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Zwölftes Kapitel.

Julian hatte seine Zuneigung so befestigt, daß er in vollem Maaße des Widerstandes gewärtig sein mußte, welchen frühzeitige Anhänglichkeiten so oft finden. Doch war nichts natürlicher, als daß er so handelte. Vor einiger Zeit war Deborah zufällig dem Sohne ihrer ersten Gönnerin, welcher auch selbst früher ihr Pflegling gewesen war, begegnet, als er eben in dem erwähnten kleinen Bache angelte, welcher das Thal wässerte, in dem sie mit Alexie Bridgenorth wohnte. Ihre Neugierde entdeckte leicht, wer er war; und außer dem Antheil, welchen Personen ihres Standes gewöhnlich an jungen Leuten nehmen, die unter ihrer Pflege gewesen sind, erfreute sie auch die Gelegenheit, von vorigen Zeiten, vom Schloß Martindale und von dortigen Freunden, von dem Ritter Peveril, und von der gnädigen Frau, und dann und wann von Launce Outram, dem Parkaufseher oder Förster, plaudern zu können.

Das bloße Vergnügen, ihre Nachfragen zu beantworten, würde schwerlich allein Julian vermocht haben, seine Besuche in dem einsamen Thale zu wiederholen; aber Deborah hatte eine Gesellschafterin – ein reizendes Mädchen, in der Einsamkeit erzogen, und in den ruhigen und anspruchlosen Neigungen, welche die Einsamkeit ermuntert; auch belebt und wißbegierig; und aufmerksam mit lächelnder Wange und lauschendem Auge auf jede Erzählung horchend, die der junge Angler von der Stadt und vom Schlosse mitbrachte.

Julian's Besuche in Blackfort waren bloß gelegentlich – so weit zeigte Deborah richtiges Gefühl – da sie vielleicht, im Fall der Entdeckung, ihre Stelle zu verlieren fürchtete. Sie setzte freilich großes Vertrauen in den starken und eingewurzelten Glauben – der fast in Aberglauben überging – welchen Major Bridgenorth hegte, daß die fortwährende Gesundheit seiner Tochter allein dadurch sicher erhalten werden könnte, wenn sie unter der Aufsicht einer Person bliebe, welche die vermeinte Geschicklichkeit erlangt hatte, schwächliche Constitutionen dieser Art zu behandeln. Diesen Glauben hatte Deborah mit all ihrer Klugheit zu verstärken gewußt, indem sie stets in prophetischem Tone von ihrer Gesundheitspflege sprach, und auf gewisse geheimnißvolle Regeln hindeutete, die sie beobachte, um Alexiens Wohlbefinden in dem gegenwärtigen günstigen Zustande zu erhalten. Sie hatte sich dieses Kunstgriffs bedient, um sich und Alexien eine besondre Einrichtung und Wohnung in Blackfort zu verschaffen; denn ursprünglich war es Bridgenorth's Vorsatz, daß seine Tochter und ihre Wärterin unter dem nämlichen Dache mit der Schwägerin seiner verstorbenen Frau, der Wittwe des unglücklichen Oberst Christian, bleiben sollten. Bei einem kurzen Besuche aber, welchen Bridgenorth auf der Insel machte, wurde er leicht veranlaßt, ihr Haus zu Kirk-Truagh als einen sehr freudelosen Aufenthalt seiner Tochter zu betrachten. Deborah, welche nach häuslicher Unabhängigkeit verlangte, suchte diesen Eindruck zu verstärken, indem sie seine Besorgnisse wegen Alexiens Gesundheit vermehrte. »Das Haus von Kirk-Truagh,« sagte sie, »ist den schottischen Stürmen sehr bloß gestellt, die nur kalt sein können, da sie aus einem Lande kommen, wo es selbst mitten im Sommer Schnee und Eis gibt.« Kurz, sie drang durch, und gelangte in vollen Besitz von Blackfort, einem Hause, welches eben sowohl, als Kirk-Truagh, ehemals dem Obersten Christian, und nun seiner Wittwe gehörte.

Immer war es jedoch ihr und Alexien zur Pflicht gemacht, Kirk-Truagh von Zeit zu Zeit zu besuchen, und sich als unter der Leitung und Vormundschaft der Wittwe Christian zu betrachten – ein Zustand der Unterwürfigkeit, dessen Gefühl Deborah dadurch zu vermindern suchte, daß sie sich so viel Freiheit des Verhaltens, als sie nur wagen durfte, herausnahm.

Diese edle Neigung, sich über beschränkende Aufsicht hinweg zu setzen, war es, welche sie bewog, für Alexie insgeheim einige Erziehungsmittel herbei zu schaffen, welche der strenge Geist des Puritanismus verbannt haben würde. Sie wagte es, ihren Zögling in Musik, ja selbst im Tanzen unterrichten zu lassen; und das Bildniß des ernsten Oberst Christian zitterte an dem Täfelwerk, wo es hing, während die schlanke Alexie und die wohlbeleibte Deborah französische Chassés und Bourrées nach dem Takt einer kleinen Geige tanzten, die Pigal, der halb Schleichhändler und halb Tanzmeister war, strich. Dieser Gräuel kam der Wittwe des Obersten zu Ohren, und wurde von ihr Bridgenorth hinterbracht, dessen plötzliche Erscheinung auf der Insel bewies, welche Wichtigkeit er auf diese Mittheilung legte. Hätte Deborah treulos in ihrer eigenen Sache gehandelt, so wäre dieß die letzte Stunde ihres Amts gewesen. Aber sie zog sich in ihre Festung zurück.

»Tanzen,« sagte sie, »ist Leibesbewegung, durch Musik geordnet und abgemessen; und die gesunde Vernunft lehrt, daß es die beste aller Leibesbewegungen für eine zarte Person sein muß, besonders, da sie im Hause und bei allem Wetter vorgenommen werden kann.«

Bridgenorth horchte, mit finsterer und bedenklicher Miene, als Deborah, zur Erläuterung ihrer Lehre, auf der Viole, die sie nicht schlecht spielte, Sellenger's Rundgesang zu geigen anfing, und Alexie einen altenglischen Tanz nach dieser Melodie tanzen hieß. Als sich das halb verschämte, halb lächelnde, etwa vierzehnjährige Mädchen anmuthig zu der Musik bewegte, folgte des Vaters Auge unwiderstehlich dem leichten Schwunge ihrer Schritte, und bemerkte mit Freude die höhere Farbe auf ihren Wangen. Als der Tanz vorüber war, nahm er sie in seine Arme, strich ihre etwas verstörten Locken mit zärtlicher Vaterhand aus dem Gesicht, lächelte, küßte ihre Stirne, und nahm Abschied, ohne ein Wort weiter zu sagen, das die Uebung im Tanzen verboten hätte. Er theilte das Ergebniß seines Besuchs im Blackfort nicht selbst der Frau Christian mit, sondern sie erfuhr es bald nachher durch Deborens Triumph bei ihrem nächsten Besuch.

»Es ist gut,« sagte sie; »mein Bruder Bridgenorth hat Euch erlaubt, eine Herodias aus Alexien zu machen, um sie das Tanzen zu lehren. Ihr habt ihr nur noch einen Lebensgefährten auszusuchen; ich will und werde mich mit diesen Sachen nicht weiter befassen.«

In diesem unabhängigen Zustande, worin sie nun lebten, war es, als Julian zum ersten Mal ihre Wohnung besuchte; und er wurde um so mehr durch Deborah dazu aufgemuntert, weil sie ihn für einen der letzten in der Welt hielt, mit welchem Frau Christian ihre Nichte bekannt zu werden gewünscht haben würde, wobei der glückliche Geist des Widerspruchs bei der Deborah, hier, wie bei andern Gelegenheiten, sich über alle Betrachtung der Schicklichkeit hinwegsetzte. Sie verfuhr jedoch nicht ganz ohne Vorsicht. Sie wußte, daß sie nicht bloß vor einem wieder aufwachenden Interesse von Seiten der Frau Christian, sondern auch gegen Bridgenorth's plötzliche Ankunft sich vorzusehen hatte, welcher nie verfehlte, einmal im Jahr, wann man es am wenigsten erwartete, in Blackfort zu erscheinen, und einige Tage da zu verweilen. Deborah verlangte also von Julian, daß seine Besuche selten, und in weiten Zwischenzeiten statt fänden; daß er sich gefallen ließe, für einen aus ihrer eigenen Verwandtschaft in den Augen zwei unwissender Mädchen und eines Burschen der Insel Man zu gelten, welche zu ihrer Haushaltung gehörten, und daß er stets in seiner Anglertracht erschiene. Unter diesen Vorsichtsmaaßregeln, glaubte sie, würde seine Vertraulichkeit auf Blackfort gänzlich unbemerkt bleiben, oder als gleichgültig betrachtet werden, indeß sie ihrem Zögling und ihr selbst viel Vergnügen verschaffte.

Dieß war demnach der Fall während der frühern Zeit ihres Umganges, als Julian noch ein Knabe, und Alexie nur zwei oder drei Jahre jünger war. Als aber der Knabe zum Jüngling emporwuchs, und das Mädchen mannbar ward, sah selbst Deborah Gefahr bei ihrer fortgesetzten Vertraulichkeit. Sie nahm daher Gelegenheit, Julian zu sagen, wer Alexie eigentlich wäre, und ihm die besondern Umstände, welche ihre Väter entzweiten, zu erklären. Er hörte die Geschichte ihres Streits mit Theilnahme und Verwunderung an; denn er hatte sich bloß gelegentlich im Schloß Martindale aufgehalten, und Bridgenorth's Streit mit seinem Vater war nie in seiner Gegenwart erwähnt worden. Seine Einbildungskraft fing Feuer von den Funken, welche diese sonderbare Geschichte gab; und weit entfernt, Deborens kluger Vorstellung Gehör zu geben, und sich allmählig von Blackfort und seiner holden Bewohnerin zu entfremden, erklärte er offen, er betrachte ihre hier so zufällig entstandene Vertraulichkeit als ein Zeichen des Willens des Himmels, daß Alexie und er für einander bestimmt seien, trotz allem Hinderniß, welches Leidenschaft oder Vorurtheil zwischen ihnen erheben könnte. Sie waren Gefährten der Kindheit gewesen; und ein wenig Anstrengung des Gedächtnisses setzte ihn in Stand, sich seines kindischen Grams über das plötzliche und unerwartete Verschwinden seiner kleinen Gefährtin zu erinnern, welche er in der frühen Blüthe ihrer sich entfaltenden Schönheit, in einer ihnen beiden zuvor fremden Gegend wieder zu treffen bestimmt war.

Deborah war betreten über die Folgen ihrer Eröffnung, welche die Leidenschaft entflammt hatte, anstatt sie, wie sie hoffte, zu verhindern oder zu ersticken. Sie hatte nicht die Gabe, männlichen und kräftigen Gegenvorstellungen leidenschaftlicher Anhänglichkeit, sie mochten ihr in ihrer eigenen oder in eines Andern Angelegenheit gemacht werden, Widerstand zu leisten. Sie klagte und wunderte sich, und endigte ihren schwachen Widerstand mit Weinen, mit Theilnahme, und mit Bewilligung der ferneren Besuche Julian's, vorausgesetzt, daß er sich an Alexie nur in der Eigenschaft eines Freundes wendete; denn um Alles in der Welt willen wollte sie sich zu nichts mehr verstehen.

Die Besuche des jungen Anglers wurden immer häufiger; und Deborah sah voll Verlegenheit zwar alle Gefahren der Entdeckung, und daneben das Wagniß einer Erklärung zwischen Alexie und Julian vorher, welche nothwendig ihr gegenseitiges Verhältniß noch zarter machen mußte; aber sie fühlte sich durch den Enthusiasmus des jungen Liebhabers überwältigt, und war genöthigt, die Dinge ihrem Laufe zu überlassen.

Julian's Abreise auf den Continent unterbrach seine vertrauten Besuche auf Blackfort, und während sie Deborah von vieler geheimen Besorgniß befreite, verbreitete sie einen solchen Ausdruck von Erschlaffung und Niedergeschlagenheit über Alexien, welcher Bridgenorth's Besorgnisse bei seinem nächsten Besuche auf der Insel Man wegen der Kränklichkeit seiner Tochter erneuerte.

Deborah versprach zuversichtlich, sie sollte den nächsten Morgen besser aussehen; und sie hielt Wort.

Sie hatte einige Zeit einen Brief in ihrem Besitze behalten, den Julian geschickt hatte. Deborah hatte die Folgen gefürchtet, denselben als einen Liebesbrief zu übergeben; allein, wie bei dem Fall des Tanzes, konnte es hier nicht schaden, ihn als ein Heilmittel zu gebrauchen.

Dieß hatte vollkommene Wirkung; und am nächsten Morgen schmückte die Wangen des Mädchens eine Rosenfarbe, die ihren Vater so erfreute, daß er, als er wieder zu Pferde stieg, Deboren seine Börse in die Hand warf, mit der Bitte, sie möchte nichts sparen, was sie und seine Tochter glücklich machen könnte, und mit der Versicherung seines vollen Vertrauens.

Dieser Beweis von Freigebigkeit und Zutrauen bei einem Manne von Bridgenorth's zurückhaltendem und mißtrauischem Charakter beflügelte Deborens Hoffnungen in hohem Grade, und machte sie nicht nur so kühn, Alexien einen andern Brief von Julian zu übergeben, sondern auch den Umgang der Liebenden, als Peveril von der Reise zurückgekommen war, dreister und freier zu begünstigen.

Trotz aller Vorsicht Julian's ward am Ende der junge Graf Derby argwöhnisch über seine häufigen Angelpartien; und Julian selbst, nun besser, als vorher mit der Welt bekannt, merkte wohl, daß seine wiederholten Besuche und einsamen Spaziergänge mit einem so jungen und schönen Wesen, als Alexie, nicht nur vor der Zeit das Geheimniß seiner Anhänglichkeit verrathen, sondern auch ihr selbst, als deren Gegenstande, wesentlich nachtheilig werden möchten.

Aus dieser Ueberzeugung enthielt er sich eine ungewöhnliche Zeit lang seiner Besuche in Blackfort. Das nächste Mal aber, als er sich wieder erlaubte, eine Stunde an dem Orte zuzubringen, wo er gern für immer sich aufgehalten hätte, drang Alexiens verändertes Wesen, der Ton, in dem sie ihm seine Lässigkeit vorzuwerfen schien, ihm in's Herz, und beraubte ihn der Macht der Selbstbeherrschung, die er bisher bei ihren Zusammenkünften bewiesen hatte. Es bedurfte nur weniger kräftiger Worte, Alexien zugleich seine Gefühle zu erklären, und sie mit der wirklichen Beschaffenheit der ihrigen bekannt zu machen. Sie weinte viel, aber ihre Thränen waren nicht alle bitter. Sie saß leidentlich still und ohne zu antworten, während er ihr mit manchem Ausruf die Umstände erklärte, welche Zwietracht zwischen ihre Familien gebracht hätten; denn bisher war Alles, was sie wußte, daß der junge Peveril, indem er zu dem Hause der großen Gräfin oder Gebieterin von Man gehörte, einige Vorsicht im Besuchen eines Verwandten des unglücklichen Obersten Christian beobachten mußte. »Mein armer Vater!« rief sie aus, als Julian seine Erzählung mit den wärmsten Betheuerungen ewiger Liebe schloß. »Und mußte dieß,« fuhr sie fort, »das Ende aller deiner Vorsichtsmaaßregeln sein? – dieß, daß der Sohn dessen, der dich beschimpfte und verbannte, eine solche Sprache zu deiner Tochter führen sollte?«

»Ihr irrt, Alexie, Ihr irrt,« sagte Julian eifrig. »Daß ich diese Sprache führe, daß der Sohn Peveril's so die Tochter Eures Vaters anredet – daß er so vor Euch knieet um Vergebung der Beleidigungen, welche statt fanden, als wir beide noch Kinder waren, das zeigt den Willen des Himmels, daß in unserer Zärtlichkeit die Zwietracht unsrer Väter erstickt werden soll. Was anders konnte diejenigen leiten, welche als Kinder an den Bergen von Derby von einander schieden, einander so in den Thälern der Insel Man wieder zu treffen?«

So neu für Alexie eine solche Scene, und vor allem ihre eigne Gemüthsbewegung dabei sein mochte, so besaß sie doch in hohem Grade jenes ausnehmende Zartgefühl, welches dem weiblichen Gemüth eingeprägt ist, um vor der leisesten Annäherung zur Unschicklichkeit in einer Lage, wie die ihrige war, zu warnen.

»Steht auf, Peveril,« sagte sie; »thut nicht Euch selber und mir dieß Unrecht an – wir haben Beide unrecht gehandelt – sehr unrecht – mein Fehler wurde aus Unwissenheit begangen. Ach Gott! mein armer Vater, der des Trostes so sehr bedarf! – soll ich sein Unglück vermehren? Steht auf!« wiederholte sie mit mehr Entschiedenheit. »Wenn Ihr länger in dieser unziemenden Stellung bleibt, werd' ich das Zimmer verlassen, und Ihr sollt mich nie wieder sehen.«

Alexiens befehlender Ton überwältigte die Heftigkeit ihres Geliebten, welcher stillschweigend in einiger Entfernung von ihr, sich setzte, und wieder im Begriff war zu sprechen. »Julian,« sagte sie in einem mildern Tone, »Ihr habt genug gesprochen, und mehr, als genug. Hättet Ihr mich in dem angenehmen Traum gelassen, in dem ich Euch für immer hätte zuhören können! aber die Stunde des Erwachens ist gekommen.«

Peveril erwartete die Fortsetzung ihrer Rede, wie ein Verbrecher sein Verdammungsurtheil; denn er wußte recht wohl, daß eine gewiß nicht ohne Bewegung, aber mit Festigkeit und Entschlossenheit ausgesprochene Antwort sich nicht unterbrechen ließ. »Wir haben unrecht gehandelt,« wiederholte sie, »sehr unrecht; und wenn wir uns nun für immer trennen, so wird unser Schmerz nur eine gerechte Strafe für unser Vergehen sein. Wir hätten einander nie treffen sollen. Trafen wir einander, so hätten wir, so bald als möglich, uns trennen sollen. Unser fernerer Verkehr kann nur unsern Schmerz beim Scheiden vermehren. Lebt wohl, Julian, und vergeßt, daß wir je einander gesehen haben.«

»Vergessen!« sagte Julian; »nimmermehr. Für Euch ist es leicht, das Wort zu sprechen, den Gedanken zu denken. Für mich kann eine Annäherung zu einem von beiden nur durch gänzliche Vernichtung statt finden. Warum solltet Ihr zweifeln, daß der Streit unsrer Väter, gleich so vielen Zwisten, von denen wir hörten, durch unsre Freundschaft beigelegt werden könnte? Ihr seid meine einzige Freundin. Ich bin der einzige, den der Himmel Euch bestimmt hat. Warum sollten wir uns trennen um der Fehler Andrer willen, welche vorfielen, als wir noch Kinder waren?«

»Ihr redet umsonst, Julian,« sagte Alexie; »ich bedaure Euch, – ich bedaure vielleicht mich selbst – wirklich ich sollte mich selbst, vielleicht am meisten unter uns beiden, bedauern. Denn Ihr werdet neuen Auftritten und neuen Gesichtern begegnen, und mich bald vergessen; aber ich, in dieser Einsamkeit zurückbleibend, wie soll ich vergessen – daß – doch dieß ist jetzt nicht die Frage. – Ich kann mein Loos tragen, und es befiehlt uns, zu scheiden.«

»Hört mich noch einen Augenblick,« sagte Julian; »dieß Uebel ist nicht, kann nicht ohne Rettungsmittel sein. Ich will zu meinem Vater gehen. Ich will die Fürsprache meiner Mutter gebrauchen, der er nichts abschlagen kann – ich will ihre Einwilligung gewinnen. Sie haben kein anderes Kind, und sie müssen einwilligen, oder es für immer verlieren. Sagt, Alexie, wenn ich mit der Einwilligung meiner Eltern zu Euch komme, werdet Ihr wieder in dem so rührenden und so traurigen, und doch so unglaublich bestimmten Tone sagen: Julian, wir müssen scheiden?« Alexie schwieg. »Grausames Mädchen,« rief er, »willst du mich nicht einmal einer Antwort würdigen?«

»Wir antworten denen nicht, die in ihren Träumen sprechen,« sagte Alexie. »Ihr fragt mich, was ich thun würde, wenn Unmöglichkeiten geschehen. Welch Recht habt Ihr, solche Voraussetzungen zu machen, und eine solche Frage zu thun?«

»Hoffnung, Alexie, Hoffnung, die letzte Stütze des Elenden, deren mich zu berauben selbst Ihr nicht grausam genug sein würdet. In jeder Schwierigkeit, in jedem Zweifel, in jeder Gefahr, wird Hoffnung kämpfen, selbst wenn sie nicht siegen kann. Sagt mir, ich bitte noch einmal, wenn ich zu Euch im Namen meines Vaters, im Namen meiner Mutter komme, denen Ihr zum Theil Euer Leben verdankt, was würdet Ihr mir antworten?«

»Ich würde Euch an meinen eigenen Vater verweisen,« sagte Alexie, erröthend und die Augen niederschlagend; aber auch sogleich sie wieder erhebend wiederholte sie in einem festern und traurigern Tone: »Ja, Julian, ich würde Euch an meinen Vater verweisen, und Ihr würdet finden, daß Euer Pilot, Hoffnung, Euch getäuscht hat, und daß Ihr nur dem Triebsand entronnen waret, um auf den Klippen zu scheitern.«

»Ich wünschte, dieß könnte versucht werden!« sagte Julian. »Mich dünkt, ich könnte Euren Vater überzeugen, daß nach gewöhnlicher Ansicht, unsre Verbindung nicht unerwünscht wäre. Wir haben Vermögen, Rang, alte Abkunft, Alles, worauf Väter sehen, wenn sie die Hand einer Tochter vergeben.«

»Alles das würde Euch nichts helfen,« antwortete Alexie. »Der Geist meines Vaters ist den Dingen einer andern Welt zugewandt; und wenn er Euch je ganz anhörte, so wäre es nur, um Euch zu sagen, daß er Eure Anträge verachte.«

»Ihr wißt es nicht – Ihr wißt es nicht, Alexie,« sprach Julian. »Feuer kann Eisen erweichen – Eures Vaters Herz kann nicht so hart, oder seine Vorurtheile können nicht so stark sein, daß ich nicht Mittel finden sollte, es zu rühren. O verbietet, verbietet mir nicht den Versuch.«

»Ich kann nur rathen,« sagte Alexie, »ich kann Euch nichts verbieten; denn Verbieten setzt Macht voraus, Gehorsam zu befehlen. Aber wenn Ihr weise seid und auf mich hören wollt – hier und auf dieser Stelle scheiden wir für immer!«

»Nein, beim Himmel!« sprach Julian, der bei seinem kühnen, lebhaften Gemüthe selten eine Schwierigkeit sah, Etwas zu erreichen, was er wünschte. »Jetzt scheiden wir freilich, aber nur, damit ich mit meiner Eltern Einwilligung zurückkommen möge. Sie wünschen, daß ich mich verheirathe – in ihren letztern Briefen dringen sie offener darauf; und eine solche Braut, als ich ihnen vorstellen will, hat ihr Haus noch nicht geschmückt, seit ihm Wilhelm der Eroberer seine Entstehung gab. Leb' wohl, Alexie! leb' wohl, auf eine kurze Zeit!«

Sie antwortete: »Leb' wohl, Julian! leb' wohl, auf immer!«

Julian war innerhalb einer Woche seit dieser Unterredung auf dem Schloß Martindale, in der Absicht, sein Vorhaben mitzutheilen. Aber manches Unternehmen, welches in einer gewissen Entfernung leicht scheint, erweiset sich eben so schwierig bei größerer Nähe, als das Durchwaten eines Flusses, der von Weitem wie ein bloßer Bach aussah. Es fehlte nicht an Gelegenheiten, den Gegenstand zur Sprache zu bringen; denn bei dem ersten Ritt, welchen Julian mit seinem Vater machte, fing der Ritter wieder an, von seiner Verheirathung zu sprechen, und überließ ihm selbst gern völlig die Wahl der Person, nur unter der strengen Bedingung, daß sie von einer rechtlichen und angesehenen Familie wäre; hätte sie Vermögen, so wäre es gut und schön, oder vielmehr besser, als gut; wäre sie aber arm, nun so müßten sie sich mit dem alten Grundstück behelfen. »Und Frau Margrethe und ich,« fuhr er fort, »werden uns mit dem Wenigen begnügen, damit ihr jungen Leute auch euren Theil haben möget. Ich bin schon sparsam geworden, Julian. Du siehst, auf was für einem kleinen, wilden, schottischen Klepper ich reite, freilich einem ganz andern Thier, als mein Rappe war, der nur einen Fehler hatte, daß er immer nach der Ausfahrt von Moultrassie zurück wollte.«

»War das so ein großer Fehler?« fragte Julian, der eine Gleichgültigkeit annahm, während sein Herzklopfen ihm die Brust zersprengen wollte.

»Es pflegte mich,« fuhr der Ritter fort, »an den niederträchtigen, ehrvergessenen presbyterianischen Wicht, Bridgenorth, zu erinnern, und ich wollte lieber an eine Kröte denken. – Er soll Independent geworden sein, um das Maaß seiner Schurkerei voll zu machen. – Ich sage dir, Julian, ich dankte den Kuhhirten ab, weil er die Nüsse in seinen Wäldern sammelte; ich wollte einen Hund erwürgen, der auch nur hätte einen Hasen dort tödten wollen. – Doch was kann das dich angehen? – du siehst blaß aus.«

Julian gab eine gleichgültige Antwort; erkannte aber nur zu gut aus der Sprache und dem Ton seines Vaters, wie tief gewurzelt und gehässig seine Vorurtheile gegen Alexiens Vater waren.

Im Laufe desselben Tages erwähnte Julian wie zufällig Bridgenorth's gegen seine Mutter. Aber Lady Peveril beschwor ihn sogleich, den Namen nie wieder zu erwähnen, vornämlich in des Vaters Beisein.

»War denn Major Bridgenorth, dessen Namen ich erwähnen gehört habe,« sagte Julian, »so ein böser Nachbar?«

»Das will ich eben nicht sagen,« gab Lady Peveril zur Antwort; »ja wir waren ihm mehr als einmal in den vorigen unglücklichen Zeiten verpflichtet; aber der Vater und er nahmen einige Vorfälle einander so übel, daß die geringste Anspielung auf Bridgenorth ihn auf eine ganz ungewöhnliche Art aufbringt, was mich jetzt, da seine Gesundheit etwas geschwächt ist, bisweilen sehr beunruhigt. Um des Himmels willen also, Julian, vermeide bei allen Gelegenheiten auch nur die geringste Anspielung auf Moultrassie und irgend einen seiner Bewohner.«

Diese Warnung war so ernstlich gegeben, daß Julian selbst einsah, daß die Erwähnung seines geheimen Vorhabens der sicherste Weg sein würde, es ganz zu vereiteln; er kehrte daher trostlos auf die Insel zurück.

Julian hatte jedoch die Kühnheit, den besten möglichen Gebrauch von dem Vorgegangenen zu machen, indem er eine Unterredung mit Alexien verlangte, um ihr zu sagen, was in Hinsicht ihrer zwischen seinen Aeltern und ihm sich zugetragen hatte. Mit großer Schwierigkeit wurde dieser Zweck erreicht; und Alexie zeigte kein geringes Mißvergnügen, als sie, nach seinen vielen Umschweifen und Anstrengungen, seinen zu machenden Mittheilungen ein wichtiges Ansehen zu geben, endlich erfuhr, daß Alles nur daraus hinauslief, daß Lady Peveril noch fortführe, eine günstige Meinung von ihrem Vater, Major Bridgenorth, zu unterhalten, was Julian gern als eine gute Vorbedeutung ihrer künftigen vollkommenen Aussöhnung angesehen haben wollte.

»Ich glaubte nicht, daß Ihr so mit mir tändeln würdet, Junker Peveril,« sagte Alexie mit Würde; »aber ich werde solche Zudringlichkeit in Zukunft zu vermeiden suchen; ich bitte, kommt nicht wieder nach Blackfort; und ich ersuche Euch, Deborah, daß Ihr nicht mehr zu den Besuchen dieses Herrn weder Aufmunterung, noch Erlaubniß gebt, da das Resultat einer solchen Verfolgung mich nur nöthigen würde, mich an meine Tante und meinen Vater wegen eines anderen Aufenthaltsorts zu wenden, und vielleicht auch wegen einer anderen und vorsichtigeren Gesellschafterin.«

Dieser letzte Wink erfüllte Deborah mit solchem Schreck, daß sie gemeinschaftlich mit ihrem Pflegling Julian's augenblickliche Entfernung verlangte, und er war genöthigt, dem Verlangen zu willfahren. Aber der Muth eines jungen Liebhabers wird nicht leicht bezwungen; und nachdem Julian die gewöhnlichen Versuche durchlaufen hatte, seine undankbare Geliebte zu vergessen, und wieder seine Leidenschaft mit vermehrter Heftigkeit unterhielt, endigte er mit dem Besuch auf Blackfort, dessen Anfang wir im letzten Kapitel erzählt haben.

Wir verließen ihn damals voll furchtsamer Sehnsucht nach einer Unterredung mit Alexien, um welche zu bitten er bei Deborah erlangt. Und so groß war der Aufruhr in seinem Gemüth, daß ihm, während er das Zimmer durchschritt, die schwarzen, düsteren Augen von Christians Bildniß überall, wohin er ging, mit dem starren, kalten und bedenklichen Blick zu folgen schienen, welcher dem Feinde seines Geschlechts Unglück und Verderben ankündigte.

Die Thüre des Zimmers öffnete sich endlich, und diese Gedanken verschwanden.



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