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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

»Der herrliche Morgen,« sprach sie, rasch und anmutig in das Zimmer eintretend, wo die Damen versammelt waren, mit einem flüchtig-huldvollen Lächeln, das jedoch einen höhnischen Nachzug hatte, »der herrliche Morgen hat uns herausgelockt. Wir sehen jedoch, die schöne Welt ist uns zuvor gekommen. Wir grüßen Sie, Señorias! Ah, siehe da, die Condessa Regla und Istla und unsere liebe Marquisin Grijalba und – –«

Mit diesen Worten begrüßte sie die Damen, die sich sämtlich erhoben und mit den tiefsten Knicksen ihr ihre Ehrfurcht zu bezeigen fortfuhren.

»Ihre Herrlichkeit«, sprach der Graf, »haben uns und unser Haus auf eine so schmeichelhafte Weise überrascht, die uns diesen Morgen in jeder Hinsicht unvergeßlich machen wird.«

Die stolze Schöne schien das Kompliment nicht gehört zu haben. Sie hatte einen flüchtigen Blick umhergeworfen, und hob nun frappiert, wie es schien, das Augenglas, um eine der beiden Marmorstatuen, die durch die offene Flügeltüre des Kabinettes zu sehen war und die Meisterhand eines ausgezeichneten Künstlers verriet, näher zu betrachten.

»Man sagt,« sprach sie im hingeworfenen leichten Tone, einen Schritt der Türe des Kabinetts zutretend, »daß die Edlen Mexikos die edelste aller Künste nur wenig begünstigen, und wirklich, unsere Academia scheint die Beschuldigung zu bestätigen; um so mehr Ruhm gebührt dem Grafen von San Jago.«

Die Donna war nach diesen Worten wieder einen Schritt vorgetreten und stand bereits auf der Schwelle des Kabinetts, ohne daß jedoch der Graf gefolgt wäre.

»Wir sind wirklich sehr angenehm überrascht. Sehr gut«, bemerkte sie, indem sie in das Kabinett und der Statue Amors näher trat. »Das Gesicht allerliebst mokant, die Biegung der Arme vorzüglich. Ein Canova?«

»Der Scharfblick Ihrer Herrlichkeit ist nahe gekommen«, versetzte der Graf. »Einer seiner Lieblingsschüler.«

»Ah«, rief sie aus dem Kabinett heraus. »Sie haben die Roma gesehen, die herrliche, die antike, geschaut die Wunderwerke ihrer Vergangenheit? Ah, wie geht es doch unserer Condessa? Wir haben im Palaste gehört, sie sei sehr leidend. Sind wir doch immer so unglücklich, von unsern Teuren zuletzt zu hören. Ist sie wirtlich so leidend?«

»Ihre Herrlichkeit befinden sich im Kabinett der Condessa Elvira«, sprach der Graf, ohne sich von der Stelle zu bewegen; »sie war wirklich sehr leidend.«

Der Oberst, der als Begleiter der Donna Isabel mitgekommen war, hatte sich unterdessen gleichfalls den beiden Flügeltüren genähert, zog sich jedoch bei diesen Worten wieder zurück.

»Graf San Ildefonso,« sprach die Dame zum jungen Oberst, die Worte des Grafen wieder überhörend, »Sie werden das seltene Glück haben, eine sprossende Schönheit zu bewundern, die in den herrlichen Tälern unseres Oaxaca aufgeblüht, kaum drei Tage unser Mexiko mit ihrer Gegenwart entzückt und auch bereits aller Herzen in eine stürmische Bewegung versetzt hat.«

»Ihro Herrlichkeit«, erwiderte der Graf artig, aber etwas trocken und mit Nachdruck, »erweisen der Condessa eine Ehre, durch welche sie sich kaum geschmeichelt finden dürfte, da sie der Meinung ist, daß Mexiko an ganz andere Dinge zu denken hat.«

»Sie tun Ihrem holden Schützling unrecht, Graf«, fiel die Donna ein, noch immer die Statue fixierend. »Was unsere Wenigkeit betrifft, so gestehen wir gerne, daß wir so egoistisch sind, für unser Vergnügen und Interesse vorzugsweise zu sorgen, auch da wir wieder so spießbürgerlich denken, die öffentlichen Angelegenheiten denjenigen ganz und gar zu überlassen, die sie eigentlich angehen. Wir sind eine gute Untertanin Sr. allerkatholischsten Majestät und kümmern uns um Staatsangelegenheiten nur insofern, als sie unsere Wenigkeit betreffen, das heißt, die Ankunft neuer Moden beschleunigen oder verspäten.«

Unterdessen war die leidende Condessa den vornehm zudringlichen Besuch im Kabinett gewahr geworden. Langsam, mit einem lauschenden, halb neugierigen, halb verwunderten Blicke erhob sich das liebliche Kind, eine so heitere, reizend idealische Erscheinung, wie sie innerhalb der Meere Mexikos nicht mehr gesehen werden konnte! Ihr regelmäßig schönes Gesicht, von einer leichten Röte angeflogen, in dem dunkelblauen Auge eine gewisse Neugierde, die wunderlieblichen Lippen halb geöffnet, wie um zu fragen, über die ganze Gestalt der unbeschreibliche Zauber reiner Unschuld und hohen Seelenadels ausgegossen, mit jenem leichten Anfluge von Wehe, der die Unschuld erst recht interessant macht. Auch sie trug die reizende Basquina und war, obgleich einfacher als die brillante Señora, doch ungleich geschmackvoller gekleidet; der einzige Schmuck, den sie trug, war eine Schnur kostbarer Perlen.

Sie trat mit der Würde einer Herrin des Hauses ihrem Gast entgegen, der das Erstaunen kaum verbergen konnte.

»Dies ist also das liebliche Kind, Graf von San Jago? sprach die Señora, vornehm nickend und mit dem huldvollen Lächeln die Condessa musternd, mit welchem Prinzessinnen allenfalls ein neues Kammermädchen beaugenscheinigen.

»Doña Elvira, die erlauchte Gebieterin dieses Hauses« sprach der Graf zur Señora, an die Schwelle des Kabinetts vortretend, »Doña Isabel, die nicht minder erlauchte Schwester der Gemahlin Sr. Exzellenz des regierenden Virey.«

Die Lippen der Doña verzogen sich bei dieser wechselseitigen Aufführung einen Augenblick auf eine schneidend höhnische Weise, doch im nächsten hatte sie ihre vorige freundliche Miene wieder angenommen. Das zufriedene Nicken der Damen und der heitere Anflug im Gesichte des Obersten zeugten, daß diese kleine Demütigung den Damen nicht nur, sondern auch ihm erwünscht gekommen war. Im Gesichte des Grafen selbst war kein Zug verändert, sein Auge hing mit demselben Ausdrucke von Dienstbeflissenheit an der Donna.

»Doña Isabel«, wiederholte sinnend die junge Gräfin. »Welchem Umstand verdanken wir den Besuch der Hohen?«

Sie sprach diese Worte laut, aber mit einer sanften, wohlklingenden Silberstimme. Der Oberst, in den Anblick des holdseligen Kindes versunken, kam erst durch ihre rasche Bewegung zum Bewußtsein. Sie hatte nämlich kaum seinen starren Blick gewahrt, als sie errötend einen Schritt zurücktrat und einem der beiden Mädchen einen Wink gab, das sofort die Mantilla an ihrem Scheitel befestigte, welche sie über einen Teil des Gesichtes und die Schulter zog, so daß ersteres den Blicken des Obersten entzogen wurde. Hatte die Sprache der Condessa die an die Unterwürfigkeit der Kreolinnen gewöhnte Señora in Verwunderung gesetzt, so schien diese Mißbilligung der Kühnheit ihres Begleiters sie in Erstaunen zu setzen, was zu verhehlen sie wieder nicht nötig zu finden glauben mochte. Ein höhnisches Lächeln überflog ihr Gesicht, als sie sprach:

»Graf von San Ildefonso ist bestraft dafür, daß seine Augen unbescheidener sind als seine Zunge.«

Des Obersten Lippen zuckten; er schien eine Antwort zu suchen, ohne daß er imstande war, ein Wort hervorzubringen.

»Wo sind Sie, Graf?« fragte sie ihn scharf fixierend. »Wir sind gekommen, einem teuren Glieds der hohen Nobilitad von Mexiko unsere Achtung zu bezeugen, und zwar infolge des Wunsches Sr. Exzellenz unseres Schwagers; und beinahe scheint es, daß Sie der Kranke sind, als den man die holde Condessa geschildert. Ist es Geistesverwandtschaft?« fragte sie spöttisch leiser.

Die Condessa hatte die Señora mit ruhig klaren Augen angesehen; der Ausdruck ihrer Züge, anfangs neugierig, schien nun schmerzlich werden zu wollen.

»Wir sind Sr. Exzellenz und Ihnen, Señora, unendlich für die hohe Gnade verbunden«, sprach sie, sich ehrfurchtsvoll verneigend.

»Auch müssen wir Ihnen gestehen, Condessa, daß Neugierde einigen Anteil an diesem unserem Besuche hatte«, bemerkte die Donna.

»Neugierde?« fragte die Condessa, und ihr Auge fiel fragend auf die überstolze Spanierin und wieder durch das Fenster in den Paseo, wo die Menge gegen Tacubaya hinwogte.

»Neugierde,« fiel ihr die Señora ein, »diejenige zu sehen, deren Erscheinen die hohe Welt Mexikos so sehr bezaubern konnte.«

Von Befangenheit war an der Condessa keine Spur zu bemerken; im Gegenteile, in ihrem Wesen lag eine Hoheit, die nicht weniger dadurch auffiel, daß sie kindlich natürlich und wie angeboren erschien. Die frivole Weise, in welcher die Fremde die sämtlichen Damen, die ersten des Landes, behandelte, sie keiner Rede würdigte, höchstens gelegentlich eine beißende Bemerkung, an den Oberst gerichtet, fallen ließ, schien die junge Gräfin geradeso wie die Nachäffung souveräner Herablassung zu ignorieren, und, seltsam genug, war es ihr richtiger Takt, der die anwesenden Gäste gleichfalls zu größerem Bewußtsein ihrer Würde zu bringen schien. Sie erfaßte jetzt mit Grazie die Hand der Doña Isabel und führte sie aus dem Kabinett in das Besuchzimmer, wo sie mit ihr auf einer Ottomane Platz nahm.

»Wo sind Sie, Graf?« fragte die Doña den Oberst zum zweitenmal.

»Im Lande meiner Jugend, in jener Zeit – der holden, der fröhlichen – wo die Barke meines Lebens noch schwankend umherglitt. Eine glückliche Zeit, Señora!«

»Träumer!« sprach die Donna, »finden Sie ihn nicht so, Condessa Elvira? Man sagt, auch eine gewisse holde Condessa sei zu Träumen aufgelegt.«

»Ich träumte!« sprach diese mit einem leisen Seufzer, »träumte den schönsten Traum meines Lebens! Er dauerte seit meinem ersten Erwachen aus dem Schlafe der Kindheit. Es war ein Traum. Armer Mani!« seufzte sie leise und kaum hörbar.

»Oh, es ist schön, zu träumen!« brach der jugendliche Oberst begeistert aus, und eine hohe Röte überflog das wirklich schöne Gesicht des Jünglings; denn so konnte er noch immer genannt werden, ungeachtet seines hohen militärischen Ranges.

Die junge Condessa schaute nun den Sprecher zum erstenmal verwundert scheu an.

»Unsere Condessa«, wandte sich die Donna wieder herablassend an die junge Gräfin, »ist sehr leidend gewesen? Es wäre schade, wenn die heiteren Geister, die in diesem klaren, fröhlichen Gesichtchen spielen, der traurigen Wirklichkeit weichen sollten. Doch sie ziehen, diese heiteren Geister, liebes Kind, nicht wahr, sie ziehen in die Ferne, mit den Wolken, die den Ozean hinübersegeln?«

Die Lippen Elviras zuckten bei dieser Anspielung, ihr Busen hob sich, und sie sah die Fragende einen Augenblick an; doch nur einen Augenblick, der höhnende Zug, der um deren Mund spielte, trieb die Röte des Unwillens auf ihre Wangen.

»Und ziehen die Geister der Doña Isabel nicht auch hinüber? Und begleiten ihre Wünsche und Gebete nicht auch –?« Sie stockte; die letzten Worte hatte sie leise gesprochen.

»Das ist fürwahr eine kühne Frage, kleine Condessa«, versetzte die Dame, in deren Gesicht nun die blutroten Streifen auf eine Weise schwollen, die den stolzen, aber schönen Zügen für einen Augenblick etwas Furienartiges verliehen. Selbst der Oberst war erschrocken über die unverhohlene Wut der Dame, und sein Blick fiel fragend wechselweise auf den Grafen und die Condessa, Aufklärung über diese sonderbare Verwandlung heischend. Bei der Señora verzogen sich die Symptome der Entrüstung aber wieder sehr schnell; nur ein sprödes Hohnlächeln war zurückgeblieben.

»Sind wir unbescheiden gewesen,« versetzte die Condessa, »so sollte uns dieses leid tun. Sind wir wirtlich unbescheiden gewesen, teure Mama?« wandte sie sich an die Condessa Regla und die übrigen Damen, denen man es ansah, wie schwer es ihnen wurde, die gesuchten Beleidigungen der Spanierin länger zu ertragen. »Wir haben immer gehört,« fuhr sie mit erhöhter Stimme fort, »wir seien die Gebieterin dieses Hauses. Sagten Sie nicht, Oheim, daß unsere Väter Granden von Spanien waren, daß unsere Oheime es noch sind, und ist die Tochter von Granden wirklich kühn gewesen, meine Herrschaften?« fragte sie die Damen.

»Nein, Condessa!« riefen alle, mit Tränen in den Augen »nein, teure Niña,« nahm die Condessa Regla das Wort, indem sie aufstand und das herrliche Kind in die Arme schloß, »nein, Sie sind nicht kühn gewesen; aber dulden Sie, leiden Sie, unser armes Mexiko duldet ja so viel.«

»Duldet es wirtlich?« fiel die Señora mit einem höhnischen Lachen ein. »Vielleicht duldet es sogar uns Spanier? Bleiben Sie doch sitzen,« fuhr sie hohnlachend und in demselben kalt spottenden Tone fort, »wir sehen Sie gerne so. Sie werden doch nicht die Cavecillas nachahmen wollen, oder doch? Wie, auch Sie Rebellen geworden?« Sie sah die beiden Gräfinnen boshaft lächelnd an.

Selbst des Obersten Lippen zuckten vor Unwillen über diesen unweiblichen Ausbruch leidenschaftlich tödlichen Hasses. Die Damen erblaßten und bemühten sich, ihr Schluchzen zu verhalten; nur der Graf schien seine Ruhe beibehalten zu haben.

»Wir sind Sr. Exzellenz«, sprach er mit einer leichten Verbeugung, »unendlich für die hohe Gnade verbunden, Antrieb zu dem herablassenden Besuche Ihrer Herrlichkeit geworden zu sein. Haben aber Se. Exzellenz –« Er hielt inne, sah aber die Señora fragend an.

Dieses Kompliment, scheinbar so ganz zufällig und selbst zwecklos eingeschaltet, und die nicht vollendete Frage machten, mit der vielsagenden Pause, die Señora den Grafen starr anblicken. Sie schien auf einmal gewahr zu werden, daß sie in ihrem Bemühen, recht hohe, niederschmetternde Airs anzunehmen, ganz das Ziel ihrer Sendung selbst verfehlt habe. Auch bei den Damen schien derselbe Gedanke aufzudämmern, und in dem Maße, in dem die Verlegenheit der Donna wuchs, lehrte auch die Unbefangenheit der Kreolinnen wieder zurück.

Die lange Pause, die infolge dieser wechselseitigen Gemütsbewegungen eingetreten war, wurde auf einmal durch ein furchtbares Aufruhrgeschrei unterbrochen. Dieses Geschrei schallte aus weiter Ferne herüber und hatte einen eigenen Charakter. Es glich einem Freudengeschrei. Merkwürdig jedoch erfüllte es die Tausende von Kreolen, die den Paseo hinabwogten, mit Schrecken. Sie starrten entsetzt in der Richtung hin, wo der gräßliche Lärm herkam, der einigemal in langen Stößen wiederholt wurde und dann jedesmal in einen wütenden, lange nachhallenden Jubel überging, der wie Sturmesheulen die ganze Straße, die sich von dem Damme gegen Ajotla hinzieht, hinabpfiff. Die Damen hatten das wütende Geschrei und den wütenderen Jubel mit mehr Fassung gehört, als zu erwarten stand; der Conde jedoch schien die Fassung mehr verloren zu haben. Er eilte rasch aus dem Saale auf die Terrasse des Hauses; ihm nach der Oberst.

»San Jago,« nahm dieser das Wort, »eine Frage beantworte mir, ich bitte, ich beschwöre dich.«

»Ein andermal«, erwiderte dieser, der gleichfalls die Treppen hinaneilte.

»Jetzt, ich bitte dich darum! Welche Bewandtnis hat es mit Isabel und deinem Hause?«

»Und welche Bewandtnis hat es mit San Ildefonso, dem Bruderssohn meines besten Freundes?«

Der junge Graf stockte.

»Und wie kommt es,« fragte der Graf, »daß wir dich erst jetzt sehen, den deines Vaters und Onkels Briefe uns schon seit Monaten angekündigt haben? Auch du gefangen? Ildefonso! Ildefonso!«

Beide waren mit diesen Worten auf der Terrasse des Hauses angekommen. Das Angstgeschrei der Menge im Paseo vereinigte sich nun mit dem wilden Jubel, der in meilenweiter Entfernung vom Damme und der Straße herüberschallte. Mitten aus diesem Angstgeschrei waren die Namen Vincente Guerrero zu hören; aber als wenn die Pest oder der Tod in diesen Namen lägen, so stürzten alle, von panischem Schrecken ergriffen, der Stadt zu, »Jesu Maria! Vincente Guerrero!« heulend. Wagen, Fußgänger und Reiter, alle kehrten um und drängten, rannten und trieben in seelenzerreißender Angst den Straßen zu und in einer Verwirrung, die die Tausende bald in einen unauflöslichen Knäuel von Wagen, Pferden und Maultieren zusammenrollte und preßte, der weder vor- noch rückwärts konnte.

Der Oberst schien nur wenig von diesem schrecklichen Tumulte zu sehen und zu hören. Sinnend stand er mit zur Erde geheftetem Blicke. Auf einmal fuhr er auf und den Grafen bei der Hand fassend, drehte er ihn um und brachte ihn in die Richtung des Felsens und Schlosses von Capultepec, aus dessen Fenstern, Terrassen und Miradores die Soldaten träge lagen.

Der Graf schaute und schaute; auf einmal klärte sich sein Gesicht auf.

»Danke dir!« sprach er zum Oberst.

»Der Virey wird mir wenig Dank wissen«, erwiderte dieser; »es ist eines der vielen Kabinettsgeheimnisse. Ich verachte aber diese elenden Kunstgriffe. Wenn du drei Kanonenschüsse von Capultepec hörst, dann ist es der Feind; das übrige ist falscher Lärm. Und nun adios! Meine Pflicht ruft mich auf meinen Posten. Du wirst sogleich zwei Kanonenschüsse hören.«

Der Graf sah dem Sprecher in das jugendlich offene Gesicht und ergriff seine Hand. Der junge Mann flüsterte ihm einige Worte in die Ohren und eilte dann die Treppe hinab und den Anhöhen von Capultepec zu.

Noch war der Graf in der Mitteilung der soeben erhaltenen Aufschlüsse an seine Freunde begriffen, als zwei Kanonenschüsse aus der Stadt herüberbrüllten und zugleich das Rollen der Trommeln, die den Generalmarsch schlugen, hörbar wurde. Mit diesen vereinigte sich das Wehgeschrei der Tausende im Paseo und das Jubelgeheul der näherkommenden Leperos, um ein Chaos von Tönen hervorzubringen, wie es nur in Mexiko wieder gehört werden kann. Die Garnison von Capultepec blieb jedoch ruhig. Auf einmal schrie eine gellend durchdringende Stimme: »Capultepec!« – »Capultepec!« riefen sogleich zwei, zehn, hundert und Tausende von Stimmen, und die ganze Menge wandte sich unwillkürlich Capultepec zu. Der Knäuel von Wagen, Reitern und Fußgängern, der in den beiden Alleen bis zur Villa des Grafen zurückgedrängt worden war, so daß es kaum möglich schien, ihn ohne zahlreiche Opfer von Menschenleben auseinanderzuwirren, hielt auf diesen Ruf stille, und Tausende wandten sich dem Schlosse von Capultepec zu, das sie anstarrten, als ob sie es nie gesehen hätten. Das Faulleben der Garnison schien allmählich die Wahrheit im Haufen aufdämmern zu machen; von allen Seiten waren die Worte »Capultepec, Capultepec!« zu hören, und indem der allgemeine Ruf nun aller Blicke dahin zog, wurde auch der allgemeinen Verwirrung unmerklich, aber wirksam Einhalt getan. Mehrere hundert Personen retteten sich aus der sturmbewegten Mitte in die Nähe der Villa. Wagen löste sich auf Wagen, Reiter auf Reiter aus dem Knäuel; das Geschrei wurde allmählich minder grell, der Jubel der Leperos hielt zwar noch immer an, aber die Massen des Volkes gewöhnten sich daran, sie wurden ruhiger, dünner; das Ganze kehrte wieder in seine Ordnung zurück.


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