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Viertes Kapitel

»Was meinst du, wird der Misteca-Wind lange anhalten?« fragte eine tiefe Baßstimme, als das Gelächter nachgelassen hatte.

»Lange anhalten!« wiederholte der Gefragte, ein Evangelista, das heißt Straßensekretär, nach der Feder zu schließen, die in der Dunkelheit noch hinter seinem Ohr steckend zu ersehen war, und dem offenen Wamse, in dem eine Rolle Papier logierte, »das weiß ich nicht .

»So will ich es dir sagen«, fiel Pedrillo ein, »just so lange, bis der Chalco- und Tezcuco-See trocken gelegt und wieder angefüllt sind«.

»Der Tezcuco trocken gelegt und wieder angefüllt?« versetzte der Evangelista. »Hör, das geht über meine Vernunft«.

»Weißt du nicht, daß der Misteca just so dürr, verdorrt, verdorrend und versengend ankommt wie unsere dürren, hungrigen Gachupinos, wenn sie aus Spanien herüberkommen; daß er aber zur Ader läßt, wie diese das arme Mexiko, mit dessen Blute sie sich mästen? Ei, der Misteca wird sie zur Ader lassen. Möge er bald kommen.«

» Bravo, Bravo,« riefen die Umstehenden: »Er spricht wie ein gestempeltes Buch!«

»Was sagt der Hund von einem Zambo?« rief nun ein Mann mit hohem spitzigen Hute, auf dem eine blutrote Kokarde prangte. »Was sagt er?« schrie der Häscher der Polizei, indem er sich dem Haufen zuzudrängen suchte und mit seinem Amtsstabe links und rechts dreinschlug.

»Der Misteca ist gut zum Aderlaß«, wiederholte der kühne Pedrillo. »Möge er bald kommen!«

»Halt, halt!« rief nun der Alguazil, der aus Leibeskräften sich Bahn zu machen bemühte. Die dichte Volksmasse hatte jedoch schnell eine undurchdringliche Phalanx gebildet, der Sprecher selbst sich geduckt und in der einbrechenden Finsternis unsichtbar gemacht. Die Ulanen, die vor dem Palaste hielten, bildeten mittlerweile eine Angriffskolonne und machten Miene, den Alguazil zu unterstützen.

Dieser drang mit aller Gewalt auf den Knäuel ein, wie rasend um sich schlagend.

»Kommen Sie, mein gnädiger Herr!« sprach da eine tiefe Stimme.

Der Knäuel öffnete sich und ließ den Alguazil ein, schloß sich jedoch, als die Reiter andrangen, gleich der Meereswoge, die ihr Opfer verschlungen. Alle hatten die Stilette gezogen. Einige Augenblicke herrschte eine bange Stille; auf einmal hörte man die Worte: »Jesus, Maria und Joseph!« und dann ein Stöhnen und Röcheln.

»Tod den Rebellen!« schrie nun der Offizier, und die Reiter hieben ein; doch der Haufe hatte sich mit einer unbegreiflichen Schnelligkeit geteilt; mehrere Pferde stürzten, und zur Vergrößerung der allgemeinen Verwirrung brach ein plötzlicher Lichtstrom aus den Toren des Palastes, der für einige Augenblicke Rosse und Reiter blendete. Es waren kurze Augenblicke, aber hinreichend, diesen Teil des Platzes gänzlich von den Haufen zu reinigen. Der Alguazil, zwei Ulanen und ebensoviele Pferde waren als Opfer gefallen; der Haufe hatte sich unter der großen Masse der auf dem Platze auf- und niederwogenden Menge verloren, die nun selbst schnell herandrang und ihre nichts weniger als friedlichen Absichten durch laute »Nieder mit den Spaniern!« kundtat. Ein allgemeiner Aufstand schien auf dem Punkte auszubrechen.

Auf einmal wurde der Wirbel von Trommeln gehört, in deren Rollen eine rauschend prachtvolle Janitscharenmusik einfiel; zugleich sprühten sechzig Pechpfannen längs der ungeheuren Front des Palastes ihre grellen Flammen durch die Menge. Der plötzliche Strom von Licht und Tönen hatte eine unbegreiflich schnelle Wirkung auf die Tausende. Alle Gedanken an Aufruhr waren verschwunden. Ein tausendstimmiges »Viva, Viva!« erschallte. Unzählige Tänzergruppen bildeten sich mit einem Male, und die ganze Plaza war ein fröhliches Gewimmel der lebensfrohen Menge geworden. Die tiefe Finsternis im ganzen ungeheuern Vierecke war zugleich wie durch einen Zauberschlag in Tageshelle verwandelt; denn Tausende von Lampen schimmerten von den Blumengärten der Dächer und gossen über die stattlich massiven Tempel, Paläste und Häuser einen Lichtstrom, der die großartigen Bauwerke ins Riesenmäßige erhöhte. Reich gekleidete Spanier und Kreolen, zerlumpte Leperos, Mulattinnen und halbnackte Indianer, Zambos und liederliche Dirnen, alles vereinigte sich im Bolero, Fandango und Charave. Und gleichsam um das Ganze noch charakteristischer darzustellen, hatten sich zahlreiche Reiterscharen von Dragonern und Ulanen mitten durch die Haufen einen Weg gebahnt und schlossen nun die ganze Masse in einen ungeheuern Rahmen ein, so das Bild eines despotisch beherrschten Staates versinnlichend, wo die Massen durch die eiserne Hand der obersten Gewalt in Schranken gehalten werden.

»Ihr scheint die allgemeine Freude nicht zu teilen«, wisperte ein ältlicher Indianer unserem Abenteurer zu, dessen außerordentliche Beweglichkeit während der soeben beschriebenen tumultuarischen Auftritte plötzlich einem unverhohlenen Mißmut gewichen war.

Der junge Mann drehte sich auf einem Absatze um und kehrte dem Sprecher den Rücken. »Ei, diese Lustigkeit ist ganz einzig«, fuhr der Indianer fort, »so wie wir ein einziges Volk sind. – Meiner Seel! Immer am lustigsten, wenn wir am tüchtigsten gezaust werden«.

Der junge Mann warf dem Sprecher einen Blick zu und versank dann in sein voriges Schweigen.

»Jeder hat seinen Ahuitzote, Freund« Ein indianisches Sprichwort. Ahuitzote bedeutet so viel als Feind, feindliches Geschick. fuhr der Indianer fort, »und Ihr hattet ihrer viele. Glaub' es gern, daß Euch das Geklingel da konträr gekommen ist; der Faden war aber ein wenig schlecht gesponnen, deshalb ist er so schnell zerrissen«.

»Welchen Faden meint Ihr, Vater?« versetzte nun der junge Mann mit einer leisen, hohlen Stimme.

»Einen blutroten mit einem weißen und blauen Ende«.

»Teufel!« zischelte Pedrillo. »Es hilft aller Wege nichts. Da hatten wir sie am Ansatze zu einem herrlichen Aufruhr, aber da kommen ein Dutzend Oboen und Klarinetten und Pfeifen und alles ist beim Teufel«.

»Ja, wenn der Alguazil die königliche Armee gewesen wäre«, brummte der Indianer.

»Wie meint Ihr?« fragte Pedrillo, dem Indianer näher an den Leib rückend.

Der junge Mann hatte, während er so sprach, den Indianer allmählich dem Sockel der Reiterstatue Karls IV. zugezogen. »Das Losungswort!« zischelte er dem Indianer zu, indem seine rechte Hand zugleich hinter die Manga fiel.

»Sachte, Freund«, lächelte dieser, »es war ein Meisterstreich, wie du den Alguazil zum Stillschweigen brachtest; keine Pinte Blut geflossen und der Gachupin so mausetot: du hattest ein dreischneidiges Stilett, vermute ich. Aber wir sind lein Alguazil«.

»Noch nicht«, flüsterte der junge Mann, »sollst es aber werden«, und bei diesen Worten saß dem Indianer auch der Dolch am Leibe; doch ebenso schnell sank seine Hand.

»Hisht«, sprach der Indianer. »Wenn Maskeraden und ein paar Erdolchungen Mexiko retten könnten, da wäret Ihr die Leute; aber zum Zugreifen – –Komm nun und höre«. Er wisperte ihm einige Worte in die Ohren.

»Mutter Gottes!« rief der junge Mann, »General....! Kommt!« Beide eilten schnell durch das Getümmel.

Mitten unter dem fröhlichen Gewimmel und der rauschend prachtvollen Musik sah man anfangs einzelne, dann ganze Reihen von zwei-, vier- und sechsspännigen Kutschen herannahen. Die sonderbaren Kopfzieraten der Pferde und Maultiere, denn mit dieser letztern Tiergattung war die Mehrzahl der Kutschen bespannt, und ihr schweres, häufig massiv silbernes Geschirr entsprach ganz den Kutschen selbst, von denen die meisten eine Art lederner, lackierter, glänzender Kasten mit einer Anzahl vergoldeter Schnörkel waren, deren Seiten, mit Bildern in halber und selbst ganzer Lebensgröße bemalt, die Taten der ersten spanischen Eroberer oder irgendeinen Heiligen darstellten. Die meisten der Wagen waren ohne Sprungfedern, ihre Ankunft verursachte ein Gepolter, das die Musik der beiden Regimentsbanden vor dem Palasttore und im Schloßhofe übertäubte. Beinahe alle hatten Vorläufer, nebst einer Suite, die aus farbigen, reich gekleideten männlichen und weiblichen Mulatten und Negern bestand, welche vor und zu beiden Seiten der Wagen einhergingen. In jedem dieser Wagen saßen vier bis sechs Personen, die, je nachdem sie zur herrschenden Klasse der Spanier oder der beherrschten der Kreolen gehörten, in das offene Palasttor einfuhren oder vor diesem abzusteigen genötigt waren.

Auf einmal erschallte es von dem äußersten Ende des Platzes »Der Schreckliche!« Don Calleja, später Graf von Calderon. und eine leichte, geschmackvoll gebaute Karosse, von vier stolzen Andalusiern gezogen, rollte durch die aufgestellten Reiterscharen, ihr zur Seite mehrere Adjutanten und Ordonnanzen. Die Bande schlug einen herrlichen Triumphmarsch an, die Reiter senkten ihre Schwerter, während das Volk beinahe schaudernd dem Wagen nachsah, wie er in den Schloßhof rollte, gleich als ob in seinem Innern ein unheilvolles Element verborgen wäre.

Ein zweiter Wagen folgte von der entgegengesetzten Seite, von sechs phantastisch geschmückten Maultieren gezogen, langsam und feierlich; voran zwei rotgekleidete Läufer und zu beiden Seiten ein halbes Dutzend schwarze Diener. Der Wagen wurde mit dem Rufe: »Es lebe die Jungfrau von Guadalupe! Nieder mit der Jungfrau der Gnaden!« Siehe Anhang: Note I. empfangen. Der Insasse des Wagens hielt segnend seine Hand zum linken und wieder zum rechten Wagenfenster heraus; aber jede seiner Segnungen veranlaßte nur ein um so lauteres Gebrüll, das wohl zehn Minuten anhielt und erst schwächer wurde, als ein neuer Wagen dem müßigen Pöbel neue Nahrung brachte.

Ein eleganter zweispänniger Landauer im neuesten englischen Geschmacke war durch die Ulanen- und Dragonerspaliere herangekommen, mit bloß einem einzigen, aber geschmackvoll gekleideten Diener. Der Wagen hielt unter dem Portale; aber mehrere Domestiken eilten aus dem Tore heraus und führten ihn in den Torweg des Palastes ein.

Ein zweiter im gewöhnlichen antiken Stile war gleichfalls herangekommen, dessen Bürde jedoch, eine ältliche Dame und ein blühender Jüngling, vor dem Tore entladen wurde.

»Señor Battista!« wandte sich der Kapitän der Hellebardiere an den Alguazil, der an den Toren Posto gefaßt und zugleich die Aufgabe zu haben schien, die Äußerungen des Pöbels über die verschiedenen Ankömmlinge zu notieren – »Señor Battista, was hat es für eine Bewandtnis mit diesem Grafen von San Jago, der doch, soviel ich weiß, auch nur eine Kreole ist? Möchte doch wissen, aus welchem Holze der geschnitzt ist, daß er die Ehre eines gebornen Spaniers genießt?«

»Hören Sie, Señor Capitán?« wisperte der Alguazil.

Der Lärm nahm immer mehr zu. »Hoch!« und »Nieder!« rollten wie ein Lauffeuer die Piazza hindurch. Eine rauhe Stimme schrie: »Die gemäßigte Zone ist zum Spanier geworden!« Eine andere brüllte: »Es lebe die gemäßigte Zone!« Und: »Es lebe die gemäßigte Zone!« brüllten Tausende nach.

»Hören Sie sie«, murmelte der Alguazil, »dieser verdammte Pöbel! So sind sie: sie treiben nichts, sie tun nichts, sie arbeiten nichts, sie beten nicht, sie kosten uns jeden Tag Tausende, damit wir nur Ruhe haben; und brechen sie los, so brüllt der Jorullo-Vulkan nicht stärker, als sie es tun. Glücklicherweise lassen sie es jedoch beim Brüllen bewenden. Heute aber weht ein schlimmer Wind; gebe die heilige Jungfrau, daß er bald vorübergehe! Auch haben die Hunde ihr Rotwelsch; das ist eine neue Erscheinung, eine gefährliche Erscheinung, sage ich Ihnen. Die gemäßigte Zone ist der Graf. So viel ist richtig, weder warm noch kalt, wie der Aal, der im Chalco gefangen, Salz- und Süßwasser verträgt und sich krümmt und ihnen einen Arm und, mag sein, ein Bein bricht, wenn sie ihn fangen. Wir hatten in Mexiko Ruhe, selbst als der verdammte Hidalgo von Guarimalpa herabkam; heute jedoch ist der Teufel los«. Und mit diesen Worten verlor sich der Häscher im Innern des Palastes.


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