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Achtzehntes Kapitel.

Julian begegnete, nach seinem Eintritt in's Schloß, zuerst dem jungen Grafen, der ihn mit seiner gewohnten Güte und muntern Laune empfing.

»Der Lärm von diesem Morgen ist, hoff' ich, vorüber,« sprach Julian.

»Allerdings,« erwiederte der Graf, »und unsere genauen Nachforschungen können keinen Grund entdecken, einen Aufstand zu befürchten. Daß Bridgenorth auf der Insel ist, scheint gewiß; aber Privatangelegenheiten werden als Ursache seines Besuchs angegeben, und ich wünschte nicht, ihn festgehalten zu sehen, wofern nicht böse Anschläge von ihm und seinen Gefährten bewiesen wären. In Wahrheit scheint es, wir haben uns zu früh in Unruhe setzen lassen. Meine Mutter spricht davon, Euch über die Sache zu Rathe zu ziehen, Julian, und ich will ihrer feierlichen Mittheilung nicht vorgreifen. Sie wird, vermuth' ich, zum Theil rechtfertigend sein; denn wir fangen an, unsern Rückzug für ziemlich unköniglich zu halten, da wir, gleich Bösewichtern, geflohen sind, ehe noch Jemand uns verfolgte. Dieser Gedanke betrübte meine Mutter, welche als eine königliche Wittwe, eine königliche Regentin, eine Heldin, und eine Frau überhaupt, sich auf's Aeußerste gekränkt fühlen würde, wenn sie denken sollte, daß ihr übereilter Rückzug an diesen Ort sie dem Gelächter der Insulaner aussetzte, und sie ist daher verlegen und in übler Laune. – Aber, dem Himmel sei Dank! da schlägt die Glocke des Mittagsmahles. Ich wollte, die Philosophen, die eine gute Mahlzeit für Sünde und Zeitverschwendung halten, möchten uns nur einen halb so angenehmen andern Zeitvertreib angeben.«

Das Mahl, das der Graf als ein Mittel, sich einen Theil der Zeit, die ihm sehr lang ward, zu verkürzen, so begierig gewünscht hatte, war bald vorüber, so bald wenigstens, als die gewöhnliche fürstliche Pracht im Haushalte der Gräfin es erlaubte. Sie selbst, in Begleitung ihrer Kammerfrauen und Bedienten, zog sich, nach aufgehobener Tafel, frühzeitig zurück, und die jungen Männer blieben allein. Wein hatte für den Augenblick keinen Reiz für den einen oder den andern, denn der Graf war ganz mißmuthig vor Langerweile und Ueberdruß an seiner eintönigen und einsamen Lebensweise, und die Begebenheiten des Tages hatten Julian zu viel Stoff zum Nachdenken gegeben, um ihm zu erlauben, unterhaltende und anziehende Materien des Gesprächs aufzusuchen. Nachdem die Flasche einige Male stillschweigend unter ihnen herumgegangen war, zog sich Jeder in eine abgesonderte Nische der Fenster des Speisezimmers zurück.

Während Peveril umsonst aus den von dem Vater und der Tochter gegebenen Winken etwas Wahrscheinliches herauszuziehen suchte, fühlte er etwas ihn sanft bei dem Mantel zupfen. Er schlug seine im Nachdenken in einander geschlungenen Arme aus einander, zog seine Augen von der leeren Aussicht der Seeküste und des Meeres, worauf sie ziemlich unbewußt gerichtet waren, zurück, und sah neben sich Fenella. Sie saß auf einem niedrigen Kissen oder Stuhle, mit welchem sie dicht an Peveril's Seite gerückt, und da seit kurzem geblieben war, vermuthlich in Erwartung, er würde ihre Gegenwart bemerken, bis sie endlich, aus Ueberdruß, unbemerkt zu bleiben, seine Aufmerksamkeit auf die angezeigte Art erweckte. Aufgeschreckt aus seiner Träumerei, blickte er herab, und konnte nicht ohne Theilnahme dieß sonderbare und hülflose Wesen betrachten.

Ihr Haar war aufgebunden, und wallte über ihre Schultern in solcher Länge, daß viel davon auf dem Boden lag, und in solcher Fülle, daß es einen dunkeln Schleier oder Schatten, nicht bloß um ihr Gesicht, sondern über die ganze schmächtige und niedliche Gestalt bildete. Aus dem Wallen ihrer Locken blickten ihre kleinen und dunkeln, aber wohlgebildeten Gesichtszüge nebst den großen glänzendschwarzen Augen hervor, und ihr ganzes Gesicht hatte eine flehende Miene angenommen.

Da Peveril merkte, daß ihr ungewohntes Wesen aus der Erinnerung des diesen Morgen zwischen ihnen vorgefallenen Streits entsprang, so war er bemüht, die Munterkeit der Kleinen wieder herzustellen, indem er ihr zu verstehen gab, daß bei ihm keine unangenehme Erinnerung an ihren Zwist übrig geblieben wäre. Er lächelte freundlich, und schüttelte ihr die Hand, während er ihr mit der Vertraulichkeit längerer Bekanntschaft die langen, dunkeln Locken mit der Hand zurückstrich. Sie senkte, wie beschämt, und zugleich über seine Liebkosungen erfreut, den Kopf, – und so wurde er veranlaßt, sie fortzusetzen, bis er fühlte, daß sie unter dem Schleier ihrer starken und reichen Locken seine andere Hand, die sie immer fest in der ihrigen hielt, leise mit ihren Lippen berührte, und zu gleicher Zeit mit einer Thräne benetzte. Hastig zog er seine Hand zurück, veränderte seine Stellung, und fragte sie mit einem durch Gewohnheit geläufigen Zeichen, ob sie ihm von der Gräfin irgend eine Botschaft brächte. Im Augenblick war Fenella's ganzes Betragen verändert; sie fuhr auf, setzte sich mit Blitzesschnelle zurecht, und flocht in demselben Augenblick mit einer Wendung ihrer Hand ihre langen Locken in die schönsten Flechten zusammen. Es war freilich, wann sie aufblickte, noch eine Röthe auf ihren dunkeln Gesichtszügen sichtbar, aber ihr schwermüthiger und schmachtender Ausdruck hatte dem einer wilden und ungeordneten Lebhaftigkeit Platz gemacht, welcher ihnen am gewöhnlichsten eigen war. Ihre Augen glänzten von mehr als gewohntem Feuer, und ihre Blicke waren unsteter als gewöhnlich. Auf Julians Frage antwortete sie mit Auflegen ihrer Hand an ihr Herz, – eine Bewegung, womit sie immer die Gräfin bezeichnete, – und indem sie aufstand, und die Richtung nach ihrem Zimmer nahm, gab sie Julian ein Zeichen, ihr zu folgen.

Die Entfernung zwischen dem Speisezimmer und demjenigen Zimmer, in das Peveril jetzt seiner stummen Führerin folgte, war nicht groß; doch hatte er im Hingehen Zeit genug, sich dem Gedanken hinzugeben, daß dieß unglückliche Mädchen die einfache Güte, mit der er sie behandelt hatte, falsch ausgelegt haben, und ihn nun mit zärtlichern Gefühlen betrachten möchte, als der bloßen Freundschaft zukommen, und er faßte den innern Entschluß, sich gegen Fenella so zu benehmen, daß solche übel angebrachte Gefühle entfernt würden, wenn sie unglücklicherweise sie ja gegen ihn hegen sollte.

Als sie das Zimmer der Gräfin erreichten, fanden sie sie mit Schreibmaterialien und vielen gesiegelten Briefen umgeben. Sie empfing Julian mit gewohnter Güte, und nachdem sie ihn sich hatte setzen lassen, winkte sie der Stummen, ihre Nadel zu nehmen. Im Augenblick setzte sich Fenella an einen Stickrahmen, wo sie für eine Bildsäule hätte gelten können, so wenig bewegte sie Kopf oder Auge von ihrer Arbeit. Da ihre Gehörlosigkeit ihre Gegenwart zu keinem Hinderniß der vertrautesten Unterredung machte, so sprach nun die Gräfin zu Peveril, als wenn sie ganz allein beisammen wären. »Julian,« sagte sie, »ich will mich jetzt nicht bei Euch über die Gesinnungen und das Betragen Derby's beklagen. Er ist Euer Freund, – er ist mein Sohn. Er hat Güte des Herzens, und Lebhaftigkeit des Talents, und doch –«

»Theuerste Gräfin,« unterbrach sie Peveril, »warum wollt Ihr Euch damit betrüben, daß Ihr Euren Blick auf Mängel heftet, die eher aus einer Veränderung der Zeiten und der Sitten, als aus einer Ausartung meines edeln Freundes entspringen? Laßt ihn einmal mit seiner Pflicht im Kriege oder im Frieden beschäftigt sein, und laßt mich dafür büßen, wenn er nicht seinen Beruf so vollzieht, wie es seinem hohen Posten ziemt.«

»Ja,« erwiederte die Gräfin, »aber wann wird der Ruf der Pflicht sich mächtiger zeigen, als der des müßigsten und gemeinsten Vergnügens, das nur zum Vertreiben der Langenweile dienen kann? Sein Vater war von einem andern Schlage; und wie oft war es mein Loos, ihn bitten zu müssen, daß er von der strengen Erfüllung jener Pflichten, die ihm sein hoher Posten auflegte, sich nur die seiner Gesundheit nöthige Erholung erübrigen möchte.«

»Immer, meine theuerste Gräfin,« sagte Peveril, »müßt Ihr doch zugeben, daß die Pflichten, zu welchen Euren verewigten Gemahl die Zeiten aufforderten, von einer mehr aufregenden und entscheidenden Art waren, als die, welche Euren Sohn erwarten.«

»Das wüßt' ich nicht,« erwiederte die Gräfin. »Das Rad scheint sich wieder umzudrehen, und die gegenwärtige Periode wird nicht unwahrscheinlich solche Auftritte zurückbringen, als ich in meinen jüngern Jahren erlebt habe. – Gut, es mag sein; sie werden Charlotte de la Tremouille nicht muthlos finden, wenn auch von den Jahren gebeugt. Es war gerade dieser Gegenstand, über den ich mit Euch sprechen wollte, mein junger Freund. Seit unserer ersten frühen Bekanntschaft, – als ich Euer tapferes Betragen sah, – hat es mich gefreut, Euch als einen echten Sohn von Stanley und Peveril mir zu denken. Ich bin versichert, Eure Erziehung in dieser Familie ist immer der Achtung, die ich für Euch hege, angemessen gewesen. – Doch ich verlange keinen Dank. – Ich habe von Euch zur Vergeltung eine Dienstleistung zu erbitten, die vielleicht nicht ganz sicher für Euch selbst ist, welche aber, nach den Umständen der Zeit, meinem Hause zu erzeigen Ihr am fähigsten seid.«

»Ihr seid stets meine edle Gebieterin, und ich darf sagen, mütterliche Beschützerin gewesen,« versetzte Peveril. »Ihr habt ein Recht, über das Blut Stanley's in den Adern eines Jeden zu gebieten, – Ihr habt tausend Rechte, darüber in den meinigen zu gebieten.«

»Meine Berichte aus England,« fuhr die Gräfin fort, »gleichen mehr den Träumen eines Kranken, als den ordentlichen Belehrungen, die ich von meinen Correspondenten hätte erwarten sollen; – ihre Ausdrücke gleichen den Reden der Schlafwandler, die in abgebrochenen Worten von ihren Träumen sprechen. Man sagt, ein wirklicher oder erdichteter Anschlag sei unter den Katholiken entdeckt worden, welcher viel weiter einen unbegränzten Schrecken verbreitet hat, als jenes Complot vom fünften November. – Die Umrisse dieses Anschlags sind ganz unglaublich, und stützen sich bloß auf das Zeugniß Elender, der Niedrigsten und Nichtswürdigsten in der Schöpfung; doch wird die Sache von dem leichtgläubigen Volke Englands mit voller Ueberzeugung angenommen.«

»Dieß ist eine sonderbare Täuschung; ein Aufstand ohne einen wirklichen Grund,« bemerkte Julian.

»Ich bin keine Frömmlerin, Vetter, aber doch eine Katholikin,« erwiederte die Gräfin. »Ich habe lange gefürchtet, daß der wohlgemeinte Eifer unserer Priester, die Mitglieder unserer Kirche zu vermehren, ihnen den Argwohn der englischen Nation zuziehen würde. Diese Bemühungen sind mit doppelter Energie erneuert worden, seitdem der Herzog von York sich zu dem katholischen Glauben hält, und dieses Ereigniß hat den Haß und die Eifersucht der Protestanten verdoppelt. So weit, fürcht' ich, mag hier gerechte Ursache zum Argwohn sein, daß der Herzog ein besserer Katholik, als ein Engländer ist, und daß Frömmelei sich seiner bemächtigt hat, so wie Geiz oder die armselige Habsucht eines Verschwenders seinen Bruder in Verbindungen mit Frankreich verwickelt hat, worüber England nur zu viel Grund sich zu beklagen haben mag. Aber die groben, plumpen und handgreiflichen Unwahrheiten von Verschwörung und Mord, Blutvergießen und Brand, – die eingebildeten Armeen, – die beabsichtigten Metzeleien, – bilden eine Sammlung von Lügen, die man selbst für den rohen Appetit des Pöbels zum Wunderbaren und Schauderhaften unverdaulich finden sollte, welche aber nichts desto weniger als Wahrheit von beiden Häusern des Parlaments angenommen und von Keinem in Zweifel gezogen werden, der der verhaßten Benennung eines Freundes der blutigen Papisten und eines Begünstigers ihrer höllisch-grausamen Entwürfe entgehen will.«

»Aber was sagen diejenigen, die höchst wahrscheinlich durch diese Gerüchte in Anspruch genommen werden?« fragte Julian. »Was sagen die englischen Katholiken selbst? – eine große und reiche Gemeinde, die so viele edle Namen in sich vereint?«

»Ihre Herzen sind in ihnen wie todt,« antwortete die Gräfin. »Sie gleichen Schafen, die eingesperrt sind, damit der Fleischer sich die besten auslese. In den dunkeln und kurzen Nachrichten, die ich von einer sichern Hand habe, erwarten sie nur ihren eigenen und unsern gänzlichen Untergang, – so allgemein ist die Niedergeschlagenheit, so allgemein die Verzweiflung.«

»Aber der König,« fragte Julian weiter, – »der König und die protestantischen Royalisten, – was sagen sie zu dem sich erhebenden Sturm?«

»Carl,« antwortete die Gräfin, »mit seiner gewohnten selbstsüchtigen Klugheit, unterwirft sich gegenwärtig dem Ungewitter, und wird eher Strick und Beil ihr Werk an den unschuldigsten Menschen in seinen Ländern verrichten lassen, als eine Stunde des Vergnügens verlieren, um ihre Rettung zu unternehmen. Und was die Royalisten betrifft, so hat sie entweder der allgemeine Wahn ergriffen, der die Protestanten überhaupt befallen hat, oder sie halten sich entfernt und neutral, in Furcht, irgend einen Antheil an den unglücklichen Katholiken zu beweisen, damit sie nicht diesen gleich und für Beförderer der furchtbaren Verschwörung gehalten, in die sie verwickelt sein sollen. In Wahrheit, ich kann sie nicht tadeln. Es ist schwerlich zu erwarten, daß bloßes Mitleiden für eine verfolgte Secte – oder, was noch seltener ist, reine Liebe zur Gerechtigkeit – mächtig genug sein sollte, die Menschen zu bewegen, sich der erwachten Wuth eines ganzen Volkes auszusetzen; denn bei der gegenwärtigen allgemeinen Bewegung wird Jeder, der nur das Geringste von den ungeheuern Unwahrscheinlichkeiten, welche diese elenden Angeber aufgehäuft haben, bezweifelt, augenblicklich niedergehetzt, als einer, der die Entdeckung des Complots ersticken wollte. Es ist in der That ein furchtbares Ungewitter; und so entfernt wir auch von seinem Umkreise liegen, so müssen wir doch bald befürchten, seine Wirkungen zu empfinden.«

»Lord Derby sagte mir schon etwas hievon,« sprach Julian; »und daß es Agenten auf dieser Insel gäbe, die einen Aufstand erregen wollten.«

»Ja,« versetzte die Gräfin, und ihr Auge sprühte Feuer; »und wäre auf meinen Rath gehört worden, so hätte man sie auf der That ergriffen, und wäre so mit ihnen verfahren, daß alle Andern gewarnt worden wären, die eine unabhängige Gewalt auf solche Weise suchten. – Aber mein Sohn, der gewöhnlich so strafbar nachlässig in seinen eigenen Angelegenheiten ist, beliebte die Besorgung derselben bei dieser Krisis zu übernehmen.«

»Es freut mich zu hören, gnädige Gräfin,« entgegnete Peveril, »daß die Vorsichtsmaaßregeln, die mein Verwandter befolgte, die vollständige Wirkung gehabt haben, die Verschwörung zu vereiteln.«

»Für jetzt, Julian; aber sie hätten von der Art sein sollen, daß sie die Kühnsten zittern gemacht hätten, an solche Angriffe auf unsere Rechte für die Zukunft zu denken. Allein Derby's gegenwärtiger Plan führt größere Gefahr mit sich; und doch ist Etwas von Tapferkeit darin, womit ich zufrieden bin.«

»Was ist sein Plan, gnädige Gräfin?« fragte Julian unruhig; »und worin kann ich helfen, oder die Gefahr abwenden?«

»Er ist willens,« sagte die Gräfin, »sogleich nach England abzureisen. Er ist, wie er sagt, nicht bloß das Lehnsoberhaupt einer kleinen Insel, sondern auch einer von den edlen Pairs von England, welcher nicht in der Sicherheit eines entfernten unbekannten Schlosses zurückbleiben darf, wenn sein oder seiner Mutter Name vor seinem König und Volke verleumdet wird. Er will, wie er sagt, seine Stelle im Oberhause einnehmen, und öffentlich für den seinem Hause durch meineidige und eigennützige Zeugen angethanen Schimpf Gerechtigkeit fordern.«

»Es ist ein edelmüthiger Entschluß, wie er meines Freundes würdig ist,« sprach Peveril. »Ich will mit ihm gehen und sein Schicksal mit ihm theilen, wie es auch ausfalle. Oder laßt mich nach London gehen,« fuhr er nach einer Pause fort. »Ihr waret immer gewohnt, etwas auf mein Urtheil zu halten. Ich will das Beste thun – ich hoffe, auf's Schlimmste kann ich Euch von der Gefahr, von der Ihr oder der Graf bedroht wäret, unterrichten, und kann auch vielleicht die Mittel anzeigen, sie zu entfernen.«

Die Gräfin horchte mit einer Miene, in welcher die Unruhe mütterlicher Zärtlichkeit, die ihr eingab, Peveril's edelmüthiges Anerbieten anzunehmen, mit ihrer natürlichen uneigennützigen und edeln Denkungsart kämpfte. »Bedenkt, was Ihr von mir fordert, Julian,« versetzte sie mit einem Seufzer. »Verlangt Ihr, ich soll das Leben des Sohnes meines Freundes jenen Gefahren aussetzen, denen ich meinen eigenen entziehe? – Nein, nimmer.«

»O nein, meine theure Gräfin,« erwiederte Julian. »Ich laufe nicht dieselbe Gefahr – meine Verhältnisse sind zwar in meiner eignen Heimath nicht in Dunkelheit verborgen, in London aber zu wenig bekannt, um in diesem ungeheuern Sammelplatz von Allem, was vornehm und reich ist, bemerkt zu werden. Keine heimliche Nachrede hat, glaub' ich, meinen Namen, auch nicht unmittelbar, mit jener Verschwörung in Verbindung gebracht. Ich bin vor Allem Protestant und kann keines mittelbaren oder unmittelbaren Verkehrs mit der römischen Kirche beschuldigt werden. Meine Verbindungen habe ich auch unter Solchen, die, wenn sie sich mir nicht befreunden wollen oder können, mir wenigstens nicht gefährlich zu werden vermögen. Mit einem Worte, ich laufe keine Gefahr, wo der Graf allerdings viel wagen dürfte. Ich gehe sogleich, um den Grafen von meiner Abreise zu benachrichtigen.«

»Bleibt, Julian,« sagte die Gräfin; »wenn Ihr die Reise zu unserm Besten unternehmet – und ach! ich habe nicht Edelmuth genug, Euer Anerbieten auszuschlagen – so müßt Ihr allein gehen, und ohne mit Derby davon zu sprechen. Ich kenne ihn gut; sein Leichtsinn ist frei von niedriger Selbstsucht, und um alle Welt würde er nicht zugeben, daß Ihr die Insel Man ohne ihn verließet. Und wenn er mit Euch ginge, so würde Eure edle und uneigennützige Güte nichts helfen – Ihr würdet nur seinen Untergang theilen.«

»Es soll geschehen, wie Ihr wünscht, gnädige Gräfin,« sprach Peveril. »Ich bin bereit, in einer halben Stunde nach erhaltener Anzeige abzureisen.«

»Diese Nacht also,« sagte die Gräfin nach einer augenblicklichen Pause – »diese Nacht will ich die geheimste Veranstaltung zur Ausführung Eures edeln Vorhabens treffen; denn ich möchte nicht das Vorurtheil gegen Euch erregen, das sogleich entstehen würde, wenn es bekannt wäre, daß Ihr nur vor Kurzem diese Insel und ihre papistische Gebieterin verlassen hättet. Ihr werdet vielleicht wohl thun, wenn Ihr in London einen erdichteten Namen annehmet.«

»Verzeiht, theure Gräfin,« sagte Julian; »ich will nichts thun, was ohne Noth die Aufmerksamkeit auf mich ziehen könnte; aber einen erdichteten Namen zu führen, oder, außer dem eingezogensten Leben, irgend eine Verkleidung zu gebrauchen, würde, dünkt mir, eben so unweise als unwürdig sein, und ich würde es, wenn ich in Anspruch genommen würde, nicht leicht als verträglich mit vollkommener Redlichkeit der Absichten zu rechtfertigen wissen.«

»Ich glaube, Ihr habt Recht,« sagte die Gräfin nach augenblicklicher Ueberlegung, und setzte dann hinzu: »Ohne Zweifel wollt Ihr durch die Grafschaft Derby reisen und das Schloß Martindale besuchen?«

»Ich würde es wünschen, gnädige Frau,« antwortete Peveril, »wenn die Zeit es erlaubte, und die Umstände es rathsam machten.«

»Das werdet Ihr selbst am besten beurtheilen können,« sprach die Gräfin. »Beschleunigung ist unstreitig zu wünschen; auf der andern Seite werdet Ihr, wenn Ihr von Eurem Familiensitz ankommt, weniger ein Gegenstand des Zweifels und Argwohns sein, als wenn Ihr von hier ankämet, ohne selbst Eure Eltern zu besuchen. Ihr müßt in diesem – in Allem – Euch durch Eure eigene Klugheit leiten lassen. Geht, mein theuerster Sohn; denn mir sollt Ihr so theuer sein, wie ein Sohn – geht, und rüstet Euch zu Eurer Reise. Ich will geschwind einige Depeschen besorgen und einen Zuschuß an Geld – Nein, weigert Euch nicht. Bin ich nicht Eure Mutter, und vollziehet Ihr nicht eines Sohnes Pflicht? Bestreitet mir nicht mein Recht, Eure Ausgaben zu tragen. Auch ist dieß nicht Alles; denn da ich es Eurem Eifer und Eurer Klugheit anvertrauen muß, wann es die Gelegenheit fordern wird, zu unserm Besten zu handeln, so will ich Euch mit kräftigen Empfehlungen an unsere Freunde und Verwandte versehen, und sie bitten und es ihnen auftragen, Euch alle Hülfe zu leisten, die Ihr entweder zu Eurem eigenen Schutz oder zur Beförderung Eurer Absichten für unsere Sache wünschen könnet.«

Peveril widersetzte sich nicht weiter einer Verfügung, welche in Wahrheit der mittelmäßige Zustand seiner eigenen Finanzen fast unentbehrlich machte, und die Gräfin gab ihm Wechselbriefe von zweihundert Pfund auf einen Kaufmann, worauf sie ihn für eine Stunde entließ.

Die Vorbereitungen zu seiner Reise waren nicht von der Art, daß sie die Gedanken, die ihn drückten, hätten zerstreuen können. Er fand, daß eine halbstündige Unterredung seine unmittelbaren Aussichten und seine Entwürfe für die Zukunft wieder einmal völlig verändert hatte. Er hatte der Gräfin von Derby einen Dienst angeboten, den ihre sich immer gleiche Güte aus seiner Hand wohl verdiente; aber durch die Annahme desselben kam er auf den Punkt, von Alexie zu einer Zeit getrennt zu werden, da sie ihm durch das Bekenntniß einer gegenseitigen Leidenschaft theurer als je geworden war. Ihr Bild erhob sich vor ihm, so wie er sie an jenem Tage an seine Brust gedrückt hatte – ihre Stimme tönte in sein Ohr, und schien zu fragen, ob er sie in der bedenklichen Zeit der Gefahr, die Alles als bevorstehend ankündigte, verlassen könne. Aber Julian war, ungeachtet seiner Jugend, streng in Beurtheilung seiner Pflicht, und fest entschlossen, sie zu vollziehen. Er überließ sich nicht seiner Einbildungskraft, die sich darbietende Erscheinung weiter zu verfolgen, sondern ergriff entschlossen die Feder, und schrieb an Alexien folgenden Brief, der seine Lage schilderte, so wie es ihm die gerechte Rücksicht auf die Gräfin erlaubte.

»Ich verlasse Euch, theuerste Alexie, und ob ich gleich, indem ich es thue, nur Eurem Befehle gehorche, so kann ich doch auf wenig Verdienst wegen meiner Folgsamkeit Anspruch machen, weil ich fürchte, ohne hinzugekommene und höchst dringende Gründe nicht fähig gewesen zu sein, diese Eure Forderungen zu erfüllen. Aber Familienangelegenheiten von Wichtigkeit nöthigen mich, ich besorge, für mehr als eine Woche, mich von dieser Insel zu entfernen. Meine Gedanken, Hoffnungen und Wünsche werden auf jenen Augenblick gerichtet sein, der mich wieder nach Blackfort und seinem lieblichen Thale bringt. Lasset mich hoffen, daß die Eurigen zuweilen auf der einsamen Verbannung weilen, welche nichts, als das Gebot der Pflicht und der Ehre dazu machen konnte. Fürchtet nicht, daß ich gesonnen bin, Euch in einen geheimen Briefwechsel zu verwickeln, und lasset es Euren Vater nicht fürchten. Ich könnte Euch nicht so lieben, ohne die Offenheit und Lauterkeit Eures Wesens; und ich wünschte nicht, daß Ihr Eurem Vater eine Sylbe von dem verhehltet, was ich hier bekenne. In Hinsicht andrer Dinge kann er selbst die Wohlfahrt unsers gemeinschaftlichen Vaterlandes nicht eifriger wünschen, als ich. Verschiedenheiten können vorkommen in Absicht auf die Art, wie dieselbe zu erlangen ist, aber in der Hauptsache kann, ich bin davon überzeugt, unsere Denkungsart nur dieselbe sein; auch kann ich mich nicht weigern, auf seine Erfahrung und Weisheit zu hören, selbst wenn sie am Ende mich nicht überzeugen sollten. Lebt wohl, Alexie, lebt wohl! Viel ließe sich dem schwermüthigen Worte beifügen, aber nichts, das die Bitterkeit des Gefühls ausdrückte, womit es geschrieben wurde. Doch ich könnte es eher immer von Neuem hinschreiben, als die letzte Unterhaltung schließen, die ich mit Euch auf einige Zeit haben kann. Mein einziger Trost ist, daß mein Aufenthalt kaum so lange dauern wird, um Euch denjenigen vergessen zu lassen, der Euch nie vergessen kann.«

Nachdem er den Brief gesiegelt hatte, rief er seinen Bedienten, und hieß ihn denselben, im Einschluß eines Schreibens an Deborah, in ein Haus in Rushen bringen, wo Packete und Briefschaften für die Familie zu Blackfort gewöhnlich niedergelegt wurden. Auf diese Art wurde er eines Dieners los, der einigermaaßen einen Kundschafter seiner Bewegungen hätte machen können. Dann vertauschte er seine gewöhnliche Kleidung mit einem Reiseanzug, und nachdem er einige Wäsche in den Mantelsack gesteckt hatte, wählte er zur Bewaffnung ein starkes zweischneidiges Schwert und ein treffliches Paar Pistolen, welche er sorgfältig mit doppelten Kugeln lud. So gerüstet, und mit zwanzig Pfund in seiner Börse, nebst den erwähnten Wechseln in einer besondern Brieftasche, war er in Bereitschaft abzureisen, sobald er die Befehle der Gräfin erhalten würde.

Das erhebende Feuer der Jugend und der Hoffnung, das für einen Augenblick durch die schmerzhaften und zweifelhaften Umstände seiner gegenwärtigen Lage und durch die bevorstehende Trennung gedämpft worden war, erwachte wieder in aller Kraft. Seine Fantasie, von schmerzlichen Erwartungen sich abwendend, stellte ihm vor, daß er jetzt in einem entscheidenden Zeitpunkt in's Leben träte, wo Entschlossenheit und Talente fast gewiß das Glück ihrer Besitzer machen könnten. Wie konnte er ehrenvoller auf die geräuschvolle Bühne treten, als in Geschäften für eines der edelsten Häuser Englands. Und würde er seine Aufträge mit der zum glücklichen Erfolg nöthigen Entschlossenheit und Klugheit ausrichten, wie viele Vorfälle konnten Bridgenorth seine Vermittelung nothwendig machen, und ihn so in Stand setzen, unter den billigsten und ehrenvollsten Bedingungen einen Anspruch auf seine Dankbarkeit und auf die Hand seiner Tochter zu begründen!

Während er bei solchen angenehmen, wiewohl nur eingebildeten Aussichten verweilte, konnte er sich nicht enthalten, laut auszurufen: »Ja, Alexie, ich will dich auf eine edle Art gewinnen!« Die Worte waren kaum seinen Lippen entflohen, als er an seiner, von dem Bedienten halb offen gelassenen Thüre einen Laut, gleich einem tiefen Seufzer, und sogleich darauf ein leises Klopfen hörte. – »Herein!« rief Julian, etwas beschämt über seine letztere Ausrufung, und nicht wenig erschrocken, daß er belauscht worden sein möchte, – »herein!« rief er wieder, aber sein Geheiß wurde nicht erfüllt; im Gegentheil ward das Klopfen etwas lauter wiederholt. Er öffnete die Thüre, und Fenella stand vor ihm.

Mit Augen, die von frischen Thränen roth schienen, und mit einer Miene der tiefsten Niedergeschlagenheit machte die kleine Stumme, erst ihren Busen berührend und mit dem Finger winkend, das gewöhnliche Zeichen, daß ihn die Gräfin zu sehen wünschte; dann wandte sie sich, um ihn in das Zimmer derselben zu führen. Als er ihr durch die langen, dunkeln, gewölbten Gänge, welche zwischen den verschiedenen Gemächern des Schlosses Verbindung unterhielten, nachfolgte, konnte es ihm nicht entgehen, daß sie ihren gewöhnlichen schwebenden Gang mit einem langsamen, traurigen Schritte vertauschte, den sie mit leisen, unartikulirten Wehklagen begleitete, wie auch mit einem Händeringen und andern Zeichen der äußersten Betrübniß.

In diesem Augenblick fuhr Julian ein Gedanke durch die Seele, der, trotz seiner bessern Einsicht, ihn unwillkürlich schaudern machte. Als ein Abkömmling der Peveril vom Gipfel und lange wohnhaft auf der Insel Man, war er mit vielen abergläubischen Sagen bekannt, und besonders mit einem Glauben, welcher der mächtigen Familie der Stanley als ihren besondern Schutzgeist ein weibliches Wesen beilegte, das durch sein Geschrei böse Zeiten zu verkündigen pflegte, und welches man gewöhnlich vor dem Tode einer zur Familie gehörigen angesehenen Person weinen und wehklagen hörte. Für einen Augenblick konnte Julian sich nicht von dem Glauben losmachen, daß die weinende, unverständliche Laute von sich gebende Gestalt, die mit einer Lampe in der Hand vor ihm hinschritt, der Genius vom Geschlecht seiner Mutter wäre, und ihm sein vorherbestimmtes Verderben ankündigte.



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