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Zweites Kapitel.

Was immer für Belohnungen der König Carl Peveril'n für seine Anhänglichkeit zu ertheilen geruhen mochte, er hatte keine zu seiner Verfügung, die der Freude gleich kamen, welche die Vorsehung dem Major Bridgenorth bei seiner Zurückkunft nach Derbyshire vorbehalten hatte. Die Thätigkeit, zu der er ermuntert worden war, hatte die gewöhnliche Wirkung, die Stärke und Thatkraft seines Charakters bis auf einen gewissen Grad zu beleben, und er fühlte, wie unziemlich es sein würde, in den Zustand der in sich gekehrten Schwermuth zurückzufallen, aus dem er erweckt worden war. Die Zeit hatte auch ihre bekannte lindernde Kraft bei seinem Gram bewiesen, und als er einen Tag in Moultrassie-Hall mit Bedauern zugebracht hatte, daß er keine mittelbare Nachricht von dem Gesundheitszustande seiner Tochter, wie sie ihm Peveril bei seinem täglichen Zuspruch gab, erhalten konnte, erwog er, es möchte in jeder Hinsicht schicklich sein, einen persönlichen Besuch im Schloß Martindale abzustatten, den Gruß des Ritters an seine Gemahlin auszurichten, ihr von seinem Wohlsein Versicherung zu geben, und sich selbst über das Wohlbefinden seiner Tochter zufrieden zu stellen. Er machte sich auf das Schlimmste gefaßt, und dachte an die schmalen Wangen, das eingefallene Auge, die abgezehrte Hand, die bleiche Lippe, die traurigen Zeichen der sinkenden Gesundheit aller seiner vorigen Kinder.

Er begab sich daher am folgenden Morgen nach dem Schlosse Martindale, und ertheilte der Lady willkommene Versicherungen von dem Wohlbefinden ihres Gemahls und von dessen Hoffnungen auf Beförderung.

»Für das Erste,« sagte Lady Peveril, »sei der allmächtige Gott gepriesen, und das Zweite erfolge, wie es unserm gnädigen, wieder eingesetzten Landesherrn gefallen wird. Wir stehen hoch genug für unser Vermögen, und haben Vermögen genug, wenn nicht um glänzen, doch um zufrieden leben zu können. Und nun sehe ich, Herr Bridgenorth, wie thöricht es ist, eiteln bösen Ahnungen Glauben beizumessen. So oft hatten Ritter Peveril's Unternehmungen zu Gunsten der Stuarte ihn in neues Unglück gebracht, daß ich, als ich ihn neulich am andern Morgen wieder in seiner leidigen Rüstung sah und den Schall seiner lange verstummten Trompete wieder hörte, sein Sterbehemd zu sehen und seine Todtenglocke zu hören wähnte. Ich sage Euch dies, Herr Nachbar, um so mehr, weil ich fürchte, Ihr ängstigt Euch gleichfalls durch solche Ahnungen bevorstehenden Unglücks, das Gott bei Euch abzuwenden gefallen möge, wie bei mir.«

Die Zimmerthüre öffnete sich, während sie noch sprach, und zwei liebe Kinder traten herein. Das älteste, Julian Peveril, ein schöner Knabe zwischen vier und fünf Jahren, führte mit Anstand und Aufmerksamkeit ein kleines Mädchen von achtzehn Monaten an der Hand, welches sich mit Mühe an ihrem ältern und stärkern Führer aufrecht erhielt.

Bridgenorth warf einen hastigen, furchtsamen Blick auf das Ansehen seines Töchterchens, und bemerkte mit ausnehmender Freude, daß seine Besorgnisse ungegründet waren. Er nahm sie in die Arme, drückte sie an sein Herz, und das Kind, anfangs zwar durch die Heftigkeit seiner Liebkosungen erschreckt, erwiederte sie nun, wie durch Eingebung der Natur, mit Lächeln. Nun hielt er sie wieder in einiger Entfernung von sich und blickte sie aufmerksamer an; es freute ihn, daß die Farbe des kleinen Engels, den er in den Armen hatte, nicht die hektische Blässe, sondern die muntere Farbe der Gesundheit war, und daß ihr Körper, ob zwar zart und schmächtig, doch Festigkeit und Muskelkraft verrieth.

»Ich hätte nicht geglaubt, daß es so sein könnte,« sagte er, indem er Lady Peveril ansah, welche sich gesetzt hatte, und den Auftritt mit großem Vergnügen beobachtete; »aber Gott sei Preis vor Allem, und dann zunächst Dank Euch, edle Frau, die Ihr sein Werkzeug gewesen seid!«

»Julian wird nun wohl seine Gespielin verlieren? vermuthe ich,« sagte Lady Peveril. »Aber Moultrassie-Hall ist nicht weit, und ich werde meine kleine Pflegbefohlene oft sehen. Martha, die Haushälterin zu Moultrassie, ist eine verständige, sorgfältige Frau. Ich will ihr Vorschriften geben, wie sie die kleine Alexie behandeln muß, und –«

»Gott verhüte, daß meine Tochter je wieder nach Moultrassie komme,« fiel Major Bridgenorth hastig ein; »es ist das Grab ihres Geschlechts gewesen. Die Luft der tiefen Gründe bekam ihnen nicht – oder es ruht vielleicht ein Fluch auf dem Hause. Ich will ihr einen andern Aufenthaltsort aufsuchen.«

»Das sollt Ihr nicht, wenn ich mich unterstehen darf, so zu sprechen, Herr Major. Thätet Ihr es, so müßten wir annehmen, daß Ihr mich für untauglich haltet, die Pflegerin des Kindes zu sein. Wenn das Kind nicht in des Vaters Haus geht, so soll es in dem meinigen bleiben, und da Ihr die Dünste der niedern Gründe fürchtet, so werdet Ihr hoffentlich oft hieher kommen, sie zu besuchen.«

Es ist bekannt, daß Diejenigen, deren Familien lange durch eine so verhängnißvolle Krankheit verfolgt werden, als in der seinigen geherrscht hatte, gleichsam abergläubisch in Hinsicht ihrer tödtlichen Wirkungen werden, und dem Ort, den Umständen, und der eigenthümlichen Pflege vielleicht weit mehr zuschreiben, als durch dieselben zur Abwendung der gefährlichen Folgen einer krankhaften Constitution in irgend einem Falle beigetragen werden kann. Lady Peveril wurde diesen Eindruck bei ihrem Nachbar wohl gewahr; sie sah, daß seine Niedergeschlagenheit, das Uebertriebene seiner Sorge, das Fieberhafte seiner Befürchtungen, die Zurückgezogenheit und düstere Einsamkeit, worin er lebte, gerade das Uebel herbeiführen mußten, welches er unter allen am meisten fürchtete. Sie bedauerte ihn, sie war dankbar für den ehemals aus seinen Händen empfangenen Schutz; – sie war durch eigenes Interesse an das Kind selbst geknüpft worden. Welches weibliche Wesen fühlte sich nicht zu dem hülflosen Geschöpf hingezogen, das es gepflegt und aufgezogen hat? Und überdies besaß sie auch ihren Theil menschlicher Eitelkeit, und war stolz darauf, durch ihre eigene Geschicklichkeit die wahrscheinlichen Anfälle der in der Bridgenorth'schen Familie so eingewurzelten Erbkrankheit abgehalten zu haben.

Major Bridgenorth selbst fühlte dies, und während die Freudenthräne in seinem Auge verrieth, wie gern er den Vorschlag der Lady Peveril annähme, so konnte er sich doch nicht enthalten, die ihren Plan begleitenden Ungelegenheiten zu bemerken, wiewohl in dem Tone Dessen, der sich gern widerlegen läßt. »Edle Frau,« sagte er, »Eure Güte macht mich zu einem der glücklichsten und dankbarsten Männer; aber kann sie mit Eurer eigenen Bequemlichkeit bestehen? Euer Gemahl hat über manche Punkte seine eigenen Meinungen, die von den meinigen abwichen und wahrscheinlich noch abweichen. Er ist von hoher Geburt, ich bin vom Mittelstande. Er hält sich an den Gottesdienst der Englischen Kirche, ich bin Presbyterianer. –«

»Ich hoffe,« fiel ihm Lady Peveril in's Wort, »Ihr werdet bei keiner von beiden Lehren verboten finden, daß ich Eurem verwaisten Kinde Mutter sein möge. Ich hoffe, Herr Bridgenorth, die erfreuliche Wiedereinsetzung seiner Majestät, ein von der Hand der Vorsehung unmittelbar gewirktes Werk, werde das Mittel sein, alle bürgerlichen und religiösen Mißhelligkeiten unter uns zu heben und aufzulösen; ich glaube, statt eine höhere Reinheit unseres Glaubens durch Verfolgung der über Lehrmeinungen anders Denkenden zu beweisen, werden wir seinen wahren christlichen Zweck dadurch zu zeigen streben, daß wir unter einander in Handlungen der Menschenliebe wetteifern, und so am besten unsere Liebe zu Gott an den Tag legen.«

»Edle Frau,« antwortete Bridgenorth, welcher von der Engherzigkeit seiner Zeit selbst nicht frei war, »Ihr sprecht, was Euer eigenes gutes Herz Euch eingibt, und ich bin gewiß, wenn Alle, die sich Königlichgesinnte nennen, so dächten, wie Ihr und mein Freund, Ritter Peveril (dies setzte er nach einer augenblicklichen Pause hinzu, indem es vielleicht mehr Schmeichelei als Ueberzeugung war), so würden wir, die wir in vergangener Zeit es für unsere Pflicht hielten, für Gewissensfreiheit und wider willkührliche Gewalt die Waffen zu ergreifen, nunmehr in Frieden und Zufriedenheit leben. Allein ich weiß nicht, wie es ausfallen mag. Ihr habt heftige und hitzige Köpfe unter Eurer Partei; ich will nicht sagen, daß unsere Macht immer mit Mäßigung gebraucht worden sei, und Rache ist süß dem Geschlecht des gefallenen Adam.«

»Wohl, Herr Bridgenorth,« sagte Lady Peveril, »diese schlimmen Prophezeiungen verrathen nur Schlüsse, die, wenn sie nicht schon auf unsichern Voraussetzungen ruhten, doch höchst wahrscheinlich nicht in Erfüllung gehen. Ihr wißt, was Shakespeare sagt:

Den Eber flieh'n, eh' er uns noch verfolgt,
Hieß', ihn uns zu verfolgen reizen,
Zur Jagd ihn locken, der nicht jagen mag.

Doch verzeiht, – es ist so lange her, daß wir einander nicht gesehen haben, und ich vergaß, daß Ihr kein Freund von Schauspielen seid.«

»Mit Verlaub, gnädige Frau,« erwiederte Bridgenorth, »Tadel verdiente ich, wenn ich die eitlen Worte eines Warwickshirer Komödianten nöthig hätte, um zur Dankbarkeit gegen Euch bei dieser Gelegenheit ermahnt zu werden, da mich diese Pflicht lehrt, mich Eurer Leitung in allen Dingen zu überlassen, die mir mein Gewissen erlaubt.«

»Weil Ihr mir solchen Einfluß einräumt,« versetzte Lady Peveril, »so will ich auch nur mäßigen Gebrauch davon machen, um bei Euch, auf meinem Gebiete wenigstens, von der neuen Ordnung der Dinge einen vortheilhaften Eindruck zu erregen. So will ich, wenn Ihr auf einen Tag mein Unterthan sein wollt, Major, auf den Befehl meines Mannes, eine Einladung an die ganze Nachbarschaft zu einem hohen Fest im Schlosse für nächsten Donnerstag ergehen lassen, und bitte Euch, nicht allein persönlich zu erscheinen, sondern auch Euren würdigen Pfarrer, Eure Nachbarn und Freunde, hohe und niedrige, welche denken wie Ihr, zu der übrigen Gesellschaft zu bringen, um bei der glücklichen Wiedereinsetzung des Königs ein gemeinschaftliches Freudenfest zu feiern, und dadurch zu zeigen, daß wir nunmehr ein vereinigtes Volk sein sollen.«

Der dem Parlament ergebene Major war durch diesen Auftrag und Vorschlag nicht wenig in Verlegenheit gesetzt. Er sah auf und nieder und um sich her, bis sein Blick auf sein Kind fiel, welches ihm andere und bessere Gedanken eingab, als Decke und Fußboden es zu thun vermochten.

»Gnädige Frau,« sagte er, »ich bin lange her Festlichkeiten fremd geworden, vielleicht aus einem natürlichen Hange zur Schwermuth, vielleicht durch die unvermeidliche Niedergeschlagenheit eines verlassenen, der Seinigen beraubten Mannes, in dessen Ohren die Freude mißtönt, wie eine liebliche Melodie auf einem verstimmten Instrument. Aber obgleich meine Gedanken und mein Temperament weder jovialisch noch mercurialisch sind, so ziemt es mir doch, dem Himmel dankbar zu sein für das Gute, das er mir durch Euch, gnädige Frau, hat zu Theil werden lassen. David, der Mann nach Gottes Herzen, wusch sich und aß Brod, als sein geliebtes Kind ihm entrissen wurde, – das meinige ist mir wiedergegeben; und sollte ich nicht Dankbarkeit beweisen bei einem Segen, wenn er Ergebenheit in Trübsal zeigte? Ich nehme Eure Einladung bereitwillig an, gnädige Frau, und diejenigen Freunde, über die ich etwas vermag, und deren Gegenwart Ihr wünschen könnt, sollen mich zu dem Fest begleiten, damit unser Israel wie ein Volk sei.«

Nachdem er diese Worte mehr mit dem Ansehen eines Märtyrers, als eines zu einem Fest gebetenen Gastes, gesprochen, und seine Tochter geküßt und feierlich gesegnet hatte, nahm er Abschied und kehrte nach Moultrassie-Hall zurück.



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