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Erstes Kapitel.

Die Siesta war vorüber; die tiefe Stille, in welche die zweistündige Mittagsruhe die ganze Hauptstadt Neu-Spaniens wie begraben hatte, war auf einmal einem tobenden Gesumse gewichen, das, aus den oberen Vorstädten hereinbrechend und einem nicht minder tobenden Lärm von den unteren her begegnend, bald über der ganzen Hauptstadt in einem so furchtbaren Schwall von Tönen aufstieg, daß ihre unzähligen Aasgeier meilenweit dadurch verscheucht wurden. Mexikos Bewohner erhoben sich von ihren Lagerstätten, den Porticis der Kirchen, Häuser und Paläste, oder tanzten, mit den buntesten Mummereien behangen, aus dem Bazar hervor, um den Karneval in jener rasenden Lust zu feiern, mit der die katholischen Völker sich für die drückenden Entbehrungen des Jahres schadlos zu halten pflegen. Hier sah man einen riesigen Tenatero Ein Erzträger; sie tragen 250 Pfund mit Leichtigkeit und sind gewöhnlich Indianer von sehr starkem Körperbau. im ungeheuern spanischen Generalshute und der Sergeantenjacke, Zepter und Weltkugel in der einen Hand, in der anderen ein Kreuz von Pappe, stolz einherschreiten, den Erlöser von Atolnico vorstellend; dort sah man eine Schar von Indianern, Zambos und Mestizen, in Apostel, Jünger, jüdische Priester und Weiber metamorphosiert, vor dem göttlichen Meister unzüchtige Tänze und Sprünge aufführen; daneben Adam und Eva, vom Engel mit flammendem Schwerte aus dem Paradiese getrieben. An einem dritten Orte lieh sich der Dios Padre, Gott Vater, herab, selbst den Reigen anzuführen, zu dem die heilige Cäcilia eine spanische Laute schlug, während wieder das kleine Jesukindlein auf seiner Flucht nach Ägypten, einen gewaltigen Esel reitend, Ströme Wassers in die offenen Fenster und den Vorübergehenden in die Gesichter spritzte. Dazwischen Scharen von Leperos, Aussätzige, die zu Tausenden in der Stadt und den Vorstädten Mexikos obdachlos hausen. Stutzern und elegant herausgeputzten Mädchen und Weibern, die sich in diesem Schwarm von Indianern wie Sumpflilien im giftig schmutzigen Moraste ausnahmen; dann wieder Hunderte von Raketen, die ungeachtet des hellen Tageslichtes auf allen Seiten und Enden aufschwirrten, zur großen Freude der Indianer, deren Jubel in wahres Toben überging, wenn einer der feurigen Schwärmer unter die geputzten Damen, die von den Balkonen herabwinkten, fuhr. Überall die tollste, wildeste Freude; aber eine Freude eigener Art, so rasend auf einmal ausgebrochen, so grell und plötzlich nach der Totenstille, die noch wenige Minuten zuvor geherrscht, daß Auge und Ohr befremdet und erschrocken diesen Tausenden von Bacchanten und Bacchantinnen zusah und zuhorchte!

Eine Gruppe von zwölf Personen, phantastisch in die verschiedenen Kostüme der Indianerstämme des Landes gekleidet, umgaben einen sogenannten Carro Ein zweirädriger Wagen. so malerisch, daß man wohl sah, sie folgten der Leitung eines berechnenden Kopfes. Die Indianer waren in Trauer und bewegten sich als Leidtragende um diesen Wagen, auf dem zwei Gestalten sich befanden, die das Attribut des Gräßlichen und Komischen so seltsam in ihrem Aufzuge vereinigten, daß das Auge neugierig und schaudernd zugleich auf diese sonderbaren Gestalten blickte, von denen die eine ausgestreckt auf dem Wagen lag: ein blutend verstümmelter Torso, aus dessen Brust und abgehauenen Arm- und Schenkelstümpfen das Blut noch immer tröpfelnd herabfiel, welches wieder von einem zweiten Gefolge spanischer Verlarvter mit Gier aufgeleckt wurde. Noch schien Leben in ihm, denn er stöhnte und gab hohle Töne von sich und mühte sich vergebens ab, das Ungeheuer, das gleich einem Vampyr sich auf ihm niedergelassen und seine Tigerklauen in seine Brust eingeschlagen, abzuschütteln. Dieses Ungeheuer war ebenso seltsam anzuschauen. Es hatte das finstere Gesicht eines wohlgenährten Dominikanermönchs, dessen Kutte es auch trug; auf der einen Seite hatte es eine brennende Fackel, auf der anderen einen bellenden Hund; sein Haupt bedeckte eine kupferne Gießkanne, die wahrscheinlich das Helmsubstitut des Ritters der Mancha vorstellen sollte. Der Rücken endigte im Schwanze des mexikanischen Wolfes Coyote, sowie wieder dem Jaguar die Tatzen angehörten, mit denen er den Torso furchtbar zerfleischte.

Die Haufen von Indianern, Mestizen und der farbigen Bevölkerung waren allmählich durch Hunderte von Kreolen verstärkt worden, während der stolzere Spanier mißtrauisch aus den Fenstern seines wohlverwahrten Hauses dem sonderbaren Gaukelspiele zusah.

Unter den reichsten Mangas, Der Mantel eines Mexikaners. die der Popanz angelockt, war ein junger Mann, dessen Gesicht schwer erraten ließ, welcher Rasse es angehörte. Es hatte alle Farben des Regenbogens, die sich auf der knapp anliegenden Seidenmaske so natürlich darstellten, daß man in Versuchung kam, dieses Farbenspiel für Natur zu halten. Er war aus der Fonda Ein Gasthof ersten Ranges. von Trespanna heraus auf die Straße getanzt, hatte sich einige Male flüchtig vorsichtig umgesehen und sich dann durch die Scharen zu dem Gaukelzuge gedrängt und gewunden.

»Närrische Leute! Hirnlose Haufen! Was rennt, was drängt, was lauft Ihr? Was seid Ihr gekommen zu schauen, zu sehen? Wißt Ihr nicht, daß das Sehen verboten ist?«

Der Ton des Stutzers, seine plötzliche Erscheinung und das kecke Originelle seines Wesens, im Gegensatze zu dem scheuen Benehmen der übrigen Kreolen, die sich vorsichtig dem Wagen näherten, ihn einige Augenblicke mißtrauisch betrachteten und dann sich schnell zurückzogen, um in sicherer Ferne des Weitern zu harren, hatten nicht verfehlt, die allgemeine Neugierde auf ihn zu lenken.

»Wohl denn, Volk von Mexiko oder Anahuac, Der eigentliche Name des einstmaligen Kaisertums. wenn Ihr so Euch lieber nennen hört, das heißt Azteken und Tenochken und Otomiten und Mestizen und Zambos und Altra atras und Blancos, die der Teufel«, flüsterte er leiser, »ganz oder wenigstens zum zwanzigsten Teile holen mag.« Man nahm an, daß die Spanier, die Gebieter des Landes, den zwanzigsten Teil seiner weißen Bevölkerung, das heißt ungefähr 60 000 Seelen, ausmachten.

»Bravo!« riefen Hunderte von Mestizen und Zambos, denen die letzten Worte des Stutzers auf einmal über sein politisches Glaubensbekenntnis Licht gegeben hatten. » Bravo, escuchad« Hört! ertönte es wieder und wieder.

Während dieses Bravorufens hatte sich der Mann tanzend und wieder windend durch die Haufen zum Popanz hin Platz gemacht, den er aufmerksam betrachtete.

Auf einmal hob der Stutzer die Kutte des Ungeheuers und der vom Rumpfe getrennte Kopf des blutigen Torso kam zum Vorschein. Es waren indianische Züge, von einer Meisterhand so natürlich dargestellt, daß Hunderte von Stimmen mit einem Male riefen: »Guauhtomozin!«

»Guauhtomozin«! schallte es dumpf von Munde zu Munde, während der Stutzer fortfuhr, den Schleier von dem seltsamen Ungeheuer zu lüften.

»Seht, hier hat es seine Klauen am tiefsten eingehackt!« sprach er, und die Menge schauderte wieder.

»Es ist Tio Gachupin,« lachte er auf einmal, sich auf dem Absatze herumwendend, »Tio Gachupin, Vetter Gachupin. Gachupin ist ein unübersetzbares Wort. Die Spanier behaupten, es bedeute einen Helden zu Pferde; die Indianer und Kasten – einen Dieb. Es wird allgemein als ein Schimpfname betrachtet. der das Spiel, das er vor nicht ganz dreihundert Jahren mit dem armen Guauhtomozin – – nein, es ist Guauhtomozins Geist!« rief er, »der erschienen, blutend und um Rache schreiend.«

Soviel war nun dem Haufen allmählich klar geworden, daß der Spektakelaufzug eine tiefe, ja gefährliche politische Bedeutung habe. Die Menge hatte schnell zugenommen; die flachen Blumendächer, die Balkone der nahen und entfernten Häuser waren mit unzähligen Köpfen angefüllt. Es herrschte eine tiefe Stille, die nur vom Geflüster der Neugierde oder dem Gemurmel des Schauders unterbrochen wurde. Auf einmal rief es: » Vigilancia, Vigilancia!« » Vigilancia Habt Acht! schallte es von Mund zu Mund. » Gracias Señoras y SeñoresDank, gnädige Herren und Herrschaften! lachte der Stutzer, duckte sich und verschwand. In wenigen Augenblicken war vom gräßlichen Sinnbilde Mexikos selbst keine Spur mehr vorhanden, und als endlich die beiden Alguazils mit ihren Stäben sich Bahn gebrochen hatten, regnete es Fetzen von Pappendeckeln und Trümmer gebrochenen Holzes auf ihre verhaßten Häupter; die Menge selbst war nach allen Seiten ausgerissen und brach größtenteils in den Gasthof ein, vor dem die Szene selbst stattgefunden hatte.

Dieser Gasthof, der erste Mexikos, war der Vereinigungspunkt der hohen und niedrigen Welt der Hauptstadt, das heißt des größten Reichtums und der ekelhaftesten Blöße, die nur gedacht werden können. Die unteren Geschosse nahmen eine Art Basare ein, in denen Waren mexikanischer Fabrikate zum Verkauf ausgeboten wurden; die oberen Säle waren zur Bewirtung der Gäste bestimmt und mit einer Pracht ausmöbliert, die auffallend mit diesen Gästen selbst kontrastierte.

Im ersten dieser Säle stand ein großer, langer Tisch, einer Billardtafel ähnlich, auf dem Haufen Silbers lagen, die Tausende von Piastern betragen mochten, während die Garderobe der ringsum sitzenden oder stehenden Spieler um ebenso viele Pfennige zu teuer bezahlt gewesen wäre. Außer den Worten Señor und Señoria war kaum ein Laut zu hören; aber dafür sprachen ihre giftig feurigen Blicke desto vernehmlicher, und ein Grimm war in ihren Augen zu lesen, der jeden Augenblick in Mord und Totschlag ausbrechen zu wollen schien.

Der zweite Saal war, wo möglich, von einer noch häßlicheren Klasse von Menschen angefüllt, die liegend, stehend, hockend, auf allen vieren, in Stellungen hingestreckt waren, die nicht beschrieben, viel weniger gesehen werden mögen; zum Teil beschäftigt, ihre und ihrer Kinder Köpfe von jenen Anwohnern zu reinigen, die der ganze Reichtum dieser Klasse zu sein pflegen.

Ein dritter Saal war den Schokolade- und Sangaree-Trinkern Ein Getränk, aus Zucker, Zitronen, Wasser, Rum und Gewürz bereitet. gewidmet, die ihre Gläser und Becher mit einer Behaglichkeit leerten, die in der ekelhaften Nacktheit und Armut ihrer Umgebungen noch einen eigenen Reiz zu finden schien; denn zwischen Stühlen, Bänken und Tischen lagen und krümmten sich die Elenden, Leperos genannt, gleichwie ein Bindungsmittel, das sämtliche Klassen Mexikos zusammenhielt; und wieder zogen ein: reich gekleidete Spanier, Spanierinnen und Kreolen, die noch halb schlaftrunken von der Siesta kamen, in einer Kleidung, hell und funkelnd und wieder lose und locker, vor ihnen her eine Schar von Mulatten- oder Negermädchen, die froh und üppig einhertanzten, Körbchen und Kästchen tragend und »Platz für unsere gnädigen Frauen!« schreiend, hinterdrein die Cortejos, die diesem Geschrei mit ihren Säbeln und Stöcken den nötigen Nachdruck gaben.

»Verdammt! Welch eine schöne und liebliche Gesellschaft!« rief auf einmal dieselbe Stimme, die wir unten auf der Straße als den Ausleger der gefährlichen Fastnachtsposse gehört haben, und die nun einem Caballero, Caballero, Cavalier. Jeder von spanischem Blute abstammende Mexikaner macht auf diese Benennung Anspruch. seiner Larve nach zu schließen, angehörte, der in einem ganz neuen Anzug in den Saal trat, die Gesellschaft mit jenen flüchtigen Blicken messend, mit denen der hohe Wüstling eine untergeordnete Klasse von Menschen zu mustern gewohnt ist. »Holla! Zum Glück!« rief er, an den langen Tusch tretend und eine Rolle Piaster auf eine Karte werfend, die im nächsten Augenblicke auch schon gewonnen hatte.

» Bravo, bravisimo! Doble,« schrie er.

Der Stutzer hatte wieder gewonnen und die Summe, so beträchtlich sie auch war, ohne eine Miene zu verziehen, auf die frische Karte geworfen.

» Triple!« schrie er, als er wieder gewonnen: » Quadruple!« ein viertes Mal, und mit diesem letzten Glücksfalle warf ihm der Bankier seine ganze Barschaft mit den Worten: » Maledito gato«, hin und erhob sich von seinem Sitze mit einem Blicke, so grimmig, daß man hätte glauben sollen, es müsse den nächsten Augenblick Mord und Totschlag erfolgen. Wider alles Erwarten jedoch nahm der Mann seine zwei Realen, die er in den Ohren stecken gehabt, rief den Kellner, hielt diesem die beiden Silberstücke vor die Augen und sprach, auf das eine deutend, feierlich: » Cigarros,« und auf das andere: » Arguadiente de caña«. Rum (aus Zuckerrohr). Und nachdem er so über sein Geld disponiert, schlug er, in Erwartung der beiden Labsale, seine Manga mit soviel Kunstfertigkeit über die Schulter, daß der Zipfel der andern Hälfte zugleich bis zu den Hüften herab verlängert wurde, und es so einiger Aufmerksamkeit bedurfte, zu gewahren, daß einer der beiden Schenkel gänzlich des nötigen Artikels, Beinkleider genannt, ermangelte.

»Kommen Sie, Damen und Herren zum Glück!« rief nun der glückliche Eroberer der Schätze seines Vorgängers, indem er gleichermaßen zwei Realen Real, der achte Teil eines Piasters, wird, das Glück festzuhalten, von den Spielern in die Ohren gesteckt. aus einem besonderen Beutelchen herausnahm und einen in jedes Ohr steckte, welche Handlung er mit dem Zeichen des Kreuzes begleitete.

»Platz, Pöbel!« rief es auf einmal wieder, und mit diesem Rufe trat ein Zug spanischer Soldaten mit ihren oder anderer Weiber ein.

Vor jeder dieser Spanierinnen schritten drei Mulattomädchen mit lose anliegenden Seidenröckchen, die ihnen bis zu den Knien reichten und so locker und lockend anlagen, daß der Busen und der ganze Leib ohne Mühe zu ersehen waren; die Haare in goldfadige Netze gewunden, an den Armen Spangen von gleichem Metalle. Das erste dieser Mädchen trug ein offenes Kästchen mit Zigarren, aus dem wechselweise die Dame und ihr Cortejo sich zuhalfen; das zweite ein Körbchen mit Zuckerwerk, dem gleichfalls häufig zugesprochen wurde, und die dritte die Geldbörse.

»Platz!« erschallte es wieder, und die Begleiter der Damen, wohlbestallte Unteroffiziere der spanischen Truppen, schwangen ihre Rohrstöcke und Säbel, daß Indianer und Mestizen und Zambos wie gemäht von Bänken und Stühlen purzelten.

»Alle Teufel, was wollen Sie damit sagen?« rief unser neuer Bankier, der sich auf seinen Sitz niedergelassen hatte, auf einmal aufspringend.

Er sprach diese Worte so drohend, und seine Gestikulation war so echt mexikanisch, daß drei der Sergeanten mit einem Male auf ihn zusprangen.

»Hund, was soll dies bedeuten?«

»Hund!« rief der Mexikaner gleichfalls, und dabei fuhr seine Hand unter die Manga, und die Bewegung war so schnell von den sämtlichen weißen, schwarzen, braunen und grünen Physiognomien nachgeahmt worden, daß die drei Sergeanten nebst ihren Damen mit einem Male zurückprallten. Nur die vierte hatte sich in der Nähe des Tisches gehalten und schwang nun die Karten, die Gesellschaft zum Spiele einladend.

Diese Einladung hatte auch einen unbegreiflich schnellen Erfolg. Dieselben Menschen, die soeben Partei auf Leben und Tod für ihren Landsmann genommen hatten, – denn dies verriet das mysteriöse Langen unter die Mangas – ersahen kaum, in wessen Hand sich die Zauberblätter befanden, als sie auch wie mit einer Stimme riefen:

»Um der Liebe Gottes! Gehen Eure Herrlichkeit mit Gott!«

»Gehen Sie mit allen hunderttausend Teufeln, gnädiger Herr!« brüllten die Spanier.

Der junge Mann sah abwechselnd seine armen Landsleute, dann wieder die Spanier an; dann, wie ergriffen von der sonderbar originellen Höflichkeit und Grobheit beider, lachte er laut auf, packte pfeifend seine eroberte Beute zusammen und räumte den Saal.

Seine Wanderung durch die anstoßenden Säle schien einige Zeit hindurch eine absichtslose zu sein, bis er sich endlich in den letzten leeren Saal verlor, wo er an die Flügeltüre trat, die verschlossen war, und an die er mit den Worten klopfte:

»Gegrüßet seist Du, reinste Maria!«

Ihm wurde aufgetan.


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