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Achtes Kapitel

Der alte Mann wurde in seinen düsteren Ausbrüchen durch das Läuten der Glocke an der Pforte und den darauffolgenden Eintritt eines jungen Mannes im mexikanischen Kostüm unterbrochen, der mehr in den Saal stürzte als trat. In der Hast war ihm ein Teil der Manga und mit diesem ein leichtes Bündel und eine Larve entfallen. Der Jüngling haschte schnell danach, und warf Bündel und Larve ins Feuer.

»Wohlgetan, Don Pinto!« sprach der Mayordomo, der dem verstörten Jüngling kopfschüttelnd zugesehen hatte. »Wissen wir nun doch, wozu diese Braseros Metallene Becken mit brennenden Kohlen. die uns der Spanier mit all seinem Trödel gleichfalls auf den Hals gebracht, gut sind; wo hätte sonst Don Pinto einen Feuerherd für seine Narrheitskappen gefunden? Nimm es heraus,« sprach er zu einem der Diener, »es ist Gold daran, und Don Pinto wird dessen nie zu viel haben«.

»Laßt es!« rief der Jüngling, einen seiner Sporen auf den knisternden, halb verbrannten Anzug setzend.

»Wie es Euch beliebt, Don Pinto«, sprach der Mayordomo.

»San Jago noch nicht zurück?« fragte der Jüngling gähnend.

»Wer?« fragte der Mayordomo mit allen Zeichen der Verachtung. »Wer? San Jago? Wen meint Don Pinto damit?«

»Den Grafen«, versetzte der Jüngling, sich nachlässig auf das Sofa werfend. »Die Herrlichkeit bei unsern Herrschaften wird, sage ich dir, Alter, bald ihr Ende haben. Ei, ich habe Dinge gesehen, Zeichen, von denen sich Mexiko noch vor vierundzwanzig Stunden ebensowenig wie deine Philosophie hätte träumen lassen«.

Der alte Mayordomo und seine Mitdiener sahen den jungen Wüstling starr an; denn als solchen bezeichnete ihn das hohle Auge und das bronzefarbige Gesicht, in dem nächtliche Ausschweifungen tiefe Spuren zurückgelassen hatten.

»Philosophie, Don Pinto!« versetzte der Mayordomo endlich tiefer Atem holend. »Se. Herrlichkeit Don Jose Graf von San Jago sind ein alter Christ, und wir, Gott sei Dank, sind ein guter Christ und haben keine Philosophie und wollen keine Philosophie haben«. – Der alte Mann faltete die Hände, indem er wechselweise die Madonnen und Standbilder ansah. »Wir vertrauen auf die heilige, unfehlbare Kirche«.

»Ei, und auf den König«, versetzte der Jüngling spottend.

»Auch auf den König«, fiel der Mayordomo ein. »Aber er ist zweitausend Stunden von seinen Untertanen, oder vielmehr den Untertanen seiner Untertanen«, setzte er leiser hinzu, »den weniger als Untertanen seiner Untertanen. – Mein Gott, was ist aus dem armen Mexiko geworden?«

»Was aus Mexiko geworden ist«, erwiderte der Wüstling lachend. »Ein blutig verstümmelter Leichnam, der zerfetzt und zerfressen auf einem Schubkarren fortgezerrt wird. Ah!« lachte er, »Ihr spitzt Eure Ohren, und wohl mögt Ihr; denn während Ihr hier sitzt, gehen draußen Dinge vor – Dinge! – Alle Teufel!« rief er aufspringend und rasch und scheu zum Fenster laufend, »Das war ein Auto scacramental«.

»Das ist so ihre Weise«, fiel der Mayordomo mit Verachtung ein, Autos scacramentales, Prozession, Raketen und der Erlöser von Atolnico wie ein Madrider Stutzer herausgeputzt«.

»Diesmal gab es andere Dinge zu schauen«, entgegnete ihm der Jüngling etwas ernster. »Einer dieser Majos hatte ein verdammt schlechtes Lager, und zwar auf einem Schubkarren; es war eine Ladung, die für zehntausend Mulos zu schwer gewesen sein dürfte«.

»Es war der geröstete Guauhtomozin«, fuhr der Wüstling, unheimlich lachend, fort, »der auf den Schubkarren ausgestreckt lag. Seine rechte verstümmelte Hand stellte Bucatan und Veracruz vor; seine Linke, von zahllosem Gewürm angefressen, Puebla und Oaxaka. Auf dem Leibe, der mit Valladolid und Mexiko bezeichnet war, saß ein Vampir; um die Schenkel, die Guadalaxara, Zacatecas und San Luis de Potosi bildeten, zerrte und riß sich ein wütender Jaguar«.

»Und alles das habt Ihr gesehen?« fragte der Mayordomo kopfschüttelnd.

»Konntet es lesen, wenn Ihr nämlich Aztekenschrift versteht«.

»Don Pinto, hört und seht weniger, wenn es Euch beliebt; denn vieles Sehen und Hören macht Augen- und Ohrenweh, sagt unser Sprichwort. Laßt sie sich abmühen«, sprach er, sich zu den Dienern wendend, »da eine Flamme hervorbringen zu wollen, wo kaum Rauch zu haben ist. Ei, wir kennen Mexiko. Zum Plündern, zum Boleros- und Charavetanzen, zum Pasquillmachen, ja, da sind sie gut; aber der ist ein Narr, der seinen Kopf für dieses Gesindel in die Schlinge bringt. – Federigo, was gibt's?« fragte er auf einmal erschrocken.

»Maestro Anselmo! Cosmo, Pablo, Alonso!« schrie Federigo, der atemlos in den Saal gerannt kam. »Wißt Ihr, daß die junge Nobilitad aus Mexiko zur Armee verwiesen ist? Fünfundzwanzig Caballeros sind schneller in die Hülsen von fünfundzwanzig Leutnants gekrochen, als der Seidenwurm aus seinem Kokon sich windet. Se. Exzellenz haben den jungen hohen Adel allergnädigst zu Zielscheiben für die ketzerischen Rebellen zu verwenden beschlossen«.

»Jesus, Maria und Josef!« riefen sämtliche Diener.

»Es soll eine Art Posse sein, welcher der junge Adel beizuwohnen sich erkühnt hat und die Se. Exzellenz zu diesem plötzlichen gnädigen Entschlusse veranlaßt; ein Hund von einem Mauren-Kalifen soll die Person unseres allergnädigsten Herrn und Königs zum Sprechen nachgeahmt haben«.

»Jesus, Maria und Josef!« riefen nun zwanzig Stimmen, denn der größte Teil der zahlreichen Dienerschaft war natürlicherweise herbeigeeilt, um seinen Anteil an den inhaltschweren Neuigkeiten abzuholen.

»Aber Mexiko ist auch dafür um eine gewichtige Kenntnis reicher geworden«, fuhr der Berichterstatter fort, »und der letzte Lepero weiß nun, daß Fernando VII. auf dem Schlosse, wo er haust – was denkt Ihr wohl? Je nun – Unterröckchen für die Jungfrau der Gnaden stickt«.

»Jesus Maria!« seufzte der Mayordomo, »eine Pasquinade auf Se. Majestät! Ich sah mit meinen eigenen Augen, wie Don Silva gehängt wurde, weil er sich beifallen ließ, den Kopf auf die linke Seite zu neigen, wie Se. Exzellenz der Virey Gálvez zu tun gewohnt waren«.

»Heiliger Name Gottes! Was will denn das bedeuten?« schrie ein neuer Ankömmling, der nicht weniger verwirrt und erschrocken in den Saal stürzte – »Don Manuel –«

»Was ist's mit Don Manuel?« riefen alle erschrocken.

»Geht morgen um sechs Uhr auf Befehl des Vizekönigs nach Spanien ab«.

»Jesus Maria!« riefen wieder sämtliche Diener. »Don Manuel, der Neffe seiner Herrlichkeit?«

»Nach Spanien?« wiederholte der Mayordomo kopfschüttelnd.

»So sagte mir der Camarerio Sr. Exzellenz«, bekräftigte der Diener, der die Nachricht gebracht hatte.

»Gott und die heilige Jungfrau allein wissen, was dahinter steckt –!« Der Alte verstummte plötzlich.

»Stille! stille, leise, stille!« rief es von allen Seiten, und die Diener wichen ehrfurchtsvoll zurück, um einer Dame Platz zu machen, die, zur Hälfte verschleiert, in den Saal getreten. Sie war noch jung, mehr Kind als Jungfrau. Ihr schönes kastanienbraunes Haar wallte in langen Locken über einen Teil des Halses, während der andere durch die Mantilla verhüllt war. Sie trug eine prachtvolle Robe von chamoisfarbigem chinesischen Atlas, darüber die wunderliebliche Basquina, die ihr bis zu den Knien reichte, und die Juwelen, die an ihrem Haupte, Halse und Armen schimmerten, würden dem Brautschmucke einer Königin nicht Unehre gemacht haben.

»Wer spricht von Don Manuel? Wo ist er, Kinder?« fragte sie mit einer noch kindlichen Silberstimme. »Anselmo, Cosmo, Federigo! Wo ist er? Federigo, du hast ihn gesehen? Sage – Mutter Jesu! Vierundzwanzig Stunden in Mexiko, und ihn noch nicht gesehen! So sprich doch, Federigo!« »Er soll nach Spanien, auf Befehl Sr. Exzellenz«, sprach Federigo.

»Dummkopf!« riefen alle; »Wer sagt es?«

»Jesus, Maria und Josef! Don Manuel nach Spanien?« schluchzte sie, indem sie auf eine ältliche Frau zurannte und sie heftig bei der Hand faßte; doch sprang sie sogleich wieder zurück und, auf den Bedienten zueilend, erfaßte sie seine beiden Hände. »Federigo! Um der fünf Wunden willen! Federigo! Sprichst du auch wahr? Sprich, ich beschwöre dich!«

»Wo ist der Graf?« schrie wieder ein frischer Ankömmling, der stürmisch die Treppen heraufgerannt und in den Saal gestürzt war.

»Der Graf? Wo ist er? Wo ist er?« riefen alle.

»Die Besamanos ist vorüber!« schrie der Diener, »ich habe ihn am Palasttore verlassen; er ist nicht im Theater«.

»Jesus Maria, der Graf!« heulten alle, und mit diesen Worten stürzte der ganze Troß die Treppe hinab, zum Haustore hinaus.

Ein wilder, wüster Lärm erschallte aus der Stadt herüber, begleitet von zeitweiligen Flinten- und Kanonenschüssen, die dem Chaos von schrillen, mißtönenden Stimmen zum Refrain dienten.

Mexiko lag mit einem lichtroten Nebelflor übersäumt, der sich über die Stadt gleich einem feurigen Schleier hinlagerte; südwestlich brüllte der Donner herauf, und die Blitze fuhren zuckend und schauerlich den Itztaccihuatl herab, dessen schneeige Kuppe aufleuchtete wie ein feuriger Drache; dann entfuhr den finsteren Wolken wieder ein Donnerschlag, so fürchterlich durch das Gebirge hinbrüllend, daß die Erde bebte; die Blitze warfen ihr grelles Licht über die ganzen ungeheuren Felsenmassen des Gürtels von Tenochtitlan, leckten endlich das Tal und erglänzten und erstarben in den Wasserflächen des Tezcuco- und Chalco-Sees.

»Jesus Maria!« stöhnte der Mayordomo, »was ist das wieder? Das Gewitter kommt von Puebla und geht über den Itztaccihuatl: das bedeutet Drangsal! Und die Blitze lecken Mexiko, das bedeutet Jammer und Elend!«

Der alte Mann starrte in die finstere Nacht hinaus.

»Mondsüchtig, Don Anselmo?« fragte eine Stimme, »und ohne Barett und Amtsstab? Fürwahr, da steht Mexiko nicht mehr lange! Wer hat je so etwas gehört?«

Der Mayordomo fühlte nach seinem Haupte, nach seinem Stabe und wandte sich dann zu dem Sprecher, den er verdächtig maß. Es war ein junger, starker Mann, der, einen Indianer am Arme, aus der Almenlaube herangeschlichen war.

»Der Graf Jago noch nicht zu Hause?« fragte der Fremde.

»Ob er es ist oder nicht, Freund«, versetzte der Mayordomo, der auf einmal seine Fassung wieder erlangt hatte, »wird Euch wenig kümmern, hoffe ich«.

»Vielleicht doch mehr, als Ihr glaubt, Anselmo!«

»Wer bist du? Was willst du? Woher kommst du? Gehe mit deinem heiligen Schutzengel und lebe tausend Jahre, Freund!« rief der Mayordomo der wieder ängstlich wurde und sich schnell zum Tore zurückzog, wohin ihm der verdächtige Nachtwandler mit seinem Gefährten gefolgt war.

»Jesu Maria! Das ist Jago, unser gewesener Jago!« kreischte er auf einmal, »unser Arriero, und nun einer der Cavecillas! Niedrigster Pöbel. Fort mit dir! Ob in den Himmel oder die Hölle, ist gleichviel!« rief der alte Mann, der sich so schnell als er vermochte zurückgezogen hatte.

Doch der Fremdling war schneller gewesen; mit einem Satze war er zwischen dem alten Manne und dem zufallenden Haustore; mit einem zweiten schob er den alten Mann auf die Seite; dann, den Indianer erfassend, riß er diesen mit sich fort in den Torweg, und beide verschwanden zwischen den Säulen der den Hof umgebenden Halle.

»Jesus Maria! Rebellen! Diebe! Räuber! Mörder!« schrie nun der Mann aus Leibeskräften, die Treppen hinaneilend. »Jesu Maria! Wir sind alle des Todes, wenn – Pedro! Pablo! Alonso! Alle Teufel! Gott verzeih mir die schwere Sünde!« betete der Mann wieder, indem er sich bekreuzigte und dann den Daumen küßte.

»Was gibt's? Was treibt Ihr?« rief Don Pinto, der über die Treppe herabtanzte und den Mann verwundert ansah. »Aha! Mexiko hat Euch endlich aus Eurem Gleichgewicht gebracht. Höre, Alter! Seit den letzten vierundzwanzig Stunden habe ich eine Arroba Ein Gewicht von 25 Pfund. meines teuern Fleisches verloren. Adiós! Adiós!« rief der Wüstling.

Der alte Mann holte tief Atem, wie einer, dem eine schwere Last von der Brust genommen wird. »Gehe du«, murmelte er, »gehe du und halte den alten Anselmo lieber für einen Narren, als daß du deine Nase dahin steckst, wo sie uns allen das Lebenslicht ausblasen könnte. Ei, das wäre Wasser auf seine Mühle, zu wissen, daß zwei Rebellen sich in unserm Hause verborgen haben«.

Das Rasseln eines Wagens unterbrach den geängstigten Alten. An zwanzig Diener kamen vor und hinter diesem gesprungen, rissen die Wagentüren auf, hoben den Grafen heraus und trugen ihn im Triumphe auf ihren Armen durch den Torweg über die Treppen in den Saal.

»Gott sei gelobt!« schrie der Mayordomo, die Hände des Grafen erfassend.

»Anselmo!« sprach dieser, »was gibt es? Ist etwas hier vorgefallen?«

»Um Gottes willen! Eilen, laufen Sie aus diesem Hause!«

»Anselmo!« rief dieser erstaunt. »Was meinst du? Was ist dir?«

Der alte Mann wurde in den Ausbrüchen seiner Angst durch die junge Dame unterbrochen, die nun in den Saal geeilt kam.


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