Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

So wie sich der Gesang erhoben hatte, plötzlich und wild, ebenso verklang er wieder, unerwartet und unheimlich, als der Zug den Wald betrat, dessen Schluchten und Labyrinthe nun die Aufmerksamkeit der Führer in Anspruch zu nehmen begannen. Es blieben nicht mehr Fackeln angezündet, als gerade unumgänglich notwendig waren, um den Weg über die gefährlichsten Schlünde zu finden, die auch auf dieser Seite in jeder Richtung hinabgähnen. Hie und da zeigten sich noch Spuren des mit so unsäglicher Mühe in die Felsen gehauenen Pfades, auf dem Cortes seine wenigen Pferde und Kanonen über das Gebirge gebracht, und der nun auch den Major zu seinem weniger glücklich ausgeführten Handstreich geleitet hatte. Stunden waren verflossen in stetem Hinabklettern, Emporklimmen, und Hinabkriechen. Kein Laut war mehr unter der Truppe zu hören; erst als sie in der Tiefe angelangt, erschallten einzelne Pfiffe und wieder ein Geheul, wie das des Jaguars, worauf der Zug eine Weile hielt und sich dann wieder in rasche Bewegung setzte. Der Weg ging nun durch mit ungeheurem Schlingkraut durchwachsene Hochwälder und wilde Dickichte, die sich so ineinander wirrten, daß auch die verwegensten Jäger vom weitern Vordringen abgeschreckt worden wären. Die verbutteten Bergeichen und Fichten waren der Königspalme und Tamarinde, die empfindliche Kälte einer mäßigen Wärme gewichen. Teilweise lagen über den Tiefen ganze Schichten Nebel, die, wenn ein Luftstrom sich erhob, gleich Nachtgestalten sich über die Bergesabhänge hinzogen, rabenschwarze Nacht über den Zug verbreitend. Von Zeit zu Zeit kamen Indianer wie Gespenster im flüchtigsten Trabe aus den Bergklüften und schlossen sich an den Zug an; andere entfernten sich auf dieselbe maschinenartige Weise; der blindeste Gehorsam – eine ungeheure Kraftanstrengung, und nirgends eine Stimme zu hören, kein Befehl, auch nicht das mindeste Abzeichen eines sichtbaren Oberhauptes.

Unser junger Don hatte noch immer kein Zeichen seines Daseins gegeben. Mechanisch war er dem Impulse gefolgt, über Schluchten und Abgründe, Täler und Berge, als das prachtvolle Schauspiel von fünfzig Pechfakeln, die längs eines Felsenrückens in einen furchtbaren Abgrund hinabflackerten, ihn endlich aus seiner starren Bewußtlosigkeit weckte. Er stieß ein donnerndes »Halt!« aus, das jedoch kaum aus seinem Munde war, als ein Pfiff gehört und er zugleich mit Riesenarmen ergriffen und auf den Rücken eines gewaltigen Indianers gehoben wurde, der sich den Jüngling wie eine Feder auf den Nacken setzte, seine Schenkel zwischen die beiden Arme nahm und mit dieser Last ebenso leicht forttrabte, als wäre sie sein Bündel mit Proviant gewesen. »Vigilancia!« brüllte eine Stimme auf einmal, und der ganze Zug hielt für einen Augenblick. In der Stille wurde das Tosen eines Waldstromes hörbar, das aus den tiefsten Eingeweiden der Erde herauf zu kommen schien. Die Temperatur, die abwechselnd gemäßigt und wieder kalt gewesen, je nachdem der Zug über Höhen oder durch Klüfte und Abhänge fortgeeilt war, war auf einmal zur tropischen Hitze geworden.

»Wo sind wir?« fragte der Jüngling seinen Träger, der ihn über einen Felsen hinabhob und gleich darauf sich selbst hinabwurmte. »Schweig«, bedeutete ihm der Indianer, in die Tiefe hinabdeutend, aus der eine Stimme heraufbrüllte, die aber das Tosen des Waldstromes überrauschte. »Still«, brummte der Indianer nochmals, indem er dem Don seinen Lasso unter die Schultern warf, ihn dann über einen zweiten Felsen hob und mittelst des Lassos dreißig Fuß hinabließ. »Still«, brummte der Indianer abermals, der sich den Jüngling auf dieselbe unzeremoniöse Weise wieder auf den Nacken setzte und in die entsetzliche Tiefe hinabstieg. »Vigilancia!« schrie es nun zum dritten Male. Die Warnung galt einem rohen Baumstämme, der, über den grausigen Abgrund gelegt, den Übergang über den Schlund der Barranca bildete. Der Befehl war kaum gehört worden, als sich unser Don auch schon in den Riesenarmen eines zweiten Indianers fand, der ihn erfaßt und ihn sich auf den Rücken geworfen hatte, als wäre er seine Muskete gewesen, und dann, ohne links noch rechts zuschauen, über die entsetzliche Brücke mehr trabte als schritt. Aus dem Abgrunde herauf tobten und brüllten die Gewässer, dem Auge durch die herrlichsten Baumgruppen und Schlingpflanzen verborgen, auf der andern Seite standen bereits mehrere Indianer, im Rücken schrie eine rauhe Stimme: »Bist du ein Kreole?« und das Schwanken des Baumes verriet, daß ein zweiter Caballito die gefährliche Brücke mit der Mannslast betreten hatte. Ein zweites Mal wurde die Frage gehört; aber die Antwort war noch nicht aus dem Munde des unglücklichen Spaniers, als ein rollendes »Verfluchter!« herüberbrüllte und der Angstruf »Jesus Maria und Josef!« zu hören war, begleitet von einem schweren Falle und Gerassel in den Zweigen. Der Jüngling, der am jenseitigen Ufer angelangt war, sah sich schaudernd nach dem unglücklichen Spanier um, dessen Todesruf soeben aus dem gräßlichen Schlunde herauf verhallte; ehe er aber Zeit hatte, auch nur ein Wort zu sagen, ward er wieder auf den Rücken eines Indianers gehoben und fortgetragen, mit derselben Leichtigkeit und Rücksichtslosigkeit, als wenn er ein zweijähriger Knabe gewesen wäre.

Der Zug hatte sich wieder in rasche Bewegung gesetzt. Keiner fragte, keiner gab Antwort. Jeder schien nur auf sich selbst bedacht zu sein. Noch waren einige Angstrufe gehört worden, ohne jedoch auch nur im entferntesten beachtet zu werden. Die Hitze, die sie soeben empfunden hatten, fing wieder an in die Kälte überzugehen, und ein lichter Nebelflor, der um die Gipfel eines ungeheueren Bergrückens zu spielen begann, verkündete die Morgendämmerung. In den Schlünden jedoch war es noch finstere Nacht. Hie und da glänzten den Emporklimmenden Schneeschichten entgegen, die häufiger wurden je höher sie emporklommen, bis endlich der ganze Bergrücken ein Eisfeld geworden war.

»Wo ist Graf Carlos?« schrie Don Manuel. »Wo mein Alonso Cosmo?«

»Weiter!« befahl eine andere Stimme den Indianern.

»Ich sage, wo ist Graf Carlos, Alonso und Cosmo?« schrie der junge Don wieder, der nun mit Schaudern bemerkte, daß der Haufe, der weit über vierhundert stark ausgezogen, keine hundert mehr zählte, darunter siebzig Indianer, die übrigen Dragoner.

»Weiter!« schrie der Mann stärker, und ohne daß die Frage einer Antwort gewürdigt worden wäre, setzte er im befehlenden Tone hinzu: » Como por los pozos«; und diese Andeutung war wieder hinreichend, den ganzen Zug in die regste Tätigkeit zu setzen. Die meisten der Indianer waren mit Lassos versehen. Einer derselben nahm einen der Riemen, warf sich die Schlinge um den Leib und indem er das andere Ende, an welchem der Ring befestigt war, einem zweiten Indianer in die Hände gab, ließ er sich über den beinahe senkrechten Felsensattel hinab. Der Ring wurde in einen zweiten Lasso geworfen, in einen dritten, vierten und fünften und so fort, bis der Indianer dem Auge in dem Nebel entschwunden war und sein Ruf verkündete, daß er festen Fuß gefaßt habe. Ein zweiter folgte, ein dritter, und zwar mit einer Schnelligkeit und Sicherheit, als wenn ebenso viele Baumwollenballen aus dem obersten Stockwerke eines Warenmagazins herabgelassen worden wären.

»Eure Herrlichkeit«, sprach eine Stimme aus dem Haufen heraus unsern Don an, auf die sonderbare Strickleiter deutend und zugleich einem Indianer winkend, der ihn schnell erfaßte, an den Rand des Felsensattels hob und ihm den Lasso in die Hand drückte. Bald verschwand auch er im Nebel. Mann folgte nun auf Mann; der letzte, der hinabstieg, gab jedem der fünf Führer eine Zigarre, legte die Finger auf den Mund und folgte der Schar, die er vorausgesandt. –

Dicht an dem nordöstlichen Abhange senkte sich, gleichsam das Bild dieser mexikanischen Landschaft ganz zu vollenden, eine mäßige Barranca in die Tiefe hinab. Längs dieser Barranca zog sich eine Anzahl indianischer Hütten hinab, aus unbehauenen Baumstämmen ausgeführt und mit Palmblättern gedeckt, aber weder mit Türen noch Fenstern versehen, alle jedoch durch Kaktuseinfriedigungen geschützt, die innerhalb dieser Einfriedigungen einen Blumenreichtum darboten, der seltsam mit der Ärmlichkeit und selbst dem Schmutze der Umgebung kontrastierte.

Diesem Rancho hatte sich die Abteilung der Patrioten ebenso rasch als vorsichtig genähert, als die Sonne bereits über die Berge heraufgestiegen war. Sowie sie die Berghöhe hinabstiegen, wurden in den Windungen allmählich eine Kapelle mit schneeweißen Mauern, unter hundertjährigen Zypressen gleichsam begraben, mehrere andere größere und kleinere Gebäude, die Bestandteile einer Hacienda zu sein schienen, und endlich ein schloßartiges Wohnhaus mit flachem Dache und einer Balustrade, umgeben von einer starken und hohen Mauer, sichtbar.

Don Manuel hatte in dem raschen Zuge, in welchem sich die unheimlich, ja beinahe gräßlich aussehende Schar fortbewegte, erst jetzt Gelegenheit, seine Umgebung zu betrachten. Die Dragoner ausgenommen, denen man ihre Waffen abgenommen hatte, war keines der Gesichter unter ihnen zu sehen, die ihm früher auf jener fatalen Berghöhe vorgekommen waren; aber mehrere junge Männer verrieten ebensowohl durch ihr Äußeres als ihre stolze Haltung, daß sie zu den höheren Klassen der bürgerlichen Gesellschaft gehörten. Unter diesen schien ein junger Kreole, dem er zur Seite gekommen war, Ansprüche auf Bedeutsamkeit zu machen. Der junge Don war eine Weile schweigend nebenher gegangen. Auf einmal wandte er sich zu dem jungen Kreolen.

»Señor«, sprach er etwas barsch und nicht ohne Symptome eines tief verbissenen Ingrimms. »Wollen Sie mir gefälligst sagen, wo wir uns befinden?«

»Señor werden es zu seiner Zeit erfahren«, erwiderte der junge Mann.

»Wenigstens, mit wem ich die Ehre habe zu sprechen.«

Der junge Mann besann sich einige Augenblicke; dann ließ er die blaue Uniform mit weißen Aufschlägen eines Patriotenmajors sehen, wandte sich, ohne ein Wort zu sagen, und erteilte Befehle an die Umgebung und die Indianer, die im flüchtigsten Trabe dem Rancho zueilten.

»Señor«, hob Don Manuel etwas ernster und mit einem Nachgefühle beleidigten Stolzes an. »Wollen sie mir sagen, wie s kommt, daß ich über Barrancas und Berge gleich einem Gefangenen geschleppt werde?« Er stand stille, als erwartete er eine Antwort.

»Kann nicht dienen«, erwiderte lakonisch der Patriotenoffizier, der fortgeschritten war. »Señor sind mir übergeben worden mit dem gemessensten Befehle, für Ihre Sicherheit zu haften; wenn Señor mehr beliebt,« fuhr der junge Offizier in demselben trockenen Tone fort, »mit meinem Kopfe zu haften; aber wir haben auch zugleich den Auftrag, Ihrer Freiheit nicht das mindeste in den Weg zu legen und Sie abreisen zu lassen, wann und wohin es beliebt, in welchem Falle wir bloß angewiesen sind, uns eine Bescheinigung zu erbitten und eine Angabe des Ortes, wohin wir Ihre Dienerschaft und Gepäck zu senden haben.«

Der Jüngling sah den Sprecher mit großen Augen an.

»Und wer hat diese Befehle erlassen?«

»Mein General, Don Vincente Guerrero, dessen Adjutant zu sein ich die Ehre habe.«

Der Name dieses damals bereits in Mexiko hochgeachteten Mannes brachte den Jüngling zu einer kurzen Pause.

»Ist er in der Nähe?« fragte er nach einer Weile.

»Ich hoffe, in einigen Stunden meine Vereinigung mit ihm bewerkstelligen zu können«, erwiderte der Offizier.

Die Abteilung war nun am zweiten Abhange angekommen, von dem man die Hacienda ganz übersah, und aus den Bewegungen der Indianer war zu entnehmen, daß ein Überfall der Hacienda im Werke war. Während sich mehrere Indianer, geschützt durch die Hecken von Kaktus, an das Rancho heranschlichen, waren andere in derselben Richtung, durch das dichte Gebüsch dem Auge verborgen, von der andern Seite bis in die Hacienda selbst gedrungen. Das Hauptgeschäft schien jedoch den ersteren zuteil geworden zu sein, die, kaum im Rancho angelangt, in die Hütten eintraten, als wenn sie auf Besuch kämen oder hineingehörten. Auch nicht die mindeste Bewegung war im Rancho zu spüren, und die Bewohner des Dörfchens schienen ihre Gäste ebenso bereitwillig, unbekümmert aufgenommen zu haben, wie diese gekommen waren. Die Männer und Weiber kamen und gingen aus den Hütten und schienen bloß auf ihre häuslichen Verrichtungen bedacht.

»Bei meiner Ehre!« rief der Jüngling, der sich endlich in der Gegend orientiert hatte. »Wir sind in der Hacienda von Don Basilio Pintos und in der Nähe von Chalco und Mexiko.«

»Sehr leicht möglich«, erwiderte der Major trocken. »Und Sie wagen es!« rief der Jüngling, der rasch der Hacienda zuzueilen im Begriffe stand.

»Halt, Señor!« rief der Militär scharf, während zwanzig Indianer und ebenso viele Dragoner von ihren Lagerplätzen aufgesprungen waren, um ihm den Weg zu vertreten.

»Wir wagen es, der Hacienda Von Basilio Pintos einen Besuch abzustatten, ohne übrigens Ihrer Anmeldung zu bedürfen. Leider«, fuhr der junge Major fort, »haben wir seit den vierzehn Monaten unseres Kriegslebens einigermaßen die spanische Etikette vergessen.«

Diese Worte, mehr an die Umherliegenden gerichtet, verursachten ein lautes Gelächter.

»Señor,« fuhr der Offizier ernster fort, »Sie haben, wie gesagt, Freiheit, zu gehen oder zu bleiben, jedoch müssen wir uns noch auf alle Fälle für eine halbe Stunde das Vergnügen Ihrer Gesellschaft erbitten, während welcher Sie als ein guter Christ die Messe hören können.«

Wirklich ertönte in demselben Augenblicke die Glocke aus dem Türmchen der Kapelle, und bald darauf kamen auch die Bewohner des Rancho und der Hacienda aus ihren Hütten und Türen und zogen der Kapelle zu.

»Es geht recht gut«, lachte der junge Militär, der mit Falkenblicken umhergespürt hatte, den Seinigen zu; »und wir werden einige Stunden der Ruhe pflegen können. Sehen Sie doch einmal, Señores,« lachte er wieder, »unsere braven roten Alliierten im Rancho haben die Unsern mit ihrer Sonntagsrobe ausgestattet, und die Kerls wandeln nun so bußfertig zur Kirche, als ob sie Ablaß für alle ihre Sünden zu erlangen hofften.«

Die Kreolen erhoben sich, um dem Kirchgange der Ihrigen zuzusehen, die Indianer blieben jedoch liegen. Das Glöckchen vom Turme erschallte wieder, und auf dieses Zeichen warfen sich alle auf die Knie, schlugen sich auf die Brust und murmelten: Mea, culpa. In derselben Stellung verharrten sie, bis die Glocke ein zweites Mal geläutet.

»Bei der heiligen Jungfrau, der Padre weiß, daß unser Appetit groß und unsere Andacht klein ist!« lachte einer der Offiziere.

Diese Worte wurden auf einmal durch den Ausruf: » A todos los diablos – Caramba! maldita cosa!« und so fort unterbrochen. Es hatten sich nämlich die Tore der Hacienda geöffnet, nicht, wie die Offiziere es erwartet hatten, um die Ihrigen, vermengt mit den Insassen des Rancho, einzulassen, sondern um einen Zug von Reitern in voller Bewaffnung von sich zu geben, an dessen Spitze mehrere Offiziere von hohem Range ritten. Der Reiter waren zehn.

Der junge Major knirschte mit den Zähnen. »Das ist San Ildefonso, der junge Oberst, und Major Arios und der alte und junge Pintos! Und die uns entgangen! Stille, stille, Jungens!« rief er, »es ist zu spät! Unsere Muchachos haben keine Waffen als ihre Messer, und die sind ein ärmliches Zeug gegen zwanzig Pistolen und zehn gute Schwerter. Alle Teufel! Sie ziehen hinab gegen Mexiko!«

Die Reiter schienen auch nicht im mindesten die Gegenwart der gefährlichen Gäste zu ahnen und hatten sich in schnelle Bewegung gesetzt, rasch auf dem breiten Wege forttrabend, der aus dem Tale der erwähnten Hügelkette zuführt.

»Nur zehn unserer Dragoner auf jenem Vorsprunge, und alle wären unser!« rief der Major wieder, der in der Spannung, in die ihn das Entkommen der wichtigen Feinde versetzt, ganz die Hacienda vergessen hatte, deren Tore mittlerweile geöffnet worden waren, um die Indianer zum Ankaufe ihrer Bedürfnisse in der Krambude zuzulassen. Beinahe in demselben Augenblicke wehte auch ein weißblaues Tuch vom Dache des Gebäudes, als Zeichen, daß die Hacienda in der Gewalt der Patrioten sei. Alsbald trat der Major mit Don Manuel in die Hacienda ein, in welcher die jubelnden Indianer Vorkehrungen zur Bewirtung und Verpflegung der Patrioten trafen. Ballen von Tüchern, Schläuche mit Pulque lagen neben Tonnen voll Chili und Bergen von Salzfleisch und Mais in Körnern, und daneben die Requisiten einer indianischen Garderobe; denn nach mexikanischer Sitte hatte es der Eigentümer nicht unter seiner Würde gehalten, eine sogenannte Tienda oder Kramladen in seiner Villa zu halten. Ungeheure Kisten, mit Zigarren gefüllt, lagen offen für jedermanns Gebrauch, und Offiziere und Patrioten, und Männer, Weiber und Kinder strömten mit gleicher Hast heran, sich mit diesem, einem Mexikaner unentbehrlichen Bedürfnisse zu versehen. Bald war der ganze Vordergrund in eine dichte Rauchwolke eingehüllt, unter der Hunderte von Indianerinnen rasch die Lieblings-Tortillas buken, die beinahe ebenso schnell unter der Hand der Bäckerinnen verschwanden, wie sie aus der Pfanne gekommen waren.

Mitten unter diesem Drängen und Treiben ließ sich ein Gewirr von Stimmen von der nördlichen Seite des Tales her hören, und die Avantgarde eines zahlreichen Korps Patrioten wurde sichtbar; hinter diesen mehrere reich uniformierte und durch Haltung ebensowohl als durch Anstand ausgezeichnete Militärs in der Uniform mexikanischer Stabsoffiziere, unter ihnen Graf Carlos; dann folgte die Mannschaft, die, durchgängig wohl bewaffnet, beiläufig fünfhundert Köpfe betragen mochte. Es waren meistenteils Indianer, Mestizen und Zambos aus den südlichen Teilen des Reiches, kräftige, wohlgebildete Gestalten. Von Zeit zu Zeit ertönte der Ruf: »Es lebe unser General Vincent Guerrero!«

Merkwürdig genug war Capitan Jago in dem Zuge reich gekleideter Stabsoffiziere, von denen einer Brigadiergenerals-Uniform trug, noch immer in seiner schmählich mitgenommenen Manga, obwohl seine Fußbekleidung renoviert war. Er trat rasch auf den Jüngling zu.

»Ah, Don Manuel!« lächelte der Mann etwas boshaft, die zerrissenen Schuhe und Manga des jungen Kavaliers fixierend. »Sie werden ohne Zweifel mit Ihren letzten Nachtmärschen nur wenig zufrieden gewesen sein; aber wir konnten nicht anders, und Ihr Freund Graf Carlos dürfte kaum besser gefahren sein. Wir hoffen jedoch, unsere Befehle sind respektiert worden, und Major Galeana hat Sorge getragen?«

»Don Galeana Sorge getragen?« rief der Jüngling, dem die Erinnerung an die rücksichtslose Behandlung in der letzten Nacht Schamröte und Wut auf die Wangen trieb.

»Major Don Galeana, hoffen wir, wird unsere Befehle –«

»Don Galeana deine Befehle?« fiel der Jüngling erbittert ein, ohne den Mann ausreden zu lassen.

»Mexiko nennt mich Vicente Guerrero,« sprach der gewesene Arriero trocken, aber mit Würde, »und künftighin muß ich Eure junge Herrlichkeit bitten, mich bei diesem Namen zu nennen.«

Und mit diesen Worten wandte der angebliche Maultiertreiber, der nun plötzlich einer der ersten Generale Mexikos geworden war, dem beinahe vernichteten Jüngling unter dem lauten Gelächter der Umstehenden den Rücken.

»Lassen Sie,« befahl er dem Major, »die Mannschaft schnell abfüttern, daß sie wenigstens drei Stunden zur Siesta hat. Ersuche Sie um eine Zigarre«, bat er einen zweiten. »Ah, da gibt es ja Tortillas«, lachte er, indem er an eine Gruppe Indianerinnen heranschritt, die, mit dem Backen dieser beliebten Maiskuchen beschäftigt, ihm entgegengekrochen waren, um den Saum seiner Kleider zu küssen. »Die ist gut, Mata«, lachte er einem Mädchen zu, in eine Pfanne greifend und eine der Tortillas herauslangend. – »Apropos! Don Galeana,« wandte er sich wieder an den Major, »lassen Sie die zwei Spanier aufknüpfen, die auf der Flucht eingeholt worden sind. Graf Carlos!« wandte er sich an den kriegsgefangenen Kapitän, »Sie sind unser Gast bei der Tafel, und wenn Ihrem Freunde unsere Einladung nicht zu gering ist – Doch, wo ist er? Wo ist Don Manuel?«


 << zurück weiter >>