Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.
Die Metallstadt wird Weltstadt

Die Eintracht zeigte heute eine Bewegung, welche für dieses Institut am Nachmittag überraschend war – sonst nämlich schlief die Eintracht von nachts zwölf bis zum andern Abend um sieben. Sie hatte nur fünfstündige Arbeitszeit wie die Kirchen, an deren Würde sie fast herankam.

Heute aber fuhr eine Reihe von Wagen vor, und der Königssaal füllte sich mit Besuchern, und als er gefüllt war, erhob sich die präsidierende Stimme des Oberbürgermeisters.

»Seit zwanzig Jahren hat die westdeutsche Industrie ihre Wirtschaft, ihre Macht, ihr technisches Können verzehnfacht, aber sie hat in dieser langen Zeit alles das nicht mehr gezeigt. Die Leistung zu machen, ist Aufgabe und Ruhm der Industrie, die Aufzeigung ist Aufgabe des Reiches, des Staates, der Provinzen, und der Städte, welche stolz sind zu beweisen, was ihre Bürger leisten können, wie ein Mann stolz ist, seine schöne Frau zu zeigen. So reifte der Plan heran einer neuen großen Ausstellung in unserer Stadt. Ich kenne die Bedenken der Industrie, aber ich bin sicher, daß wir sie zerstreuen können – die Industrie der Webstoffe, der Steine und Erden, der Porzellane, Glas, Leder und das Verkehrsgewerbe ist entschlossen, voranzugehen. Ich bitte heute die Großindustrie, sich dieser Aufgabe nicht zu versagen, welche zu einer vaterländischen Pflicht auswächst.« So ging es minutenlang fort.

Jeder wußte, was nun kam: die Großindustrie, welche bei allen Ausstellungen sich den schwersten Teil aufzubürden hat, nämlich das Bezahlen, war geschlossen gegen die Beteiligung, die Schwerindustrie hatte dabei gar keine Interessen an solchem Schaugepränge, denn bei den gewaltigen Beträgen, um die es sich dort stets handelt und bei der technischen und geschäftlichen Schulung der Käufer weiß jeder dieser Fachleute, wo er um einen Haarstrich besser oder billiger seine Kohlen, Stahle, Schienen, Träger, Brücken und Maschinen beziehen kann. Es fuhr eine ganze Batterie von Werkbesitzern und Direktoren auf, welche nichts vorbrachten, als Bedenken, Mißstimmungen und Klagen, die Baare, Kamp, Massenez, Schieß, Flender, Otto usw. zogen einen festen Strang. Der Leiter der Versammlung ließ sie ausreden und wußte geschickt die Kette zu sprengen und die bedenkliche Eintönigkeit dieser pessimistischen Litanei zu durchbrechen, indem er nach zwei Direktoren allemal einen seiner Leute einschob: den Bankdirektor Grilecher, Vertreter der Mittelindustrie, z. B. Zement und Glas, den Großgewerken Braß, ein halbes Dutzend kleinerer Firmen, welchen Aufträge aus dem Bau der Aasstellung versprochen waren, und dann spielte er hinter allen als letzten Trumpf den Generaldirektor Zinser von der Rheinischen Brückenbauanstalt aus, der in starken und heißen Worten für das Werk eintrat.

Neveling, welcher scheinbar teilnahmslos zuhörte, wußte genau, daß der Brückenbauanstalt die große Brücke gesichert war, welche das Ausstellungsgelände mit der andern Seite des Flusses verband, und er überlegte, was er für sich verlangen sollte.

Kraforst II saß still da und sah sorgenvoll aus; was sollte für ein Stahlwerk und Walzwerk aus einer Ausstellung herausspringen?

Die Wage stand nach der Quantität der Redner günstig für den Plan, aber nach der Qualität der Redner schlug sie zur Ablehnung aus. Da trat Kirking eilends herein.

Der einflußreiche Generalsekretär kannte Wochen vorher die Stimmungen besser als irgend jemand vom Bau; ihm fiel es daher nicht ein, irgendeinen sentimentalen Angriff auf das Herz der Industriellen zu machen, wie es Grilecher versucht hatte. Er meldete sich beim Vorsitzenden zu einer wichtigen tatsächlichen Bemerkung.

»Ich habe mich erhoben,« sagte er, dem die Versammlung gleich zuhörte, »nicht um für eine der Meinungen Partei zu ergreifen. Dafür bin ich nicht da. Ich bin nicht Dampfkessel, sondern Werkzeug, ich komme nicht zu beeinflussen, sondern zu hören, nicht zu belehren, sondern zu lernen. Ich habe nur eine kurze Mitteilung zu machen: die Firma Krupp hat gestern morgen in einer Direktorialsitzung beschlossen, sich an der Ausstellung zu beteiligen.« (Erstaunen der einen. Hört! Hört! der andern.) »Und zwar sowohl für die Kriegs- wie Friedenserzeugnisse in einem Eigengebäude größter Dimensionen. Darauf hat Geheimrat Ehrhardt dasselbe beschlossen für alle von ihm geführten Werke in Düsseldorf, Sömmerda und so weiter.« (Der Beifall überwog sichtlich die Murrer.) »Im Anschluß, an beide Firmen wird auch der Bochumer Verein seine Feldgeschütze und Walzfabrikate der Welt zeigen.«

Der Beifall wurde fast stürmisch. Die Gegner waren geschlagen und still, die Einheitsfront der Industrie war zerbrochen, und jeder hatte sich nur noch auszurechnen, ob er allein den Schmoller spielen solle, oder ob nicht doch jetzt das Fernbleiben teurer stehe, als die Kosten; die meiste Reklame ist ja immer die Angst vorm andern, und wer es versteht, diese Angst auszunutzen, hat gewonnen.

Der Oberbürgermeister oben thronend, umgeben von seinen sicheren Getreuen, übersah den Sieg, ging auch nur die halbe Großindustrie mit, die Mittelindustrie war ohnehin gesichert, da ihre Fertigware von den Erden bis zum Papier für den Kleinverbraucher bestimmt, immer Belang hat, sich vorzustellen – er wußte aber auch, wie er jetzt den Rest in seine Hände zu treiben hatte.

Er ergriff (wie er sagte, »selbst ganz ergriffen«) das Schlußwort, womit er jede weitere Unterhaltung und Kampf abschnitt. Er sprach von der ruhmreichen Vergangenheit der Industrie, von »der Ebenbürtigkeit der Söhne mit den Vätern, von der Blüte der Westprovinzen, von der starken Front, mit der alle Deutschen dem Auslande gegenüber in ihrem friedlichen Wettbewerbe standen und immerdar stehen würden«, er zitierte den alten Stein, Harkort und Alfred Krupp aus ihren Gräbern, er stellte (kaum widersprochen) die sympathische Stimmung der Versammlung kurz fest, er gelobte, daß die Stadt sich würdig zeigen werde der Würde der Aussteller und der Erwartung der Besuchermassen, und er schloß mit einem Hoch auf das Deutsche Reich, Preußen und Rheinland-Westfalen.

Dann erklärte er »diese imposante und entscheidende Vereinigung der denkbar berufensten Gutachter des Planes« eilig für geschlossen.

Alles lief auseinander, eiliger, als man zusammengefahren war. Neveling faßte Grilecher und fragte ihn, welche »entgegenkommenden Vorschläge« er für seine Gesellschaften zu machen gedenke.

Der Oberbürgermeister nahm Kirking unter den Arm und drückte ihn.

»Sie haben den Tag gerettet.«

»Und alle kommenden Tage dabei. Aber es muß sofort in die Öffentlichkeit.«

»Ich bin zu einer ganz großen und besonderen Abendunterhaltung heute zu Herrn von Ankum geladen. Dort werde ich die vollzogene Tatsache verkünden, und morgen erscheint sie in allen Zeitungen.« Er ging eilends.

Kirking hatte noch eine Nachsitzung. Er ging in das anstoßende Herzogzimmer. Dort saßen mehrere führende politische Personen der Stadt und berieten über die kommende Reichstagswahl. Grilecher, Braß, Kraforst und auch Neveling waren zugegen. Die anderen großen Parteien waren schon heraus mit der Aufstellung der Kandidaten. Die nationalen Parteien hatten beschlossen, den Fabrikanten Dieckmann aufzustellen, ohne die Industrie zu fragen, welche jedoch den größten Teil des Wahlfonds aufzubringen hatte.

Kirking trat mit allem Pathos, das er hatte, für Dieckmann ein.

»Dieckmann ist verrückt,« sagte Neveling, »ein Industrieller soll wirtschaftlich arbeiten, für den Reichstag ist ein Angestellter genügend. Wen hat die Sozialdemokratie aufgestellt?«

»Plückthun«, sagte Braß.

»Also einen Arbeiter«, stellte Neveling fest. »Wir müssen also auch einen Arbeiter suchen, damit in der Stichwahl die Arbeitermassen auf ihn gehen können. Dieckmann muß verzichten und auf einen Arbeiter hinweisen.«

»Plückthun ist zwar aufgestellt, aber ich kann erklären, daß er ungefährlich ist«, deutete Grilecher an.

»Wir haben keinen, der für den Reichstag fähig wäre.«

»Kann er in vier Wochen lernen«, bemerkte Neveling. »Einer meiner Herren hat in vier Wochen Stenographie gelernt.«

Neveling hatte aber nicht mit Dieckmanns innerlich hemmungslosem Ehrgeiz gerechnet, welcher wie alle kleinen Geister seinen Ruhm von draußen einernten mußte; Dieckmann stand, zwei Zimmer weiter bereit, wurde geholt und verteidigte seine Kandidatur, welche »ihm aufgezwungen« sei und welche jetzt zu widerrufen unmöglich sei, und seine Freunde griffen so entschieden ein, daß Neveling schwieg und den Saal verließ. Dieckmann wurde in diesem entscheidenden Rat bestätigt und ging stolz in den inzwischen gefüllten Hauptsaal der Eintracht, wo er eine Stunde später seine erste Wahlrede hielt, welcher unzählige nachfolgten, deren Keime alle in jener ersten enthalten waren.

So fiel dieser für die Metallstadt so wichtige Tag langsam in die Nacht: Um neun Uhr sprach Dieckmann sein Programm in der Eintracht, und genau um dieselbe Zeit warf der Oberbürgermeister den fertigen Ausstellungsplan in die Tafelrunde der Kunstfreunde in dem gastlichen Hause der Frau von Ankum.

Der Tag war die Wendung der Metallstadt zur Weltstadt.

Am selben Abend speisten Kraforst II und Kraforst III bei der Großmutter.

Die alte Frau überwachte jeden Tag mit ihrem Fernrohr das Aufsteigen des fabelhaften Stahlwerkes; sie hatte Bessemerbirnen von 15 Tonnen, Thomasbirnen von 25 Tonnen und Martinöfen von 200 Tonnen noch nie für möglich gehalten, geschweige denn gesehen. Sie beobachtete mindestens dreimal täglich das neue Kraforst-Monument, morgens sechs, mittags elf und abends vier; sie zählte alle Handlanger und Maurer, welcher ihr Rohr habhaft wurde, sie zählte fast jeden Ziegelstein, wenigstens jede Ziegelschicht, die sich auf die vorige legte, und sie beobachtete Anschleppen, Aufdichten und Versetzen der Eisen- und Stahlplatten. Die Baugerüste stiegen, flossen zusammen in ihrem Geiste zu einer Pyramide, und auf den Pyramiden stand für sie, nur für sie allein die überlebensgroße Figur ihres toten Mannes.

Doch auf den Gesichtern der drei stand kein Triumph.

»Es ist zum Rasendwerden«, sagte Kraforst II. »Alles geht schief: zuerst kommt der Streik der Ausschachter, dann stoßen wir statt auf den festen Grünsand, auf Fließ von fünf Metern und müssen tief betonieren. Ich hatte erst auf sechs Millionen gerechnet; dann, nachdem wir die größten Dimensionen angenommen hatten, auf zehn – Mutter, es geht noch darüber.«

»Wie viel mehr, mein Jung? Grad heraus!«

»Es läßt sich noch nicht genau sagen, ich denke zwölf Millionen gehen herein.«

»Was bedeutet das?«

»Das bedeutet, daß wir nach Anspannung und Vergebung der Hypotheken alles Mehr aus dem Bankkredit holen müssen – statt vier Millionen etwa sechs Millionen.«

»Und was bedeutet das?«

»Nichts und alles, Mutter. Wir werden zu abhängig von der Bank. Die Bank verlangt jetzt neue Sicherheiten.«

»Nicht bangen. Nicht zweifeln, Jung. Dein Vater hat nie gebangt und nie gezweifelt. Ich verpfände meine Aktien. Genügt das?«

Kraforst II sah dankbar und gerührt zu der festen Mutter herüber. Sie war doch schließlich die beste Säule des Hauses.

»Dann los. Wir werden doch noch vorm Winter den Bau hingestellt haben.«

Kraforst III legte Messer und Gabel hin: »Mich dünkt, im Augenblick ist das gefährlichste Moment nicht der Bankkredit, sondern die Lohnbewegung der Bauhandwerker.«

»Aber die Löhne sind schon fabelhaft gestiegen.«

»Grad darum, Großmutter. Wir stehen äußerlich noch in der vollen Hochkonjunktur, man kämpft um Facharbeiter, das wissen die Gewerkschaften so gut und besser wie wir; sie brauchen nur ihre Arbeitslosen zu zählen; ich wette, sie haben nicht einen einzigen.«

»Da sollten sie doch jeden Morgen dafür Alleluja singen, Bub.«

»Tun sie auch inwendig, und außenwendig verlangen sie Lohnerhöhung.«

»Das ist eine Gemeinheit.«

»Ich nenne es Folgerichtigkeit.«

»Du hast merkwürdige moralische Anschauungen, mein Bub.«

»Die Moral ist leider weder Mutter noch Amme der Volkswirtschaft.«

»Ich habe mit unseren Bauunternehmern und mit den Gewerkschaftssekretären gesprochen,« legte sich Kraforst II dazwischen, »ich glaube, wir kommen mit einem Mehr von 5 % für drei Monate durch, und dann sind wir gerettet. Das Stahlwerk steht als Hauptturm und Wahrzeichen der Stadt.«

»Bravo, mein Jung, du bist wie der Vater, dein Bub ist ein Kopfhänger.«

»Die subalternen Gewerkschafts-Sekretäre haben nichts zu sagen,« sagte der Kopfhänger, »über ihnen thront der Parteimacher der politischen Sozialdemokratie, und das ist dieser Plückthun mit der schwarzen Kopfmähne. Er lauert wie ein Luchs auf dem Baum und er läuft herum wie ein Wiesel; ich habe ihn zwei-, dreimal an dem Bau gesehen.«

»Warum wirfst du den Kerl nicht heraus?« fuhr die Großmutter auf wie eine Hummel.

»Im Gegenteil, ich habe ihm eine Zigarre angeboten, für sein Interesse gedankt und ihm den Bau erklärt.«

»Ich werde wohl diese neuen Ideen nicht mehr lernen. Mir scheint fast, ich werde alt«, schloß die Großmutter.

 

Nach dem Abendessen erschien der Sekretär der nationalen Partei mit einer Sammelliste für die Wahl Dieckmanns, u. a. auch bei Neveling und Frau Kraforst I.

Neveling gab ihm eine Empfehlung an seine Werke. »Ich selbst habe kein Geld«, sagte er.

Frau Kraforst lehnte grob ab, sie habe für Wichtigeres zu sorgen.

Gegen ½10 klingelte es bei Frau Kraforst nochmals; das war in diesem stillen Haushalt, der nur aus Erinnerungen bestand, etwas Unerhörtes. Frau Kraforst wurde erschreckt, unruhig; man meldete, daß Frau Banning dringend um ein paar Minuten Gehör bitte.

Die kleine Frau Banning kam ganz verschüchtert, ja zerschlagen herein, sie fing ein paar Sätze an, stockte, es kamen Tränen, und endlich floß die Beichte heraus.

»Es geht uns schlimm, entsetzlich schlimm. Mein Mann hat gebaut und gebaut, und das Bankhaus Katz will Geld haben. Mein Mann rennt herum halb wie ein böses Tier, halb wie ein schlimmer Schatten. Er bekommt Lob und Zuspruch, alle Worte, die es gibt. Aber kein Geld. Kannst du nicht helfen? Helfen für drei Monate?«

Frau Kraforst sah mitleidig die Frau an, welche noch kleiner schien als sonst; sie fühlte, daß ein schmerzlicher Blutstrom jähe vom Herzen durch den Leib flüchtete und dann alles zurück ging, als wenn die Maschinerie drinnen abstoppte: »Franziska, du hältst mich für reich. Ich kämpfe wie du. Ich kann nicht helfen.«

Um dieselbe Stunde, während beim Gastmahl der Kunstfreunde im Hause der Frau von Ankum die Begeisterung und das Kunstverständnis ausbrachen, tagte im Schwarzen Roß eine Konferenz: Plückthun hatte eingeladen und saß mit den Sekretären der Gewerkschaft der Bauhandwerker Habert und Ilgen fast bis Mitternacht zusammen und hatte hinterher noch eine Besprechung im Bankhaus Katz.

 

Als Frau Kraforst am andern Morgen erwachte, kleidete sie sich an und richtete Punkt sechs Uhr das lange Fernrohr auf den Neubau.

Auf dem Neubau arbeitete niemand.

Der Streik war ausgebrochen.


 << zurück weiter >>