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VI.
Der Erdgeist

In seinem Arbeitsraum saß Neveling.

Der war gänzlich anders als die üblichen Räume der Leiter der Erwerbsgesellschaften, er hatte keine Teppiche und Bilder, wie bei Grilecher; keine schönen Tippfräulein, wie bei Uhlenburg; keine Sprechmaschinen, wie bei Ommekamp. Er zeigte nichts auf, als Linoleum-Boden, zwei Kieferntische, ein Kiefern-Pult, zwei stehende Sekretäre und völlige Ruhe, man hörte fast die Uhr in der Tasche, wenn Neveling schwieg – daß hier jede besondere Linie fehlte, das war die besondere Linie Neveling.

Der erste Sekretär berichtete, während der andre Blätter ordnete: »Die Herren Laakmann & Staakmann, welche sich als eine altbekannte und allbekannte honorige Baufirma bezeichnen, legen einen Plan vor, mit ihnen eine Maschinenbau-Anstalt zu bauen. Soll ich Auskünfte einholen?«

»Gänzlich unnötig,« sagte Neveling, der auf einem harten Holzsessel saß. »Sie wissen, ich baue nicht, grundsätzlich nicht. Ich kaufe nur fertige Sachen, Krupp und Thyssen mögen bauen. Ein Werk. Verstehen Sie? Ein einziges Werk in 50 Jahren. Dazu habe ich keine Zeit. Ich kaufe

Er stand auf und ließ sich Bericht über das Paket des täglichen schriftlichen Einganges geben.

Neveling war ein junger Mann, kaum 30 Jahre alt erschien er, aber sehr männlich, groß, schwer gebaut, doch mager und noch schlank, der Kopf sehr groß und das Gesicht ziemlich ebenmäßig, die Haare stark und schwarz, die Augen braun und ruhig, der Mund verschlossen – er hatte den Typ, der einem in den Bergen der Wallonei zuweilen und ziemlich häufig in der Lombardei begegnet.

Sein Großvater hatte angefangen, wie alle diese kleinen Schiffer am Rhein, diese Haniel, Inderbeke, Liebrecht, d. h. mit einem Kohlenkahn, den sie mit der Stange aus dem Hafen von Ruhrort, Mülheim oder Duisburg in den Rhein hereinstießen und dann nach Holland treiben ließen; aus dem einen Kahn wurden 30 und 300 und das Dampfschiff machte den Schluß; dann drehten sich diese Schipper alle nach der Urerzeugung um, kauften mit eiserner Sparsamkeit Kux nach Kux, wurden Gewerke, Großgewerke und schließlich Bergherren. Den Nevelings waren sechs Tiefbauschächte zu eigen, aber in dieser Familie war das Kinderzimmer nie leer, Erbteilungen zersprengten wieder den Reichtum, und der Neveling, der gemartert vom Auftrieb und fast platzend von Ideen hier in seinem Raum auf und ab ging, hatte nur ? des großväterlichen Klumpens an Rheinflotte und Zechen in die Wiege gelegt bekommen – doch es war nach innen und außen eine Verwaltung, die Sippe hielt nach alter Art gut zusammen.

Im Vorzimmer warteten auf ihn die Betriebsführer der Zechen; weil Neveling der einzige in der Sippe war, der sich polytechnische Bildung angeeignet hatte, so hatte ihm die Familie die Bergwerke in Verwahr gegeben, oder besser: Neveling hatte die Verwaltung an sich gerissen; der Senior des Hauses nannte ihn seinen General, einen anderen Vetter, dem die Rheinflotte unterstand, seinen Admiral, aber der General betrachtete sich als selbständigen Feldherrn und hatte, ohne jemand zu fragen, die verwalteten Zechen in mehrjähriger Arbeit zu den glänzendsten und ergiebigsten Anlagen umgebaut, oder vielmehr geradezu umgewühlt, denn von den alten Zechen war nichts geblieben als die Kohle, welche seit Jahrmillionen da unten ruhig lagerte und geduldig wartete, bis sie herausgerissen und zum Feuertode verurteilt wurde; – Neveling, ohne irgendeine Leidenschaft, ohne jede Ablenkung, vollkommen passiv gegen andere Eindrücke des Lebens und der Natur, ohne Freunde von Schule und Universität, war nichts als ein Wüterich in Arbeit, und da die andern Teilhaber auch Genießer des Lebens sein wollten, ließ man den jungen Stürmer austoben; übrigens, was er technisch vorschlug, erwies sich sofort oder später als richtig. Die sechs Betriebsführer schoben herein, alles jene knorrigen, fast untersetzten Gestalten, die man unter den Steigern Westfalens so oft antrifft; sie hatten alle dieselbe Laufbahn hinter sich: Hilfsarbeiter, Schlepper, Kohlenhauer, Bergschule, Steiger, Bergschule, Obersteiger, Bergschule, Betriebsführer, ein Leben voll stärkster Zielrichtung und voll härtester, festvorgezeichneter unabänderlicher Bahn. Neveling nahm nur solche Leute. Akademiker liebte er nicht, die hatten noch andre Bahnen auf ihrer Lebensbahn gekreuzt: Kommersbücher, Titel, andre Wissenschaften und Weisheiten, politische Ideen, vielleicht sogar Kunst; dieser ganze Krempel wirkt auf eine Zeche so ungünstig, wie das Polarlicht oder Kraterausbrüche auf die Magnetnadel, sie stören den sicheren Kompaß des Instinktes.

Alle sechs waren tüchtige Ellenbogenkerle, sie fügten sich dem General wie subalterne Unteroffiziere und gingen für ihn über jedes Hindernis.

Sie berichteten zuerst nach der Reihe über die Lohnbewegung und leise Streikdrohungen, der Kohlenverband hatte angesichts der Marktlage von Lohnerhöhungen abgeraten.

»Das ist alles Unsinn. Ich bin ganz andrer Meinung,« sagte Neveling, »wir sollten uns mit den Arbeitern verständigen und die Welt dann gemeinschaftlich ausrauben, ich werde für Lohnerhöhung und im Kohlensyndikat für Heraufsetzung der Preise eintreten.«

Die Tages- und Wochenförderung der Zechen wurden verlesen, der eine Betriebsführer bekam Lob, ein andrer Tadel, der aber ohne Erregung mit einer nicht kränkenden Ruhe ausgesprochen wurde, doch jeder wußte, daß eine länger anhaltende Mißbilligung die Kündigung bedeutete.

Alle klagten über Leutemangel; Schlesien hatte die Löhne gesteigert und hielt die Leute fest.

»Wer von euch hat einen beschäftigungslosen Bruder, Vater, Onkel«, fragte Neveling.

Es kamen zwölf Namen heraus.

»Schön, sehr schön«, sagte Neveling, der alles aufnotiert hatte. »Nr. 1 geht nach Münsterland, 2 nach Minden-Lippe, 3 nach Hannover, 4 nach Pommern, 5 nach Mecklenburg, 6 nach Westpreußen, 7 nach Ostpreußen, 8 nach Sachsen, 9 nach Franken, 10 nach Bayern, 11 nach Niederschlesien, 12 nach Oberschlesien. Jeder bekommt 200 Mark monatlich und 50 Mark für den Kopf der Angeworbenen. Jeden Donnerstag wird hier berichtet. Glückauf, meine Herren.«

Die sechs Gestalten verschwanden. Neveling wendete sich wieder seinen eigenen Geschäften zu: »Ist der Antrag an das Kohlen-Syndikat formuliert?« fragte er den zweiten Sekretär.

»Jawohl.«

Neveling las ihn langsam durch und verbesserte einiges. Man meldete Herrn Spörkel.

Neveling hatte seine Anteile an der großväterlichen Firma verpfändet und mit Bankkredit und seinem noch geringen Geld die Aktienmehrheit des Eisenwerkes Westfalen im Osten und des Hochofenwerkes Büdingen in Lothringen in seine Hände gebracht und aus beiden die Lothringisch-rheinische Aktiengesellschaft gegründet und die Abnehmer der zwei Werke so ausgetauscht, daß die eine Abteilung nur westliche, die andere nur östliche Kunden bediente, wodurch ungeheure Frachten gespart wurden.

Spörkel fand sofort Einlaß und begann eine umständliche Einleitung über Befinden, Geschäftslage und anderes. »Kommen wir gleich zur Sache,« sagte Neveling ruhig. »Wie weit sind Sie?«

Spörkel hatte als Agent von zwei Banken 47 % der Kuxe von fünf Bergwerken an der mittleren Ruhr zusammengebracht, die restlichen 4 % zur Mehrheit hatte Neveling schon im eigenen Besitz. Die Banken boten jene 47 % Neveling an für 10 750 000 Mark, was einen Gesamtwert der Zechen von 25 Millionen bedeutete.

Neveling brauchte nur kurz zu überlegen. Er hatte, ohne den Aufsichtsrat zu fragen, gegen Verpfändung der Lothringisch-Rheinischen Aktiengesellschaft, welche mit 23 Millionen zu Buche stand, von anderen Banken 10 Millionen Mark Kredit zugesichert erhalten, es fehlten ihm also nur noch 750 000 Mark zum Ankauf jener 47 % der 5 Zechen, welche ihm die Macht über jene Bergwerke auslieferten. Sein Vorschlag war verblüffend einfach.

»Über den Preis sind wir einig,« sagte er, »aber wenn ich das von Ihnen fest für mich gekaufte Aktienpaket bei Ihren Banken lombardiere, welchen Lombard erhalte ich darauf?«

Der Agent begann mit 35 %, stieg auf 40, Neveling verlangte 60 %, das Feilschen war hartnäckig, der Agent wurde lebhaft, Neveling blieb so ruhig wie sein Schreibtisch, man kam nach einer halben Stunde zusammen auf der Grundlage von 50 %, während Neveling dem Agenten und seinen Direktoren eine Zuschlagsprovision von ½ % bewilligte.

»Abgemacht«, bestätigte Neveling. »Ich wiederhole: Sie verkaufen und übergeben 47 % der Aktien oder Kuxe der Zechen Leonore, Steinbank, Franziska, Glückauf, Kamphusen. Preis 10.75 Millionen. Ich lombardiere dasselbe Paket bei Ihnen gegen 5,38 Millionen. Sie bestätigen. Guten Tag, Herr Spörkel, und gute Reise.«

Herr Spörkel stellte draußen fest, daß er in so umfangreichen Geschäften noch nie so schnell abgefertigt war; nicht eine Tasse Kaffee, nicht eine Zigarre war ihm angeboten.

Die Sekretäre hatten so lange wie zwei stumme Karyatiden dagestanden.

»Mintrop,« sagte Neveling, »buchen Sie im Journal 11: Von dem Lombard von 5,38 gehn 750 000 ab zu Zwecken des Paketankaufes. Wir haben demnach 4 630 000 zur Verfügung für weitere Käufe; ich werde damit Aktien der Rheinischen Elektrizitätsgesellschaft kaufen. Beauftragen Sie unsern Börsen-Vertreter!«

Der zweite Sekretär ging.

Er wandte sich wieder dem ersten Sekretär zu: »Ihr Antrag an das Kohlen-Syndikat ist gut. Wir müssen unbedingt durchsetzen, daß von dem ganzen Selbstverbrauch der Gesellschaften keine Syndikatumlage erhoben wird. Die Behauptung des Syndikatvorstandes, daß unter Selbstverbrauch nur der Kohlenverbrauch des Bergwerkes selbst zu verstehen sei, ist unhaltbar. Wir verschmelzen die eben gekauften 5 Zechen mit der Lothringisch-Rheinischen Aktiengesellschaft, deren Gesamtkapital damit von 23 auf 48 Millionen Mark steigt. Unsere Zechen liefern an unsere eigenen Eisenwerke. Der Kohlenverbrauch unserer Eisenwerke beträgt heute schon 700 000 Tonnen. Vom Moment der Verschmelzung fällt für unsere Bergwerke die 10 %ige Abgabe an das Kohlen-Syndikat fort, d. h. unsre neue große Gesellschaft spart glatt den Wert von 70 000 Tonnen; wenn wir den Preis für die Tonne Fettkohle und Flammkohle durchschnittlich ansetzen mit 9 Mark, so erspart unsre Gesellschaft 9 mal 70 000 gleich 630 000 Mark im Jahr. Begreifen Sie nun, weshalb ich die Bergwerke kaufte und weshalb ich seit Monaten im Kohlen-Syndikat für den Antrag eingetreten bin, den Sie soeben nochmals begründet haben?«

Der Sekretär erschauerte über den hellen Blitz, der so plötzlich das größte Finanzgenie Europas gezeigt hatte.

»Ich begreife jetzt alles, Herr Neveling. 630 000 Mark bedeuten, daß der Lothringisch-Rheinischen Aktiengesellschaft kostenlos ein Geschenk von 15 650 000 Mark zufällt. Die Gesellschaft hat Grund, Ihnen einmal ein Denkmal zu setzen.«

»Auf Denkmäler pfeife ich, wie auf Titel – übrigens, mein lieber Herr Stemmer, ich habe Sie bei der Arbeit gesehen; Sie werden einer der Direktoren der neuen großen Gesellschaft. Nun voran

Der Sekretär verbeugte sich. Er machte eine Miene, Neveling die Hand zu reichen, aber Neveling zog seine Rechte nicht aus der Hosentasche; er liebte keine Gefühle.

»Geht der Antrag durch?« fragte der Sekretär.

»Ich denke, die gemischten Werke haben die Sachlage begriffen.«

»Allerdings, der Antrag sprengt das Syndikat in die Luft, das sehe ich klar.«

»In zwei Jahren brauche ich kein Syndikat mehr. Die wenigen Zechen mögen sehen, wie sie fertig werden, sie mögen krepieren. Ich sorge nur für meine Kinder, d. h. meine Werke. Doch voran!« sagte Neveling nochmals.

Der Sekretär berichtete weiter: »Es sind sieben Bergschäden angemeldet.«

»Werden durchprozessiert bis zum Reichsgericht«, entschied Neveling.

Er trieb alle Prozesse zum Reichsgericht. ?/10 der Prozeßgegner hielten das finanziell nicht aus oder starben vorher.

Der Tagesbericht war beendet.

»Liegt sonst nichts vor? Nichts von Belang gehört?«

»Es wird schon viel geredet.«

»Kann mir denken. Man schimpft. Ist mir egal.«

»Man schimpft, ja, man lobt auch. Mindestens, man bekommt Respekt. Man fängt an überall auf Sie zu stoßen und so – wenn ich sagen darf – gibt man Ihnen den Namen: der Erdgeist

Nevelings Gesicht kam in Bewegung. Es schien sich zum Lachen verschieben zu wollen. Es arbeitete, um aus der Erstarrung herauszukommen. Es kämpfte, wie eine alte Maschine sich ansetzt zu arbeiten, ohne es fertig zu bekommen, oder wie eine eingerostete Standuhr, die aufgezogen wird, rasselt, ohne zu gehen. Es kam ein qualvolles Grinsen. Damit war der Fall erledigt.

Der Sekretär ging mit seinem Herrn herunter.

Grade wollte Neveling in seinen Wagen springen, als er auf der Treppe auf den Großkaufmann Tute stieß.

»Darf ich Sie noch hier ansprechen, Herr Neveling?«

»Bitte.«

»Bekomme ich die Lieferung?«

»Hm, Sie hatten den Bedarf an Kolonialwaren für alle Zechen und Werke meiner Firma angeboten –«

»Jawohl, Herr Neveling, die Mengen liegen fest. Der Endbetrag war 730 000 Mark.«

»Sie haben den Zuschlag erhalten« – (der Großkaufmann wollte lachen) »aber ich habe Ihnen 4½ % abgezogen!«

Herrn Tutes Gesicht wurde bläßlicher: »Aber dann verdiene ich wirklich nichts daran, Herr Neveling.«

»Müssen Sie denn grade an mir verdienen?«

»Ja – aber.«

»Ach, die Welt ist groß. Verdienen Sie anderswo. Die Lieferung an meine Firma ist für Sie ein Ruhm, und die Reklame wiegt die Gewinne auf. Guten Tag, Herr Tute, ich bin sehr eilig. Schreiben Sie mir morgen.«

Neveling sprang in den Wagen und raste in eine Syndikat-Sitzung.

Der Sekretär ging in sein Zimmer und sagte laut: »Ich wette, morgen kommt ein Brief von Tute, daß er annimmt.«

Er trug die Ereignisse dieses Tages wie immer in sein Tagebuch.

Der letzte Satz lautete: Heute versuchte der Erdgeist zu lachen.


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