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VII.
Die Herren der Depots

Um das Haus des Rheinischen Diskont-Vereins standen fast zwei Dutzend Säulen. Was sie da sollten, konnte niemand sagen; sie trugen nichts, denn zwischen ihnen war der Raum durch eine wuchtige Mauer abgeschlossen, auf welcher das Dach ruhte; es waren überhaupt keine Säulen, sondern vor die Mauer gestellte Halbzylinder, sie standen da wie eine Attrappe aus Pappendeckel – doch seit den Tagen, in welchen halb Europa an die Medici verschuldet war, muß ja jedes Bankhaus seine Würde und Wucht durch Säulen anzeigen.

Man saß wieder in Grilechers Zimmer, und Grilecher hielt Katz seine Zigarrenkiste hin.

»Ich danke, Herr Grilecher. Ich will grade nicht behaupten, daß Sie mich als aufsteigende Konkurrenz vergiften wollen. Aber praktisch läufts darauf hinaus.«

Katz lachte und Grilecher auch: »Es kommt wohl daher, ich habe kleiner angefangen als Sie. Sie erbten gleich ein Vermögen.«

»Und Sie hinterlassen mehr wie ich«, sagte Katz halb ironisch, halb höflich.

Braß kam herein. Auf der Stirne saßen ihm nasse Tropfen. »Sind das noch Angsttropfen aus Berlin oder haben Sie sich so beeilt?« fragte Katz.

»Beides«, brummte Braß, und er fing an zu berichten.

»Ich habe die nötigen Gänge gemacht und fünf Tage verhandelt. Die Banken sind über Neveling wohl orientiert und haben seine Laufbahn in den Akten besser als eine Kriminalpolizei, sogar sein Bild liegt bei. Sie wußten schon, daß Neveling beabsichtigt, der Lothringisch-Rheinischen Gesellschaft die fünf neuen Zechen anzugliedern, aber sie bezeichneten es als unumstößlich, daß Neveling die Mehrheit der fünf Zechen bereits habe. Es schien mir, als wenn einige der Banken sogar Anteile der Zechen an Neveling verkauft und daran schwer eingestrichen hätten.«

Grilecher flog in die Höhe: »Ist denn dieser Junge allmächtig oder toll?« rief er. »Dann können wir nur noch die Sache retten, wenn wir in der Generalversammlung der Lothringisch-Rheinischen Gesellschaft auftreten und den Ankauf ablehnen.«

Seinem Ehrgeiz war es unerträglich, daß in seinem engsten Bezirk ein junger Habenichts anfing, ohne Mitwirkung seiner, der größten Bank des Landes riesige Finanzoperationen zu machen; das griff ihm an das Herz, denn wenn das Beispiel glückte, waren alle Banken überflüssig; das kam gleich hinter Auflehnung gegen Gott.

Braß ließ ihn herumlaufen und austoben und nahm dann den Faden wieder auf: »Ich habe demgemäß alle Verhandlungen wegen der fünf Zechen abgebrochen.«

»Und das ist der Rest vom Schützenfest?« schrie Grilecher.

»Noch nicht, das Hauptfest kommt noch. Ich habe festgestellt, über wieviel Stimmen wir äußerst verfügen könnten in der Generalversammlung der Lothringisch-Rheinischen Gesellschaft, in den Depots der uns befreundeten Banken. Aus eigenem Besitz oder verfügbarem Kundenbesitz haben die Berliner Zentralbank 3000 Stimmen, die Allgemeine Diskont-Kompanie 4100 Stimmen, die Deutsche Kreditbank 6200 Stimmen, das macht zusammen 13 300 Stimmen.«

»Wieviel Stimmen haben Sie, Katz?« fragte Grilecher.

»320 Aktien.«

Grilecher schlug mit der flachen Hand auf: »Und ich habe 2850; das sind alles zusammen 16 470 Stimmen, hurra, wir haben die Mehrheit.«

» Haben?« sagte Katz. »Woher haben? Wir haben noch nichts. Sagen Sie uns mal, Braß, was müssen wir dafür zahlen?«

»Zahlen! Hm. Nichts. Aber leisten.«

»Was leisten?« forschte Grilecher.

»Zunächst wollen die Banken selbst mit der Sache nichts zu tun haben. Sie haben keine Lust, mit Neveling anzubinden. Die zwei ersten Banken machen zur Bedingung, daß wir für zukünftige Fälle ihnen zur Verfügung stellen: 1400 Gelsenkirchener Berg-Aktien und 800 Dortmunder Union-Aktien.«

Grilecher rief sofort telephonisch die Dezernenten heran und stellte fest, daß im Depot seiner Bank verzeichnet waren 41 Kunden mit 1600 Gelsenkirchener Berg-Aktien und 17 Kunden mit 750 Dortmunder Union-Aktien.

Er gab sofort den Befehl, 50 Dortmunder Union hinzuzukaufen.

»Diese Sache ist also in Ordnung«, meinte er.

»Noch lange nicht«, kam Katz dazwischen. »Unsere Hauptstütze soll die Deutsche Kreditbank sein mit 6200 Aktien. Was ist der Preis?«

»Ich bin nicht einig geworden«, klagte fast Braß.

»Ach daher die Schweißtropfen«, lachte Katz.

»Nein, jene Schweißtropfen habe ich mir abgewischt, ehe ich in den Zug stieg. Die Bank gab keine feste Erklärung. Sie schickte mit mir im gleichen Zuge den Subdirektor Heinemann, der Ihnen Vorschläge machen will.«

»Ziemlich trübes Wetter«, meinte Katz.

»Also abwarten«, entschied Grilecher. »Nichts über Ommekamp gehört? Wann platzt der Schwindel?«

»Der platzt – aber vor Geld«, sagte Katz lakonisch. »Sonst geht es ihm recht gut. Seine 40 Filialen und Depositenkassen pumpen fleißig Geld aus der Bevölkerung, er zahlt enorme Zinsen und prompt.«

»Das heißt, er deckt die fälligen Zinsen mit neuen Eingängen«, fauchte Grilecher.

»Mag schon sein, aber er zahlt.«

»Das ist eine enorme Gefahr. Noch größer als die Nevelings«, klagte Grilecher. »Verstehen Sie? Sonst trugen die kleinen Sparer das Geld auf die Sparkassen. Die Sparkassen liehen den Unternehmern, und die Unternehmer brachten uns das Geld. Neveling und Ommekamp führen Methoden ein, welche ein Verbrechen gegen das Großkapital sind. Ich überlasse es Ihnen, festzustellen, wer die größere Gefahr ist.«

»Hm,« meinte Braß, »die nächste Gefahr ist schon Ommekamp.«

»Aber er fällt auch zunächst,« behauptete Katz; »was aus Neveling wird, ist noch gar nicht abzusehen.«

Es kam eine Pause. Katz ging herum und betrachtete die Industriebilder an der Wand.

»Was Banning betrifft,« sagte Braß, indem er eine neue Zigarre nahm, »so sitzt er schon gründlich fest; er hat sich den Magen unheilbar überfressen.«

Katz sprach von der Wand her, ohne mit der Betrachtung der Bilder aufzuhören: »Klar muß sein, daß Bannings Unternehmungen in den ausschließlichen Bereich meiner Bank gehören. Ich erwarte, daß mit Ihrer ganzen Autorität jedem anderen Kreditgeber entgegengetreten wird. Jede Hilfe sehe ich als einen unfreundlichen Akt an. Das ist meine Bedingung im Fall Lothringen-Rhein.«

Grilecher bestätigte die alte Abmachung.

»Wissen Sie,« erzählte Braß, »daß auch Kraforsts knapp werden? Der Bau kommt teurer, die wirtschaftliche Lage hat sich in der Großindustrie schon sehr verschlechtert. Ich hörte das beim Hörder Verein.«

Grilechers Mißmut war verschwunden: »Wir werden ihm gerne Hilfe gewähren. Man sollte ihm ein Tau zuwerfen.«

»Das Tau heißt Gründung«, lachte Katz.

»Das ergäbe ein großes und glänzendes Geschäft«, bestätigte Grilecher.

»Ich gehe mit hinein«, betonte Katz.

»Natürlich, lieber Katz.«

Alle drei versanken in Schweigen. Alle drei rechneten. Sie rechneten so fix, wie die Kinder der obersten Klasse das kleine Einmaleins. Man konnte, wenn Kraforst in Druck geriet, den Ankaufspreis auf 25, ja 20 Millionen Mark drücken und dann 30 Millionen Aktien herauswerfen. Damit waren Millionen verdient. Ausgabekurs 130, Steigerung zu erwarten auf 150 bis 160 %. Das ergab wieder einen Gewinn von 6 bis 9 Millionen.

 

Grilecher war aufgeräumt und erzählte Scherze und Witze. Da meldete man endlich Herrn Heinemann. Herr Direktor Heinemann war ein kleiner rosiger, blonder Herr mit Spitzbauch und goldener Brille, der als alter Bekannter allen stark die Hand drückte.

Grilecher begann würdevoll eine lange Einleitung. Er schilderte das Auftreten des fast rätselhaften Neveling, welcher grandiose Pläne wälze, die alle Banken an die Wand quetschen könnten. »Wir nennen ihn hier den Erdgeist.« –

»Heinemann weiß«, sagte der Besucher freundlich.

»Er hat alle Anteile an der großväterlichen Firma verpfändet und damit die Lothringisch-Rheinische Gesellschaft gegründet und unter sich gebracht, wenn er auch selbst daran nicht mehr als 10 oder 15 % hat.«

»Heinemann weiß«, sagte der Gast verbindlich.

»Dann schuf er ein Dutzend Kohlenhandelsfirmen, Eisenhandelsfirmen, Exportfirmen in Deutschland und draußen.«

»Heinemann weiß –«

»Wo er erscheint, werden wir und alle unsre Freunde brutal aus Vorständen, Aufsichtsräten und so weiter herausgeworfen.«

Heinemann nickte zustimmend.

»Sie machen dazu ein freundliches Gesicht, Herr Heinemann, aber Sie begreifen, daß wir diese Entwicklung weniger freundlich ansehen. Nun hat nach unseren Informationen dieser Erdgeist den ganzen Besitz der Lothringisch-Rheinischen Gesellschaft verpfändet, hat schon das Stahlwerk Bous und anderes gekauft und ist jetzt im Begriff, fünf Zechen zu erwerben.«

»Heinemann weiß.«

»Dann weiß auch Heinemann vielleicht, daß hier ein Privatmann mit genialem Pump ohne jede Bank – wenn dies glückt – einen Riesenkonzern auf die Beine stellt, welcher sich getrost neben Krupp, Thyssen und Haniel setzt.«

Natürlich wußte Heinemann auch das. Davon spräche ja schon die ganze Berliner Börse täglich zwei Stunden.

»Sie werden dann in Berlin zugeben, daß dieser Neveling schlimmer als Strousberg ist; er ist total verrückt.«

»Nein,« sagte Heinemann höflich, »ich weiß noch nicht, daß Neveling verrückt geworden ist. Wo ist er interniert?«

»Er sollte interniert sein«, rief Braß böse.

»Halts Maul, Braß. Das ist eine Revolution, Herr Heinemann; den gewiesenen Weg durch die Banken benutzt Neveling nicht.«

Katz von der Bilderwand her: »Den ihm von Gott gewiesenen Weg.«

»Alle Banken müssen hier zusammenhalten,« rief Grilecher die Parole aus; »wir haben ihn, wenn wir zusammengehn. Mit Ihnen haben wir fast eine Zweidrittel-Mehrheit in der Lothringisch-Rheinischen Gesellschaft.«

»Dummkopf,« dachte Braß, »das steigert den Preis.«

»Wir sind doch alte Freunde, nicht wahr?« begann Heinemann.

»Sicherlich«, beteuerte Grilecher.

Heinemann erklärte nun langsam und umständlich, daß diese alte Freundschaft stabilisiert werden müsse, unlösbar, sozusagen auf Ewigkeit. – –

Grilecher begriff noch nichts und sah Braß an.

Heinemann ging jetzt auf das Ziel:

»Diese ewige Freundschaft ist am besten und sichersten gewährleistet, wenn wir in ein festes Arbeitsverhältnis treten. Wir schonen Ihre Bezirke, und Sie bedienen sich unsrer Hilfe.«

Grilecher ging ein Licht auf.

Heinemann fuhr fort: »Wir verbünden uns so wie früher die Völker, die Geiseln stellten. Wir geben Ihnen von unsern Aktien, und Sie geben uns Ihre Aktien.«

Braß war seit Berlin darauf gefaßt und tat die entscheidende Frage: »In welchem Verhältnis schlagen Sie den Austausch vor?«

»Wir schlagen vor,« kam es aus Heinemanns freundlichen Lippen, »daß wir Ihnen 15 000 Aktien der Deutschen Kreditbank geben und Sie geben uns dem heutigen Kursstand entsprechend 21 000 Aktien des Rheinischen Diskont-Vereins.«

Grilecher bekam ein Gesicht wie ein Kaninchen, das den Rachen der Brillenschlange vor sich sieht.

Er stotterte etwas unsicher einige Phrasen, z. B.: »Vorschlag sehr erwägenswert. Wir haben jetzt ja Unterlagen. Stets mit Ihnen gerne gearbeitet. Hoffentlich kommen wir bald zusammen.«

Der Besucher merkte sehr wohl, daß im Augenblick die Sache nicht weiter zu treiben war. Er erhob sich, drückte allen herzlich die Hand und ging fort.

Die drei Männer saßen eine Weile stumm und überlegend.

Grilecher: »Was sagst du dazu, Braß?«

Braß: »Nichts.«

Grilecher: »Sie haben schon 7 Millionen nominal von uns. Wenn sie 21 Millionen Aktien dazu erhalten, so haben sie 28 Millionen. Das ist mehr als ein Drittel unseres ganzen Kapitals. Was sagen Sie, Herr Katz? Sprechen Sie doch mal! Was meinen Sie?«

Katz: »Ich meine: Sie lieben uns zum Fressen.«


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