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Siebentes Kapitel

Gegen Süden läuft die Hauptstadt Mexikos in einen öffentlichen Spaziergang aus, bestehend in zwei breiten Alleen, die begrenzt sind von einer lachenden Landschaft herrlicher Gärten. Tausende von Pfirsich-, Kirschen- und Apfel- und Orangen- und Zitronenbäumen bilden einen prachtvollen Fruchtwald.

Die Stille, die in diesem lachenden Reviere herrscht, bloß abends und morgens von den zu Markt kommenden und wieder zurückkehrenden Indianern unterbrochen, die herrlichen Kontraste der Vegetation und der kahlen Felsenberge, vorzüglich aber die Entfernung von dem Getümmel der großen Stadt und den eifersüchtigen Blicken einer scheelsüchtig gewalttätigen Regierung, haben dazu beigetragen, daß mehrere der angesehensten Familien diesen Punkt zu ihren Stadtwohnungen gewählt hatten. Unter diesen Villen zeichnete sich ein einfach symmetrisches Gebäude mit zwei kleinen Flügeln durch eine ruhig heitere und anmutige Lage unter beschatteten Ulmen und Pappeln aus. Es hatte zwei Stockwerke, die ein flaches Dach bedeckte, von dem bereits die Vorboten des Frühlings, die mexikanische Flora, mit ihrem reichen glänzenden Gefolge Besitz genommen hatte. Das Innere des Hauses entsprach ganz dem geschmackvollen Äußern. Ein Haus- oder vielmehr Hofgarten mit einem plätschernden Springbrunnen, umgeben von der Veranda oder Säulenhalle, aus der man in die Staatszimmer im oberen Stockwerke gelangte. In dem Hause selbst herrschte eine tiefe, beinahe unheimliche Stille, die kaum vermuten ließ, daß eine Schar Diener anwesend war. Sie waren zum Teil aus der kreolischen, zum Teil aus der farbigen Bevölkerung des Landes genommen. Mehrere waren in der Sala mit Vorkehrungen zum Empfang von Gästen beschäftigt. Einige breiteten die Esteras auf dem Marmorfußboden aus, andere ordneten Reihen von Sofas und Sesseln längs den Wänden, ein drittes Paar brachte einen ungeheuern kupfernen Kessel, mehr einem tragbaren Kamine ähnlich und mit glühenden Kohlen angefüllt, den sogenannten Brassero oder Kohlenkessel, wieder andere stellten Tabourets in die Ecke des Saales, auf welche zierliche Glaskästen mit silbernen Standbildern zu stehen kamen, die von einem Blumenstrauße mit silbernen Armleuchtern flankiert wurden. Diese Figuren stellten die Schutzheiligen Mexikos vor.

Diese Vorkehrungen wurden unter der Oberleitung eines alten, ehrwürdig aussehenden Mannes getroffen, der ein Sammetbarett auf dem Haupte, ein langes spanisches Rohr mit goldenem Knopfe in der Hand, als Mayordomo oder Oberhofmeister gravitätisch im Saale auf- und abschritt.

»So ist's recht«, sprach er. »Zwei frische Wachskerzen, Mattheo«, bedeutete er einem Diener. »Was soll denn das, Itzlan?« brummte er einem kupferfarbigen Oaxaca-Indianer zu, der zwei Stümpfchen Wachslichter vor dem Bilde der Schutzpatronin der Spanier aufgestellt hatte. »Höre«, fuhr er fort, »dein Wille mag gut patriotisch sein, und weder Se. Herrlichkeit, der Conde, noch wir, der Mayordomo seines gräflichen Hauses, haben etwas einzuwenden, wenn du der Jungfrau der Gnaden die Ehren in deiner Stube verweigerst: aber hier, verstehst du, sind wir in der Sala Sr. Herrlichkeit, wo ein Quentchen Klugheit mehr wert ist als ein Pfund guter Wille mit Dummheit versetzt. Stecke frische Wachslichter an, denn sollten Gachupins kommen, ihre Nasen spüren fein in diesem Punkte, und Sr. Herrlichkeit Haus soll ihnen keine Gelegenheit zum Ohrenblasen geben.«

Der Jungfrau der Gnaden, als Schutzpatronin der Spanier, schrieben die Spanier alle glücklichen Ereignisse zu, zur offenbaren Zurücksetzung der mexikanischen Madonna von Guadalupe, die, als nur von einem Indianer gefunden und überdies kupferroter Hautfarbe, natürlich in den Augen der rechtgläubigen Spanier als wenig besser denn eine Indianerin selbst angesehen wurde. Die beiden Marias, zugleich die Repräsentantinnen der beiden Parteien, standen sich nun im blutigen Kampfe gegenüber und mußten sich alle die Verwünschungen und Schmähungen, mit denen Parteihäupter von ihren Gegnern beehrt werden, gefallen lassen.

Der Indianer hatte unterdessen, obwohl mit sichtlichem Mißmute, zwei frische Wachskerzen aufgesteckt: eine Verrichtung, die er mit dem frommen Wunsche begleitete, daß Mexitli Der Kriegsgott der alten Mexikaner. der Jungfrau der Gnaden recht bald den Kopf zerschmettern möge.

»Aber«, brach er endlich aus, »wenn nur die Jungfrau von Guadalupe sich auch ein wenig mehr rühren wollte. Sie scheint jedoch zu schlafen, ärger als eine törichte Schildkröte«.

»Das weiß ich wieder nicht, Itztlan«, bemerkte der Mayordomo, eine gewaltige Prise nehmend.

»Aber Itztlan weiß es«, versetzte der Indianer. »Er weiß es, daß sie den verdammten Gachupins hilft und geholfen hat, seit der Zeit, wo der tückische Raubmörder Cortez in Mexiko eingedrungen, wo sie den Unsrigen Sand in die Augen gestreut hat«.

»Ich fürchte, das tut sie noch immer, Itztlan«, bemerkte der Mayordomo mit einer Miene, die, bei einer reichlichen Dosis Simplizität, eine wenigstens ebenso reiche Mutterwitzes wahrnehmen ließ.

»Weiß nicht«, versetzte der Indianer kopfschüttelnd. »So viel weiß Itztlan aber, daß von diesen zwei Madres de Dios, ich wette zehn blanke Taler, die rote sich übertölpeln läßt. Ei, die weiße hat des Schalkes zuviel –«

»Du irrst, Itztlan«, versetzte der Mayordomo, eine Prise nehmend; »du irrst, maßen du zwei Mütter Gottes annimmst, da es in der Tat und Wahrheit doch nur eine gibt«.

»Alle Teufel! Nur eine Mutter Gottes!«

»Itztlan«, sprach der Mayordomo, »hast du nie den – den – den Virey«, stieß er endlich mit einer Art Schauder und Abscheu heraus – »hast du ihn nie gesehen? Nein«, rief er »nein, ich meine nicht den gegenwärtigen, den vorigen meine ich –«

»Die Schlange«, stieß der Indianer mit einem Grimme heraus, der seine tiefen Kehltöne im hohen Saale widerhallen machte. »Die Schlange, die die Indianer von Zitacuaro, von Istla, von Sombrerete, von – mit Weibern, Mädchen und Kindern in ihren Häusern einsperren und verbrennen ließ. Verflucht sei sein Name!«

Der Indianer rannte zähneknirschend im Saale umher.

»Wehe, Wehe!« sprach der Mayordomo. »Der Mann hat mehr Blut vergossen als den Tezcuco-See füllen würde. Nein, ich meine Iturrigaray; den mein' ich«, wiederholte der Mayordomo besänftigend.

Der Indianer wurde ruhiger und nickte. »Hab' ihn gesehen«, sprach er, »zweimal; als er von Capultepec herabkam; sah just aus wie unsereiner auch. Und dann sah ihn Itztlan nochmals, als er auf der Plaza mayor mitten unter seinen Dragones und Lanzeros war. Strotzte von Gold und war anzusehen wie unser Erlöser von Atolnico«.

»Kurz«, sprach der Mayordomo, »der Virey auf der Plaza war eine ganz verschiedene Person von dem Virey von Capultepec«.

Der Indianer nickte.

»Und doch wieder nur eine und dieselbe Person! Und wie der Virey von Capultepec von dem auf der Plaza eine verschiedene und doch wieder nur eine und dieselbe Person war, so ist auch die Jungfrau von Guadalupe von der Jungfrau der Gnaden eine verschiedne und doch wieder nur eine und dieselbe Person.«

Der Mayordomo war aufgestanden und zur Wanduhr getrippelt, die er bedenklich und ängstlich ansah. Ein leichter Schauer durchzuckte seine halb verwitterte Gestalt; und es war ersichtlich, daß er sich bloß deshalb so tief in die Angelegenheiten des himmlischen Hofstaates verwickelt hatte, um trübe Ahnungen los zu werden.

Er fröstelte zusammen. »Ei, wer die frische Luft unseres Cuautla Amilpas hätte! – Jesu Maria! Mir wird so bange – – –«

»Don Anselmo!« riefen sämtliche Diener, besorgt an ihn herantretend; »was fehlt Euch?«

»Was mir fehlt?« erwiderte der alte Mann. »Ei, was fehlt unserem armen, prächtigen Grafen Carlos? Wißt Ihr es? Armer Narr! Was das für Entwürfe waren vor acht Tagen; wie er vor die ganze Notabilitad hintreten wollte, sie auffordern, zum Virey zu gehen und ihm sein schändliches Betragen gegen Mexiko vorzuhalten. Seht ihn jetzt an, just wie ein Hund, der im Schindersacke gewesen«.

»Seht nur einmal Diego an«, fiel ein zweiter Diener ein. »Auf der Hacienda fängt er einen Wolf im Laufe, hier geht er herum, als ob er den gestrigen Tag suchte«.

»Weiß nicht«, brummte Itztlan. »Itztlan fürchtet sich nicht; aber alle Leute sind bleich und zittern und wispern«.

»Und das bringt auch über deine Eisenseele ein Frösteln?« sprach der Mayordomo. »Glaub' es gerne; man müßte von Granit sein, um das auszuhalten. Hier sind nur der Pöbel und unsere Peiniger froh; alles übrige wie sterbend oder tot. Jesu Maria, und der Graf noch nicht zurück! Und Carlos und Federico auch nicht! Habe ihnen doch aufgetragen, von dem Gange der Besamanos Nachricht zu bringen. Was wird da wieder aus- und angesponnen werden?«

Der alte Mann fröstelte wieder zusammen. »Ei, wäre es meinem Willen nach gegangen, so wären wir unten in Cuautla Amilpas geblieben«.

»Und wer konnte Graf Jago, den Stolz von Mexiko, zwingen, nach Tenochtitlan zu kommen?« fragte Itztlan.

Der Mayordomo schüttelte das Haupt. »Ich habe die Galvez, die Buccarellis, die Revillagigedos, die Asanzas, die Iturrigarays gesehen; harte, stolze Männer, die den Popocatepetl mit einem Fuße flach zu treten sich stark genug dünkten, stolz wie Luzifer; aber doch waren es Spanier von altem Schrot und Korn; aber dieser Virey –« der alte Mann faltete seine Hände.

»Dieser Fanegas«, fuhr er stiller fort, »dieser Fanegas, in der französischen Schule aufgewachsen, unter ihren Peitschenhieben, der Schule aller Perfidie und Laster. Sie sagen, er habe selbst die Armeen der Spanier bei Cuenca und Almonacid an die ketzerischen Bonapartisten verkauft. Jesu Maria! Und was der Mann in Mexiko getan hat, das, glaubt mir, Kinder, ist noch nie erhört worden, und alles mit honigsüßer Zunge. Es schreit zum Himmel um Rache. Und doch, wenn diese Schlange zu St. Peter kommt, ich glaube, sie überredet ihn, sie in den Himmel einzulassen. Ein Schurke, wer dann noch darinnen bleibt«.

»Jesu Maria«! seufzte der Mann, indem er zugleich das Kreuz schlug und dann seinen Daumen küßte.


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