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IX.
Die Generalversammlung

Die Eintracht hatte wieder einen großen Tag, die zwei Säulen am Eingang sahen ordentlich feierlich aus, die Wagen fuhren vor, Menschen drängten herein, die große Küche dampfte, prustete und prasselte, der Oberkoch hatte eine neue, meterhohe Haube auf und hielt ein blutiges Bratmesser in der Hand wie ein abessinischer Henker und teilte mit der andern Hand den Lehrlingen Belehrungen aus, Kellner deckten in einem Saal einen Riesentisch für das Mahl der Freßaktien-Besitzer, im andern Saal bereitete sich die Generalversammlung der Lothringisch-Rheinischen-Aktien-Gesellschaft vor.

In einem kleinen Zimmer berieten nochmals Grilecher und Heinemann.

Grilecher versuchte von den 21 000 Aktien abzuhandeln. Er legte dar, daß man solche Massen nicht aus dem Verkehr ziehen dürfe, der Andrang der Industrie, Gewerken und Kapitalisten des Westens an die Aktien der führenden Bank sei zu stark und die Bank habe das dringendste Interesse, diese wichtigen Kreise an der Bank zu interessieren und zu fesseln.

»Ich gratuliere, Herr Kollege«, sagte Heinemann. »Bei uns ist der Ansturm nicht so groß. Aber wenn Aktienbedarf eintritt, so geben Sie einfach neue Aktien aus.«

»Wie verwende ich aber das Kapital, wie verzinse ich es?«

»Bedenken Sie, daß ja 15 Millionen unsrer Aktien in Ihrem Depot verschwinden, der Gegenwert wird ja aus dem Umlauf gezogen.«

Grilecher sah sich einem ebenbürtigen Fachmann gegenüber, der durch das dünne Papier seiner Gründe hindurch sah.

Er legte sich dann auf die Bemängelung der Kurshöhe.

»Ihre Kurse sind getrieben, direkt getrieben, Herr Heinemann. Der Kurs Ihrer Bank stieg im letzten Jahr um 27 %, der Kurs meiner Bank um 16 % –«

»Ja, und die letzten 6 % stieg er nach unsrer Unterredung. Mein Kompliment, Sie haben die Zwischenzeit gut ausgenutzt.«

»Ich kann doch aber nur tauschen nach dem heutigen Kurswert, meine Aktionäre drehen mir sonst den Hals um.«

Es begann ein langes Feilschen.

Man einigte sich dahin, daß die Deutsche Kreditbank dem Rheinischen Diskont-Verein von der letzten Kurstreibung 3 % anrechnete und die Summe von 15 000 Kreditbank-Aktien entsprechend gesteigert wurde. Heinemann legte seine Vollmacht vor, und beide unterzeichneten. Grilecher war damit seines Sieges in der Generalversammlung sicher.

Der Saal war überfüllt.

Oben saßen am Langtisch der Vorsitzende, Geheimer Finanzrat Hugo, um ihn vier oder fünf Aufsichtsräte und ebensoviel Direktoren, merkwürdigerweise fehlte noch Neveling.

Die Aktionäre hockten auf 12 Stuhlreihen, vorne die gewichtigen Großaktionäre, dabei Braß, Grilecher und Heinemann, jedoch ziemlich getrennt. Dahinter die Masse der Kleinaktionäre. Im Hintergrund, zum Teil stehend die Freßaktionäre, d. h. die Besitzer von einer einzigen Aktie, die sie bei zahlreichen Gesellschaften erwarben, um an dem Jahresmahl der Gesellschafter teilzunehmen, dort etwas zu hören, und wenn es ging, sich durch laute Zustimmungen den Direktoren der Aktiengesellschaften bestens zu empfehlen, – es waren zumeist Agenten: Lieferanten in Sprengstoffen, Schmierölen, Bürobedarf, Feuerlöschapparaten, Zigarren, Weinen, Grubenanzügen, Packpapier, kleinen Eisenwaren, Kognak, Seilen, Grubenhunden, Kolonialwaren und so fort.

Eine Glocke drang mit ihrer Stimme durch, vor welcher der Saal verstummte.

Der Geheime Finanzrat Hugo erhob sich: »Die Generalversammlung der Lothringisch-Rheinischen-Aktien-Gesellschaft ist eröffnet. – Herr Neveling ist eben unpäßlich geworden, er erholt sich jedoch und wird gleich erscheinen. Ich erteile das Wort daher zur Begründung der Tagesordnung Herrn Direktor Vanderbeke.«

Neveling »erholte sich« tatsächlich in einem Nebenzimmer.

Er saß dort mit den zwei Direktoren der Berliner Zentralbank und der Allgemeinen Diskont-Kompanie, welche ihm eben dargelegt hatten, daß sie über 3000 bzw. 4100 Stimmen noch frei verfügten.

»Wie ich Ihnen schon sagte,« bemerkte Neveling, »ich denke gar nicht daran, die Banken auszuschalten. Ich bin bereit, mit allen Banken zu gehen, welche meine Gesellschaften und Pläne unterstützen. Nur ist die Leitung des Rheinischen Diskont-Vereins so engherzig, daß ich mit ihr nicht arbeiten kann. Unter der Voraussetzung, daß die heutige Fusion gelingt, bin ich bereit, mit Ihnen zu arbeiten.«

»Welche Umsätze garantieren Sie uns«, sagte einer der Direktoren.

»Die Zentralbank hat 3000 Stimmen, sie erhält 30 Millionen Umsatz, die Diskont-Kompanie hat 4100 Aktien, ich gebe ihr 41 Millionen meines Umsatzes.«

»Alljährlich?«

»Alljährlich fest. Außerdem erhalten Sie einen Vertreter im Aufsichtsrat.«

In zwanzig Minuten war das ganze Geschäft erledigt.

Neveling betrat sichtlich erholt den Saal. Er hatte die Mäßigung gehabt, als ersten Vorsitzenden sich einen pensionierten hohen Beamten zu holen, dem nichts oblag, als die Repräsentation, tatsächlich leitete Neveling selbst als zweiter Vorsitzender und Delegierter des Aufsichtsrates in der Direktion die ganze Firma.

Inzwischen hatte der Direktor Vanderbeke die Tagesordnung erläutert und begründet:

Das Stammkapital der Gesellschaft betrug 32 Millionen Mark. Schon vor sechs Monaten hatte der Aufsichtsrat das Eisenwerk Bous angekauft mit 7 Millionen und begann es mit Hochöfen und Stahlwerk auszurüsten für 14 Millionen. Hierfür erbat er sich nachträgliche Zustimmung der Aktionäre. Die Sache sei so eilig gewesen und der Ankauf so vorteilhaft, daß der Aufsichtsrat glaubte, nicht zögern zu können. Er hatte ferner noch zwei Eisenhütten und Gießereien angegliedert für 4 Millionen.

Zu Punkt 2 schlägt der Aufsichtsrat vor, sechs namentlich aufgeführte Zechen anzugliedern zum Preise von 25 Millionen. Das ergäbe einen Zuwachs von 50 Millionen oder ein neues Stammkapital von 82 Millionen Mark.

Direktor Vanderbeke setzte sich gerade hin, als Neveling eintrat.

Von der Stuhlreihe 3 bis 12 aus ging durch die Kleinaktionäre geradezu ein Erschauern ob solcher Millionenziffern und setzte sich in dem Stehplatzhaufen der Freßaktionäre fort; jeder dieser kleinen Leute fühlte, daß er mit seinen jämmerlichen 1 bis 20 Aktien in solchen Finanzschlachten nichts zu tun habe und daß es an Frechheit grenze, überhaupt das Wort zu ergreifen.

Ein Sechsaktien-Besitzer wagte es trotzdem, bescheiden und ängstlich zu fragen, ob denn für solche Riesen-Erweiterungen Aufträge da und Verzinsung möglich wäre. Einer der jüngeren Direktoren tat die Frage ziemlich nachlässig ab. Die Freßaktionäre zeigten Entrüstung über den Frager.

Alle Kleinaktionäre schwiegen eingeschüchtert. Es kam eine lange Pause.

Braß erhob sich. Damit war die Opposition angekündigt.

Der starke Kopf und die dicke Stirn standen wie ein Schild über der geduckten Versammlung.

Die Kleinaktionäre sahen achtungsvoll zu ihm auf.

Man fühlte, man raunte sich zu, daß 10 000, vielleicht 15 000 Stimmen unter diesem Schilde saßen. Wo immer Braß aufgetreten war, da hatte er die Verwaltung gerammbockt und den Aufsichtsrat niedergeboxt; er hatte nicht nur immer gesiegt, er hatte den Sieg immer vorher in der Hand gehabt.

Braß begann mit der Frachtlage, er rechnete aus, daß die neuen Werke nicht mehr den Vorteil des Frachtvorsprungs hätten, weil die Stammwerke dieselbe Kundschaft bedienen könnten. Das Kapital der Gesellschaft sei sprunghaft erhöht von 7 auf 23, auf 32 und jetzt auf 82 Millionen. Wohin solle das führen? An welchem Punkte werde man haltmachen?

Neveling ruft: »Am Ende der Notwendigkeit.«

Braß schweifte auf die wirtschaftliche Lage aus, die Hochblüte sei schon überschritten, man solle kaufen und bauen im tiefsten Niedergang, dann nehme man teil an dem Aufstieg. Nur ein Narr kauft im letzten Moment. Er lehne jede Beteiligung an einem Vorgehen ab, das ein Verbrechen gegen die Aktionäre sei.

Neveling sah einen der Direktoren an, dieser erhob sich und zerzauste die Logik des Vorredners. Er sei erstaunt über die Kühnheit, mit der Herr Braß behaupte, Dinge zu wissen, die kein Mensch in der Verwaltung kenne. Er wies nach, daß die neuen Eisenwerke, Stahlwerke, Gießereien die alten Werke nicht vermehren, sondern ergänzen. Herr Braß scheine wohl keine Technik studiert zu haben, denn die alten Werke verarbeiteten Phosphor-Erze, die neuen aber phosphorfreie Erze, die Gießereien aber seien bestimmt, den alten Werken das phosphorreiche Gießereiroheisen abzunehmen. Erst durch den Ankauf der Werke sei der Ring geschlossen, die Gesellschaft arbeite in sich. Die Berechnung der Frachtlage sei in diesem Falle also ganz nebenher. Dann ging er auf den Ankauf der Zechen ein; sie seien bestimmt und sie seien in der Lage, alle Gasflammkohle und Fettkohle den Eisenwerken zu liefern, und nun schleuderte er in die Versammlung den großen Trumpf: er gab die klare und gänzlich unbesiegbare Darlegung, welche Summen gespart würden, wenn die fünf Zechen für die Mengen Kohle, welche an die eigenen Eisenwerke gingen, die ungeheure Syndikatslastsparten. Es regnete Millionenziffern: 660 000 Mark jährlich oder 16 Millionen Mark Kapital stampfe man aus dem Nichts heraus. »Das, meine Herren, ist die Tat unseres Herrn Neveling.«

Braß war vollkommen geschlagen. Zum ersten Male in seinem Leben mundtot gemacht.

Er fühlte es selbst.

Jetzt mußte Grilecher den sauren Gang tun, den er sonst immer vermied.

Er mußte selbst vor.

Er stülpte zuerst Neveling einen ganzen Scheffel Liebenswürdigkeiten über den Kopf, seinen Mut, Begeisterung für das Werk, das ja wirklich sein Werk sei. Seine Jugend (das war der erste Hieb), sein Temperament verspüre man in der Gesellschaft; sie sei in ihrem rapiden Aufstieg gewissermaßen sein Symbol. Er wolle nicht die technische Frage anschneiden, solchen technischen Talenten, wie der Vorstandstisch aufweise, sei er nicht gewachsen (die Versammlung stimmte sichtlich zu und anerkannte Grilechers Bescheidenheit). Er, der Vertreter einer angesehenen Provinzbank rede lediglich als Finanzmann, der 40 Jahre die Finanzen der Industrie verfolgt und studiert habe und er rede hier lediglich als alter Mann aus der väterlichen Sorge über einen wichtigen Teil der Industrie, welcher vielleicht die ganze Industrie mitreiße, nach oben oder nach unten. Er dürfe also vielleicht sagen, er rede zugleich nicht im Auftrage, aber im Gesamtinteresse der Industrie, das heiße des Vaterlandes.

Hier machte der Redner eine kleine Pause, die Versammlung war der Menge nach sichtlich auf seiner Seite.

Grilecher nahm einen Schluck Wasser und fuhr mit langsamen, wuchtigen Worten, von denen jedes fiel wie ein Hammer, fort: »Finanztechnisch steht die Sache so: aus 32 Millionen Mark entstehen 82 Millionen Mark, 32 fressen 50 Millionen Mark auf. Das ist eine Finanztransaktion von einer Kühnheit, wie ich sie als Mann vierzigjähriger Industrietradition noch nicht erlebt habe. Es war bisher bei uns üblich, einen Stock nach dem andern langsam aufzusetzen, hier kommen auf ein Erdgeschoß gleich drei Stockwerke. Es kann sein, daß technisch dies geht, aber ich darf sagen, ich muß mitteilen, daß die Finanzwelt nicht in der Lage ist, solche Sprünge mitzumachen. Es übersteigt unsre Finanzkraft, welche schon äußerst angespannt wird. Gehn wir nicht zu weit. Welche Banken würden wagen, in diesem Tempo zu finanzieren? Es steht vor uns eine neue gewaltige Erhöhung des Diskontsatzes. Ich appelliere an Ihr Gemeinschaftsgefühl, an das Ihnen wie mir durch Geburt und Erziehung eingewurzelte Bewußtsein, daß jede unsrer Handlungen geschehen muß mit Richtung und Endziel des Ganzen. Ich lehne nicht die Anträge der Verwaltung ab,« so schloß er, »sie sind durchdacht. Nur sind sie noch nicht reif. Ich beantrage Vertagung.« (Schüchterner Beifall bei den Kleinaktionären.)

Langsam und gemütlich erhob sich Neveling. Er wartete nicht ab, ob seine im Gehrock gekleidete Puppe ihm das Wort gab. Die rechte Hand hielt er unverändert in der Hosentasche, die linke stützte er leicht auf den Tisch. Er sprach mit ganz gleichmäßigem Tonfall.

»Ich erwidere dem Herrn Grilecher, daß Vertagung unsrer Vorschläge Ablehnung bedeutet. Die Besorgnis, daß die Fusionen finanztechnisch nicht durchführbar sind, kann ich zerstreuen: Zu den drei alten Bankverbindungen unserer Gesellschaft sind heute hinzugetreten: Die Berliner Zentralbank und die Allgemeine Diskont-Kompanie. Die fünf Banken verbürgen sich für die glatte finanzielle Durchführung unserer Vorschläge auf Grund der Ihnen gedruckt vorliegenden Emissions-Kurse.«

Braß machte zum erstenmal in einer Generalversammlung eine hastige, ungewollte Bewegung. Grilecher fühlte, daß er entweder knallrot oder bleich wurde. Allen Eingeweihten war klar: die zwei Banken mit 7100 Stimmen waren abgefallen.

»Das Wort hat Herr Bankier Katz«, sagte der Vorsitzende.

Katz war nicht da. Grilechers Augen fuhren alle Stuhlreihen entlang.

Braß raste nach draußen und brüllte nach Katz.

Er erreichte Katz am Büfett und schleppte ihn herein.

»Das Wort hat Herr Bankier Katz«, wiederholte der Vorsitzende nachsichtig.

»Ich verzichte«, sagte Herr Katz einfach.

Nur drei oder vier Personen begriffen, was das bedeutete.

Der Saal bewegte sich und wurde geräuschvoll.

Der Geheimrat läutete: »Es erfolgt die Abstimmung

Grilecher schickte Braß zu den abgefallenen Banken und beantragte selbst mit erregter Stimme Vertagung der Abstimmung.

Der Vertagungsantrag wird mit kleiner Mehrheit abgelehnt.

Erregtes Rufen und neues Läuten.

Neveling allein sitzt vollkommen unbeweglich.

Die Abstimmung vollzieht sich mit Ab- und Zuströmen der Aktionäre.

Es stimmen gegen die Fusion:

die verteilten Leute
des Rheinischen Diskont-Vereins
2850 Stimmen
Deutsche Kreditbank 6200 "
Die Masse der Kleinaktionäre 420 "
_______________
Zusammen 9470 Stimmen.

Es stimmen für alle Vorschläge der Verwaltung:

die Gruppe Neveling 12 200 Stimmen
Berliner Zentralbank 3000 "
Allgem. Diskont-Kompanie 4100 "
Bankhaus Katz 310 "
Die Masse der Freßaktionäre mit 62 "
_______________
Zusammen 19 672 Stimmen.

Der Vorsitzende läutet mit Macht alles zusammen: »Die Anträge sind mit 2/3 Mehrheit angenommen.«

Neveling stand auf und gab dem Vorsitzenden die Hand: »Ich bin verhindert an dem Festmahl teilzunehmen. Diese Sache ist erledigt. Guten Abend, meine Herren.«

 

Am Abend saßen Grilecher, Braß und von Branscheid in Grilechers Raum zusammen wie drei arme Sünder, die am andern Morgen ins bessere Jenseits sollen.

Sie hatten verloren. Nein, sie hatten alles verspielt.

Solche Niederlage hatten Grilecher und Braß noch nie erlebt. Sie hatten sich verkauft um einen Preis, den sie verfehlten.

Die Berliner Großbank streckte deutlich die Hand nach der größten Provinzbank aus.

Währenddem tagte in der Eintracht das Festmahl der Kleinaktionäre und der Großaktionäre unter dem Vorsitz des präsidierenden Geheimen Finanzrates. Es hielt viele Stunden die angeregten und aufgeregten Gäste zusammen.


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