»Was hält dann die Sache auf?«

»Wir kämpfen um den Kaufpreis. Das neue Stahlwerk will die Bank zum Bauwert mit zwölf Millionen in die Bilanz der Aktien-Gesellschaft übernehmen, aber wir kämpfen um das alte Werk; es steht uns zu Buch mit 22 Millionen, darauf ruhen noch 3 Millionen Hypotheken, Grilecher lächelt und dienert und bückt sich, aber die technischen Gutachter haben den Brei versalzen, wie er sagt, ihr Gutachten ist ungünstig, das Werk sei veraltet, vor allem verbaut.«

»Was, verbaut! Das Meisterwerk deines Vaters,« schrie Frau Kraforst, »was weiß dieser frühere Markenkleber von unserm Werk!«

»Er weiß nichts, aber es ist sein Interesse zu drücken, damit das Gesamtkapital bei der Emission klein ist. Desto rascher und stärker steigt der Kurs, und die Banken halten die Aktien fest, bis der Kurs hoch ist.«

»Aber sie zahlen unsern Anteil aus?«

»Wir erhalten nach Abzug der Verpflichtungen an die Banken den Wert in Aktien der neuen Gesellschaft und können sie auch verkaufen oder behalten.«

»Es wird nichts verkauft, mein Junge; wir halten fest.«

Kraforst III mischte sich jetzt herein: »Das Entscheidende wird sein, ob wir mehr als die Hälfte der Aktien auf unsern Anteil bekommen.«

»Nun erklärt mir doch einmal, wie dieser Neveling es macht. Er hat noch keine drei Millionen gehabt und hat Werke jetzt von fünfzig Millionen und mehr.«

»Der hat einen Vorzug, Großmutter,« lachte Kraforst III, »er ist ein Pumpgenie, gegen das ein Gardeleutnant ein blöder Anfänger ist. Neveling hat sich erst des Werkes Büdingen bemächtigt, das ganze Werk verhypothekt, lombardiert, verpumpt und mit dem Geld die Zeche Abendsonne gekauft. Die wird verschuldet, verobligationiert, verliehen, und mit dem Erlös wird das Bous-Walzwerk geschnappt. Dem geht's ebenso und aller Verdienst wird nicht verteilt an die Aktionäre, sondern mit allem irgendwie erreichbaren Kapital frißt Neveling fünf Zechen auf. Inzwischen fangen alle diese Werke an, immer mehr Geld abzuwerfen in der guten Zeit. Das nimmt Neveling und beleiht, wo es angeht, noch den letzten Ziegel auf den Dächern und kauft weiter.«

»Aber das ist Wahnsinn.«

»Wahnsinn – hm. Vielleicht Größenwahnsinn. Es gibt Menschen, die mit dem Schwert erobern, Neveling will mit Geld Länder unterwerfen.«

»Und das hält stand?«

»Weißt du, Großmutter, das stelle dir so vor: ein Krokodil frißt ein anderes, daß nur noch der Kopf aus dem ersten steckt, das zweite frißt mit dem Maul ein drittes bis zum Hals und so fort. An keins der Biester kann man heran, das erste aber ist so stark mit Schuppen gepanzert, daß kein Speer durchgeht. Dies erste Krokodil ist das Neveling'sche Privatkrokodil; da ist er unangreifbar. Obendrein sitzen die Großbanken hilflos an ihm fest: mitgegangen, mitgehangen.«

»Bis mal einem dieser Reptilien übel wird und es das andere herausbricht«, murrte Kraforst II.

»Ja,« lachte Kraforst III, »dann kommt das große Viehsterben – vielleicht erlebe ich es noch.«

»Du solltest Professor werden der Volkswirtschaftslehre oder so was Ähnliches«, meinte der Vater.

Die Tassen waren leer. Die Großmutter erhob sich zuerst und war noch vor den Männern in Hut und Mantel.

Man fuhr zur Ausstellung.

Zuerst die großen Vorbereiter und Vorreiter des Krieges, die Geschützfirmen; dann Riesenhallen mit Drehkranen, Greifkranen, Laufkatzen, wirbelnden und stampfenden Maschinen, Magneten, welche Eisenbündel von fünfzig Zentnern rätselhaft an sich zogen, die elektrische Erdkraft in tausend Arten dargestellt, von denen man nur die Äußerung und nie das Wesen, nur Schein und nie das Sein enträtselt; gewaltige hitzegeschwängerte Baracken mit farbenrauschenden Stoffen, sanfttönigen Tuchen, hundertfältigen Farben aus der Kohle gezaubert und auf Wandflächen von tausend Quadratmetern geworfen; in Mörsern und Becken rotierende Maschinen mit zweitausend Umdrehungen in einer Minute, Turnkünstler-Brücken aus reinem Zement, die sich über Spannweiten von dreißig Metern schwangen, Glas funkelnd im Schliff, farbig aufschäumend; Lichter, Lampen, Kaffees, Musik, Rutschbahnen und Achterbahnen – die Zusammenpressung der Zivilisation auf einen kleinen Punkt, ein Lexikon der gesamten Produktion an Kanonen und Stoffen, Zeitungen, Schmuck und Häusern, das Guckloch eines sonst dem Auge unmeßbaren Panoramas, der gesamten Industrie vom Koloß bis zum Atom.

Die drei Kraforst standen auf der hohen Treppe der Halle des Stahlbundes, an der auch die Firma Kraforst beteiligt war.

Von der hartknochigen und hartdenkerischen klaren Frau war die ganze Romantik der Sache abgefallen; die ganze Hypnose, welche aus den erregten Nerven der Dienstboten strömte, fegte der Blick in die Wirklichkeit hinweg.

»Die ganze Geschichte«, sagte sie, »kommt mir vor wie eine Kaiserparade. Sie mag ja auch wohl ihre Gründe haben, aber sie kam mir damals lächerlich vor, nach dem bösen verregneten dreitägigen Manöver bei Kassel. Alle 25 Jahre lasse ich mir zur Not solche Industrieparade gefallen, im übrigen ist sie ein großer Blödsinn.«

Kraforst II sah fast düster aus: »Das schlimme ist, daß die hier vagabundierende und jubelnde Masse nichts, gar nichts begreift von dem schweren Sinn, der dahinter liegt. Was da läuft, treibt, schreit, johlt – sind Bummler, Maulaffen, Sinnebetäuber, Haschisch-Sucher. Wenige wissen, keiner denkt daran, was da drin steckt: nächtelanges Grübeln der Erfinder, Planen der Unternehmer, Befehle an tausend Angestellte, verzweifeltes Suchen der Chemiker, Gehirnmarter der Ingenieure, rastlose Muskelkraft von Millionen Händen, Trostlosigkeit und Jubel, Lohnkämpfe, Sieg und Zusammenbruch. Von 1000 Patenten, bis zum Irrsinn ersonnen, zerfließen 999, und eins davon sieht man hier triumphieren. Ich könnte hassen, wenn ich die Menschen da sehe, sie laufen und schlemmen auf Gehirn und Arbeit, Not und Schweiß andrer.«

Die Tausend-Masse da unten bemerkte nichts von diesem sorgenvollen Fluchen, sie schob und trieb mit neugierigen ungestillt gierigen Gesichtern weiter, im Drang nach Berauschung, Spiel, Jux – angeregte Herren, mondäne Frauen, fein angezogene Kinder, aufgeputzte Arbeiter und ihre Frauen, Raketen, Orgelbrausen, Fanfaren und Klimbim. Es war so wie in Wilhelmshöhe – wenn da die Schleusen am Herkules aufgehen und die Wasser springen, tänzeln, bollern die Treppen herunter, wer der tausende Zuschauer denkt daran, mit welchen Leiden und Todesnöten diese Lust geschaffen ist von einem ruchlosen Landesherrn, der seine Untertanen gegen Geld in die amerikanischen Kriege verpachtete.

Am Abend erschien ein Extrablatt. In dem stand u. a. zu lesen, daß der große Gründer Uhlenburg in Texas gelandet sei; der Bankier Ommekamp, der noch an den Vorbereitungen zur Ausstellung eifrig teilgenommen, ertrage seine Haft wie ein wildes Tier, laufe herum in einem Kreise von sechs Metern und liege dann wieder stundenlang unbeweglich.

Die Nachricht wirkte auf die Besucher der Ausstellung als eine angenehme nervenanfeuernde Massage, man wurde sich bewußt, wie schön die Welt sei und wie man daran sei, sich ihrer Genüsse zu bemächtigen.


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