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Einundvierzigstes Kapitel.

»Ich habe dir vieles zu sagen, San Jago!« hob der Oberst an. Er warf den Kopf rückwärts auf das Tor deutend, innerhalb dessen der Vizekönig verschwunden war. »Mich wundert es nicht, daß Mexiko müde ist, ihm nach seiner Pfeife zu tanzen. Der Hund entehrt die Grandezza. Vorgestern redete er mich »du« an, erwartend, ich würde es erwidern.«

»Und du?«

»Pah, schnitt eine sehr tiefe Verbeugung und gab ihm bei jedem anderen Worte die Exzellenz.«

»Das hast du brav gemacht.«

»Ich habe gar keine Vorurteile, bin anerkannt liberal aber –«

»Nichts weniger als der Diderotschen Meinung«, meinte lächelnd der Graf.

»Welcher Meinung Diderot wahrscheinlich nicht gewesen wäre, wäre er etwas gewesen.« Siehe Anhang: Note V.

»Bravo,« sprach der Graf.

Die beiden gingen eine Weile schweigend nebeneinander.

»Alle Teufel!« hob endlich der Oberst wieder an. »Mich ekelt dieses Leben in Mexiko. Abschlachten und wieder Abschlachten, und nichts als Abschlachten, wo man hinsieht, geht und steht. Ein ewiges Zusammentreiben, Schänden, Niederwerfenlassen, Abtun, Totschlagen, Stechen, Schießen, Stampfen, Treten. Wollte, es wäre vorüber.«

»Es wird noch lange nicht vorüber sein.«

»Pah, wollte dem Dinge in sechs Wochen ein Ende machen. Morellos gefangen, eine Amnestie, diese ehrlich gehalten, und Mexiko ist in einem halben Jahre ruhig.«

»Schon deshalb nicht, weil niemand mehr der Amnestie trauen würde. Wer das erstemal betrogen worden, läßt sich nicht das zweitemal betrügen, sagt unser Sprichwort. Mexiko will Euch Fremdlinge los sein, auf alle Weise los sein.«

»Es ist wahr, es ist ein heilloses Gesindel, alle diese meine Landsleute, geistlich und weltlich, der Abschaum des ganzen Spaniens.«

Der Conde schwieg.

»Die Silberbarren Mexikos haben uns unser bißchen Freiheit gekostet. Unsere Grandezza, Teufel! es ist eine Schande!«

»Wahr!« sprach der Graf.

»Was glaubst du, daß Mexiko tun wird?«

»Sich frei machen.«

»Pah, ums Wollen ist's nicht, aber ums Vollbringen«.

»Es wird wollen, und sobald es ernstlich will, kommt das Vollbringen von selbst.«

»Glaubst du?« fragte der Oberst.

»Ich glaube es nicht nur, ich bin überzeugt.«

»Du bist überzeugt!« wiederholte der Offizier sinnend. »Du mußt es am besten wissen.«

»Wir brauchen einen König, geradeso wie die Wölbung einen Schlußstein braucht« sagte der Graf. »Nur einen König will Mexiko. Es seufzt nach einem König. Gibt man ihm nicht den König, kann er sich nicht beizeiten festsetzen, Wurzel schlagen, so muß eine Republik kommen. Jeder Augenblick Zögerns untergräbt das monarchische System mehr und mehr.«

»Sehr wahr; aber was ist zu tun?« »Für uns vorläufig nichts anderes, als zu trachten, daß wir, die die großen Interessen des Landes am meisten angehen, die Fäden der Gewalt in die Hände bekommen, die den Eurigen mehr und mehr entschlüpfen; denn gelangen sie in die der Demokraten, so sind wir verloren.«

»Sehr wahr; aber wir können doch nicht, dürfen uns nicht zu den Rebellen schlagen, nicht einmal in Verbindung mit ihnen treten?«

»Es ist etwas ganz anderes, in Verbindung mit ihnen zu treten und sie benützen, zu höheren Zwecken zu lenken.«

»Und tut ihr dies? Pardon meiner albernen Frage, obwohl sie nicht übel gemeint war.«

Der Graf schien sie überhört zu haben. »Du irrst,« sprach er nach einer Weile, »wenn du glaubst, ich würde dir etwas verhehlen. Deine Interessen sind auch die unsrigen, und wir müssen ihren Stand genau kennen. Macht beruht auf Erkenntnis.«

»Ich bin angewiesen, mit dir in Übereinstimmung zu handeln.«

»Unsere Aufgabe muß sein, eine dritte Partei zu bilden,« bemerkte der Graf, »eine Partei, die unabhängig, gleich einer neutralen Macht, inmitten der beiden erbitterten Kämpfer, und doch über ihnen stehend, den Ausschlag zu geben imstande ist, die Zügel der Regierung selbst im Notfalle einstweilen zu übernehmen fähig wäre; denn die Grundpfeiler eurer Gewalt sind so morsch, so erstorben und verwittert, daß sie wahrscheinlich, treffen nicht ganz besonders günstige Umstände zusammen, ineinander stürzen beim ersten Windstoße.«

»Ich dächte doch, dieser Windstoß wäre gekommen« entgegnete der Oberst. »Die Rebellion währt jetzt beinahe zwei Jahre, und die Rebellenheere erstehen wie die Pilze auf allen Seiten.«

»Indianer und Mestizen,« entgegnete der Graf, »aber keine Kreolen. Du vergißt, daß eine Million Kreolen nicht nur neutral ist, sondern wirklich gegen die Rebellen dient und ficht. Dies wird nicht ewig dauern. Und sobald diese wanken und sich von euch wenden, ist Mexiko verloren. Jetzt will es noch einen König. Erlangt es diesen nicht, so haben wir eine Republik zu gewärtigen.«

»Hol sie der Teufel mit ihrer Republik! War nur ein paar Wochen in der sogenannten großen Republik, bekam sie satt. Ist ein prosaisch gemeines Leben in einer solchen Republik, kein Licht, kein Schatten, alles flach. Nichts Großartiges, San Jago!«

»Deine Bemerkungen sind ganz richtig; ich fürchte keine Republik für Mexiko, ausgenommen wir begehen den Fehler, daß wir uns, wie gesagt, die Fäden entwinden lassen.«

»Und du glaubst, eine Republik sei für Mexiko nicht zu fürchten?«

»Für die Dauer nicht, für einige Jahre vielleicht, aber nicht für lange.«

»Und warum?«

»Weil eine Republik, ich meine eine wahre Republik, nicht ohne Selbstherrschaft jedes einzelnen Bürgers bestehen kann, und diese Selbstherrschaft wieder nicht ohne einen hohen Grad politischer Aufklärung, die über die ganze Nation verbreitet sein muß. Denn fehlt sie auch nur einer Kaste, einer Klasse, gibt sich auch nur eine als Mittel her, statt als Zweck aufzutreten, so ist das Gleichgewicht schon gestört, und diese Kaste wird früher oder später das Mittel zur Unterdrückung der Freiheit der übrigen. Wir, die wir unter unseren sieben Millionen Seelen sechs Millionen Material haben, ermangeln wie du siehst, der Hauptbedingung einer wahren Republik.«

Der Oberst hatte aufmerksam zugehört; denn die Worte waren in einem gefällig leichten, eindringlichen, aber nichts weniger als belehrenden oder pedantischen Tone gesprochen, so wie die ganze Unterhaltung ungemein leicht war und mehr den Anstrich des Zufälligen hatte.

Der Graf fuhr auf dieselbe Weise fort.

»Aber das Glück, die Größe einer Nation, besteht so wenig in ihrer Regierungsform, als das Glück des Bürgers in der Fassade des Hauses beruht, das er bewohnt; wenn dieses nur seinen Umständen angemessen und bequem ist. Wir aber sind für eine Monarchie geschaffen.«

»Also!« sprach der Oberst.

»Wir haben eine Grandezza, eine reiche Grandezza, vielleicht die reichste der Welt. Wir haben eine wohlhabende Nobilitad. Wir haben Zünfte, unsere Bauern, unsere Cavecillas und endlich unsere Leperos. Wir habe eine Hierarchie aller Stände, und so Materialien zu einem tausendjährigen Reiche.«

»Bei meiner Seele!« lachte der Oberst. »Verdammt schlechte Materialien.«

»Vielleicht nicht so schlecht, wenn du die Sache genauer betrachtest. Analysiere einmal die großen Nationen in ihre Bestandteile, und du wirft sie nichts weniger als grandios finden. Wo alle aufgeklärt sind, ist die Regierung immer schwach. Wo ganze Massen in Unwissenheit vergraben sind, da kann durch Aufgeklärtere Großes bewirkt werden.

Der heutige Vormittag hat Mexikos Schicksal übrigens entschieden. Bisher wußten wir nur dunkel, was uns fehlte, wo uns das Übel drückte, Señores! Es war ein edles, aber undeutliches Ideal, das uns vorschwebte, für das wir kämpften und nicht kämpften. Für Ideale erglüht man, kämpft aber nicht leicht, und nie lange. Es müssen materielle Interessen dazu kommen, grob materielle Interessen. Diese, und zwar die stärksten, die es geben kann, kamen heute, die Interessen der Selbstsucht, des Eigentumes. Sklaven haben keinen Begriff vom Eigentumsrechte; wir waren Sklaven bis heute, wo uns die Consulado-Männer lehrten, was Eigentum vermag. – Derselbe Dämon des Egoismus, der Selbstsucht, der uns blutig, vampyrartig aussog, muß uns auch endlich befreien.«

»Das wird aber lange dauern«, warf der Oberst ein.

»Wir spielen ein hohes Spiel; gewinnen wir, so hat Mexiko gewonnen.«

»Ah,« hob der Graf nach einer Weile wieder an, »es war ein furchtbarer Kampf, den wir heute gekämpft haben. Zuweilen kamen wir uns vor wie das Verhängnis, das aus den untersten Tiefen heraufsteigt, um gegen ein feindliches Urprinzip zu kämpfen; dann wieder wie ein Rasender, der seinem Todfeinde in der Hitze des Sturmes entgegenrennt, ihn ergreift und mit sich fortreißt in den Wirbelwind des Verderbens. In dem Augenblicke, als er am härtesten auf der Folter lag, stand mir jener Mexikaner vor Augen, wie er den verzweifelnden Spanier mit sich an den Rand des Teocalli schleift, um ihn hinabzuschleudern. Er war der leibhafte Spanier, wie er sich aufraffte und mit der letzten Kraft der Verzweiflung ankämpfte gegen mich, den Mexikaner. Ich hatte ihn erfaßt, den mir in diesem Augenblicke entsetzlichen Virey, mit der Kraft der Verzweiflung erfaßt; aber ich besann mich, daß nicht er es war, gegen den ich kämpfte, daß er bloß das Werkzeug des Prinzips war, gegen das ich stritt, das Ungeheuer, das mit seinen Polypenarmen Mexiko umschlungen hat, und das durch seine Vertilgung uns nur riesiger, grausiger in Calleja umfassen würde. – Ich schonte den Menschen und erfaßte das Prinzip.«

»Und stieß ihm den Dolch –«

»Nein,« sprach der Conde, »Prinzipe lassen sich nicht durch Stahl bekämpfen; sie müssen durch Gegenprinzipe, so wie Feuer in unseren Wäldern durch Gegenfeuer bekämpft werden.«

Es erfolgte wieder eine lange Pause.

»Siehst du!« fuhr er fort, – »hier liegt der Unterschied zwischen dem Plebejer und dem Aristokraten. Der erstere erfaßt das Körperliche, das Sinnliche am Menschen, das Materielle, weil er selbst sinnlich und materiell ist; wir erfassen das Geistige.

Glaube mir: als Reich gehen wir einer großartigeren Bestimmung entgegen, als die stolzeste Phantasie zu träumen vermag. Wir besitzen die Materialien zu der prachtvollsten Monarchie der Welt; aber wenn wir den Zeitpunkt versäumen, die Krisis vorübergehen lassen – –«

»Was tun? Ich bin ein geborener Spanier, mein Eid, meine Pflicht – –«

»Binden dich an König und Vaterland. Bleibe du beiden getreu. Unsere Wege gehen zum Teil gemeinschaftlich, unser Interesse ist dasselbe, und dies kannst du auch in deiner gegenwärtigen Lage fördern; Mittel und Wege wollen wir dir bei Zeit und Gelegenheit offenbaren.«

»Aufrichtig gesagt, ich liebe diese neuen Throne nicht.«

»Auch ich nicht,« versetzte der Graf; »aber etwas ganz anderes ist es um eure neugebackenen Miniaturthrone, etwas anderes um den tausendjährigen Thron unseres Vaterlandes.«

»Du siehst die Lage der Dinge großartig an,« sprach der Oberst, »sehr großartig. Ich bewundere dich. – Wohl sehe ich, daß dieses Land einem neuen Geschicke entgegengeht ...«

Jetzt standen sie am Ausgange der Plaza; herüber schaute der Itztaccihuatl in seinem schneeweißen Gewande, so hehr, so keusch, so rosig, die Schneefelder erglänzten so prachtvoll! Die beiden Männer standen im Anschauen der hehren Nachtszene verloren.

»Die Werke der Natur bleiben ewig, die der Menschen zerstören sich selbst im Radlaufe der Zeit. Vor weniger denn dreihundert Jahren stand dort die Tempelpyramide Mexikos, der Palast Montezumas.« Graf Jago deutete bei diesen Worten auf die Kathedralkirche und den Palast des Vizekönigs. – »In zehn Jahren wird auf den Trümmern jener beiden dort ein neuer gewaltiger Bau erstanden sein.«


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