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Die beiden älteren Töchter, die sich von ihren Zeichnungstafeln erhoben und halb tot gekichert hatten, waren nun an den Papa herangeschwebt und hatten ihn mit sich auf die Ottomane mitten zwischen die Vizekönigin und die Donna gezogen.
»Väterchen!« rief die ältere Emanuele.
»Papachen!« die jüngere Inez.
»Kinderchen!« erwiderte der zärtliche Papa.
»Wissen Sie schon, Papachen?« begann die erstere. »Tante Isabella hat den sublimsten Einfall.«
»Der je ihrem sentimentalen Köpfchen entglitt«, lächelte der Vater.
»Und der, hoffen wir, von Seiner Exzellenz, dem regierenden Virey von Neuspanien, mit der Aufmerksamkeit vernommen werden wird –«
» ... die der Abglanz der Majestät, und die Krone alles dessen, was edel in Mexiko ist, der sehr edeln Doña Isabel schuldig ist«, fiel lachend der Virey ein.
»Nein, diese Zärtlichkeiten!« schmollte die Gattin.
»Sind seine gewöhnlichen Hofformeln, die er nur wiederholt, um sie geläufig auf der Zunge zu behalten«, spottete die Doña. »Sieh nur einmal, Schwesterchen, diese Runzel, die gleich einer Gewitterwolke sich zwischen die Brauen hingelagert.«
»Ihr Scharfsinn, Schwägerin –« versetzte der Virey schon mit einem weniger heitern Gesichte.
»Schon wieder Verdruß, Lieber?« jammerte die Vizekönigin.
»Es ist nun schon einmal nicht anders«, tröstete sie der zärtliche Gatte; »auf unserer Höhe müssen wir es uns gefallen lassen, unsern Anteil an den rauhen Winden, die in den Tiefen kaum gefühlt werden, doppelt und dreifach zu erhalten.«
»Aber warum denn auf diesen Höhen leben?« fragte die Doña, nicht ohne sanften Vorwurf.
Beide, der Vizekönig und ihre Schwester, warfen auf die Sprecherin einen jener Blicke, die eine glückliche Mitte zwischen Mitleid und Geringschätzung ausdrücken sollen.
»Ach, warum?« versetzte der erstere. »Dieser Verdruß, diese Sorgen, Liebe! Sie sind die Würze des Lebens, sie sind die frischen Brisen, die unsere ermattenden Segel wieder voll spannen, die uns rascher dem Ziele entgegenführen, dem hohen, dem großen, die uns über die feindlichen Kräfte zu triumphieren Gelegenheit geben.
Ah, wir sind doch so ganz Güte und Gnade gegen dieses Mexiko. Aber Ordnung, ja Ordnung, die muß sein, diese ist uns Lebensprinzip. Dürfte jedoch noch einige Opfer kosten.
Wir haben Köpfe gesehen, die von Norden herabkamen, und von Süden heraufkamen, so kalt, so sprudelheiß, so ungestüm, daß sie uns mit einem einzigen Fußtritte nach dem lieben Spanien zurückzustoßen meinten; aber nach zweimal vierundzwanzig Stunden waren sie so stille, so mäuschenstille! Und wir taten ihnen doch nichts, polterten sie nicht an, sprachen sie nicht einmal. Wir lächelten bloß huldreich, und – sonderbar! – Unser Lächeln, und die Ordnung und Stille, die um uns herum herrschen, hatte den magischen Einfluß auf sie. Ah, Ordnung und Ruhe inmitten des Gedränges und Getriebes, das ist der Probestein des politischen Genies. Wir haben einiges in diesem Fache geleistet. Ordnung und Ruhe, und doch wieder lärmendes Getöse und rauschende Musik. Wollt ihr Gehorsam – gebt ihnen Musik und wieder Musik, und ihre Gemüter werden weich. So in Musik, mitten in fröhlicher Musik, schreitet unsere Gewalt einher im Aufschwunge der Töne, und in den Pausen, da überkriecht ein wohltätiger Schauer die lustigen Gemüter, und erfaßt sie, und siehe da! sie werden stille – todesstille. Es ist ein unbeschreibliches Etwas, das über sie kommt und ihnen alle Stärke nimmt, diesen Helden. Ei, wir wollen Mexiko zur Ruhe verhelfen.«
Der Mann hielt nach dieser langen Ergießung auf einmal inne, sah sich scheu um, und schaute die Gesichter seiner Familie einen Augenblick mißtrauisch an; erst als er den unbekümmert harmlosen Ausdruck derselben gelesen, wurde er wieder heiter. Er wandte sich zu seiner Gattin.
»Ah, Laura, nicht wahr, Liebe! Sind ja auch wir miteinander d'accord geworden, obwohl die Holde anfangs ungestüm war.« Er küßte die Hand der Gattin, die wieder die seinige erfaßte und den Kuß erwiderte; aber mit diesem Kusse fiel eine Träne auf die Hand, die den Mann boshaft lächeln machte.
Doña Isabel hatte diese Träne bemerkt. Seine Hand erfassend, deutete sie schweigend auf die Träne, und warf dann die Hand mit Verachtung hinweg.
Sie war zornglühend aufgestanden.
»Tantchen!« rief der zärtliche Familienvater mit süßer Stimme, obgleich die Farbe wechselnd: »Tantchen! Was fällt Ihnen ein? Was ficht Sie an?«
Die Doña wandte ihm den Rücken und trat zum Fenster.
»Geduld, Arbeit und Zeit«, hob der Mann wieder an, »machen aus dem Maulbeerblatt ein Seidenkleid. Unser Prinzip ist Ordnung, und wir schmeicheln uns, dieses Prinzip etablieren zu können. Aber meine Lieben, Teuren, Holden!« wandte er sich auf einmal zu den Damen: »Vergebung, tausendmal Vergebung! In unserer Zerstreuung haben wir, teures Tantchen,« er wandte sich an die Doña, die sich wieder gesetzt, und deren Hand er ergriff und küßte, »ganz vergessen. Ja, Tantchen, Ihr heutiges Impromptu war wirklich sublim. Es hat Sensation gemacht. Auch sind wir Ihnen sehr obligiert für die Mühe Ihres Besuches bei diesem fatalen Grafen, den wir jedoch gegenwärtig zu schonen Ursache haben. Aber die Resultate Ihres Besuches, ma belle-sœur?«
Die Dame, obwohl ihre Lippen noch immer in Verachtung zusammengedrückt waren, schien für die Anerkennung ihrer gespielten Rolle nicht unempfindlich zu sein.
»Nur«, bemerkte sie etwas spröde, »würden wir wünschen, daß Sie Ihre Corregidores, Alcalden, Alguaziles und Familiares ein wenig mehr in Bewegung setzten. Wie waren wirklich ganz chokiert über die Anmaßung des Volkes; man fuhr uns vor; viele schienen uns sogar nicht zu bemerken.«
»Ist es möglich?« rief der Vizekönig.
»Abscheulich!« die Vizekönigin.
»Sehr unartig!« die Töchter.
»Auf Ehre!« versicherte die Doña.
»Es ist erstaunlich,« fiel der Vizekönig ein, »wie weit die undankbare Vermessenheit dieses Volkes geht. Je humaner, leutseliger wir mit ihm sind, desto unverschämter benimmt es sich. Wir wollen jedoch Sorge tragen, daß die Verordnungen, kraft deren nicht nur jeder Wagen vor unserer Livree stille halten, sondern –« er hielt inne.
Der Mann begann wieder, mit sich selbst zu reden.
»Ah, Papa!« unterbrach ihn Doña Inez. »Unsere letzten Moden von Cadix, als wir sie erhielten, stellen Sie sich nur vor, wir trafen sie bereits im Paseo an.«
»Wir wollen unserer lieben Inez Abhilfe schaffen, obwohl der Handelsstand dadurch einigermaßen beeinträchtigt werden dürfte.«
»Und dann die abscheulichen Leperos«, hob nun Emanuele ihrerseits an. »Ah, Papa, wissen Sie, daß es uns sehr ennuyiert, jedesmal, so oft wir wünschen, aus dem Theater nach Hause zu promenieren, statt zu fahren – –«
»Und was könnte es sein, das meine liebe Emanuele ennuyiert?« fragte der zärtliche Papa.
»Ach, Papa, diese abscheulichen Leperos, die auf den Straßen herumliegen!«
»Das ist ein schwerer Punkt, ma chére fille! Entre nous – – ganz Mexiko steht zu euren Diensten; aber die Leperos – seht, Kinderchen, es sind diese seit undenklichen Zeiten eine Art Alliierte, die wir recht gut gegen die Kreolenkanaille gebrauchen können, und die uns zum Beispiel heute vortreffliche Dienste geleistet haben würden, wenn –«
»Die Leperos?« fragte die Tochter verwundert.
»Sind gar nicht so abscheulich, Kinderchen, um nicht zu etwas zu dienen. Apropos. Was war es doch mit dem sublimen Einfalle, der – –«
»Ein Einfall, den Sie eigentlich zur Strafe noch nicht hören sollten, den wir Ihnen jedoch nicht länger vorzuenthalten gesonnen sind, da die Vorbereitungen schleunig getroffen werden müssen, und das Ganze mit Ihren Plänen selbst in Zusammenhang gebracht werden kann.«
» Ma charmante belle-sœur machen mich im höchsten Grade neugierig.«
»Ein Ball«, versetzte die Doña.
»Ein Ball, Papa! Ein Ball!« riefen die Töchter, während ihn die Gattin zweifelnd ängstlich ansah.
»Ein Ball?« fragte der Virey erstaunt: »Jetzt? Doña Isabel!« »Jetzt, Señor Vanegas, oder vielmehr sobald die Nachricht von der Niederlage der Rebellen eintrifft, an demselben Tage, an dem das Tedeum gefeiert wird.«
»Ja, das ginge«, erwiderte der Virey.
»Mit dieser Siegesfeier würde eine Art Versöhnungsfest verbunden, ein allegorisches Versöhnungsfest«, flüsterte lächelnd die Doña.
»Noch immer sehe ich aber nicht ein – –« bemerkte der Virey.
»Das wundert uns von der superfeinen Exzellenz«, spottete die Doña; »doch werden Dieselben begreiflich finden, daß die Partien eines Balles so arrangiert werden können, daß vorbereitende Entrevues notwendig werden. Es gibt interessante Verwicklungen; diese Verwicklungen bringen den Grafen in unmittelbare Berührung – –« »Sublim!« brach nun der Virey aus: »Ja, ja, das wäre eine ganz charmante Entreprise, ma belle-sœur! Immerhin muß jedoch der Sieg abgewartet werden; denn wir haben kein Beispiel in der Hofgeschichte Mexikos, daß, während der Feind die Hauptstadt blockierte – – –«
»Und nennt Señor Vanegas diese Rebellen einen Feind?« fragte die Doña stolz.
»Freunde sind sie wahrlich nicht«, versetzte der Virey kopfschüttelnd; »auch fängt unsere Lage an, bedenklich zu werden. Señor Calleja besorgt – sie kämpfen wie Verzweifelte –« Er stützte sein Haupt in seine Hand und versank in Nachdenken. »Pah!« tröstete er sich. »Müssen viele fallen, ehe die Reihe an uns kommt.«
»Diese abscheulichen Rebellen!« jammerten die Töchter.
»Mein Gott!« wehklagte die Mutter. »Lieber! Wie Sie auf einmal alteriert werden; sind Sie leidend, Teurer?«
»Es ist nichts, gar nichts«, erwiderte der Virey schwach.
»Nichts, sagen Sie? Nichts? Sehe ich denn nicht mit eigenen Augen? Juan! Pablo! Ximénez! Antonio!«
»Stille!« sprach der Gatte. »Eine kleine Spazierfahrt in den Paseo nuevo wird uns wieder aufheitern bis zur Kamarillastunde. Zuvor müssen wir jedoch noch einen Augenblick in die Staatskanzlei.«
»Und wieder in die Staatskanzlei, und wieder Geschäfte, und nichts als Geschäfte; Sie werden sich doch gewiß noch töten!« seufzte die Gattin, indem sie zugleich den Gatten mit so bekümmerten Blicken ansah, daß dieser, um die Liebenden zu beruhigen, notwendig wieder ganz heiter werden musste, was ihm denn auch zum Erstaunen wohl gelang.
»Adios, meine Holden!« versetzte er zärtlich, sich erhebend »und Ihnen, Schwägerin, einstweilen unsern Dank für den ganz divinen Einfall. Ja, Großes kann bewirkt werden; wir selbst wollen uns mit der Angelegenheit sehr ernst beschäftigen. Adios!« wiederholte er nochmals, den Lieben Handküsse aus der Türe zuwerfend.
In dem sogenannten kleinern Appartement, bewohnt von der Doña Isabel, fand sich nach einer Stunde das holde Kränzchen, mit Ausnahme der zwei jüngsten Kinder, wieder zusammen.
Die Damen hatten sich in den mäßig großen Salon, der in den Garten des Palastes die Aussicht hatte, um einen runden Tisch im Halbzirkel niedergelassen.
Der erste der glücklichen Geladenen, der ankam, war der Oberst.
» Ah, le deserteur; le voila!« rief ihm die Doña entgegen, der sich mit Ehrfurcht und zugleich mit jener vornehmen Bequemlichkeit gegen die Damen verbeugte, die zwischen auf gleicher Rangstufe stehenden Personen üblich ist.
»Auf Ehre, Mesdames!« rief der Oberst lachend, »ihre Leperos haben gute Lungen; ich versichere Ihnen, meine Gnädigsten, sie haben mir während einer halben Stunde den Kopf so heiß gemacht, daß ich mein ganzes Regiment bereits in ihren kannibalischen Mägen glaubte.«
Die Damen lachten recht herzlich; aber die Doña Isabella schien doch noch zum Schmollen aufgelegt und versicherte, daß seine Flucht aus dem Hause des Grafen ganz und gar nicht entschuldigt sei; eine Behauptung, die der junge Oberst wieder mit dem Generalmarsche, der ihn an die Spitze seines Regimentes gerufen, und seinem zufälligen Zusammentreffen mit der Doña niederzuschlagen bemüht war, welches alles einen recht angenehmen Wortwechsel veranlaßte, bei welchem sich der Oberst zugleich mit so vieler Wärme und so eminentem feinem Welttone verteidigte, daß die Doña ihm endlich die Hand darbot, die er entzückt, oder wenigstens so scheinend, an die Lippen drückte, worauf der trauliche Kreis sich bald so froh fühlte, daß alle laut jammerten, als der diensttuende Page die Ankunft Seiner erzbischöflichen Gnaden verkündete.
Der hohe geistliche Würdenträger trat auch bald, nachdem seine langen Titel alle aufgezählt worden waren, ein, und zwar in einem purpurfarbigen Seidenrocke mit einem langen gefältelten fächerartigen Schweif, der ihm vom Kragen über den Rücken hinab bis zu den Knien reichte, ein Käppchen von demselben Stoffe auf dem Haupt, und auf der Brust ein mit Solitärs und Rubinen besetztes Kreuz, das an einer goldenen Kette hing. Er verbeugte sich vor den Damen mit einer Zierlichkeit, die bewies, daß er in hoher weiblicher Gesellschaft gelebt hatte, und erwiderte die tiefen Knickse, die ihm alle darbrachten mit einem Schwalle von Komplimenten, die sehr gegen seine, während des Besamanos an Tag gelegte Steifheit und Trockenheit abstachen. Er hatte kaum auf der Ottomane den Ehrenplatz neben der Vireyna eingenommen, als der Präsident des Finanzdepartements angemeldet wurde, dem der Fiskal der hohen Audiencia, die Oidors desselben höchsten Gerichtshofes und zugleich Staatsrates, und mehrere Generale und Intendanten folgten: eine bekreuzte und sternbesäte glänzende Gesellschaft im kleinen Kostüme und von kleinern Gestalten.
Nochmals flogen die Türen auf, ohne daß jedoch der Eintretende angekündigt worden wäre. Es war der Vizekönig selbst. Er trat ganz in der leichten, gefälligen und sich bei jedem Schritte wiegenden Manier des hohen Hauswirtes ein, der seine Gäste bereits seiner harrend findet, mit einem Lächeln für alle, das wieder in dem Ausdruck der tiefsten Ehrfurcht überging, als er des geistlichen Oberhirten des Reiches auf dem Sofa ansichtig wurde. Die ganze Gesellschaft hatte sich natürlich wieder mit allen Zeichen der tiefsten Ehrfurcht wie aufs Kommandowort erhoben und sich tief verneigt. Darauf geruhte der hohe Hausherr seine Überraschung dem hohen Priester auszudrücken, welche Überraschung er mit mehreren Verbeugungen begleitete, und dann fing er an, sich in Bewegung zu setzen, um auch den übrigen zu versichern, wie so ganz scharmiert er durch ihren Besuch, und wie wohl ihm in der Nähe so geprüfter Freunde und Diener des allergnädigsten Herrn sei.
Die vier Pagen hatten unterdessen den Tee mit den übrigen Erfrischungen herumgereicht und der Direktor der schönen Künste ein Gemälde, das er mit sich gebracht, im Vorsaale aufgestellt, aus dem es nun, so wie die Pagen den Saal verließen, in diesen übersetzt wurde, um es dem hohen Beschützer der schönen Künste vorzustellen.
Der Vizekönig hatte sich erhoben, mit einer gewissen Andacht im Blicke, und sich mit halb vorgebogenem Leibe dem Gemälde, einer Madonna, genähert, sich auf die Seite gebogen, vorgebogen, zurückgebogen, es von mehreren Seiten beleuchtet, es mit eigener hoher Hand bald mehr in Schatten gestellt, bald wieder ins Licht vorgeschoben, und erst nach diesen mannigfaltigen Bewegungen, die durch enthusiastische Ausrufungen als: »Sublim! Großartig! Ah, dieses Inkarnat!« noch bedeutsamer wurden, hatte er endlich aus tiefer Brust Atem geholt, um auf eine recht eklatante Weise seine Bewunderung über die vorzügliche, ja großartige Leistung zu erkennen zu geben, die sein Mund nicht hinlänglich preisen könne. Natürlich hatte die ganze Gesellschaft zurückgehalten, bis der hohe Mann seine Meinung zu erkennen gegeben hatte. Als der Vizekönig endlich beteuerte, daß die Hand, die diesen Pinsel geführt, bereits die Klinke an der Pforte des Tempels des Ruhmes selbst erfaßt habe, waren alle Anwesenden in einen wahren Enthusiasmus ausgebrochen. Nur der Künstler selbst schüttelte das Haupt, worüber die Exzellenz befremdet und die hohen Gäste gewissermaßen verwundert schienen, welche Verwunderung wieder stieg, als der Direktor zwar seine Zufriedenheit mit dem Gemälde äußerte, aber auch wieder versicherte, daß in gegenwärtigen Zeiten kaum auf eine besondere Anerkennung zu hoffen sei. »Ja,« beschloß er seine etwas trostlosen Äußerungen, »es ist im Reiche der Künste, gnädigste Exzellenz, ein sehr trauriger Stillstand eingetreten.«
»Inter arma musae silent«, fiel ihm der Erzbischof ein.
»Vergebung, Erzbischöfliche Gnaden!« erwiderte der Künstler demütig, »es ist ein ganz anderer Stillstand, den wir alleruntertänigst meinen. Es ist ein Stillstand, der von einer veränderten Richtung der Nation herrührt und solange dauern wird, befürchte ich, als diese selbst nicht aufhört. Nicht nur ist die Academia de bellas artes von ihren Zöglingen verlassen, die Kunst scheint auch ihren Einfluß auf die Nation verloren zu haben, sie scheint von ihr aufgegeben zu sein.«
»Bemerkungen, die ebenso richtig als tief wahrgenommen sind«, fiel der Oberst ein, den die aus dem Leben gegriffenen Erfahrungen des Künstlers angesprochen hatten.
»Die Ursache dürfte doch vielleicht an den Künstlern selbst liegen«, bemerkte Doña Isabel.
»Perdon!« fiel ihr der Oberst ein. »Die Künstler sind noch immer dieselben; aber die Grundpfeiler der alten Einrichtungen sind an vielen Punkten morsch geworden.«
Bei diesen Worten fuhren viele Anwesende auf und sahen den Obersten befremdet an.
»Es ist leider nur zu wahr«, hob endlich der Vizekönig an, der sich nun von dem Bilde und seinem Urheber auf eine Weise wandte, die zugleich andeuten sollte, daß die Begeisterung für Kunst zu Ende sei. »Ja, nur zu wahr,« bekräftigte er, »daß die Völker und Nationen aus ihren Fugen gerissen sind; aber wer, meine hohen Herrschaften, ist wohl Ursache? Bitte Sie ums Himmels willen! Wer ist Ursache? Alle Gewalt kommt von oben, spricht der Herr durch den Mund des –« er sah bei diesen Worten den Erzbischof an, der nickte, »aber wenn wir, denen die Gewalt von oben gegeben wurde, diese selbst mißbrauchen, wenn wir verblendeterweise selbst frevelhafte Hand an die Dämme legen, die eine weise Vorzeit und unsere Vorfahren mit so vieler Mühe und Vorsicht für die kommenden Geschlechter errichtet haben, und in welche eingeschlossen die Menschheit sich gehorsam gegen weltliche und geistliche Oberhirten bewegte?«
»Was uns betrifft,« fuhr der hohe Mann fort, »so wollen wir, mit dem Beistande der weisen und loyalen Herrschaften, die bereits bei so vielen Gelegenheiten und namentlich bei dieser Veranlassung ihre Anhänglichkeit an die allerhöchste Person unseres angebeteten Monarchen so wirksam beurkundet haben, rastlos arbeiteten, die vorige Ordnung wieder herzustellen.«
Es war ein Abruptes, das der Mann auf einmal angenommen hatte, und das die Aufmerksamkeit aller im entsprechenden Grade erregte.
»Es ist nicht der offene Krieg, den der Pöbel gegen die geheiligten Rechte Seiner Majestät wagt,« fuhr er fort, »der uns erschreckt. Daß unsere eigenen Freunde den Thron untergraben, für den wir so rastlos arbeiten, das betrübt uns. Längst würde die Brut der Empörer vertilgt worden sein, wären nicht von geheiligten Interessen abgefallen oder lau geworden diejenigen, auf die der Thron zu zählen das Recht zu haben glaubte, suchten sie nicht selbst, aus unserer Verlegenheit schnöden Gewinn zu ziehen. Ah, Graf von San Jago!« seufzte er, wie sich vergessend.
»Graf San Jago!« riefen mehrere wie erstaunt, »der Grande von Mexiko, dessen Loyalität bisher so glänzend erschienen?«
»Entsetzlich!« stöhnten andere.
»Werden Sie es glauben, Señorias,« fuhr der Virey fort, »daß wir auf unser Ansuchen um drei Millionen Escudos an das Consulado und die Nobilitad, auf dieses unser Ansuchen durch unsere Kommissarien, auf das schnödeste verhöhnt, und die Kommission selbst zurückgesandt wurde, von dem Grafen San Jago zurückgesandt wurde?«
»Perdón Excelentísimo Señor!« fiel ihm der Chef des Consulado ein, »der Graf San Jago, weit entfernt – –«
»Ah, wo sind jene Zeiten,« unterbrach ihn der Vizekönig, »jene Zeiten, wo ein Graf Regla Millionen seinem allergnädigsten Herrn zu Füßen legte, wo ein Marquis de Jaral seine ganze Habe willig darbot.«
Der Mann sprach wirklich so meisterhaft, repräsentierte den gekränkten loyalen Diener und Stellvertreter seines Königs auf eine so unübertreffliche Weise, wußte seinem Gesichte einen so schmerzhaften Ausdruck zu geben, daß, während er sprach, die Blicke aller mit Unwillen auf den Chef des Consulado sich hefteten.
Übrigens schien der Staatsmann nicht so sehr das Fehlschlagen seines Anschlages auf die Silberbarren des Consulado und der Nobilitad, als die Blöße, die er sich gegeben, und das verletzte Ansehen der Majestät und ihres Statthalters zu bedauern. Jedoch weit entfernt, nach dieser eindringlichen Vorstellung seinen ernst gewordenen Ton beizubehalten, wandte er sich wieder mit einer so süßen Miene an denselben Chef des Consulado, und überschüttete ihn wieder mit so vielen Komplimenten, und hoffte so zuversichtlich, daß der aufgeklärte und patriotische Körper, dem er vorstände, seinen Mißgriff, und das böse Beispiel, das er den Kreolen gegeben, verbessern würde, daß die Gesellschaft in kurzem wieder in eine heitere und gefälligere Stimmung versetzt wurde. Die Ankunft eines Flügeladjutanten, der nun eintrat, unterbrach ihn. Die Botschaft, die er brachte, mußte von hoher Wichtigkeit sein; denn der Gebieter erhob sich ungemein schnell, und verließ mit der kurzen Entschuldigung den Salon, daß der Dienst Seiner Majestät dringlich seine Gegenwart erheische.