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Vierzehntes Kapitel.

Deborah, welche nun auf das Geheiß ihres Herrn erschien, kam mit vor die Augen gehaltenem Tuche, und verrieth große Gemüthsunruhe. »Es war meine Schuld nicht, Herr Major,« sagte sie; »wie konnt' ich mir helfen? Gleich und gleich gesellt sich gern – der junge Mensch wollte kommen – das Mädchen wollte ihn sehen.«

»Seid stille, Thörin,« sprach Bridgenorth, »und hört, was ich zu sagen habe.«

»Ich weiß recht wohl, Herr Major, was Ihr zu sagen haben werdet,« entgegnete Deborah. »Der Dienst, ich weiß es, ist heutzutage kein Erbgut – einige sind klüger, als manche andere – wäre ich nicht von Martindale weggelockt worden, so hätt' ich mein eignes Haus in dieser Zeit haben können.«

»Schweigt, Unverständige!« rief Bridgenorth; aber Deborah war zu eifrig in ihrer Rechtfertigung. »Kein Wunder,« fuhr sie fort, »daß ich in Hinsicht meines eigenen Vortheiles betrogen worden bin, als ich die liebe Alexie habe warten sollen. All Euer Gold, Herr Major, würde mich nicht versucht haben, wenn ich nicht wußte, daß die arme Unschuldige würde verloren gewesen sein, sobald sie von meiner gnädigen Frau oder von mir weggenommen würde. – Und das ist also das Ende davon! – früh auf und spät zu Bette – und dieß ist mein ganzer Dank! – aber der Herr Major thäten besser, Sorge zu tragen, was zu thun ist – sie hat den kurzen Husten noch bisweilen – und sollte Arznei nehmen, im Frühling und Herbst.«

»Stille, schwatzhafte Thörin!« sagte ihr Herr, sobald ihr ausgehender Athem ihm Gelegenheit gab, zwischenein zu fallen; »denkt Ihr, ich wußte nichts von den Besuchen dieses jungen Herrn auf Blackfort, und – wenn sie mir mißfallen hätten, ich würde sie nicht zu verhindern gewußt haben?«

»Wußte ich nicht, Herr Major, daß Ihr von seinen Besuchen Kenntniß habt?« rief jetzt Deborah im triumphirenden Tone aus. – »Ei, wie würde ich seine Besuche sonst erlaubt haben? Ich weiß nicht, was Ihr von mir denket. Hätt' ich nicht Gewißheit gehabt, daß Ihr keine Sache in der Welt so sehr wünschtet, würde ich mich denn unterstanden haben, zur Beförderung die Hand zu bieten? Ich glaube meine Pflicht besser zu kennen. Fragt, ob ich je einen andern jungen Mann in's Haus gebeten habe, außer ihn – denn ich wußte, Ihr seid ein weiser Mann, Herr Major, und Uneinigkeiten können nicht ewig währen, und Liebe fängt an, wo der Haß aufhört: und meiner Treu', sie sehen aus, als wenn sie für einander geschaffen wären – und dann die Grundstücke Moultrassie und Martindale passen zu einander, wie Messer und Scheide.«

»So schweigt doch, Papagei!« rief Bridgenorth, dessen Geduld nun fast gänzlich erschöpft war; »oder wollt Ihr schwatzen, so plaudert mit Euren Kameraden in der Küche, und laßt uns etwas Mittagsessen zubereiten; denn Herr Peveril ist weit von Hause entfernt.«

»Das will ich, und von Herzen gern,« entgegnete Deborah; »und wenn es auf der Insel Man ein paar fettere Vögel gibt, als jetzt auf der Tafel mit ihren Flügeln schlagen sollen, so mögen mich der Herr Major eben so gut Gans als Papagei nennen.« Und hiermit verließ sie das Zimmer.

»Glaubt Ihr,« hob Bridgenorth, indem er ihr einen bedeutenden Blick zuwarf, wieder an, »daß ich einer solchen Person, wie dieser, die Pflege meines einzigen Kindes preisgegeben hätte? Doch genug hiervon! Wir wollen ausgehen, wenn es Euch beliebt, während sie in einem Fache geschäftig ist, für das ihr Verstand besser paßt.«

So sprach er, und verließ das Haus, und bald gingen beide wie alte Bekannte neben einander.

Major Bridgenorth vermied sorgfältig den schon besprochenen Gegenstand, und richtete sein Gespräch vornehmlich auf seine Reisen im Auslande, und auf die in entfernten Ländern gesehenen Merkwürdigkeiten, die er mit forschendem und beobachtendem Blicke betrachtet zu haben schien.

Bridgenorth schien das südliche Frankreich zu kennen, und konnte manche Vorfälle von den französischen Hugenotten erzählen, welche schon die Bedrängnisse zu erdulden anfingen, die wenige Jahre nachher durch den Widerruf des Edicts von Nantes ihr Höchstes erreichten. Er war sogar in Ungarn gewesen; denn er sprach wie aus persönlicher Kenntniß von dem Charakter verschiedener Häupter des großen protestantischen Aufstandes, der zu dieser Zeit unter dem berühmten Tekeli statt gefunden hatte, und gab triftige Gründe an, warum sie befugt waren, eher gemeinschaftliche Sache mit dem türkischen Großherrn zu machen, als sich dem römischen Pabste zu unterwerfen. Er sprach auch von Savoien, wo die Anhänger der reformirten Religion noch grausame Verfolgung erlitten; und erwähnte mit erhöhtem Gefühle den Schutz, welchen Oliver Cromwell den unterdrückten protestantischen Kirchen hatte angedeihen lassen. »Und darin,« setzte er hinzu, »zeigte er sich fähiger, die oberste Macht zu handhaben, als jene, welche bloß auf Erbrecht gestützt, sie allein für ihre eiteln und wollüstigen Zwecke gebrauchen.«

»Ich hätte nicht erwartet,« sagte Peveril bescheiden, »von Euch, Herr Bridgenorth, eine Lobrede auf Oliver Cromwell zu hören.«

»Ich halte ihm keine Lobrede,« entgegnete der Major; »ich spreche nur die Wahrheit von diesem außerordentlichen Mann, der nun todt ist; dem ich aber, wenn er noch lebte, mich nicht scheuen würde, in's Angesicht Widerstand zu leisten. Es ist ein Fehler des gegenwärtigen unglücklichen Königs, wenn er uns mit Bedauern auf die Tage zurücksehen läßt, da die Nation auswärts gefürchtet und Frömmigkeit und Mäßigkeit im Lande geübt wurde.«

Während dieser Zeit hatten sie ihren Spaziergang geendigt, und waren auf einem andern Wege, als von dem sie das Thal durchwanderten, auf Blackfort zurückgekommen. Die Bewegung und der allgemeine Ton der Unterhaltung hatten in einigem Grade bei dem jungen Peveril die Schüchternheit und Verlegenheit entfernt, welche er anfänglich in Bridgenorth's Gegenwart empfunden. Deborah's verheißenes Mahl war bald auf der Tafel, und entsprach in der Einfachheit sowohl, als in der Sauberkeit und guten Anordnung, den erregten Erwartungen. In einer Hinsicht allein fand sich etwas Unangemessenheit, vielleicht Uebertreibung. Die meisten Schüsseln waren von Silber, und die Teller waren von demselben Metall, statt des hölzernen und zinnernen Geschirres, welches Peveril gewöhnlich bei ähnlichen Gelegenheiten zu Blackfort gebraucht gesehen hatte.

Mit dem Gefühl eines Menschen, der in einem angenehmen Traume, aus dem er zu erwachen fürchtet, lustwandelt, und dessen Ergötzen mit Verwunderung und Ungewißheit gemischt ist, saß nun Julian zwischen Alexie und ihrem Vater – dem Wesen, das er auf Erden am meisten liebte, und dem Manne, den er immer als das größte Hinderniß ihrer Vereinigung betrachtet hatte. Seine Gemüthsverwirrung war so groß, daß er kaum Deborens lästige Höflichkeiten erwiedern konnte, welche die Speisen vorlegte.

Alexie schien dießmal den Entschluß gefaßt zu haben, die Stumme zu spielen; denn sie antwortete auf Deborens Fragen höchstens ganz kurz; ja selbst, wenn ihr Vater, was ein oder ein paar Mal geschah, sie mehr zum Sprechen zu bringen suchte, erwiederte sie nicht weiter, als die Ehrerbietung gegen ihn schlechterdings erforderte.

Auf Bridgenorth selbst fiel daher das ganze Geschäft, die Gesellschaft zu unterhalten, und, wider seine gewohnte Weise schien er sich nicht davor zu scheuen. Sein Gespräch war nicht nur gefällig, sondern fast fröhlich, wiewohl immerfort von einigen Aeußerungen durchkreuzt, die seinen natürlichen und gewöhnlichen Trübsinn verriethen oder künftiges Unglück oder Leiden prophezeieten. Auch Flammen von Schwärmerei schossen durch seine Reden, wie das Wetterleuchten an einem Herbstabend, welches eine starke, jedoch nur augenblickliche Helligkeit durch die sanfte Dämmerung und auf alle nahen Gegenstände wirft, die, von ihm getroffen, einen wildern und auffallendern Charakter annehmen. Im Allgemeinen aber waren Bridgenorth's Bemerkungen einfach und verständig; und da er nicht nach Anmuth des Ausdrucks strebte, so entsprang jede Ausschmückung, die sie empfingen, nur aus dem Interesse, womit er sie seinen Zuhörern einschärfte. Zum Beispiel, als Deborah im Stolz und in der Gemeinheit ihres Herzens, Julian auf das Silbergeschirr, auf dem sie gespeist hatten, aufmerksam machte, fand Bridgenorth eine Entschuldigung eines solchen überflüssigen Aufwandes nothwendig.

»Es war ein Zeichen nahender Gefahr,« sagte er, »als Menschen, die nicht gewöhnlich an den Eitelkeiten des Lebens hingen, viel Geld auf Zierrathen von kostbarem Metall wandten. Es war ein Merkmal, daß der Kaufmann keinen Gewinn für das Kapital erhalten konnte, welches er, um der Sicherheit willen, in diese unnütze Form kleidete. Es war ein Beweis, daß die Adeligen oder Vornehmen die Raubsucht der Gewalt fürchteten, als sie ihren Reichthum in die tragbarsten und am leichtesten zu verbergenden Formen legten; und es bewies die Unsicherheit des Kredits, wenn ein verständiger Mann den Besitz einer Masse Silber der Bequemlichkeit eines Empfangscheines von einem Goldschmied oder Banquier vorzog. So lange ein Schatten von Freiheit übrig blieb, wurden häusliche Rechte am wenigsten angegriffen; und daher vertheilte man seinen Reichthum auf seine Credenztische und Tafeln, weil er an diesen Orten am längsten bleiben wurde, wiewohl sie am Ende vielleicht auch nicht vor den Eingriffen einer tyrannischen Regierung gesichert waren. Man lasse aber einmal ein Kapital zum Behuf eines vortheilhaften Handels gesucht werden, und die Masse wird auf einmal dem Schmelzofen überliefert, und wird, indem sie aufhört, eine eitle und beschwerliche Zierde der Tafel zu sein, zu einer mächtigen und wirksamen Triebfeder, den Wohlstand des Landes zu befördern.«

»Auch im Kriege,« bemerkte Peveril, »ist Silbergeschirr eine schnelle Hülfe gewesen.«

»Ja nur zu sehr,« entgegnete Bridgenorth. »In den letzten Zeiten setzte das Silberzeug des hohen und niedern Adels, nebst dem der Collegien und dem Verkauf der Kronjuwelen, den König in die Lage, seinen unglücklichen Stand zu behaupten, wodurch die Wiederherstellung des Friedens und der guten Ordnung gehindert wurde, bis das Schwert eine ungebührende Ueberlegenheit zugleich über König und Parlament erlangt hat.«

Er blickte auf Julian, als er so sprach, um sein Inneres zu erforschen. Aber Julians Gedanken neigten sich zu sehr auf andre Gegenstände, als daß er irgend eine Bewegung verrathen hätte. Seine Antwort bezog sich auf einen frühern Theil von Bridgenorth's Rede, und wurde erst nach einer kurzen Pause erwiedert. »Krieg also,« sagte er, »Krieg, die Quelle der Armuth, ist auch der Schöpfer des Reichthums, den er verwüstet und verschlingt. Die Menschen sollten also in den Krieg gehen, damit sie ihr Silbergeschirr in die Münze schicken können, und von zinnernen Schüsseln und hölzernen Tellern essen?«

»Das nicht, mein Sohn,« antwortete Bridgenorth. Dann hielt er schnell inne, da er eine tiefe Röthe auf Julians Wangen und Stirne bemerkte, und fuhr fort: »Ich bitte wegen meiner vertrauten Sprache um Vergebung; allein ich wollte das, was ich eben sagte, nicht auf so geringfügige Folgerungen beschränkt wissen, ob es gleich etwas Heilsames sein mag, die Menschen von ihrer Pracht und Ueppigkeit loszureißen. Aber ich wollte sagen, daß Zeiten der allgemeinen Gefahr, eben so wie sie den Schatz des Geizhalses und das ungemünzte Gold und Silber des Stolzen in Umlauf bringen, und so den Reichthum des Landes vermehren, auch manchen wackern und edeln Geist in Thätigkeit setzen, der außerdem erstarrt liegen, den Lebenden kein Beispiel geben, und künftigen Zeitaltern keinen Namen hinterlassen würde.«

»Ihr sprecht,« sagte Peveril, »als wenn Unglücksbegebenheiten der Nation gewissermaßen ein Vortheil wären.«

»Und wenn es nicht so wäre,« erwiederte Bridgenorth, »so hätten sie in diesem Prüfungsstande nicht statt gefunden, wo alles zeitliche Uebel durch etwas Gutes in seinem Fortschritt erleichtert wird, und wo Alles, was gut ist, sich mit dem, was an sich ein Uebel ist, gepaart findet.«

»Es muß ein edler Anblick sein,« sagte Julian, »die schlummernden Fähigkeiten einer großen Seele zur Kraftäußerung erwacht, und die Obergewalt annehmen zu sehen, die ihr über geringer begabte Geister zusteht.«

»Ich war einmal Zeuge von etwas Aehnlichem,« versetzte Bridgenorth, »und da die Erzählung kurz ist, sollt Ihr sie hören, wenn es Euch gefällt:

»Auf meinen Reisen verweilte ich auch in den Ansiedelungen jenseits des atlantischen Meeres, besonders in Neu-England. Da sind Tausende unserer besten und gottseligsten Menschen – solche, deren Rechtschaffenheit zwischen den Allmächtigen und seinen Zorn treten und den Untergang ganzer Städte abwenden könnte – zufrieden, die Bewohner der Wüste zu sein, indem sie lieber die unerleuchteten Wilden bekämpfen, als sich herablassen, unter der in Britannien ausgeübten Unterdrückung das Licht, das in ihren eignen Seelen lebt, auszulöschen. Da blieb ich einige Zeit während der Kriege der Kolonie mit Philipp, einem großen indianischen Befehlshaber oder Sachem, welcher vom Satan abgesandt schien, sie zu schlagen. Seine Grausamkeit war groß – seine Verstellung tief; und die Geschicklichkeit und Gewandtheit, womit er einen verderblichen und raschen Krieg führte, brachte über die Colonie vieles furchtbare Ungemach. Es war an einem Sabbatmorgen, als wir uns, um guten Rath zu pflegen, in dem Hause des Herrn versammelt hatten. Ein trefflicher Mann Gottes, der nun in dem Herrn ruht, Nehemiah Solsgrace, lange Zeit der Gefährte meiner Pilgrimschaft, hatte eben angefangen, im Gebet zu ringen, als ein Weib mit verstörten Blicken und fliegenden Haaren voll Bestürzung in unsere Kapelle trat, und unaufhörlich schrie: ›die Indianer! die Indianer!‹ – In jenem Lande tragen die Menschen stets ihre Waffen bei sich, wie die Juden bei dem Wiederaufbauen ihres Tempels. So sprangen wir hervor mit unsern Gewehren und Piken, und hörten das Geschrei dieser eingefleischten Teufel, die schon im Besitz von einem Theile der Stadt waren, und ihre Grausamkeit an den Wenigen ausübten, welche wichtige Ursachen oder Kränklichkeit von dem öffentlichen Gottesdienst abgehalten hatten. Am Ende wurde viel Schaden angerichtet, und obgleich unsere Ankunft und unser Angriff sie einigermaßen zurückschlug, so schoß doch der teuflische Feind bald mächtig auf uns los, und gewann einigen Vortheil über uns, da wir in der Bestürzung und Verwirrung waren, und keinen bestimmten Anführer hatten. Mehrere Häuser in dem obern Theile des Dorfs standen schon in Flammen, und das Krachen der Balken bei dem Brande vermehrte die schauderhafte Verwirrung. In dieser Lage und während wir im Begriff waren, einen verzweifelten Plan zu verfolgen: das Dorf zu räumen, die Weiber und Kinder in den Mittelpunkt zu bringen, und einen Rückzug in die nächste Ansiedelung zu versuchen, gefiel es dem Himmel, uns einen unerwarteten Beistand zu senden. Ein hoch gewachsener Mann von ehrwürdigem Blick, welchen Niemand von uns zuvor gesehen hatte, war plötzlich in unserer Mitte. Seine Gewänder waren von der Haut des Elendthieres, er trug ein Schwert und führte eine Flinte; ich sah nie etwas Ehrwürdigeres, als seine Gesichtszüge, von grauen Locken überschattet, welche sich mit einem langen Barte von derselben Farbe vermischten. ›Männer und Brüder,‹ begann er, als wollte er uns von der Flucht zurückrufen: ›warum laßt ihr euern Muth sinken? und warum seid ihr so unruhig? Fürchtet ihr, der Gott, dem wir dienen, werde uns jenen heidnischen Hunden übergeben? folget mir, und ihr sollt heute sehen, daß es einen Feldherrn in Israel gibt.‹ Er gab einige kurze, aber deutliche Befehle, und so groß war die Macht seines Ansehens, seiner Miene, seiner Sprache und seiner Geistesgegenwart, daß Menschen, die ihn nur diesen Augenblick zum ersten Mal gesehen hatten, ihm blindlings gehorchten. Wir wurden auf seinen Befehl schnell in zwei Corps abgetheilt, von welchen das eine muthig die Niederlassung vertheidigte, während der Fremde, unter dem Schutze des Dampfs, an der Spitze der andern Abtheilung einen Ausfall that, und auf einem Umwege die rothen Krieger im Rücken angriff. Der Ueberfall hatte, wie gewöhnlich bei Wilden, seine volle Wirkung; die Heiden flohen in Verwirrung, gaben das halb eroberte Dorf preis, und ließen so viele von ihren Kriegern hinter sich zurück, daß der Stamm nie seinen Verlust wieder ersetzen konnte. Niemals werde ich die Gestalt unsers ehrwürdigen Anführers vergessen, als unsere Leute, und nicht bloß sie, sondern auch die Weiber und Kinder des Dorfs, vom Messer der Wilden errettet, gedrängt um ihn standen, doch kaum seiner Person sich zu nähern wagten, und ihn mehr wie einen herabkommenden Engel anbeten, als ihm, gleich einem ihrer Mitmenschen, Dank bringen wollten. ›Nicht mir gebührt der Ruhm,‹ sagte er; ›ich bin nur ein Werkzeug in der Hand dessen, der mächtig ist, zu befreien. Bringt mir eine Schale Wasser, daß ich meine vertrocknete Kehle erquicke, eh' ich meine Danksagung da darzubringen suche, wo sie am meisten sich gebührt.‹ Ich war ihm am nächsten, als er sprach, und gab ihm das verlangte Wasser in die Hand. In diesem Augenblick sahen wir uns an, und ich meinte einen edlen Freund wieder zu erkennen, den ich lange verklärt geglaubt hatte; aber er ließ mir keine Zeit zu sprechen, er sank auf die Knie, gab uns ein Zeichen, ihm zu folgen, und ergoß sich nun in eine starke und kräftige Danksagung für die glückliche Wendung des Kampfs. Jetzt schwieg er; eine kurze Zeit blieben wir mit unsern Gesichtern zur Erde gebeugt – Niemand wagte sein Haupt zu erheben. Endlich blickten wir auf; aber unser Befreier war nicht mehr unter uns; auch wurde er nie wieder gesehen in dem Lande, das er errettet hatte.«

Nachdem Bridgenorth dieses sonderbare Ereigniß mit einer Beredtsamkeit und Lebhaftigkeit erzählt hatte, die von seiner gewöhnlichen trockenen Unterhaltung sehr abstach, hielt er einen Augenblick inne, und fuhr dann fort: – »Ihr seht, junger Mann, daß Männer von Tapferkeit und Einsicht, wenn es die allgemeine Noth erfordert, berufen werden, zu befehlen, obgleich in dem Lande, das sie zu befreien bestimmt sind, selbst ihr bloßes Dasein unbekannt ist.«

»Aber was dachten die Leute von dem geheimnißvollen Fremden?« fragte Julian, welcher der Geschichte begierig zugehört hatte.

»Mancherlei,« antwortete Bridgenorth, »und wie gewöhnlich, wenig der Sache Angemessenes. Die vorherrschende Meinung war, ungeachtet seines eigenen Widerspruchs, der Fremde sei wirklich ein übernatürliches Wesen; Andre hielten ihn für einen gottbegeisterten Helden; wieder Andre erklärten ihn für einen Einsiedler, der entweder aus Frömmigkeit, oder aus andern nöthigenden Gründen ein Bewohner der Wildniß geworden war, und den Anblick der Menschen geflohen hatte.«

»Und, wenn ich mich zu fragen unterstehen darf,« entgegnete Julian, »welcher von diesen Meinungen waret Ihr geneigt, beizutreten?«

»Die letzte stimmte am besten mit der zwar flüchtigen, doch genauen Ansicht zusammen, mit welcher ich die Züge des Fremden gemustert hatte,« gab Bridgenorth zur Antwort; »denn, ob ich gleich nicht bestreite, daß es dem Himmel gefallen könne, bei hohen Veranlassungen selbst einen von den Todten zur Vertheidigung seines Vaterlandes aufzuwecken, so zweifelte ich doch damals nicht, wie ich auch jetzt nicht zweifle, daß ich die lebendige Gestalt eines Mannes erblickte, welcher allerdings mächtige Gründe hatte, sich in der Kluft des Felsens zu verbergen.«

»Sind diese Gründe ein Geheimniß?« fragte Julian.

»Nicht eigentlich ein Geheimniß,« erwiederte Bridgenorth; »denn ich fürchte nicht, daß Ihr verrathen würdet, was ich Euch in vertrauter Unterredung erzählen könnte. Aber der Name dieses Edlen wird hart in deinem Ohr klingen, wegen einer Handlung seines Lebens – indem sein Beitritt zu einer großen Maaßregel es war, welcher die äußersten Inseln der Erde zittern machte. Habt Ihr nie von Richard Whalley gehört?«

»Von dem Königsmörder?« rief Peveril stutzend.

»Nennt seine Handlung, wie Ihr wollt,« sagte Bridgenorth; »er war nicht weniger der Retter jenes bedrohten Dorfs, weil er mit andern hohen Geistern der Zeit auf dem Richterstuhle saß, als Carl Stuart vor Gericht geführt war, und weil er das über ihn vollzogene Urtheil unterzeichnet hatte.«

»Ich habe immer gehört,« entgegnete Julian mit veränderter Stimme und mit tief erröthendem Gesicht, »daß Ihr, Herr Bridgenorth, nebst andern Presbyterianern, gänzlich jenem abscheulichen Verbrechen abgeneigt und bereit waret, mit der adeligen Partei gemeinschaftliche Sache zu machen, um einen so schrecklichen Mord zu verhindern.«

»Wenn dieß so wäre,« sprach Bridgenorth, »so sind wir von seinen Vorfahren reichlich belohnt worden.«

»Belohnt!« rief Julian aus. »Hängt der Unterschied des Guten und des Bösen, und unsre Verbindlichkeit, jenes zu thun und dieses zu unterlassen, von der Belohnung ab, die mit unsern Handlungen verbunden sein mag?«

»Gott bewahre!« antwortete Bridgenorth; »allein wer die Verheerung betrachtet, welche dieß Haus Stuart in der Kirche und dem Staate angerichtet hat, – die Tyrannei, die es über die Personen und die Gewissen der Menschen ausübt, – der mag wohl zweifeln, ob es rechtlich sei, die Waffen zur Vertheidigung desselben zu führen. Dennoch hört Ihr mich nicht den Tod des Königs rühmen, oder selbst rechtfertigen, ob derselbe gleich in sofern verdient war, als er seinem Eide als ein Fürst und eine obrigkeitliche Person untreu war. Ich erzähle Euch bloß, was Ihr wissen wolltet, daß Richard Whalley, einer von den verstorbenen Richtern des Königs, derjenige war, von dem ich eben sprach. Man trachtete ihm eifrig nach dem Leben; aber durch den Beistand jener Freunde, die der Himmel zu seiner Errettung erweckt hatte, wurde er sorgfältig verborgen gehalten, und er trat nur hervor, um den Willen der Vorsehung, in Hinsicht jener Schlacht, zu vollbringen. Vielleicht kann seine Stimme noch einmal im Felde sich hören lassen, sollte England eines seiner hochherzigsten Männer bedürfen.«

»Das verhüte Gott!« sagte Julian.

»Amen,« setzte Bridgenorth hinzu. »Gott möge Bürgerkrieg abwenden, und denen vergeben, deren Tollheit ihn wieder über uns bringen würde.«

Hier war eine lange Pause, während welcher Julian, der kaum seine Augen nach Alexien erhoben hatte, einen geheimen Blick auf sie warf, und über den Ausdruck tiefer Schwermuth betroffen war, die sich auf ihre Züge gelagert hatte, welchen ein heiteres, wo nicht munteres, Ansehen so natürlich eigen war. Sobald sie seinen Blick wahrnahm, äußerte sie die Bemerkung, daß die Schatten sich verlängerten und der Abend herankomme.

Er hörte es; und, obwohl zufrieden, daß sie ihn an seine Heimkehr erinnerte, konnte er sich doch den Augenblick nicht entschließen, den Zauber zu brechen, der ihn zurückhielt. Die Sprache, welche Bridgenorth führte, war nicht nur neu und beunruhigend, sondern auch den Grundsätzen, in denen Julian erzogen war, so entgegengesetzt, daß er, als ein Sohn des Ritters Peveril vom Gipfel, in einem andern Falle sich zur Bestreitung der von dem Major gemachten Folgerungen selbst mit dem Schwert in der Hand aufgefordert gefühlt haben würde. Aber Bridgenorth trug seine Meinungen mit so viel Ruhe vor, – schien so sehr von ihnen überzeugt, – daß sie in Julian mehr Bewunderung als heftigen Widerspruch erregten.

Während Julian, wie auf seinen Stuhl festgezaubert, noch blieb, und kaum mehr über die Gesellschaft, in der er sich befand, als über die Meinungen, denen er zuhörte, befremdet war, erinnerte ihn ein anderer Umstand, daß die Zeit seines Aufenthalts auf Blackfort vorüber wäre. Sein kleines Pferd, das, an die Nachbarschaft von Blackfort wohl gewöhnt, in der Nähe des Hauses zu weiden pflegte, während sein Herr da Besuche machte, fing an, seinen jetzigen Aufenthalt etwas zu lang zu finden. Julian hatte es noch jung von der Gräfin zum Geschenk erhalten, und es stammte von einer muthigen Gebirgsrasse, welche sich durch Kühnheit, langes Leben und eine gewisse, sonst dem Hunde eigene Klugheit auszeichnete. Die letztere Eigenschaft zeigte es durch die Art und Weise, womit es seine Ungeduld, nach Hause zu kommen, ausdrückte. Wenigstens schien dieß die Absicht seines lauten Wieherns, mit dem es Alexien aufschreckte, welche sich, den Augenblick darauf, des Lächelns nicht enthalten konnte, als sie die Nase des Thieres durch den offenen Fensterflügel hereinragen sah.

»Mein Pferd erinnert mich,« sagte Julian, auf Alexie blickend, »daß die Zeit meines Hierseins abgelaufen ist.«

»Sprecht nur noch einen Augenblick mit mir,« entgegnete Bridgenorth, indem er sich mit ihm in eine Nische des alten gothischen Zimmers zurückzog und so leise sprach, daß er von Alexien und ihrer Wärterin, welche indeß das Pferd liebkos'ten und mit Stückchen Brod fütterten, nicht verstanden werden konnte.

»Nach alle dem,« begann Bridgenorth wieder, »habt Ihr mir die Ursache Eures Hierherkommens nicht gesagt.« Er hielt inne, als wollte er sich an seiner Verlegenheit weiden, und fuhr fort: »Und freilich wäre es sehr unnöthig, daß Ihr das thätet. Ich habe noch nicht so sehr die Tage meiner Jugend vergessen, oder die Neigungen, welche die arme gebrechliche Menschheit nur zu sehr an die Dinge dieser Welt binden. Werdet Ihr keine Worte finden, mich um das große Gut zu bitten, das Ihr sucht, und das Ihr vielleicht ohne mein Wissen und wider meine Einwilligung Euch zuzueignen nicht angestanden haben würdet? – Nein, verantwortet Euch nicht, sondern höret mich ferner. Der Patriarch erkaufte seine Geliebte durch vierzehnjährigen schweren Dienst bei ihrem Vater Laban, und sie schienen ihm nur wenige Tage zu sein. Aber der, welcher meine Tochter heirathen will, muß, in Vergleichung hiermit, zwar nur kurze Zeit dienen, jedoch in Angelegenheiten von solcher hohen Wichtigkeit, daß sie als der Dienst von vielen Jahren erscheinen werden. – Antwortet mir jetzt nicht, sondern geht, und Friede sei mit Euch.« Nachdem er dieß gesprochen, zog er sich so schnell zurück, daß Peveril auch nicht einen Augenblick zur Erwiederung übrig behielt. Dieser sah sich nun im Zimmer um und fand, daß auch Deborah und Alexie verschwunden waren. Sein Blick weilte einige Minuten auf Christian's Bildniß, und seine Phantasie spiegelte ihm vor, als würde die düstere Physiognomie desselben von einem stolz triumphirenden Lächeln erheitert. Er stutzte und betrachtete es noch genauer; aber es war nur die Wirkung eines Strahles der Abendsonne, welche das Gemälde in diesem Augenblicke traf. Die Wirkung war vorüber, und es blieben nur die festen, ernsten Züge des republikanischen Kriegers zurück.

Julian verließ wie träumend das Zimmer; er bestieg sein Roß und kehrte unter manchfaltigen Gedanken nach dem Schlosse Rushin vor Einbruch der Nacht zurück.

Hier fand er Alles in Bewegung. Die Gräfin, nebst ihrem Sohne, hatten sich, auf den Empfang gewisser Nachrichten, oder zufolge eines in seiner Abwesenheit gefaßten Entschlusses, mit einem Haupttheile ihrer Familie in das noch stärkere Schloß Holm-Peel begeben, welches gegen acht Meilen quer über die Insel hin entfernt lag, und noch mehr als Castletown verfallen war, in sofern man es als eine Residenz betrachtete. Aber als Festung war Holm-Peel stärker, als Castletown, ja, wenn auch regelmäßig belagert, fast unbezwingbar, und hatte immer eine Besatzung, die den Herren von Man gehörte. Hier kam Peveril bei Einbruch der Nacht an. Man sagte ihm in dem Fischerdorfe, daß die Nachtglocke des Schlosses früher als gewöhnlich gezogen worden wäre und die Wache mit ungewöhnlicher und argwöhnischer Vorsicht gehalten würde.

Er beschloß daher, die Besatzung nicht durch eine so späte Ankunft in Bewegung zu setzen, und erhielt ein schlechtes Nachtquartier im Dorfe, von wo aus er am folgenden Morgen in's Schloß gehen wollte. Es that ihm nicht leid, so einige einsame Stunden zu gewinnen, um über die beunruhigenden Begebenheiten des vergangenen Tages nachzudenken.



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