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Vierundzwanzigstes Kapitel.

War es der prachtvolle Morgen oder ein anderer Umstand, der die schöne Welt Mexikos zu dieser ungewöhnlichen Zeit aus der Stadt gelockt hatte, – die zehnte Vormittagsstunde fand den Paseo nuevo mit Hunderten von Reitenden und Fahrenden angefüllt, die Herren zu Pferde in ihren Mangas mit kostbarem Pelzwerke verbrämt, die Damen in ihren Mantillas und der reizenden Basquina.

Die ganze lange Allee war von altmodischen, überfirnißten, aber durch ihre Anzahl und seltsamen Verzierungen imponierenden Wagen bis zum Erdrücken angefüllt; dazwischen zahlreiche Fußgänger und Reiter, letztere in dem vollständigen Aufzuge mexikanischer Caballeros. Dieser Aufzug bestand noch in der Rüstung des Pferdes, die, obwohl nichts weniger als bequem oder zweckmäßig, ungemein malerisch erschien. Ein gewaltig hoher Sattel, der vorne in dem weit hervorragenden Sattelknopfe, hinten in der sogenannten Anquerra endigte; eine Decke von gepreßtem, vergoldetem Leder, von welcher zwei Taschen herabhingen, das Ganze mit Kettchen am Sattel befestigt. Über diese schwere Decke, die nicht mit Unrecht Cortezschild genannt wurde, hatten die meisten Reiter noch ein schwarzes Bärenfell gebreitet, das mit der übrigen schweren Rüstung und dem arabischen Gebisse, den Pferden eine kriegerische Stattlichkeit verlieh, die lebhaft in die Zeiten der ersten Eroberer zurückversetzte. In den Wagen saßen wieder durchgehends Damen, alle in die schwarze Mantilla verschleiert, so daß bloß die Umrisse der Gestalten zu ersehen waren. Was jedoch am meisten auffiel, so herrschte unter den Tausenden von Fußgängern, Reitenden und Fahrenden eine merkwürdige Stille; bloß Blicke wurden zwischen den sich Begegnenden gewechselt; kein Laut, kein Wort war zu hören, und das Gerassel der Wagen und die Hufschläge der Pferde waren das einzige Geräusch, das zu vernehmen war. Alles eilte dem Ausgange des Paseo und der Straße von Tacubaya zu, auf deren Anhöhen die Augen aller gerichtet waren.

»Bei meiner Ehre, Señoria,« hob Don Lopez Pinto an, »das hat etwas zu bedeuten.«

»Und was soll es zu bedeuten haben?« fragte der Oberst Ildefonso.

»Und Sie sehen es nicht; Sie sehen nicht, wie alle Tacubaya zurennen? Es sind lauter Kreolen-Mangas, keine zehn blauen oder braunen Mäntel. Glauben Sie, sie laufen nach Tacubaya, um den Palast des Erzbischofs zu sehen oder seine Olivenbäume zu zählen? Mutter Gottes! Sie wissen doch, wohin die Straße von Tacubaya führt?«

»Nach Agostin de las Cuevas«, versetzte der Oberst.

»Sie scherzen, Señoria«, brummte der Spanier unwillig. »Mir ist aber gar nicht so spaßhaft zumute, und Eurer Herrlichkeit wäre es vielleicht auch nicht, wenn Sie eine Hacienda und liegende Gründe im Werte von einigen hunderttausend Duros hätten. Sehen Sie doch nur einmal diese Kreolinnen an!« stieß er auf einmal im verächtlichen Tone aus. »Haben Sie derlei geschaut? Sie fahren zu, ohne auch nur einem einzigen unserer Offiziere einen Blick zu schenken, gerade als ob es keine spanischen Offiziere gäbe. Sie erwidern selbst die Salutation derselben nicht; sie regen weder Mantillas noch Fächer.«

Der Oberst begann aufmerksam die Gruppen zu beobachten.

»So sehen Sie doch nur einmal«, fuhr der Spanier fort, »diese Weiber, sie grüßen Ihre Offiziere nicht.«

»Wahrscheinlich, weil sie sie nicht kennen.«

»Nicht kennen!« schrie der Spanier giftig: »Nicht kennen! Sehen sie nicht und wissen sie nicht, daß sie spanische Caballeros sind und daß der geringste Spanier hier mehr ist als der erste Criollo, und wenn es der Graf Regla oder San Jago wäre. Da sieht man wohl, daß Eure Herrlichkeit noch nicht warm bei uns geworden sind. – Ich küsse Euer Gnaden die Füße!« begrüßte er eine Gruppe Offiziere, die herangesprengt kamen, um dem Stabsoffizier ihre Ehrfurcht zu bezeugen. »Ah, Señoria,« fuhr er mit erhöhter Stimme fort, »ich sage Ihnen, daß bis zum Jahre unsers Herrn gnadenreicher Geburt tausendachthundertundacht die erste Condesa Mexikos sich geehrt gefühlt haben würde, wenn ihr – was sage ich, ein kastilianischer Hidalgo die Ehre angetan, um ihre Hand anzuhalten, in welchem Falle es stets Sitte war, daß sie zum Haupterben erklärt und zwei Drittel des väterlichen Vermögens erhielt, wenn nicht alle drei. Wir selbst – –« das Männchen hielt inne – »ah, das waren die guten alten Zeiten; seit achtzehn Monaten haben die neueren bösen angefangen; aber es muß wieder zurückkommen auf die guten alten Zeiten; denn worin bestände sonst der Vorzug der Spanier vor allen Völkern der Welt –«

»Wenn sie nicht die Weiber und Töchter Sr. Majestät getreuen Untertanen von Mexiko zu ihrem Zeitvertreibe hätten?« ergänzte der Oberst lachend. »Señores!« versicherte er den umstehenden Offizieren. »Die Verez und Alicante Señor Pintos sind vortrefflich, und wir sind Ihnen«, fuhr er zum Hidalgo gewendet fort, »für das prachtvolle Frühstück sehr verbunden. Aber vergeben Sie – Ihre Ansichten –«

»... sind die Ansichten, die Mexiko dem Mutterlande dreihundert Jahre erhalten haben«, sprach der Spanier stolz.

Ein Kopfnicken der Mehrzahl der Offiziere schien zu verraten, daß auch sie die Ansichten des ausgedorrten Spaniers vorzugsweise vor denen des Oberst teilten.

»Dies wäre auch keine so üble Partie«, meinte ein Kapitän, auf einen Wagen deutend, der, ganz schwarz bemalt, im feierlichen Trabe herabgerollt kam.

»Beiläufig hunderttausend Duros«, bemerkte der Angeredete. »Das wäre eine Partie für dich.«

»Der Stern von Mexiko ist jedoch unsichtbar,« sprach ein dritter, »und für lange Zeit unsichtbar. Señor Pinto! Sie gehen zum Grafen San Jago?« fragte der Sprecher den alten Hidalgo.

»In sehr wichtigen Angelegenheiten, Señor Parodi«, bedeutete ihm dieser. »Wir versammeln uns bei Sr. Herrlichkeit in Cuerpo. Ah, Señores! Dieser Graf San Jago hat eine Nichte, und diese Nichte hat wieder Duros! Ja, Señores, diese Condessa Elvira! –«

»Pah, eine Kreolin!« fiel der Leutnant ein.

»Aber vom reinsten alten leonischen Adel, mit mehreren der ersten Familien verwandt, und dann – Duros! Man sagt, selbst der Graf werde ihr einen bedeutenden Teil seines Vermögens hinterlassen.«

»Wollen Sie die Gefälligkeit haben, Se. Herrlichkeit unserer Ergebenheit zu versichern, und demselben zu eröffnen, daß wir uns die Freiheit nehmen werden, ihm und seiner Condessa unsere persönliche Aufwartung zu machen?«

»Dem Grafen San Jago?« sprach der Hidalgo, der den alten verdorrten kleinen Leutnant kopfschüttelnd maß.

»Wir hoffen doch, daß wir, Don Pedro Parodi, deren Vorfahren unter dem großen Ruy die Schlacht von Ronceval –«

»Nur jetzt nicht, nur jetzt nicht«, wisperte der alte Spanier, der mit seiner Hochachtung für altspanisches Blut doch in einige Verlegenheit zu geraten schien. »Nur jetzt nicht«, bat er. »In zwei, vier Wochen, sowie wir von Cuautla Amilpas herauf gute Nachrichten haben.«

»Und warum jetzt nicht?« fragte der kleine alte klapperdürre Leutnant ungeduldig.

»Señor!« erwiderte der alte Spanier. »Nicht jetzt. Se. Herrlichkeit haben eine lange Hand bei den Cortes, sind gefürchtet.«

Nur ungern ließ sich der Leutnant bewegen, seine plötzlich aufgeflammte Liebe zu der schönen Condessa Elvira und ihren schönern Duros zu vertagen. Einstweilen jedoch schloß er sich wieder an die übrigen Offiziere an, deren sehr lebhafte Unterhaltung sich durch ein lautes Gelächter ankündigte. Man hörte bloß die Schlagwörter, die in spanischer Manier fielen, kurz, trocken, und voll kaustischen Salzes.

»Carracco!« rief ein Fähnrich. »Diese ledernen Kasten könnten alle Ayuntamientos des alten Kastiliens mit dem ganzen Hofstaate des alten Don Carlos und der sehr liebenswürdigen Marie Luise und des Gardisten beherbergen.«

»Nur sind die verdammten Fenster so hoch, daß man die Señoritas nicht sehen kann«, lachte ein zweiter.

»Was braucht es viel zu sehen, wo man greifen kann?« spottete ein dritter.

»Oder rufen, oder pfeifen«, höhnte ein vierter. »Versuchen Sie es, Amalgro, und sehen Sie, ob Sie nicht zwanzig – sechzig – hundert auf einmal am Halse haben! Abderahman konnte nicht schneller bedient worden sein.«

»Carracco!« rief der erste Würdenträger dieser schwarzbärtigen Schar, ein kleiner feuriger Fähnrich, indem er seinem Pferde die Sporen gab und im raschesten Galopp einer Kutsche zusprengte, in der zwei Damen saßen, von denen die eine, nach den edlen Umrissen ihrer verhüllten Gestalt zu schließen, eine sehr anziehende Erscheinung sein mochte. Die plötzliche Bewegung des jungen Offiziers hatte nicht nur die Aufmerksamkeit der sämtlichen auf ihren Pferden haltenden Offiziere, sondern des Publikums überhaupt in hohem Grade erregt, und sie begann, obwohl auf verschiedene Weise, sich ebenso schnell zu äußern.

»Teufel!« riefen die Offiziere.

»Nieder!« schallte es im dumpfen Gemurmel aus der wogenden Menge herüber.

»Vorwärts, Señor López!« riefen mehrere Offiziere wieder.

»Es lebe der Eroberer!« schrie ihm eine dritte Abteilung zu.

»Meiner Seele, keck wie ein Navarese«, hob der kleine Leutnant wieder an.

»Sagen Sie vielmehr: kühn wie ein Andalusier«, verbesserte ihn ein zweiter; »denn Señor López Matanza hat die Ehre, ein geborener Andalusier zu sein.«

»Des Landes, das der Erzengel Gabriel selbst besucht«, spottete ein Nachbar.

Die witzige Unterhaltung wurde auf einmal durch einen Schrei des Unwillens oder Entsetzens, der aus dem Wagen, in welchem die beiden Damen sahen, gehört ward, unterbrochen. Der Fähnrich war auf diesen mit all der äußern Galanterie eines Spaniers und all dem Übermuts eines privilegierten Wüstlings zugesprengt. Einen Augenblick herrschte Totenstille im ganzen unübersehbaren Paseo ob dieser frechen Herausforderung; aber zugleich wandten sich tausend Köpfe, und tausend Hälse streckten sich in der Richtung hin, wo der Schrei erschallt war, und als sie die Ursache allmählich errieten, hielten die Wagen auf einmal, und Reiter und Fußgänger galoppierten und preßten zu Hunderten an die Kutsche, in der die beiden Damen sich befanden, heran, und bald war der kecke Offizier von einer zahllosen Menge umgeben, und Reiter und Fußgänger hatten sich in eine dichte Masse um den Wagen und den übermütigen Fähnrich herumgedrängt und einen kompakten Kreis um ihn gebildet. Zugleich erhob sich ein Gemurmel, das anfangs wie furchtsam klang, das aber mit jeder Sekunde lauter und drohender wurde. Noch war keine Hand gegen den vermessenen Verächter mexikanischer Weiblichkeit erhoben; aber nun ertönten die furchtbaren Worte: »Nieder mit dem Tyrannen!« Hundert Hände erhoben sich zugleich, und der unselige Fähnrich verschwand von seinem Rosse. Die sämtlichen Offiziere waren im Fluge herangesprengt und suchten mit gezücktem Degen sich den Weg zu ihrem Gefährten zu bahnen.

»Señoria, um Gottes willen!« kreischte der alte Hidalgo dem Oberst zu, der mit einem der Offiziere einige Schritte abwärts im Gespräche begriffen gewesen.

»Stellen Sie sich nur die Keckheit vor, einer Ihrer Offiziere, der sehr achtbare Fähnrich Señor López Matanza, vom Regiments Zaragoza, wie wir glauben, würdigt die Señorita Zúñiga seiner Aufmerksamkeit und serviert ihr eine Salutacione, deren sich keine Condessa schämen dürfte, und die unverschämte – –«

»Bei meiner Seele, Don Pinto sind ein Narr!« rief ihm der Oberst zu, der seinem Gaule den Sporn gab und dem Haufen zusprengte, der in demselben Augenblick sich teilte, um einen glänzenden, von vier stolzen Andalusiern gezogenen Phaeton durchzulassen, und zugleich den Schwertern der sechs königlichen Leibgardisten, die ihm vorsprengten und Bahn machten, zu entgehen. Der Haufe hatte sich, sonderbar genug, lautlos und in wenigen Sekunden mit einer bewundernswerten Ordnung in die zweite Allee gezogen, und die vizekönigliche Equipage war ungehindert an den Wagen in dem die beiden Damen saßen, vorgefahren

»Was ist?« fragte eine der beiden Damen, die im Phaeton saßen.

»Eine zu weit getriebene Galanterie,« antwortete der Oberst, »soviel wir gehört haben, deren sich unser Fähnrich Señor López Matanza schuldig gemacht hat.«

»Wir bedauern unendlich, liebe Señoras«, sprach die Dame mit einer volltönend melodischen, aber etwas gebieterischen Stimme, »und bitten Sie, einstweilen unsern Wagen als den Ihrigen anzusehen.« Und indem sie mit bezaubernder Grazie sich zu den Damen hinüberneigte, hoben zwei reich gekleidete Diener die vor Schrecken über diese Auszeichnung halbtote Kreolin aus ihrem Wagen und versetzten sie in den Phaeton an die Seite der hohen Dame, die sich nun gegen die Offiziere huldvoll verbeugte und mit dem gnädigen Lächeln einer Königin die Allee herabrollte.

Des Obersts Auge war einen Augenblick der stolzen Schönen nachgefolgt; dann fiel sein Blick auf die Kreolen, die nun wieder wie zuvor dem Ausgange des Paseo zufuhren, ritten und wogten, gleichsam als ob auch nicht das mindeste vorgefallen wäre.

»Das ist seltsam, auf Ehre«, sprach er endlich zu seinem Nachbar. »Wo ist aber Fähnrich Señor López Matanza? Señor Martinez, fordern Sie ihm für drei Tage seinen Degen ab. Wo ist Fähnrich Señor López Matanza?« fragte der Oberst heftiger.

Er war verschwunden; sein Pferd mit ihm.

»Wo ist Don López Matanza?« riefen sämtliche Offiziere.

»Sucht hinter dem Springbrunnen«, schrien entfernte Stimmen herüber.

»Jesús Maria! A todos los diablos! Virgen Santa!« schrien und riefen sämtliche Offiziere.

Der unglückliche Spanier lag hinter dem Brunnen, seine Brust von mehreren Stilettstichen durchbohrt, er selbst ohne Leben. Blaue Flecken am Halse verrieten, daß er zuerst erwürgt und dann erdolcht worden war. »Señores« sprach der Oberst leise und ungemein ernst, »unser Bruder hat sein Schicksal gesucht. Diese verachteten Kreolen fangen an, ihre Schande zu gewahren. Hüten Sie sich, diese Erkenntnis zu beschleunigen.«

»Mutter Gottes!« murmelte ein Capitan. »Bei hellichtem Tage, im Angesichte von Tausenden, haben sie ihn wie einen Hund erwürgt.«

»Ich fürchte solche Taten; es sind Funken, die leicht zu Bränden werden können«, mahnte der Oberst. »Nochmal, Señores, Klugheit!«

Ein Pikett Truppen, das beiläufig tausend Schritte davon an der Brücke des Chalco-Kanals aufgestellt gewesen, war mittlerweile herbeigeeilt; der Oberst erteilte die nötigen Befehle und sprengte, nachdem die Soldaten den Gemordeten auf eine Tragbahre, aus ihren Gewehren zusammengesetzt, gelegt, den Paseo hinab; die andern folgten der Leiche.

Übrigens schien das Ereignis, als ein so furchtbares Symptom der Volksgesinnung gegen die Unterdrücker es auch gelten konnte, zehn Minuten nachdem es vorgefallen war, rein vergessen zu sein; kaum, daß man auf die Soldaten, die den Leichnam dem vizeköniglichen Schlosse zutrugen, achtete. In derselben bangen, brütenden Stimmung und mit der beflügelten Eile ängstlicher Erwartung strömte die Menge dem Ausgange der Allee und den Anhöhen von Tacubaya zu, ohne weder links noch rechts zu sehen.

Es war etwas Unnatürliches in dieser Hast und Angst, mit der Tausende und abermals Tausende den Anhöhen von Tacubaya zufuhren und -ritten und -liefen, und als sie auf diesen angekommen waren, in das Tal und die sich hinter diesem Tale auftürmenden Berge von Marqués de la Cruz hineinstierten, als wollten sie mit ihren Blicken durch und durch schauen und weiter dringen in eine Ferne, die für sie etwas Namenloses zu haben schien; denn keine Zunge wagte es, dieser Sehnsucht Worte zu geben.

Was aber diese Sehnsucht, dieses Etwas war, war leicht zu ermessen. Die Straße, die nach Tacubaya führt, zog über Agostin de las Cuevas, Axusco, Guxilaque und Cuernavaca nach Cuautla Amilpas, dem Punkte, auf dem sich die Hoffnungen und Besorgnisse von Tausenden, ja Millionen konzentrierten. Dort stand das Heer der Insurgenten unter dem Manne, dessen unerschütterliche Ausdauer neuerdings die Waagschale der Freiheit Mexikos sinken gemacht hatte. Dieses Heer der Insurgenten, soviel wurde nun dem Volke allmählich klar, hatte auf der Straße von Mexiko nach Acapulco eine feste Stellung eingenommen; aber mit welchen Absichten und Streitkräften, das war noch unbekannt; denn, wie leicht zu erachten, so hatte die Regierung über die Bewegungen der Patrioten sowohl, als die ihrer eigenen Armeen, das tiefste Stillschweigen beobachtet; die vizekönigliche Hofzeitung, die einzige, die im ganzen mexikanischen Reiche existierte, hatte bloß unter den endlosen Ankündigungen von Prozessionen und Kirchenfeierlichkeiten, mit denen sie jederzeit ausgefüllt war, die kurze Nachricht eingeschaltet, daß Se. Exzellenz der General-Kapitän mit den Tapfern von Mexiko ausgezogen sei, um die schwachen Überreste der Rebellen, die es vermessentlicherweise wieder gewagt hätten, sich zu zeigen, vollends zu vertilgen, und ganz am Ende stand der verlorene Nachsatz, daß Major Ulloa beordert worden sei, einen Banditenhaufen, der die Straße von Puebla unsicher mache, der gerechten Strafe zu überliefern; die gewöhnliche Art und Weise, in der die spanischen Behörden von den Führern der Revolution und ihren Bewegungen sprachen, die aber, weit entfernt, die gehoffte Verblendung des Volles zu bewirken, dieses der Wahrheit nur um so näher gebracht hatte. So gedrückt und in Unwissenheit versunken auch die große Mehrzahl der Mexikaner sein mochte, so konnte die Anwesenheit bedeutender Streitkräfte der Insurgenten in der Nähe der Hauptstadt und an einer ihrer wichtigsten Verbindungslinien unmöglich lange verborgen bleiben. Nicht nur die Zufuhr von dem Punkte, wo sich die Armee der Insurgenten festgesetzt, hatte aufgehört, auch die Verbindung mit den westlichen und südlichen Provinzen des Reiches war unterbrochen, und die Hauptstadt hatte das Ansehen einer blockierten Festung angenommen. Auch dem blödesten Verstande mußte es so allmählich begreiflich werden, daß nur ein starkes und an die Regeln der Kriegszucht gewohntes Heer einen solchen Zustand der Dinge herbeiführen konnte, einen Zustand, der wieder, weit entfernt, Mißmut oder Trostlosigkeit zu verbreiten, vielmehr die ganze Bevölkerung in eine Art freudigen Wahnsinns versetzte, der wieder etwas folternd Peinliches dadurch hatte, daß alle ihren Freudenrausch in die tiefste Brust zu verbergen gezwungen waren.

Verzögerte Hoffnung macht das Herz krank, und Mexiko war wirklich krank. Gezwungen, den verhaßten fremden Gewalthabern eine Ehrerbietung zu heucheln, die ihnen zur Pein wurde, und die Hoffnung baldiger Erlösung von ihrer Tyrannei in die Tiefe ihres Herzens zu begraben, waren nun Tausende und abermals Tausende den Mauern Mexikos entflohen und ausgezogen, um ihrem innern Drange zu gehorchen und sich wenigstens soviel als möglich dem Punkte zu nähern, wo ihre Freunde und Landsleute für die Freiheit des gemeinsamen Vaterlandes fochten und bluteten; die einzige Willensäußerung, die diesem Volke erlaubt war. Aber, gleichsam um dem allgemeinen Abscheu gegen die gesetzlosen Tyrannen wenigstens in etwas Luft zu machen, waren Hunderte von Kutschen an der Villa des Grafen von San Jago vorgefahren, um dem edlen Landsmanne und seiner Pflegetochter die allgemeine Sympathie auf eine recht deutliche Weise darzutun.


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