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Fünfzehntes Kapitel.

Sodor oder Holm-Peel ist eines jener sonderbaren Denkmäler des Alterthums, woran diese merkwürdige und interessante Insel reich ist. Es nimmt das Ganze einer hohen felsigen Halbinsel, oder vielmehr eine Insel ein; denn es ist bei hohem Wasser von der See umgeben und kaum zugänglich, selbst wenn die Fluth vorüber ist, obgleich ein Steindamm von großer Festigkeit, zu diesem ausdrücklichen Zweck errichtet, die Insel mit dem festen Lande verbindet. Der ganze Raum ist von doppelten, sehr starken und dicken Mauern umschlossen, und der Zugang zum Innern geschah zu der Zeit, von der wir sprechen, bloß durch zwei Treppen von steilen und schmalen Stufen, die durch einen starken Thurm und ein Wachthaus von einander getrennt waren; unter dem erstern befindet sich ein gewölbter Thorweg. Der offene Raum innerhalb der Mauern erstreckt sich auf zwei Morgen Landes und enthält viele Merkwürdigkeiten für den Alterthumsforscher. Hier waren, außer dem Schloß selbst, zwei Kathedralkirchen, die frühere dem heiligen Patrik, die spätere dem heiligen Germain gewidmet; überdieß zwei kleine Kirchen, welche alle, selbst in jener Zeit, mehr oder weniger verfallen waren.

Außer diesen vier verfallenen Kirchen bot der von den festen äußern Mauern Holm-Peels eingeschlossene Boden in seinem Raume viele andere Spuren der alten Zeit dar. Da fand sich ein viereckiger Erdwall, der mit seinen nach den Strichen des Compasses gehenden Winkeln einen jener mit einem Walle umgebenen Plätze bildete, wo in alten Zeiten die nordischen Stämme ihre Anführer erwählten oder anerkannten, und ihre feierlichen Volksversammlungen oder Comitia hielten. Da befand sich auch einer jener sonderbaren Thürme, die in Irland so häufig sind, daß sie ein Lieblingsgegenstand der dortigen Alterthumsforscher wurden, deren wirklicher Nutzen und Zweck aber noch in den Nebel der Zeiten verhüllt zu sein scheint. Dieser Thurm von Holm-Peel war zu einem Wachtthurm gebraucht worden. Außerdem gab es dort Runendenkmäler, deren Inschriften nicht entziffert werden konnten; auch spätere Inschriften zum Gedächtniß von Helden, deren bloße Namen der Vergessenheit entrissen worden sind.

Unter diesen Ruinen einer ältern Zeit erhob sich das Schloß selbst, – jetzt verfallen, – aber unter Carl II. Regierung mit einer guten Besatzung versehen, und in militärischer Hinsicht in völliger Ordnung erhalten. Es war ein ehrwürdiges und sehr altes Gebäude, und enthielt mehrere Zimmer von hinlänglicher Größe und Höhe, um edel genannt werden zu können. Allein bei der Uebergabe der Insel durch Christian wurde die innere Verzierung und Ausstattung des Schlosses von den republikanischen Soldaten großentheils geplündert und zerstört, so daß es, wie wir schon angedeutet haben, zur Residenz der edeln Eigenthümerin sich wenig eignete. Doch war es oft der Aufenthalt nicht nur der Herren der Insel Man, sondern auch der Staatsgefangenen gewesen, welche die Könige von Britannien bisweilen ihrer Aufsicht übergaben.

Es war in einem der hohen, doch fast unmöblirten Zimmer dieses alten Schlosses, wo Julian Peveril seinen Freund, den Grafen von Derby, fand, welcher sich diesen Augenblick zu einem Frühstück von verschiedenen Fischarten niedergesetzt hatte. »Willkommen, kaiserlicher Julian,« sagte er, »willkommen in unserer königlichen Festung, in der wir für jetzt wahrscheinlich nicht Hungers sterben, obwohl fast vor Kälte erstarren werden.«

Julian antwortete mit der Frage nach der Bedeutung dieser plötzlichen Ortsveränderung.

»Auf mein Wort,« versetzte der Graf, »Ihr wißt beinahe eben so viel davon, als ich. Meine Mutter hat mir nichts darüber gesagt, wie ich glaube, in der Voraussetzung, daß ich am Ende versucht werden möchte, darnach zu fragen; aber sie wird sich darin sehr getäuscht finden. Ich schenke ihr eher mein Zutrauen in die volle Weisheit ihres Verfahrens, als daß ich ihr die Mühe machen sollte, einen Grund davon anzugeben, obgleich wohl kein Weib einen bessern angeben könnte.«

»Still, lieber Graf,« sagte Julian, »Ihr seid nicht so gleichgültig, als Ihr Euch stellt, – Ihr sterbet fast vor Begierde, zu wissen, was diese Eile bedeuten soll; Ihr haltet es nur für Hofton, sorglos über Eure eigenen Angelegenheiten zu erscheinen.«

»Ei, was soll es denn geben,« sprach der Graf, »als etwa einen Faktionsstreit zwischen dem Minister unserer Majestät, und unsern Vasallen? oder vielleicht zwischen unserer Majestät und den geistlichen Gerichtsbarkeiten? Um das Alles bekümmert sich unsere Majestät so wenig, als irgend ein König in der Christenheit.«

»Ich vermuthe eher, man hat Nachrichten aus England,« sagte Julian. »Ich hörte letzte Nacht in Peeltown, daß Greenhalgh mit unangenehmen Neuigkeiten herübergekommen sei.«

»Er brachte mir nichts, das angenehm war; ich weiß es wohl,« versetzte der Graf. – »Aber hier kommt unsere Mutter mit Sorgen auf der Stirne.«

Die Gräfin von Derby trat mit einer Menge Papieren in der Hand in's Zimmer. Sie trug ein Trauerkleid mit einer langen Schleppe von schwarzem Sammt, welche ein taubstummes Mädchen hielt, das die Gräfin aus Mitleid mit ihrem Unglück seit einigen Jahren bei sich erzogen hatte. Dieser Unglücklichen hatte sie wegen ihres Hanges zum Romantischen, der manche ihrer Handlungen bezeichnete, nach einer gewissen alten Prinzessin der Insel, den Namen Fenella gegeben. Die Gräfin hatte sich, seitdem wir sie zuerst unsern Lesern vorführten, nicht sehr verändert. Das Alter hatte ihren Schritt langsamer, aber nicht weniger majestätisch gemacht, und ob es gleich einige Runzeln auf ihrer Stirne gezogen, hatte es doch das ruhige Feuer ihres schwarzen Auges nicht ausgelöscht. Die jungen Männer standen auf, sie mit der förmlichen Ehrerbietung zu empfangen, welche sie, wie sie wußten, gern hatte, und wurden von ihr mit gleicher Freundlichkeit begrüßt.

»Vetter Peveril,« begann sie (denn so nannte sie ihn stets, weil seine Mutter eine Verwandte ihres Mannes gewesen war), »Ihr waret zur Unzeit letzte Nacht von Hause entfernt, als wir gerade Euren Rath am meisten nöthig hatten.«

Julian antwortete mit einem Erröthen, das er nicht verhindern konnte: »er habe sein ländliches Vergnügen unter den Bergen zu weit verfolgt, – sei spät zurückgekommen, – und da er die Gräfin nicht mehr in Castletown getroffen, sei er sogleich der Familie hieher gefolgt; weil aber die Nachtglocke geläutet und die Wache ausgestellt worden, habe er es anständiger gefunden, in dem Dorfe das Nachtquartier zu nehmen.«

»Sehr wohl,« sagte die Gräfin; »und ich muß Euch die Gerechtigkeit widerfahren lassen, Julian, Ihr seid selten ein müssiger Versäumer bestimmter Stunden, wenn Ihr gleich, wie die übrige Jugend dieser Tage, Euren Erholungen bisweilen zu viel von der Zeit aufopfert, welche auf etwas Anderes verwandt werden sollte. Euer Freund Philipp aber ist ein erklärter Verächter der guten Ordnung, und scheint Vergnügen daran zu finden, die Zeit zu verschwenden, selbst wenn er sie nicht genießt.«

»Ich habe meine Zeit doch wenigstens jetzt genossen,« versetzte der Graf, indem er vom Tische aufstand und sich die Zähne flüchtig reinigte. »Diese frischen Meeraale sind köstlich; so wie auch der Wein. Ich bitte Euch, setzt Euch zum Frühstück, Julian, und eßt von den Leckerbissen, für die meine königliche Vorsicht gesorgt hat. Der alte Griffiths hätte bei unserem eiligen Rückzuge in der letzten Nacht gewiß nicht Verstand genug gehabt, einige Flaschen zu retten, wenn ich ihm nicht über den wichtigen Gegenstand einen Wink gegeben hätte. Aber Geistesgegenwart unter Gefahr und Getümmel ist ein Kleinod, das ich immer besessen habe.«

»So wünscht' ich nur, Philipp, du möchtest sie zu besserer Absicht gebrauchen,« sprach die Gräfin, halb lächelnd, halb mißvergnügt. »Leihe mir dein Insiegel,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu; »denn es wäre, fürcht' ich, doch umsonst, dich zu bitten, diese Depeschen aus England durchzulesen, und die Vollmachten zu übernehmen, welche ich demnach ausfertigen zu lassen nöthig fand.«

»Mein Insiegel steht Euch von Herzen gern zu Befehl, Frau Mutter,« entgegnete Philipp; »aber verschont mich mit der Durchsicht dessen, worüber Ihr weit fähiger seid zu entscheiden. Ich bin, wie Ihr wißt, ein vollendeter Roi fainéant, und mengte mich nie in das Verfahren meines Maire de palais.«

Die Gräfin gab jetzt Fenella ein Zeichen, welche sogleich Wachs und Licht holte, und damit zurückkam.

»Halt, halt, um's Himmelswillen!« rief der Graf, als seine Mutter siegeln wollte. »Seht das Siegel erst an; Ihr werdet finden, es ist ein auserlesener antiker Cupido, der auf einem fliegenden Fische reitet – ich hatte es für zwanzig Zechinen von Signor Furabosco zu Rom gekauft als eine große Seltenheit für den Alterthumsfreund.« –

»Wie kannst du so spaßen, du einfältiger Mensch?« unterbrach ihn die Gräfin, ärgerlich in Ton und Miene. »Gib mir dein Insiegel, oder lieber, nimm diese Vollmachten, und siegle sie selbst.«

»Mein Insiegel – mein Insiegel – ach Ihr meint das mit den drei monströsen Füßen, welche, wie mir scheint, als das widersinnigste Sinnbild ersonnen wurden, unsre höchst abgeschmackte Majestät von Man vorzustellen. Das Insiegel – ich habe es nicht gesehen, seitdem ich es Gibbon, meinem Affen, zum Spiel gegeben habe. Er winselte erbärmlich darnach. – Ich hoffe, er wird doch nicht die grüne Brust des Oceans mit meinem Sinnbilde der Souverainität besiegelt haben.«

»Nun, beim Himmel,« sprach die Gräfin zitternd und hoch erröthend vor Aerger; »es war deines Vaters Insiegel! das letzte Pfand, das er mit seiner Liebe gegen mich, und mit seinem Segen für dich, die Nacht zuvor absandte, ehe sie ihn bei Bolton ermordeten!«

»Mutter, theuerste Mutter,« sagte der Graf aus seiner Gleichgültigkeit erwachend, und ihre Hand ergreifend, küßte er sie zärtlich; »ich scherzte nur – das Siegel ist unversehrt – Peveril weiß es. – Geht, holt es, Julian, um's Himmelswillen – hier sind meine Schlüssel – es liegt in dem linken Schubfache meines Reisenecessairs. Nein, Mutter, vergebt mir, es war nur eine mauvaise plaisanterie; bloß ein übel erfundener, unartiger, geschmackloser Spaß. Seht mich an, theuerste Mutter, und verzeiht mir.«

Die Gräfin wandte die Augen auf ihn, aus welchen schnell Thränen herabrollten.

»Philipp,« sprach sie, »du setzest mich auf eine zu unfreundliche und zu harte Probe. Laß mich nicht das allgemeine Uebergewicht deines Leichtsinns, welches über jedes Gefühl von Würde oder Pflicht lacht, durch deine persönliche Geringschätzung erfahren – laß mich nicht denken, daß, wann ich sterbe« –

»Redet nicht davon, Mutter,« unterbrach sie der Graf mit Zärtlichkeit. »Es ist wahr, ich kann nicht versprechen, das Alles zu sein, was mein Vater und seine Vorfahren waren; aber glaubt mir, kein Sohn liebt seine Mutter inniger, oder würde mehr thun, sie sich zu verbinden. Und damit Ihr dieß anerkennt, will ich nicht nur die Urkunden mit großer Gefahr meiner Finger sogleich siegeln, sondern sie auch sogleich von Anfang bis zu Ende lesen, wie auch die dazu gehörenden Depeschen.«

Eine Mutter wird leicht besänftigt, selbst wenn sie auf's Höchste beleidigt ist; und mit freudigem Herzen sah die Gräfin ihres Sohnes angenehme Gesichtszüge, während er diese Papiere las, einen Ausdruck tiefen Ernstes annehmen, den sie selten trugen. Der Graf hatte kaum die Depeschen durchgelesen, als er aufstand und sagte: »Julian, kommt mit mir.«

Die Gräfin stutzte. »Ich war gewohnt, mein Sohn,« sprach sie, »deines Vaters Rathschläge zu theilen; aber glaube nicht, daß ich mich in deine Pläne eindrängen will. Ich bin es nur zu wohl zufrieden, zu sehen, daß du die Macht und die Pflicht übernimmst, für dich selbst zu denken, worauf ich so lange bei dir gedrungen habe. Nichts desto weniger möchte doch, da ich so lange deine Oberherrschaft auf der Insel Man verwaltet habe, meine Erfahrung, wie mich dünkt, bei dem Vorhaben nicht überflüssig sein.«

»Entschuldigt mich, theuerste Mutter,« erwiederte der Graf ernsthaft, »ich habe nicht darnach gestrebt, mich hier einzumischen; wäret Ihr Euren eignen Weg gegangen, ohne mich zu Rathe zu ziehen, so wäre es recht gut gewesen; aber seitdem ich an der Angelegenheit Theil genommen habe – und sie scheint wichtig genug – muß ich sie auf's Beste nach meinem eigenen Vermögen durchführen.«

»So geh' denn, mein Sohn,« sagte die Gräfin, »und der Himmel mag dich erleuchten mit seinem Rathe, da du den meinigen nicht haben willst. – Ich vertraue auf Euch, Herr Peveril, daß Ihr ihn an das erinnern werdet, was seiner Ehre geziemt, und daß bloß ein Feigherziger seine Rechte preisgibt, und nur ein Thor seinen Feinden traut.«

Der Graf antwortete nicht, sondern nahm Peveril bei dem Arm, und führte ihn eine Wendeltreppe hinauf in sein eigenes Zimmer, und von da in einen hervorragenden Thurm, wo er, mitten unter dem Brausen der Wellen und dem Geschrei der Seemöven, mit ihm folgende Unterredung hielt: –

»Peveril, es war gut, daß ich diese Urkunden durchlas. Meine Mutter spielt die Königin in einem Grade, der mir nicht nur meine Krone, um die ich mich wenig kümmere, sondern vielleicht meinen Kopf kosten könnte, dessen beraubt zu werden mir doch unangenehm sein würde, so wenig Andre auch aus ihm machen mögen.«

»Was in aller Welt geht denn vor?« fragte Peveril mit großer Unruhe.

»Es scheint,« antwortete der Graf von Derby, »daß Alt-England, das alle zwei oder drei Jahre in ein lustiges Gehirnfieber gerieth, zum Besten seiner Aerzte, und zur Reinigung von der dumpfen Schlafsucht, welche ihm Friede und Wohlstand zugezogen haben, nun über den Gegenstand eines wirklichen oder vermeinten päbstlichen Anschlags ganz toll geworden ist. Ich las eine Abhandlung über diese Materie, von einem gewissen Oates, und fand die abgeschmackteste Thorheit darin, die ich je gelesen. Aber der verschlagene Bursche Shaftesbury, und einige andre unter den Großen, haben die Sache aufgenommen, und treiben nun darauf los, daß das Geschirr brechen und die Pferde schäumen möchten. Der König, welcher geschworen hat, niemals das Kissen zu berühren, auf dem sein Vater sich schlafen legte, schickt sich in die Zeit, und gibt dem Strome nach; der Herzog von York, wegen seiner Religion verdächtig und verhaßt, ist im Begriff, auf das feste Land getrieben zu werden; verschiedene der vornehmsten katholischen Edelleute sind bereits im Tower; und die Nation wird mit so vielen entflammenden Gerüchten und giftigen Flugschriften verfolgt, daß sie den Schweif in die Höhe gerichtet, mit den Füßen ausgeschlagen, das Gebiß zwischen die Zähne genommen hat, und eben so wüthend und unbändig ist, als im Jahr 1642.«

»Dieß Alles müßt ihr bereits gewußt haben,« versetzte Peveril. »Ich wundere mich, daß Ihr mir von so wichtigen Neuigkeiten nichts erzähltet.«

»Das würde weitläufig gewesen sein,« sprach der Graf; »überdieß wünschte ich mit Euch allein zu sein; drittens war ich im Begriff, davon zu sprechen, als meine Mutter kam; und zum Schluß, es gehörte nicht zu meinen Geschäften. Aber diese Depeschen von der Privatcorrespondenz meiner politischen Mutter geben nun der Sache eine neue Gestalt; denn wie es scheint, haben einige von den Berichterstattern sich erkühnt, die Gräfin selbst als ein Werkzeug in demselben geheimen Anschlage zu betrachten – ja, und haben diejenigen gefunden, die bereitwillig genug waren, ihrem Bericht zu glauben.«

»Auf meine Ehre,« sagte Peveril, »ihr Beide nehmt die Sache mit großer Kaltblütigkeit auf. Ich halte die Gräfin für die gelassenste unter den Beiden; denn, ihr Hierherziehen ausgenommen, zeigte sie kein Merkmal von Unruhe, und überdieß schien sie keineswegs begieriger, Euch die Sache mitzutheilen, als der Anstand nothwendig machte.«

»Meine Mutter,« entgegnete der Graf, »liebt die Macht, ob sie ihr gleich theuer zu stehen kommt. Ich wünschte, ich könnte in Wahrheit sagen, daß meine Vernachlässigung der Geschäfte bloß den Beweggrund habe, sie in ihren Händen zu lassen; aber jene bessere Triebfeder verbindet sich mit natürlicher Trägheit. Allein sie scheint gefürchtet zu haben, ich möchte nicht ganz so, wie sie, bei diesem Vorfalle denken, und sie hatte darin wohl Recht.«

»Wie kommt denn Ihr zu dem Vorfall?« fragte Julian, »und was für eine Gestalt nimmt die Gefahr an?«

»Die Sache verhält sich folgender Maaßen,« antwortete der Graf. »Ich darf Euch nicht erst an den Vorfall mit dem Obersten Christian erinnern. Dieser Mann hinterließ außer seiner Wittwe, welche ein großes Vermögen besitzt, einen Bruder, Namens Eduard Christian, den Ihr niemals gesehen habt. Nun dieser Bruder – doch ich glaube, Ihr wißt alles Uebrige.«

»Nein, auf Ehre, ich weiß nichts,« versetzte Peveril; »Ihr wißt, die Gräfin berührt selten oder nie diesen Gegenstand.«

»Warum?« sagte der Graf, »ich glaube, sie schämt sich in ihrem Herzen einigermaaßen jener tapfern That des Königthums und der obersten Gerichtsbarkeit, deren Folgen mein Vermögen so grausam zerrütteten. Je nun, Vetter, derselbe Edmund Christian war einer von den damaligen Richtern, und natürlich genug ungeneigt, dem Urtheilsspruch beizutreten, welcher seinen ältern Bruder verdammte, gleich einem Hunde erschossen zu werden. Meine Mutter, die damals hohe Macht hatte, und unter keiner höhern Aufsicht stand, würde den Richter mit derselben Brühe bedient haben, wie seinen Bruder, wäre er nicht klug genug gewesen, von der Insel zu entfliehen. Seit der Zeit hat die Sache von allen Seiten geschlafen; und ob wir gleich wußten, daß der Richter Christian gelegentlich seinen Freunden auf der Insel geheime Besuche machte, nebst einigen andern Puritanern von demselben Schlage, und besonders einem spitzöhrigen Schurken, Namens Bridgenorth, – so hat doch meine Mutter, dem Himmel sei Dank! den Verstand gehabt, ihnen durch die Finger zu sehen, wiewohl sie, aus einem oder dem andern Grunde, über diesen Bridgenorth besonders aufgebracht ist.«

»Und warum,« fragte Peveril, der sich zu sprechen zwang, um das Gefühl seiner schmerzhaften Ueberraschung zu verbergen, »warum geht nunmehr die Gräfin von einer so klugen Mäßigung ab?«

»Ihr müßt wissen, der Fall ist jetzt anders. Die Schurken sind nicht mit Duldung zufrieden – sie wollen die Obergewalt haben. Sie haben in der gegenwärtigen Hitze der Volksstimmung Freunde gefunden. Der Name meiner Mutter, und insbesondere der ihres Beichtvaters, des Jesuiten Aldrick, ist in diesem schönen Gewirr eines Complots erwähnt worden, von dem, wenn ein solches überhaupt existirt, sie so wenig weiß, als Ihr oder ich. Jedoch sie ist eine Katholikin, und das ist genug; und ich zweifle nicht, daß, wenn die Burschen sich unsers Königreichs hier bemächtigen, und uns allen die Kehlen abschneiden könnten, sie dafür den Dank des gegenwärtigen Unterhauses eben so bereitwillig erhalten würden, als der alte Christian den des Parlaments für einen ähnlichen Dienst hatte.«

»Von wem erhieltet Ihr alle diese Nachricht?« fragte Peveril mit Anstrengung.

»Aldrick hat den Herzog von York insgeheim gesehen, und seine königliche Hoheit sagte ihm, er möchte uns Nachricht schicken, daß wir auf unsere Sicherheit sähen, weil der Richter Christian und Bridgenorth mit geheimen und strengen Befehlen auf der Insel wären; daß sie da eine bedeutende Partei gebildet hätten, und wahrscheinlich in Allem, was sie gegen uns unternehmen möchten, anerkannt und beschützt werden würden. Das Volk von Ramsay und Castletown ist unglücklicherweise über einige neue Auflagen mißvergnügt, und, Euch die Wahrheit zu gestehen, ob ich gleich das gestrige plötzliche Wegziehen für einen bloßen Einfall meiner Mutter hielt, so bin ich doch fest überzeugt, sie würden uns im Schloß Rushin blokirt haben, wo wir aus Mangel an Vorräthen uns nicht würden haben halten können. Hier sind wir besser versorgt, und da wir auf unserer Hut sind, wird wahrscheinlich der beabsichtigte Aufstand nicht statthaben.«

»Und was ist nun in dieser gefährlichen Lage zu thun?« sagte Peveril.

»Das ist eben die Frage, mein lieber Vetter,« antwortete Graf Derby. »Meine Mutter weiß nur eine Art zu Werke zu gehen, und das ist durch königliche Gewalt. Hier sind die Verhaftsbefehle, die sie hat ausfertigen lassen, Eduard Christian und Robert – nein Ralph Bridgenorth aufzusuchen und zu ergreifen, und sie zu augenblicklichem Verhör zu bringen. Ohne Zweifel wünschte sie sie bald im Schloßhofe zu haben, und ein Dutzend alter Musketen gegen sie gerichtet – das ist ihre Art, alle Schwierigkeiten zu lösen.«

»Die aber Ihr, lieber Graf, gewiß nicht genehmiget,« sprach Peveril, dessen Gedanken sogleich zu Alexien zurückkehrten – wenn sie anders je von ihr entfernt gewesen waren.

»Nein sicherlich, so Etwas lass' ich mir nicht gefallen,« versetzte der Graf. »Wilhelm Christians Tod kostete mich eine schöne Hälfte meines Erbtheils. Ich habe keine Lust, mir das Mißfallen meines königlichen Bruders Carl für einen neuen Streich dieser Art zuzuziehen. Aber wie ich meine Mutter zufrieden stellen soll, weiß ich nicht. Ich wollte, der Aufstand fände statt, und dann könnten wir, da wir besser versehen sind, als sie, die Schurken auf's Haupt schlagen, und würden, weil sie den Streit anfingen, das Recht auf unserer Seite behalten.«

»Wär' es nicht besser,« fragte Peveril, »wenn diese Männer auf irgend eine Weise bewogen werden könnten, die Insel zu verlassen?«

»Gewiß,« antwortete der Graf, »aber das wird keine leichte Sache sein – sie sind hartnäckig aus Grundsätzen, und leere Drohungen werden sie nicht bewegen. Dieß Ungewitter in London ist Wind in ihre Segel, und sie werden ihren Lauf verfolgen, Ihr könnt Euch darauf verlassen. Ich habe jedoch Befehl gegeben, diejenigen Leute auf der Insel, auf deren Beistand sie zählen müssen, aufzugreifen, und wenn ich die beiden Helden finden kann, so sind hier Schaluppen genug im Hafen. – Ich will mir die Freiheit nehmen, sie auf eine hübsche weite Reise zu schicken, und ich hoffe, die Sachen werden in Ordnung gebracht werden, ehe sie zurückkommen, um Bericht davon zu geben.«

In diesem Augenblicke näherte sich ein zur Besatzung gehörender Soldat den beiden jungen Männern mit vielen Verbeugungen und Zeichen der Ehrerbietung. »Was gibt's, Freund?« sagte der Graf zu ihm. »Laß deine Complimente, und richte deine Sache aus.«

Der Mann, ein Eingeborner der Insel, antwortete in seiner Landessprache, er habe einen Brief für Seiner Gnaden, Herrn Julian Peveril. Julian griff hastig nach dem Billet, und fragte, woher es käme.

Es sei ihm von einem Mädchen übergeben worden, das ihm ein Stück Geld gegeben habe, um den Brief in Herrn Peveril's eigene Hände zu überliefern.

»Ihr seid ein glücklicher Mensch, Julian,« sagte der Graf. »Mit Eurer ernsten Miene und Eurem gesetzten Wesen und altklugen Verstande zieht Ihr die Mädchen an, ohne daß sie warten, bis um sie geworben wird, während ich, ihr Knecht und Vasall, Sprache und Muße verschwende, ohne ein freundlich Wort oder Gesicht, vielweniger einen Liebesbrief zu erhalten.«

Dieß sagte der Graf mit triumphirendem Lächeln, da er sich wirklich nicht wenig auf sein vermeintes Ansehen bei dem schönen Geschlecht zu gute that.

Indessen erregte der Brief in Peveril eine ganz andere Gedankenreihe, als sein Gesellschafter vermuthete. Er war von Alexiens Hand, und enthielt diese wenigen Worte:

»Ich fürchte, mein Vorhaben ist unrecht; aber ich muß Euch sehen. Trefft mich Mittags bei Goddard Crovan's Steine, aber so geheim als möglich.«

Der Brief war bloß mit den Anfangsbuchstaben A. B. unterzeichnet, aber Julian erkannte sogleich die Handschrift, wie er sie oft gesehen hatte, und welche ausgezeichnet schön war. Er stand unentschlossen da; denn er sah die Schwierigkeit und Unschicklichkeit ein, sich von der Gräfin und seinem Freunde in diesem Augenblick der drohenden Gefahr zu entfernen, und doch konnte er nicht daran denken, diese Einladung zu versäumen. Er schwieg in der äußersten Verlegenheit.

»Soll ich Euer Räthsel lösen?« sagte der Graf. »Geht, wohin Euch Liebe ruft. – Ich will für Euch bei meiner Mutter eine Entschuldigung vorbringen. Aber seid dann auch nachsichtsvoller gegen Andere, als bisher, und lästert nicht die Macht des kleinen Gottes.«

»Ich will aufrichtig so viel gestehen,« sagte Peveril, »daß ich, wenn es sich mit meiner Ehre und Eurer Sicherheit verträgt, zwei Stunden zu meiner Verfügung zu haben wünschte, um so mehr, da die Art, wie ich sie anwenden werde, sehr viel Bezug auf die Sicherheit der Insel haben wird.«

»Geht immerhin,« versetzte der Graf, »und geht bald, damit Ihr so schnell als möglich zurückkommen könnt. Ich erwarte keinen unmittelbaren Ausbruch dieser großen Verschwörung. Wann die Schurken uns auf unsrer Hut sehen werden, werden sie nicht unvorsichtig hervorbrechen. Nur noch einmal, macht geschwind.«

Peveril glaubte diesen letzten Rath nicht verachten zu dürfen, und froh, sich dem Gespött seines Vetters zu entziehen, ging er hinab nach dem Thor des Schlosses, in der Absicht, auf dem Wege durch das Dorf aus den Ställen des Grafen ein Pferd zu nehmen, und nach dem bestimmten Ort hin zu reiten.



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