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Zwölftes Kapitel.

Noch war die Gesellschaft über die plötzliche Verwandlung des Geheimsekretärs und den ebenso unerwarteten als der schuldigen Ehrfurcht zuwiderlaufenden Besuch eines ihrer Glieder bei der höchsten Person des Königreiches in bangen Vermutungen und Zweifeln befangen, die bei den näheren Freunden des Grafen in die ängstlichsten Besorgnisse über das Gewagte des unerhörten Schrittes übergingen, als ein furchtbar gellendes Geheul, das aus tausend Kehlen auf einmal hervorzubrechen schien, so gewaltig an die Fenster des Hauses anschlug, daß die Scheiben klirrten.

Ein allgemeines Entsetzen hatte sich der Zurückgebliebenen bemächtigt.

»Endlich ergießt sich der Himmel und es regnet Kieselsteine!« sprach der Mayordomo, öffnete die Fenster und sah in die Nacht hinaus. »Die Cavecillas sind hinter Capultepec, und sie brüllen von der Tacubayastraße herüber und ziehen sich gegen Buenvista hinauf. Ja, ja, es sind die Indianer, sie toben, und wenn die anfangen zu toben, dann gnade Gott Mexiko. Ei, sie wittern gut und sie wittern weit. Auf fünfzig Meilen spüren sie was vorgeht.«

»Jesus Maria!« riefen die geängstigten Edelleute wieder.

»Ei, die Indianer«, fuhr der alte Mayordomo fort. »Sie haben freilich keine Zeitung; aber sie wissen, was vorgeht. Itztlan kann uns über ihr Gebrüll besser Auskunft geben, als es morgen die lügenhafte Zeitung tun wird. Itztlan,« wandte er sich zu dem Indianer, »was bedeutet das Geheul?«

»Die Spanier werden es morgen erfahren«, erwiderte der Indianer trocken.

»Jesus Maria!« riefen wieder zehn Stimmen.

»Still Señorias, und bringen Sie mir den Indianer nicht aus seinem guten Willen.«

Dieser hatte abermals aufmerksam gehorcht. Er wandte sich plötzlich und, wie es schien, mißmutig. »Die Patrioten werden Mexiko noch viele Tage nicht sehen«, murmelte er zwischen den Zähnen, und dann entfernte er sich.

Das Geheul näherte sich auf einigen Punkten und ging dann in ein wirres Geschrei über, das der Villa immer näher kam. Ein Haufen der Schreier war bis auf tausend Schritte herangekommen und brüllte mit furchtbarem Geheule: »Tod den Spaniern! Es lebe Morellos, unser Befreier!« Gleich darauf rasselte es am Haustore. Die ganze Villa geriet in Aufruhr.

»Jesus Maria, die Rebellen!« schrien mehrere Stimmen.

Der Major Iturbide hatte sich während des Tumultes aus dem Saale geschlichen, wobei ihm der Mayordomo und sämtliche Diener mit Blicken nachsahen, die für den Mann nicht schmeichelhaft waren.

»Wollte Gott, er ginge, und recht weit von Mexiko.«

»Anselmo, was ist dir wieder?« fragten mehrere.

»Kommt Zeit, kommt Rat« sprach der Mayordomo feierlich. »Unser Sprichwort sagt: Mit einem Schurken sei ein Spitzbube und ein halber drüber, und Don Iturbide ist der Mann danach.« Darauf ordnete er die Dienerschaft, die nun die mannigfaltigsten Erfrischungen und Getränke in silbernen Geschirren auftrug.

Der Klang kriegerischer Instrumente, der durch die Fenster drang, unterbrach auf einmal die Stille, die eingetreten war.

Es war die herrliche Janitscharenmusik der spanischen Regimenter, die sich nun näherten. Der ergreifende Klang der kriegerischen Musik brachte bei den Kavalieren ganz dieselbe zauberähnliche Wirkung hervor, wie früher beim Pöbel. Der rasche Aufmarsch einer zahlreichen Kavallerie wurde zugleich hörbar, und diese versetzte die Gesellschaft ebenso plötzlich als unerwartet in die entgegengesetzten Extreme. Die atemlose Stille, die bei dem ersten Trompetenstoße geherrscht hatte, wich allmählich Ausrufungen des Entzückens; die Kavaliere begannen regelmäßig den Takt zur Musik mit ihren Händen und Füßen zu schlagen und vergossen wieder Freudentränen, umarmten sich wieder und trippelten im Saale herum gleich Schiffbrüchigen, die dem offenen Wellengrabe durch ein herannahendes Segel entrissen werden. Auf die Kavallerie waren mehrere Infanterieregimenter und ein ziemlich bedeutender Artillerietrain gefolgt, die, im hellen Fackelschein vorbeidefilierend, wirklich ein anziehend kriegerisches Nachtstück darstellten.

Als der letzte Pferdehuf verklungen war, wurde das Rasseln eines Wagens gehört, und ehe noch die Entzückten aus ihrem kriegerischen Enthusiasmus erwachten, stand der Graf San Jago wieder unter ihnen.


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