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Zwanzigstes Kapitel.

Peveril fand den Kapitän des Schiffs bei weitem nicht so roh, als Leute dieses Standes gewöhnlich sind, und erhielt von ihm völlige Befriedigung über das Schicksal Fenella's, über welche der Seemann einen herzlichen Fluch ausstieß, daß sie ihn genöthigt hätte, beizulegen, bis er sein Boot an's Ufer geschickt hatte, um sie zurück zu bringen.

»Ich hoffe,« sagte Peveril, »es war keine Gewalt nöthig, um sie zu bewegen, wieder an's Land zu gehen? Sie wird doch keinen thörichten Widerstand geleistet haben?«

»Widerstand? mein Gott!« sagte der Kapitän, »sie widerstand gleich einem Trupp Reiter, – sie schrie, man hätte sie zu Whitehaven hören können, – sie kletterte das Tackelwerk hinauf, wie eine Katze in einen Schornstein; aber das war ein Streich von ihrem alten Gewerbe.«

»Was meint Ihr damit?« fragte Peveril.

»O!« sagte der Seemann, »ich weiß mehr von ihr, als Sie, mein Herr. Ich weiß, daß sie ein kleines, sehr kleines Mädchen war, und Lehrling bei einem Seiltänzer, als die gnädige Frau dort das Glück hatte, sie zu kaufen.«

»Einem Seiltänzer?« sagte Peveril. »Wie so?«

»Ja, ja, bei einem Luftspringer, Marktschreier, Hanswurst u. dgl. Ich habe wohl gekannt Adrian Brackel, – er verkaufte die Pulver, den Magen der Leute auszuleeren, und seinen eigenen Beutel zu füllen. Nicht kennen Adrian Brackel, mein Gott! Ich habe manch Pfund Taback mit ihm geschmaucht.«

Peveril besann sich nun, daß Fenella in die Familie war gebracht worden, als er und der junge Graf in England waren, und während die Gräfin auf einer Reise auf dem Continent abwesend war. Wo die Gräfin sie gefunden hatte, das hatte sie den jungen Leuten nie gesagt, sondern bloß zu erkennen gegeben, daß sie aus Mitleiden sie angenommen, um sie aus einer äußerst betrübten Lage zu erretten.

Peveril erzählte dieß dem gesprächigen Seemann. Dieser sagte: von betrübter Lage wisse er nichts; sondern nur daß Adrian Brackel sie, wenn sie nicht auf dem Seile tanzen wollte, schlug, und er sie hungern ließ, um ihr Wachsthum zu hindern. Der Handel zwischen der Gräfin und dem Seiltänzer sei von ihm selbst geschlossen worden, weil die Gräfin seine Brigantine zu ihrer Fahrt auf den Continent gemiethet hätte. Niemand sonst wisse, woher sie komme. Die Gräfin habe sie auf einer öffentlichen Bühne zu Ostende gesehen, – sie wegen ihrer hülflosen Lage und harten Behandlung bedauert, – und durch ihn das arme Geschöpf von ihrem Herren kaufen lassen, ihm aber Verschwiegenheit gegen ihre ganze Dienerschaft geboten.

Diese Unterredung diente, alle flüchtige Zweifel zu heben, die sich bei Peveril über die Treue des Schiffherrn hätten einschleichen mögen, welcher ein ehemaliger Bekannter der Gräfin gewesen zu sein, und einen Theil ihres Zutrauens genossen zu haben schien.

Auf dem Verdecke hin- und hergehend überdachte er seine Aussichten, bis seine Aufmerksamkeit mit Gewalt durch den Wind angehalten wurde, welcher sich in Stößen aus Nordwest zu erheben anfing, und zwar der Richtung ihrer Fahrt so ungünstig, daß der Kapitän nach manchen Versuchen, dagegen zu kämpfen, erklärte, sein Boot könne nicht nach Whitehaven gehen, sondern er müsse, um den Wind zu benutzen, nach Liverpool fahren. Wider diese Richtung ihrer Fahrt wandte Peveril nichts ein. Sie ersparte ihm einen Theil der Landreise, im Fall er seines Vaters Schloß besuchte und der Auftrag der Gräfin auf diesem oder jenem Wege gleich wirksam vollzogen wurde.

Das Fahrzeug wurde also nach dem Wind gerichtet, und trieb mit großer Gleichförmigkeit und Schnelligkeit vorwärts. Der Kapitän legte jedoch, mit Vorgeben einiger Gefahr, bei, und steuerte nicht eher auf die Mündung des Mersey los, als am Morgen, da denn Peveril endlich das Vergnügen hatte, auf dem Kai von Liverpool zu landen.

Der Schiffskapitän, der mit dem Hafen wohl bekannt war, wies Julian ein anständiges Wirthshaus an, das häufig von Seefahrern besucht wurde; denn ob Julian gleich ehemals in der Stadt gewesen war, so fand er es doch nicht schicklich, jetzt an einen Ort zu gehen, wo er unnöthigerweise wieder erkannt würde. Hier nahm er von dem Kapitän Abschied, nachdem er ihm mit Mühe ein kleines Geschenk für seine Mannschaft aufgenöthigt hatte. Für die Ueberfahrt lehnte der Kapitän alle Bezahlung ab, und sie schieden im besten Vernehmen.

Das Wirthshaus, in das er empfohlen worden, war voll Fremder, Seeleute und Kaufleute, die alle, mit ihren Angelegenheiten beschäftigt, darüber mit dem Eifer und Getöse sprachen, dergleichen einem lebhaften Seehafen eigenthümlich ist. Allein ob gleich das allgemeine Geschrei der Gäste hauptsächlich auf ihre eigenen Handelsgeschäfte sich bezog, so mengte sich doch ein allgemeiner Gegenstand darein, welcher für alle ein gemeinsames Interesse hatte, so daß man unter dem Streit über Fracht, Tonnengeld, Wartegeld und dergleichen, die nachdrücklichen Ausrufungen hörte: »Ein weit greifendes, verdammtes, verfluchtes Complot,« – »blutige, papistische Schurken,« – »der König in Gefahr,« – »der Galgen ist zu gut für sie,« u. s. w.

Nach dem Wenigen, was Peveril von den Gesinnungen des Volks in Liverpool hörte, hielt er es für sehr klüglich gehandelt, wenn er den Ort sobald als möglich verließe, und ehe noch ein Verdacht entstände, daß er mit einer Partei, die so verrufen zu sein schien, einige Verbindung hätte.

Um seine Reise zu vollenden, mußte er für's Erste ein Pferd kaufen, und weil er ein guter Pferdekenner war, so wählte er ein starkes, wohlgebautes Pferd, gegen sechszehn Hände hoch, und ließ es sich in dem Hofe vorreiten, um zu sehen, ob sein Gang seinem Ansehen entspräche. Als dieser ganz zu seiner Zufriedenheit ausfiel, kam es nur noch darauf an, mit dem Roßhändler, Bridlesley geheißen, um den Preis einig zu werden; dieser schwur also seinem Kundmann zu, daß er auf das beste Pferd gefallen sei, das je in seinen Ställen gestanden habe, seitdem er den Roßhandel triebe; daß heut' zu Tage gar nicht mehr solche Pferde zu haben wären, da die Stuten, die sie geworfen, nicht mehr lebten, und nachdem er einen angemessenen Preis geboten, fing das gewöhnliche Handeln an.

Es ist bekannt, daß sich bei solchen Gelegenheiten immer Müssiggänger versammeln. Unter diesen war im gegenwärtigen Falle ein hagerer Mann, von geringerer als der gewöhnlichen Größe, und in gemeiner Kleidung, aber zuversichtlich in seinen Reden, durch die er sich als einen Kenner zeigte. Da der Preis des Pferdes gegen fünfzehn Pfund gesetzt war, – ein für jene Zeit sehr hoher Preis, – so war zunächst der des Sattels und Zaums zu bestimmen, und das erwähnte dünne, gemein aussehende Männchen fand zunächst eben so viel über diesen Gegenstand zu sagen, als über den andern. Weil seine Bemerkungen eine gewinnende und verbindliche Beziehung auf den Fremden hatten, so hielt ihn Peveril für einen jener müssigen Leute, welche, unfähig oder nicht geneigt, auf ihre eigene Kosten sich Mittel zum Genusse zu verschaffen, nicht abgeneigt sind, sie aus den Händen Anderer durch ein wenig dienstfertige Gefälligkeit zu verdienen, und im Betracht, daß er von einem solchen Manne einige nützliche Belehrung erhalten könnte, war er eben im Begriff, ihm ein Trinkgeld zu einem Frühstück zu geben, als er sah, daß er plötzlich den Hof verlassen hatte. Kaum hatte Peveril diesen Umstand bemerkt, als eine Partie Kundleute auf den Platz kam, deren stolze Miene die Aufmerksamkeit Bridlesley's und der ganzen Schaar seiner Reitknechte und Stalljungen augenblicklich auf sich zog.

»Drei gute Pferde,« sagte der Anführer der Gesellschaft, ein langer, starker Mann; – »drei gute, tüchtige Pferde für das Unterhaus von England.«

Bridlesley sagte: er habe einige Pferde, die dem Sprecher selbst im Nothfall dienen könnten; aber, die christliche Wahrheit zu sagen, das beste in seinem Stalle habe er eben dem gegenwärtigen Herrn verkauft, der jedoch ohne Zweifel den Handel aufgeben würde, wenn das Pferd zum Dienste des Staats nothwendig wäre.

»Sehr wohl gesprochen, Freund,« sagte die wichtige Person, und näherte sich Julian, von dem er in sehr stolzem Tone die Abtretung des eben gemachten Kaufs verlangte.

Peveril unterdrückte mit einiger Ueberwindung seine starke Neigung, eine solche unbillige Forderung rund abzuschlagen; besann sich aber glücklicherweise, daß seine gegenwärtige Lage viel Umsicht forderte, und antwortete daher einfach: wenn man ihm eine Vollmacht zeige, Pferde zum öffentlichen Dienst in Beschlag zu nehmen, so werde er dem zu Folge auf seinen Kauf Verzicht thun.

Der Mann zog mit äußerst vornehmer Miene aus seiner Brieftasche eine Vollmacht, die er Peveril übergab, und welche von dem Sprecher des Unterhauses unterschrieben war, und Carl Topham berechtigte, gewisse in der Vollmacht genannte Personen zu verfolgen und aufzugreifen, so wie auch alle andere Personen, die durch gültige Zeugen angeklagt wären, oder werden würden, Mitverschworne oder Begünstiger des höllischen und verdammungswürdigen päpstischen Complots zu sein, das in dem Herzen des Königreichs angestiftet worden; und welche alle Menschen, die ihre Unterthanenpflicht lieben, verpflichtet, dem erwähnten Carl Topham ihren bereitwilligsten und wirksamsten Beistand in Ausführung der seiner Sorge anvertrauten Pflicht zu leisten.

Nachdem er die Urkunde gelesen, stand Julian nicht an, sein Pferd dem Bevollmächtigten hinzugeben. Dieß erwarb ihm einige Gnade in den Augen des Abgeordneten. Dieser gab, ehe er ein Paar Pferde für seine Begleiter auslas, dem Fremden Erlaubniß, einen Grauschimmel zu kaufen, der zwar an Gestalt und Tüchtigkeit dem zurückgegebenen Pferde sehr nachstand, aber doch nur um sehr weniges niedriger im Preise war, da Bridlesley, sobald er die Forderung von Pferden von Seiten des englischen Unterhauses erfahren hatte, bei sich selbst den Entschluß faßte, den Preis seiner ganzen Stuterei durch eine Zulage von wenigstens zwanzig Procent zu erhöhen.

Peveril bestimmte und bezahlte den Preis mit viel weniger Umständen, als vorher, denn, um es dem Leser gerade herauszusagen, er hatte in Topham's Verhaftsbefehl den Namen seines Vaters, Ritter Gottfried Peveril's vom Schlosse Martindale, als eines von denen gelesen, die dieser Beamte zu verhaften berechtigt wäre.

Als Julian sich von dieser Thatsache überzeugte, ward es ihm zu dringender Angelegenheit, Liverpool sogleich zu verlassen, und die beunruhigende Nachricht nach Derbyshire zu bringen, wofern nicht Topham seinen Auftrag dort schon vollzogen hätte, was er jedoch nicht wahrscheinlich fand, da sie vermuthlich sich zuerst Derer versichern würden, welche den Seehäfen am nächsten wohnten. Einige Worte, die er beiläufig hörte, bestärkten seine Hoffnungen.

»Und hört Ihr, Freund,« sagte Topham, »Ihr werdet die Pferde bei Herrn Shortell, dem Seidenhändler, in zwei Stunden vor die Thüre führen lassen, weil wir uns da mit einem kühlen Kruge erfrischen und erfahren wollen, was für Leute in der Gegend leben, auf die sich meine Geschäfte beziehen könnten. Und Ihr werdet so gut sein, den Sattel polstern zu lassen; denn die Wege in Derby sind holperig, wie ich höre.«

Peveril hatte so eben seinen Kauf in's Reine gebracht, und führte endlich seinen Grauschimmel fort; war aber kaum aus dem Hofe, als er folgende beunruhigende Unterredung hörte, deren Gegenstand er selbst zu sein schien.

»Wer ist der junge Mann?« fragte Einer; »mich deucht, ich habe ihn schon vorher irgendwo gesehen. Ist er aus dieser Gegend?«

»Nein, so viel ich weiß,« antwortete Bridlesley in unterwürfigem Tone. »Ein Fremder, – ein völlig Fremder, – ich habe ihn noch nie gesehen, – versteht sich aber auf eines Pferdes Maul so gut als ich.«

»Es fängt mich an zu bedünken, ich sah ein solch Gesicht, wie seines, im Wirthshause zum weißen Roß,« antwortete ein Anderer.

»Und ich glaube,« sprach ein Dritter –

»Laßt es gut sein,« unterbrach ihn Topham mit gebieterischem Tone. »Der junge Mann ist ein Bursche von hübschem Ansehen, und gab mit Artigkeit sein Pferd hin für den Dienst des Unterhauses. Er weiß sich gegen seine Obern gut zu benehmen, das kann ich Euch versichern, und ich glaube kaum, daß er so viel in seiner Börse hat, die Gebühren zu bezahlen.«

Hiermit endete das Gespräch, das Peveril, als ihn so nah' angehend, rathsam gefunden hatte, auszuhören. – Nunmehr hielt er es für das Beste, unbemerkt aus der Stadt zu gehen, und den nächsten Weg zu seines Vaters Hause zu nehmen. Er hatte seine Rechnung im Wirthshause berichtigt, und zu Bridlesley seinen kleinen Mantelsack mitgebracht, der seine wenigen Bedürfnisse enthielt, so daß er nicht nöthig hatte, dorthin zurück zu kehren. Er beschloß daher einige Meilen zu reiten, ohne, selbst um der Fütterung des Pferdes willen, anzuhalten, und da er mit der Gegend ziemlich bekannt war, hoffte er früher zum Schloß Martindale zu gelangen, als Topham, dessen Sattel für's Erste gepolstert werden mußte, und der, wenn er aufgesessen, aller Wahrscheinlichkeit nach, behutsam reiten würde, um sich gegen die Wirkungen eines scharfen Trotts zu sichern.

In dieser Stimmung ritt Julian nach Warrington, einem Ort, der ihm wohl bekannt war; doch, ohne in der Stadt zu halten, überquerte er den Mersey über die von einem Vorfahren seines Freundes, des Grafen von Derby, erbaute Brücke, und setzte seinen Weg nach Dishley, an den Gränzen von Derbyshire, fort. Er hätte dieses Dorf leicht erreichen können, wäre sein Pferd zu einem starken Ritt tüchtiger gewesen; aber im Verlauf der Reise hatte er mehr als einmal Anlaß, den Beamten zu verwünschen, der ihm das bessere Pferd abgenommen hatte. Endlich mußte er bei Altringham nothgedrungen halten, und er stieg an dem Wirthshause zur Katze und Geige ab, das eine sichere, wenn nicht bessere Herberge, als in einem besuchteren Gasthofe, versprach.



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