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Banning, der kleine Banning, der Maurermeister-Sohn, war wirklich daran, die große alte Familie Kraforst zu erreichen, er stand in der Konjunktur neben ihr. Als die Baumassen des neuen Kraforster Stahlwerkes höher stiegen über alle Mauern, Werkstätten, Krane, als sie die nahen Häuser der Stadt überragten und drohten, die Türme als Wahrzeichen der Stadt zu entsetzen, da stieg natürlich im selben Maße die Achtung und Bewunderung vor der Familie, die trotz aller Präsidenten und Exzellenzen doch als die Erste der Stadt im Unterbewußtsein der Bürgerkreise feststand – aber wahrhaftig, dieser schwarze Banning, der war verrückt oder ein industrielles Genie: Bis dahin hatte er immer schnell in sechs Monaten drei bis vier Reihen Häuser gebaut und sie ebenso schnell wieder verkauft, jetzt stürzte er sich auf Komplexe von 50 Morgen, schlug vier Straßen durch und baute 60, 80 Häuser drauf, nein, er stampfte sie aus dem Lehm, auf dem sie standen, er errichtete sechs Feldbrandziegeleien drauf, und aus dem gebackenen Lehm wuchsen die lebendigen Häuser, wie der Herrgott ja vor genau 3 000 Jahren nach der Meinung von 99 % des Volkes den ersten Menschen aus Lehm formte; Banning war wirklich ein kleiner Herrgott, er hatte die Bauwut, oder besser die Bauwut hatte ihn; wie einige Besessene immerfort Romane schreiben müssen, so mußte Banning immer Häuser bauen; vielleicht hätte er, mit einer anderen Richtung ins Leben gestoßen, mit Meißel und Kelle unzählige Bildwerke ins Leben geformt, davon verstand er nichts, er dachte niemals an solche Möglichkeiten – sein ganzer Lebensinhalt waren Häuser – keine Bauwerke, keine Schönbauten, die von ihm irgendeinen Stempel trugen, an denen irgendein Gedanke klebte – er baute alle Häuser gleich hoch und breit, Miethäuser, die Türe brav in der Mitte und rechts und links eine Wohnung, drei Stockwerke hoch. Und er war so stolz auf sein Werk, wie Klinger auf seinen Beethoven. Seine schwarzen Augen saßen flackrig in den Höhlen, sein Mund sprach fast nichts. Aber des Nachts ging der stille Mann, in einen grauen Kaisermantel vermummt, durch seine neuesten Baublocks und sprach leise erregte Worte zu seinen neuesten Häusern, ganz erschreckt, wenn er plötzlich auf irgendeinen Menschen stieß, der einen Laut von ihm gehört haben konnte, der verriet, wie es drinnen kochte.
Als Berater zog er höchstens Braß zu, der ihm wirklich gute Ratschläge gab und genau wußte, wohin das Pendel der Stadt schlug und wo die besten Baugründe lagen. Die Zwischenkredite zwischen dem Bauplan und dem Verkauf gab das Bankhaus Katz, sie schwollen an, wurden getilgt und blähten wieder quallenartig auf. Banning hatte frühzeitig gesehen, daß er an die Produktion der Rohstoffe heran mußte; sofort kaufte er mehrere Höfe vor der Stadt, schlug alles Gehölz ab, ließ den Humus abtragen und bohrte sich mit Schaufelbaggern in den feuchten Lehm, eine Ringofenziegelei nach der andern entstand, immer gewaltiger, immer maschinell moderner ausgerüstet. Sein Hauptbuch versank in siebenstellige Schulden, denn auf den Gedanken, daß er diese Industrieanlagen nicht verkaufen und schwerlich hypothekarisch beleihen konnte, daß er also hiemit in schwebendem Bankkredit festsaß, verfiel er in seiner Bauwut gar nicht – aber 16 Schornsteine um die Metallstadt qualmten täglich Bannings Aufstieg und Größe in die Luft. Die honorige Firma Laakmann & Staakmann war längst auf ihn aufmerksam geworden, sie standen oft Posten, kreuzten seine Wege, redeten ihn an, wurden aber immer kurz abgewiesen. Aber die zwei Agenten hatten doch die Witterung, daß mit solchem führenden Manne der eigenen Baubranche ins Geschäft zu kommen, der größte Schlag sei, der denkbar war; sie ermüdeten nicht und eines Abends gelang es ihnen, Banning einzukreisen und ihn mit irgendeinem Vorwand, daß sie Häuser zu kaufen oder Ringofensteine in gewaltigen Massen zu erwerben hätten, in das Rattenloch zu schleppen. Man trank eine Flasche, Laakmann bestellte schnell eine zweite, Banning, dessen Blut keinen Tropfen Alkohol gewohnt war, fing Feuer, das Trinken ging die Nacht durch. Es war, als wenn ein lange überhitzter Kessel explodiert; dieser verschlossene, fast stumme Mensch sprengte den Eisenmantel der Selbstbeherrschung, seine Augen glühten, er redete, schrie und brüllte, sprang in dem Zimmer wie eine verfolgte Ratte und trank mit Laakmann-Staakmann ewige Brüderschaft.
Als am anderen Nachmittag die zwei Agenten kamen, um die besprochenen Geschäfte schriftlich abzuschließen, wurden sie an der Türe kurz abgewiesen: Herr Banning habe keinerlei Geschäfte mit ihnen verabredet.
Und doch übertraf ihn Uhlenburg, wenigstens in der Großzügigkeit seiner Projekte und der glänzenden Art, wie sie aufgemacht waren.
Er baute nichts. Er lachte über Bannings Schöpferkraft. Uhlenburg gründete.
Uhlenburg war es, wenigstens in diesen Gebieten, der die neue Methode erfand. – Er begann als Lehrling, kaufte und verkaufte auch Häuser. Nach zwei Jahren legte er die Gesellenprüfung ab, und zwar mit »Gut«.
Er kaufte ein verrottetes kleines Eisenwerk, die Dalerhütte, putzte sie an, stellte einige Maschinen auf und trommelte nun dafür eine große Reklame, so daß er mühelos die meisten Aktien abstieß, er hatte Schlepper an der Hand, welche in Wirtschaften kleine Leute beschwätzten, er legte persönlich den Redaktionen der Zeitung die statistischen Zahlen vor, daß die Dalerhütte allmonatlich in Arbeiterzahl, Produktion und Rohgewinn stieg; seine Art war so verblüffend und neu, daß Zweifel an der Echtheit der Statistiken nicht entstanden. Sein Motto war und wurde offen betont: an den guten und alten Werken ist nichts zu verdienen, es gilt die kleinen schlechten Werke zu entwickeln.
Kaum floß das erste Geld aus den Aktien der Dalerhütte, so erwarb er zwei bis dahin unbedeutende Zementwerke, legte sie zu einer glänzenden »Aktien-Gesellschaft Portland-Zementfabrik Saxonia« zusammen und setzte sie auf den kleinen Börsen des Industriegebietes in Umlauf, fabelhafte Gerüchte über das Vorkommen an Kalk und Zement auf diesen Werken und über die riesige Expansion der Aktiengesellschaft, welche außerhalb des Syndikates stand und die Kundschaft für sich hatte, liefen herum; woher sie kamen, wußte niemand, aber jeder hatte etwas gehört und jeder erzählte ohne Vorbehalt weiter.
Es gab aber diesmal Widerstände. Die anderen Zementwerke behaupteten, daß ihnen das Werk und seine Rohstoffunterlage genau bekannt sei, Vorkommen wie Maschinen seien dritter Klasse, ja in einer Syndikat-Versammlung wurde deutlich behauptet, die eine der zwei Fabriken habe noch gar keine Maschinen. Aber das schien der Bevölkerung doch unmöglich, denn das wäre Schwindel gewesen, und Schwindelindustrien kannte man noch nicht in jenen Provinzen; das mochte in Amerika möglich sein, doch nimmer in Deutschland.
Uhlenburg zog daraus den Schluß, daß eine Sache bei uns nicht weit her ist, wenn sie nicht weit ab ist.
Er gründete daher nur noch in der Ferne. Dort flössen Wirklichkeit und Sage ineinander, wie Wälder und Berge im Nebel.
Man erfuhr, daß die Westprovinzen für einen Mann wie Uhlenburg zu klein seien, sein Hauptkapital arbeite weit draußen. Stolze Worte wurden über ihn kolportiert, z. B.: »Der Prophet gilt nichts im Vaterlande«. »Mein Feld ist die Welt«. »Man erobert die Heimat nur von draußen«. – Zuerst waren es seine Prokuristen und Buchhalter, welche solche Mannes-Äußerungen gehört hatten, doch bald wußte und glaubte sie jeder. Uhlenburg hatte binnen kurzem Ziegelwerke bei Hannover, Kalkwerke bei Lüneburg, Braunkohlengruben und Brikettfabriken in Sachsen.
Dann stürzte er sich auf Süddeutschland. Am Main wuchs aus einem kleinen Kalkofen ein gewaltiges Zementwerk Frankonia heraus; ein ganzes Jahr wurde daran gearbeitet, bis es repräsentativ dastand. Nörgler, die es überall gibt, hatten unterstellt, das Werk sei Luftspiegelung der »Saxonia«, doch wie wurden sie beschämt!
Monate ging ein Raunen, wochenlang vorher stand es fest: Uhlenburg rüstet einen Sonderzug aus und fährt alle seine Anhänger und Freunde oder die es werden wollen, auf seine Kosten an den Main. Der Andrang zu diesem Fest war ungeheuer. Der Zug schleppte 400 Gäste, der Speisewagen schaffte alle 40 Minuten ein Diner; man begann morgens 7 Uhr mit Portwein, ging über Moselwein zum Boxbeutel und schloß 3 Uhr nachmittags mit Sekt, als man hinter Würzburg unter dem Krachen von Böllerschüssen und dem Läuten der Dorfglocken auf der kleinen Haltestelle landete, wo sich die stolze Frankonia erhob; der Bürgermeister und der Pfarrer begrüßten die erlauchten Gäste von weither, der erste nannte Uhlenburg den Führer der Industrie, der zweite bezeichnete ihn als den Wohltäter der Bevölkerung – wenn so Staat und Kirche dem Mann den Stempel ihrer jahrhundertalten Autorität aufdrückten, so hatte die Kritik der Amtlosen und Profanen kein Wort zu sagen – man war auch kaum mehr in der kritischen Verfassung; es ging mit Gesang durch Ehrenpforten zur Frankonia, schnell durch oder um das Werk und dann zurück nach Würzburg, wo die kritischen Gäste auf Kosten des Herrn Uhlenburg in Hotels untergebracht wurden, nach einem Bankett, auf dem geraunt wurde, daß die Universität Würzburg den Großindustriellen Uhlenburg zum Doktor der Philosophie honoris causa ernennen würde.
Der Festzug ging tags darauf zurück mit gleichem Pomp, doch einige angeregte Gäste sah man noch tagelang in den Straßen Würzburgs und in dessen benachbarten berühmten Boxbeutel-Gegenden.
Seit diesem Frankonia-Zuge, der bald berühmt und sagenhaft wurde, wie der Zug der Argonauten zum goldenen Vließ – war Uhlenburg ein festbegründeter Mann – geradezu eine Größe. Seine 400 Argonauten standen ihm treu und kampfbereit zur Seite.
Aber – es ist ja unglaublich zu lesen und daher schwer darzulegen – es gab in der Metallstadt noch einen Größeren als Uhlenburg: das war der große Ommekamp, den sein Prokurist Gerber den »Napoleon des Bankgewerbes« getauft hatte.
Sein geschäftlicher Grundsatz lautete: » Alles kennen ist unmöglich. Man muß alles kaufen. Dann ist die durchschnittliche Sicherheit desto größer.«
Wir haben Ommekamp verlassen, als er mit der Gründung der Charbonnages réunis près de Lüttenscheid sich der Brüsseler Börse bemächtigte.
Er kaufte und gründete die Eisenhütte Rhenania, die Bleierzbergwerke Plumbumbum und Blickblende bei Siegen, die Maschinenanstalt Tremonia und immer so weiter. Er packte die Sache rein von der finanziellen Seite: seine Bank gründete, trieb die Aktien enorm hoch, verramschte nach Möglichkeit die Aktien, sicherte sich aber als Emissionsbank immer die Führung. Seine Bank blieb das Zentrum in dem großen Spinnennetz. Er hatte sie als katholische Bank aufgezogen, steuerte kräftig bei zu Kirchenfesten, Kirchenbauten, Peterspfennigen und christlichen Gewerkschaften, und so bohrte sie sich mit Dutzenden Filialen besonders in das katholische Münsterland und Emsland, deren unerschöpfliche jährliche Überschüsse in die Bank flossen und jede Kassenebbe wieder mit einer Flut auffüllten. Bauern, Dienstboten, Rentner und alte Damen nahmen ihr Geld aus Sparkassen und Schränken und trugen es zu Ommekamps Bank.
Der einzige quälende Gedanke in dieser Morphium-Bank war die sich aufdrängende Tatsache, daß alle diese vom Bankhause gegründeten Industrien zwar auf dem Konto-Korrent Zinsen einbrachten, aber zum Ausbau, der nie enden wollte, so enorme Zuschüsse auf Bankkredit verlangten, daß sie die Zinsen um das Zehnfache fortwährend überstiegen. Aber die Prokuristen hatten damit recht: ließ man eine dieser Industrien fallen, so zog man dem Gebäude eine entscheidende Säule weg, und es begann überall zu knistern. Also durchhalten!
Das wirtschaftliche Leben war in der höchsten Woge, doch einen Kamm sah man noch nicht. Alle Tage sprangen die Preise und die Kurse nach oben.
Ein Kummer: keines der Industrie-Werke ging. Die Bank mußte zahlen, oder es kam Krach, und der erste Krach schmiß das Vertrauen, d. h. das ganze Gebäude für Alle.
Bannings Augen glühten, Uhlenburg betäubte sich in Festen, Ommekamp glaubte selbst und war sorglos.
Hohe Woge. Alle Waren knapp. Alle Tage stiegen die Kurse.