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Vierzehntes Kapitel.

Es war der Neffe des Grafen; er trat in stürmischer Hast ein, sein Anzug noch von dem schnellen Ritte in Unordnung, seine Wangen mit einer Fieberglut übergossen, das Bild eines herrlichen, aber zugleich übermütig adelsstolzen jungen Kreolen, ganz Feuer und Flamme und jugendliche Tollkühnheit. Wie der Jüngling so eindrang und dann plötzlich wie festgewurzelt dastand, ihm gegenüber Carlos, fiel der Blick des Grafen wechselseitig von dem einen auf den andern, und ein schwerer Kampf schien ihn für einige Minuten unfähig zu machen, auch nur ein Wort hervorzubringen. Es waren zwei vollkommene Kontraste, diese beiden Jünglinge: der eine mit seinem unbesiegbaren Stolz im feurigen Auge, das zum Kampfe herauszufordern schien, der andere mit den ruhig zarten und doch wieder männlichen Zügen des intellektuellen Gesichtes, die nur Sanftmut und Wohlwollen verrieten, aber in der edel gewölbten Stirne, der fein gebogenen Nase und den kaum merklich, wie zum Spotte verzogenen Lippen ein gewisses Etwas verkündigten, dem nur der Jahre zehn mehr fehlten, um spielend eine Welt in Wirklichkeit zu gewinnen, die jener im tobenden Kampfe zu erstürmen, aber nicht festzuhalten fähig schien.

»Ein schöner Traum!« unterbrach endlich der Graf das Stillschweigen »Wir haben ihn viele Jahre geträumt, diesen Traum, Manuel! – Wird er wohl in Erfüllung gehen?«

»Und dieser Traum, teurer Oheim?« fragte Don Manuel.

»Mexiko, das wie der Phönix in Flammen auflodert, aus dieser Flamme erstehend, erstehend durch seine innewohnende Kraft, sein eigenes Blut.«

»Dann war es ein Traum, Oheim! – Ein bloßer Traum, so wie der Vogel Phönix selbst ein Traum war!«

»Ein schöner Dichtertraum,« sprach der Graf, »unter dem aber eine herrliche Wahrheit liegt.«

»Wenn es Mexiko gilt,« versetzte der Jüngling bitter, »so schwindet das Herrliche, und nur das Niedrige, Gemeine bleibt.«

»Manuel!« sprach der Graf mit einem forschenden Blick. »Dies waren nicht deine Gesinnungen noch vor sechs Monaten, als du unsere Hacienda verließest; das arme Mexiko war damals noch so glücklich, etwas höher in deinen Hoffnungen und deiner Achtung zu stehen. – Was hat es so tief herabgesetzt?«

»Und Sie fragen, gnädigster Onkel?« rief der Jüngling bitter. »Sie fragen, nach der Erfahrung der letzten zwölf Monate? O Land der Schande, das tollkühn genug ist, an seinen Ketten zu schütteln, aber zu feige, sie zu zerbrechen, das sich in sie schmieden läßt mit seinen Millionen viehischer Indianer und viehischerer Mestizen, schmieden von wenigen tausend Spaniern –!«

»Lästere dein Vaterland nicht!« fuhr der Graf strenge auf. »Schande der Zunge, die die Scham ihrer Mutter aufdeckt. Daß Mexiko ist, was es ist, elend, verachtet, selbst von der verachtetsten, verächtlichsten Nation, wem verdankt es dieses, als eben dieser Nation?«

»Sich selbst verdankt es seine Schande«, fiel ihm der Jüngling ebenso heftig ein. »Sich selbst und seiner Niederträchtigkeit, mit welcher der stolzeste Kreole dem letzten der Spanier die Füße leckt; der Niederträchtigkeit, mit welcher der Edelste Mexikos sein Land verrät, wenn er ein Kreuzchen in sein Knopfloch erhält; diese Niederträchtigkeit verdankt Mexiko, was es ist.«

»Wirklich?« fragte der Conde. »Und wenn dieser niederträchtige Sklave dennoch endlich seine Ketten zu schwer findet, und wenn er seine blutrünstigen Arme und Schenkel schüttelt, und wenn er diese Ketten bricht und mit ihren Trümmern seine Tyrannen erschlägt und sich lieber wieder erschlagen als fesseln läßt?«

»So bleibt er ein Sklave, ein elender, niedriger Sklave, in dessen Körper kein Tropfen edlen Blutes rollt. Sklave bleibt er, weniger als Sklave – Mexikaner«, sprach der Jüngling mit der bittersten Verachtung. »Sklave bleibt er so sehr, daß, wenn er Hunderttausende stark ist, er vor einem Regimente seiner Zuchtmeister zu Paaren kriecht oder auseinanderstäubt wie Spreu vor dem Winde.«

»Deine Worte sind bitter«, versetzte der Graf. »Gib acht, Manuel, daß ihr Stachel nicht auf dich zurückprallt. – Aber was ist«, fuhr er mit erhöhter Stimme fort, »derjenige, der, geboren in diesem Sklavenlande, vom Schicksale berufen, dessen Ehre zu wahren, es im grauenvollen Todeskampfe verläßt? Statt das Sklavenvaterland gegen seine Tyrannen zu verteidigen, einem Phantom nachjagt, das ihm eine treulose Phantasie vorgespiegelt?«

»Wenn mein gnädiger Onkel Gehorsam gegen die Befehle des erlauchten Repräsentanten der geheiligten Majestät mit einem so schimpflichen Worte als Desertion bezeichnet,« sprach der junge Don stolz, »dann gestehe ich mich ihrer schuldig; aber zugleich gebe ich mein Ehrenwort, daß ich die Schande dieser Desertion nicht für die höchste von Mexiko angebotene Ehre vertauschen würde.«

»Neffe,« sprach der Graf in einem Tone, der verriet, daß er übersatt der Ausbrüche dieses ungeregelten Stolzes sei, »wir müssen uns verständigen; denn die Zeit eilt und dein Entschluß muß nun bestimmen, ob wir länger das Vergnügen haben sollen, uns deiner Gegenwart zu erfreuen. Se. Exzellenz«, fuhr er fort, »haben infolge einer kleinen Unvorsichtigkeit, deren sich der junge Adel in dem Gasthofe Traspanna dadurch schuldig gemacht hat, daß er staatsverbrecherische, gegen die geheiligte Person Sr. Majestät gerichtete Pasquille angehört, diesen zur Armee abgesandt; in Betracht jedoch, daß derselbe Adel mehr überrascht und mit dem verruchten Vorhaben des Pasquillanten unbekannt, sich des Verbrechens nicht vorsätzlich schuldig gemacht, ihm Offizierspatente ausfolgen zu lassen geruht und unserm Neffen, Don Manuel, als Beweis besonderer Berücksichtigung, die Erlaubnis erteilt, nach Spanien zu reisen, um daselbst durch loyale Dienste im Heere der Kämpfer zur Wiederherstellung des Thrones Sr. Majestät den Flecken auszuwischen, den er auf seinen Namen geladen, in welcher Hinsicht Sie dir das Kapitänspatent auszuwirken gnädig verheißen haben.«

»Eine Strafe«, fiel der Jüngling begeistert ein, »die ich für das höchste Ziel meiner Wünsche erkenne. Oheim! Oheim!« Er trat stürmisch auf den Grafen zu, welcher einen Schritt zurückwich.

»Vor noch fünf Jahren«, sprach der letztere, »würde eine solche Berücksichtigung wirklich wünschenswert für einen mexikanischen Edelmann gewesen sein, und dies um so mehr, als die Politik unserer Oberherren es nicht für rätlich fand, daß ein Mexikaner je sehe, daß andere Länder besser regiert werden als sein eigenes; aber die Umstände haben sich geändert, und wir haben alle Ursache, zu glauben, daß das, was Gnade sein soll, irgendeinen unheilschwangeren Plan gegen unser Haus und uns selbst verberge.«

»O wüßten Sie, Oheim, wie hoch der Virey die Tugenden Euer Gnaden verehrt.«

»Der Virey unsere Tugenden verehren?« entgegnete der Graf kalt. »Und, wie es scheint, im Beisein unseres Neffen,« fuhr er mit einem Blicke auf diesen fort, »den er noch vor wenigen Stunden nicht zu kennen schien.« Er holte einigemal tief Atem und ging im Kabinett auf und ab. »Wir haben Beweise von dieser Verehrung,« fuhr er fort, »als wir aus der Besamanos nach Hause fuhren, Beweise, die uns wahrscheinlich des Vergnügens beraubt haben würden, Don Manuel oder einen der Unsrigen je wiederzusehen, wenn nicht der Eifer unserer Diener und einige Anhänglichkeit des Volkes von Mexiko Sr. Exzellenz gnädiges Wohlwollen vereitelt hätten. Wir haben jedoch«, fuhr er ungemein ruhig fort, »noch nicht geendet. Se. Exzellenz, durch besondere Gründe veranlaßt, haben den etwas gewaltsamen Entschluß, der uns von unserem nächsten Blutsverwandten trennen sollte, aufgegeben und es diesem freigestellt, nach Spanien abzugehen oder im Vaterlande zu verbleiben.«

Der Jüngling erbleichte. Eine lange Weile verfloß, ohne daß einer der beiden ein Wort gesprochen hätte; endlich sprang er, im sichtbaren Kampfe und beinahe außer sich, auf den Grafen zu.

»Teuerster Oheim!« rief er mit stürmischer Ungeduld. »Ich muß fort! Ich muß! O, die Furien peitschen mich aus diesem Mexiko, diesem entsetzlichen Mexiko! O Spanien!« rief er mit der vollen Begeisterung eines glühend südlichen Gemütes, »du Land der Helden, du Wiege alles Großen und Edlen, du Muster der Loyalität und Ritterlichkeit, das sich erhoben, um im furchtbaren, großen Kampfe das angestammte Land geheiligter Majestät, verräterischerweise vom Feinde gestohlen, aus den Klauen des Kronenräubers zu retten! Er, die Zierde der Könige, in schmählicher Gefangenschaft! Nein! Tausende haben sich erhoben, um die Eindringlinge zu vertilgen; der Donner brüllt über den Atlantischen Ozean herüber; er ruft: Manuel muß seinem Rufe gehorchen!«

Der Graf hatte diese pathetischen Worte, die der Jüngling in einer theatralischen Stellung deklamierte, mit ungemeiner Ruhe angehört, nur zuweilen kräuselten sich seine Lippen in jenes sarkastische Lächeln, das derlei Albernheiten dem Aufgeklärten auch wider seinen Willen abzwingen.

»Und ist es bloß der Donner der Kanonen, der dich ruft? Keine andere Stimme, die vom Tenochtitlantale dich fortsendet?« fragte der Graf mit demselben ruhigen Lächeln um seine Lippen.

Der Jüngling errötete und stockte.

»Und wird das Schicksal deine Entwürfe verwirklichen?« fragte der Graf weiter. »Ist das Spanien wirklich deiner Sympathien würdig? Ist es wirklich das glänzende Gebilde, das dir deine Phantasie vormalt? Armer Junge!« brach der Graf ab, hob jedoch wieder nach einer kleinen Weile an: »Das Land ist eine baumlose Wüste geworden, von Landstreichern, Räubern, Bettlern und faulen Mönchen angefüllt und von einem Volke bewohnt, das, statt zu arbeiten, sich seine Nahrung vor den Pforten der Klöster holt, – dieses dein Heldenvolk hat nicht einmal das Verdienst, unter eigenen Fahnen zu fechten; es ist das schmählich bezahlte Gold der Engländer, das diese Bettlernation aufgerüttelt und in ihrem stupiden Enthusiasmus wach erhält.«

»Lästern Sie das Vaterland meiner Mutter nicht!« schrie der Jüngling, von Zorn überwältigt.

»Bloß deiner Mutter?« fragte der Graf.

Der Don errötete.

»Und in dieses Land, dieses Paradies von Bettlern und Mönchen willst du gehen? Deinem flehenden, bedrängten Vaterlande den Rücken kehren in der Stunde seiner Not, seiner Todesangst? Was wird dieses Vaterland dazu sagen?«

»Manuel verachtet dieses Vaterland«, versetzte rasch der übermütige Jüngling.

»Das ist genug«, sprach der Graf, plötzlich aufstehend. »Das Blut deiner Wange ist aufrichtiger als deine Zunge. Behalte jedoch dein Geheimnis für dich; selbst fragen wollen wir dich nicht, wo du in diesen letzten Stunden gewesen, obwohl unsere Freundschaft vielleicht einige Aufmerksamkeit verdient hätte. Wir haben jedoch der Freiheit so wenig übriggelassen, daß es grausam wäre, einander die dürftigen Brosamen, die noch übrig sind, verkümmern zu wollen. Aber Don Manuel!« fuhr er fort, und seine Stimme wurde ungemein ernst, »indem wir dir deine Freiheit hiermit unbeschränkt lassen und uns des süßen Trostes berauben, uns eine freundliche Stütze unserer Entwürfe, einen achtungsvollen Pfleger unserer Pläne, einen gefühlvollen Mitbürger mit offenem Herzen für die Drangsale seines Vaterlandes zu erhalten, steht es unserer Freiheit nicht minder zu, uns vor den Folgen deines Entschlusses zu bewahren. Nicht wir wollen deine Freiheit beschränken, aber ebensowenig wollen wir zugeben, daß du die unsere beschränkst.«

Der Jüngling sah den Grafen starr an.

»Geh denn mit Gott«, sprach dieser. »Deines Vaters Diener werden dich begleiten und wir für die Mittel sorgen, dich mit dem deiner Familie gebührenden Anstande in Spanien einzuführen. Aber weiter geziemt es sich nicht, daß wir gehen. Derjenige, der, sich über sein Vaterland und seine Blutsverwandten erhaben fühlend, zum Schwager eines Virey sich emporzuschwingen gedenkt, würde sich wahrscheinlich zu stolz fühlen, um von einem armseligen mexikanischen Grafen fürder Unterstützung zu heischen.«

Der Jüngling stand wie eine Bildsäule – sein bleiches Gesicht auf den Boden geheftet, war er keines Wortes mächtig.

»Du hast nicht bloß mit deinem Onkel,« fuhr dieser fort, »du hast mit dem edelsten Geschöpfe, das innerhalb der Meere Mexikos das Tageslicht erblickt – dem Stolze unseres Landes – dein herzloses Spiel getrieben. Gleich dem verschmitzten Sohne Isaaks verläßt du deine Heimat, um in einem fremden Lande den Phantomen deines selbstsüchtigen Ehrgeizes nachzulaufen.«

»Mani!« rief eine schluchzende Stimme, und die liebliche Condessa Elvira schwankte zur Tür herein, ihr tränenschweres Antlitz in die Mantilla verhüllt, bebend und zitternd, ihre verweinten Augen wehmütig auf den Jüngling geheftet. Ihre stockend schluchzende Stimme vermochte bloß abgerissene Laute hervorzubringen. Unschlüssig schwankend, ihre Hände kindlich auf dem Busen gefaltet, schluchzte sie »Mani! Mani!« wie ein nahender Engel aus höheren Sphären. »Mani! So willst du uns und unser armes bedrängtes Mexiko verlassen? Mani, um der fünf Wunden der heiligen Jungfrau willen! Gedenkst du noch jenes feierlichen Schwures, den deine Zunge vor nicht sechs Monden auf der Höhe von Oaxaca im Angesichte Gottes und der beiden Ozeane aussprach, des feierlichen Schwures, du würdest ganz Mexikaner sein? Und du willst Mexiko verlassen? Mani! Mani!« Der Jüngling stand sprachlos.

»Mani!« bat sie, ihre Hände ihm bittend entgegenstreckend, »Mani bleibe bei uns! Bleibe in unserem armen bedrängten Mexiko! Bleibe!«

Das leichte Rauschen, das ihr seidenes Nachtgewand verursachte, schreckte den Jüngling plötzlich aus seinen Träumen. Er blickte sie einen Augenblick starr an und stürzte dann mit den Worten: »Fort von hier!« aus dem Kabinett.

»Einen Neffen haben wir verloren!« sprach der Graf mit schmerzerstickender Stimme. »Einen Sohn und eine Tochter haben wir noch. Das ist der Fluch des Despotismus. Er entzweit uns mit unseren Lieben, mit uns selbst, dem Glauben, der Hoffnung, der Liebe. Gute Nacht, Kinder!« Er küßte beide, Elvira und Carlos, und entfernte sich dann.


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