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Vierzigstes Kapitel.

Auf dem Glockenturme der Kathedrale schlug es zehn.

Alles war ruhig und still vor dem Palast. Von den Ecken des Platzes herüber ließ sich zeitweilig ein dumpfes Gemurmel hören, wie das der aufgerüttelten Meereswogen, die hohl heranströmen – der Nachklang eines vorübergegangenen oder der Vorläufer eines beginnenden Sturmes, und von Santa Fe herab pfiff ein leichter Nordwind in einzelnen Stößen, daß die Wetterhähne der hundert Türme seltsam unheimlich knarrten.

Es war eine prachtvolle Mondnacht. Die zartweiße Floripundio, Sie hat bloß ein einziges Blatt, das aber acht Zoll lang und drei bis vier breit ist; die Tigerblume hat drei spitzige Blätter; die Herzblume hat geschlossen die Gestalt eines Herzens, offen die eines Sterns. die glänzendrote Tigerblume, die rotweiße Herzblume, die duftenden Zitronenblüten auf den Balkonen, die Bäume in den Gärten, die Felsen der Gebirge, die grandiosen Paläste, Kirchen und Dome, die Säulen, Karyatiden und Knäufe schienen sich zu strecken im Glanze des Mondlichtes, das nun ruhig und silbern gegen die Gebirge von Marquis de la Cruz hinabsank, und die weiße Frau, die über diese hervorragte, schien näher zu rücken und sich zu neigen über das ewige Tenochtitlan. Alles war zauberisch feenartig, mit jenem grünlichen Silberlichte überstrahlt, das den mondhellen Nächten der tropischen Länder einen so unbeschreiblich ideal geisterhaften Anstrich verleiht.

Als die Glocken ein Viertel nach zehn geschlagen, öffneten sich die Hinterpforten im linken Flügel des Palastes, und es blitzten Gewehre heraus; Mann kam auf Mann, Zug auf Zug. Sie stellten sich auf der Plaza auf, düster und finster, schweigsam wie Nachtschatten und wie Gespenster, die auf das Geheiß eines Zauberers aus ihren unterirdischen Klüften und Verstecken zur Feier der Geisterstunde hervorbrechen.

Es war Poesie in dieser Nachtszene – furchtbare Poesie.

Als das Regiment aufgestellt war, traten die Offiziere aus der Linie und sammelten sich in Gruppen, die Blicke auf den vizeköniglichen Palast geheftet. Die Degen unter dem Arme standen sie eine geraume Weile, ohne ein Wort zu sagen.

»Muß doch eine eigene Zauberkraft haben, dieser Vicente Guerrero, wenn schon sein Name so viel vermag,« bemerkte endlich einer.

»Señor Saldanha! Wissen Sie, mich erinnert das Ganze an die Posada, zwei Stunden oberhalb Almonacid.« Kneipe oberhalb Almonacid – bekannt wegen der von Vanegas gegen Joseph Napoleon verlorenen Schlacht.

»Diese berühmte Posada«, versetzte der Angeredete mit unterdrücktem Gelächter, in das mehrere der Umstehenden einstimmten, »mußten wir mit tausend Mann besetzen und uns daselbst einschanzen.«

»Und die Gavachos erwarten, von denen auch kein einziger weit und breit zu sehen war, während unter uns die Schlacht donnerte.«

»Wir waren zwei verlorene Posten«, fiel ein anderer ein. »Sie oben mit tausend Mann, wir unten mit zweitausend, zwei volle Wegstunden vom Schlachtfelde.«

»Carracco! Wie kommt es, daß ein Befehl von einem solchen Muchacho so auf uns einwirkt, daß wir eilen, just wann und wo und wie es ihm gefällig ist!«

Plötzlich hielten sie inne.

»Was soll das?« fragten auf einmal zwanzig Stimmen leise.

Eine Kompagnie Cazadores war vor und um den erzbischöflichen Palast herum aufgestellt worden, und zwar in solcher Stille, daß sie erst jetzt von den Offizieren bemerkt wurden.

Alle schauten sich kopfschüttelnd an.

»Haben die erzbischöfliche Gnaden das Aufruhrfieber bekommen?«

»Es ist doch alles ruhig in seinem Palaste.«

»Kein Licht zu sehen.«

Eine Gestalt kam aus der vom Kanal heraufführenden Querstraße, mitten durch das aufgestellte Pikett. Das ›Gutfreund‹, das sie den Lanzeros zur Antwort gab, war so laut gesprochen, daß es herüber zu hören war. Die Offiziere gingen dem Herannahenden entgegen. Es war der Oberst.

»Conde! – Señoria! – Was soll das?« fragten alle.

»Se. Exzellenz spielen bloß Variationen über das Thema von Augustus – kennen Sie es nicht?«

Die Offiziere sahen ihren Chef verwundert an.

Providus imperator praeferendus temerario«, wisperte der Oberst lächelnd.

»Oberst und Generaladjutant Fiesco hat zweimal bereits nach Eurer Herrlichkeit gefragt«, meldete ihm der Major Arias.

»Verstehe«, sprach der Oberst, der sich gegen die Offiziere leicht verbeugte und dann dem Palasttore zuging.

»Hast du gesehen, Núñez?« sprach einer. »Er hat statt seines Mantels einen Blaumantel und statt seines Hutes einen Generalshut.«

»Einen General-Kapitänshut.«

»Pah! er ist der Sohn eines Grande.«

Auf einmal wandten sich die Offiziere gegen das Palasttor, die Wachen präsentierten, und es kamen drei Personen aus der Halle und dem Tore herausgeschritten.

»Der Virey«, murmelten alle im höchsten Erstaunen.

»Und kein Trommelschlag, kein Fahnesenken?« fragten sie sich wieder, indem sie hastig in die Linie eintraten.

Der Virey schien das Regiment nicht zu bemerken. Er ging mit seinen Begleitern, mit denen er sehr angelegentlich sprach, gerade auf den erzbischöflichen Palast zu. Ein Page folgte. Als er vor dem Palaste angekommen, deutete er auf die verschlossenen Pforten und schüttelte den Kopf. Der Page zog die Klingel, und der Virey trat ein, nachdem er seinen Begleiter umarmt hatte.

»Besetzen Sie alle Zugänge!« befahl der Oberst dem Kapitän der Cazadores. »Niemand wird weder aus- noch eingelassen.«

Dann schob er seinen Arm unter den des Grafen, der zu ihm trat, und beide nahmen die Richtung nach der Tacubastraße.


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