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Dreizehntes Kapitel.

Endlich trat Alexie Bridgenorth in das Zimmer, wo ihr unruhiger Liebhaber sie so lange erwartet hatte. Sie kam mit langsamen Schritten und gelassenem Wesen. Ihr Anzug war mit einer Sorgfalt geordnet, welche nicht nur den Ausdruck seiner puritanischen Einfachheit erhöhete, sondern auch dem jungen Peveril als eine schlimme Vorbedeutung auffiel. Denn obgleich die auf die Toilette verwandte Zeit in vielen Fällen den Wunsch verräth, bei solch einer Zusammenkunft einen vortheilhaften Eindruck zu machen, so deutet doch eine ceremoniöse Anordnung der Tracht gar sehr auf Förmlichkeit und die Absicht hin, einen Liebhaber mit kalter Höflichkeit zu behandeln.

Der dunkelfarbige Rock, die niedergedrückte und in Falten gelegte Haube, welche sorgfältig das reichliche dunkelbraune Haar verbarg, der schmale Kragen und die langen Aermel würden einer weniger reizenden Gestalt, als die Alexiens war, sehr zum Nachtheil gereicht haben; aber ihre hübsche Gestalt, wiewohl die Umrisse bis jetzt noch nicht zum Ausdruck vollkommener weiblicher Schönheit genug abgerundet waren, vermochte selbst diese unpassende Tracht zu unterstützen und ihr Anmuth zu leihen. Ihre holde und zarte Gesichtsbildung, mit hellbraunen Augen und einer alabasterweißen Stirne, hatte jedoch weniger regelmäßige Schönheit, als ihr Wuchs, und würde noch manche gegründete Ausstellung erlaubt haben. Allein es war ein Geist und Leben in ihrer Munterkeit, und eine Tiefe des Gefühls in ihrem Ernste, wodurch Alexie im Umgange mit den sehr wenigen Personen, zu denen sie sich gesellte, so bezaubernd in Geberden und Sprache, – so einnehmend auch in der Einfalt und Reinheit ihres Sinnes ward, daß wohl blendendere Schönheiten in ihrer Gesellschaft übersehen werden konnten. Es war daher kein Wunder, daß ein feuriger Charakter, wie Julians, sowohl dieser Reize, als des Verborgenen und Geheimnißvollen seines Umgangs mit Alexien wegen, die Abgeschiedenheit Blackforts allen andern Orten vorzog, die er im Verkehr mit der Welt kennen gelernt hatte.

Sein Herz klopfte stark, als sie in's Zimmer trat, und fast ohne ein Wort hervorbringen zu können, bewillkommnete er sie bei ihrem Eintritt mit einer tiefen Verbeugung.

»Das ist eine Verhöhnung, Herr von Peveril,« sagte Alexie mit einem Streben nach Festigkeit im Ton, das jedoch durch ein leichtes Zittern ihrer Stimme gestört wurde, – »eine Verhöhnung, und zwar eine recht grausame. Ihr kommt an diesen abgelegenen Ort, der bloß von zwei weiblichen Wesen bewohnt wird, die zu arglos sind, Eure Entfernung zu gebieten, – zu schwach, sie zu erzwingen, – Ihr kommt trotz meiner ernstlichen Bitte, – mit Versäumniß Eurer eigenen Zeit, – und zum Nachtheil, wie ich fürchten darf, für meinen Charakter. – Ihr mißbraucht die Macht, die Ihr über die arglose Person habt, der ich anvertraut bin, – dieß Alles thut Ihr, und glaubt, es mit tiefen Bücklingen und erzwungener Höflichkeit gut zu machen! Ist dieß rechtschaffen, oder ist es edel?« – »Ist es,« – setzte sie nach einem augenblicklichen Stocken hinzu, – »ist es freundlich?«

Der zitternde Accent fiel vornämlich auf das letzte Wort, das sie sprach, und es wurde in einem leisen Tone sanften Verweises gesprochen, welcher Julians Herz rührte.

»Alexie,« sagte er, »gäbe es eine Art und Weise, bei der ich, mit Gefahr meines Lebens, Euch meine Achtung, meine Ehrerbietung, meine zärtliche Ergebenheit beweisen könnte, die Gefahr würde mir theurer sein, als mir je ein Vergnügen war.«

»So habt Ihr oft gesprochen,« antwortete Alexie, »und das sind Sachen, die ich nicht hören sollte, und nicht zu hören wünsche. Ich habe keine Unternehmungen aufzulegen, – keine Feinde, die zu vernichten wären, – keinen Schutz nöthig oder zu verlangen, – keinen Wunsch, der Himmel weiß es, Euch in Gefahr zu setzen. – Eure Besuche hier sind es allein, was mit Gefahr verbunden ist. Ihr dürft nur Euren Eigensinn beherrschen, – Eure Gedanken und Sorgen anderwärts hinwenden, und ich kann nichts zu verlangen, nichts zu wünschen haben. Gebraucht Ihr Eure eigene Vernunft, – bedenkt das Unrecht, das Ihr Euch selber anthut, – die Ungerechtigkeit gegen uns, – und laßt mich noch einmal in der Güte Euch bitten, Euch von diesem Orte zu entfernen, – bis – bis –«

Sie hielt inne, und Julian fiel heftig ihr in die Rede: »Bis wann, Alexie? – bis wann? Bestimmt mir die Dauer der Abwesenheit, die Eure Strenge über mich verhängen kann, und welche gegen eine entschiedene Trennung immer kurz ist. – Sagt, entferne dich auf Jahre, aber komme wieder, wenn diese Jahre vorüber sind; und so langsam und lästig sie hinschleichen werden, so wird doch der Gedanke, daß sie endlich ablaufen müssen, mich fähig machen, sie zu durchleben. Laßt mich also Euch beschwören, Alexie, mir eine Frist zu nennen, – zu sagen, bis wann

»Bis Ihr es ertragen könnt, mich nur als eine Freundin und Schwester zu betrachten.«

»Das ist freilich ein Ausspruch ewiger Verbannung,« sagte Julian; »er scheint allerdings einen Termin der Verweisung festzusetzen, jedoch unter einer unmöglichen Bedingung.«

»Und warum unmöglich, Julian?« fragte Alexie in einem Tone von Ueberzeugung; »waren wir nicht glücklicher, bevor Ihr die Maske von Eurem Gesichte nahmt, und den Schleier von meinen bethörten Augen hinwegzoget? – Kamen wir nicht froh zusammen, brachten unsere Zeit glücklich zu, und schieden vergnügt, weil wir keine Pflicht verletzten und uns keine Selbstverweise zuzogen? Bringt diesen Zustand glücklicher Unwissenheit zurück, und Ihr sollt keine Ursache haben, mich unfreundlich zu nennen. Aber während Ihr Entwürfe aussinnt, die, wie ich weiß, schwärmerisch sind, und eine so heftige und leidenschaftliche Sprache führt, werdet Ihr mich entschuldigen, wenn ich jetzt und ein für allemal erkläre: daß ich, da Deborah sich dem in sie gesetzten Vertrauen nicht entsprechend zeigt, und mich nothwendig Verfolgungen solcher Art aussetzen muß, an meinen Vater schreiben werde, daß er mir einen andern Aufenthaltsort bestimme; und unterdessen will ich bei meiner Tante zu Kirk-Truagh Zuflucht nehmen.«

»Höret mich an, Unbarmherzige!« sagte Peveril; »höret mich, und Ihr werdet sehen, wie willig zum Gehorsam ich in Allem bin, womit ich Euch beruhigen kann. Ihr sagt, wir waren glücklich, als wir nicht über solche Gegenstände sprachen, – gut, – auf Kosten meiner eigenen unterdrückten Gefühle soll diese glückliche Zeit wiederkommen. Ich will Euch besuchen, – mit Euch gehen, – mit Euch lesen, – aber nur so, wie es ein Bruder mit seiner Schwester, oder ein Freund mit seinem Freunde thun würde; die Gedanken, die ich hege, mögen sie Hoffnung oder Verzweiflung in sich schließen, soll meine Zunge nicht in's Leben rufen, und so kann ich nicht beleidigen. Deborah soll immer an Eurer Seite sein, und ihre Gegenwart soll mich abhalten, selbst entfernt auf einen Gegenstand hinzudeuten, der Euch mißfallen könnte. Nur macht mir nicht jene Gedanken zum Verbrechen, welche der theuerste Bestandtheil meines Daseins sind; denn glaubt mir, es wäre besser und freundlicher gehandelt, mir das Leben selbst zu rauben.«

»Das ist reiner Erguß der Leidenschaft, Julian,« antwortete Alexie; »was unangenehm ist, will unsere Selbstsucht und Hartnäckigkeit als unmöglich vorstellen. Ich habe kein Zutrauen zu Eurem vorgeschlagenen Plan, – kein Zutrauen zu Eurem Entschluß, und noch weniger zu Deborah's Schutz. Bis Ihr aufrichtig und ausdrücklich Euren neulich geäußerten Wünschen entsagt, müssen wir einander fremd sein; – und könntet Ihr denselben selbst diesen Augenblick entsagen, so wäre es doch besser, daß wir uns auf eine lange Zeit trennten; und, um des Himmels willen, laßt es sobald als möglich geschehen, – vielleicht ist es selbst jetzt zu spät, einen unangenehmen Vorfall zu verhüten. – Mich deucht, ich höre ein Geräusch.«

»Es war Deborah,« versetzte Julian. »Fürchtet nichts, Alexie; wir sind sicher gegen einen Ueberfall.«

»Ich weiß nicht, was Ihr unter einer solchen Sicherheit versteht,« sagte Alexie. – »Ich habe nichts zu verbergen. Ich suchte diese Zusammenkunft nicht; wandte sie im Gegentheil so lange als möglich ab, – und wünschte nun sehnlich sie abzubrechen.«

»Und warum, Alexie, da Ihr sagt, es müsse unsere letzte sein? Warum wollt Ihr den Sand schütteln, der so schnell genug abläuft? Selbst der Scharfrichter beschleunigt die Gebete der Unglücklichen auf dem Blutgerüste nicht. – Und sehet Ihr nicht, – ich will so kalt urtheilen, als Ihr nur wünschen möget, – seht Ihr nicht, daß Ihr selbst Euer eigenes Wort brecht und die Hoffnung zurücknehmt, die Ihr mir selbst vorhieltet?«

»Was für eine Hoffnung hab' ich eingeflößt? Welches Wort hab' ich gegeben, Julian?« antwortete Alexie. »Ihr bauet Euch Luftschlösser, und beschuldigt mich, das zu zerstören, was nie einen sichern Grund hatte. Schont Euch, Julian, – schont mich, – und, aus Mitleiden für uns beide, scheidet, und kehret nicht eher zurück, als bis Ihr vernünftiger sein könnet.«

»Vernünftiger?« entgegnete Julian; »Ihr seid es, Alexie, welche mich ganz der Vernunft beraubt. Sagtet Ihr nicht, daß, wenn unsere Aeltern zur Einwilligung in unsere Verbindung gebracht werden könnten, Ihr meinem Gesuch nicht länger widerstehen würdet?«

»Nein – nein – nein,« sagte Alexie heftig und tief erröthend, – »nein, Julian, so hab' ich nicht gesagt, – es war Eure eigene wilde Phantasie, die mein Stillschweigen und meine Verwirrung so auslegte.«

»So sprachet Ihr denn nicht so,« versetzte Julian; »und wenn alle andere Hindernisse entfernt wären, müßte ich eines in dem kalten steinernen Herzen eines Mädchens finden, welches die zärtlichste und aufrichtigste Ergebenheit mit Verachtung und Unwillen vergilt. – Ist es das,« setzte er mit tiefem Gefühle hinzu, »ist es das, was Alexie Bridgenorth Julian Peveril sagen kann?«

»Wahrhaftig, – wahrhaftig, Julian,« sagte sie fast weinend, »ich spreche nicht so, – ich sage nichts, und ich sollte gar nichts darüber sagen, was ich thun könnte in einem Verhältniß, das niemals eintreten kann. In der That, Julian, Ihr solltet mich nicht so drängen. So ohne Schutz, wie ich bin, – Euch wohlwollend – sehr wohlwollend, – warum soll ich von Euch genöthigt werden, Etwas zu sagen oder zu thun, was mich in meinen eigenen Augen herabsetzen würde? eine Zuneigung für den zu bekennen, von dem mich das Schicksal auf immer getrennt hat? Es ist unedelmüthig, – es ist grausam, – es heißt eine augenblickliche und eigennützige Befriedigung für Euch selbst suchen, auf Kosten jedes Gefühls, das ich hegen sollte.«

»Ihr habt genug gesagt,« erwiederte Julian mit funkelnden Augen; »Ihr habt genug gesagt, indem Ihr meine Zudringlichkeit verbittet, und ich will Euch nicht weiter drängen. Aber Ihr überschätzet die Hindernisse, die zwischen uns liegen, – sie müssen und werden weichen.«

»So sagt Ihr zwar,« entgegnete Alexie; »und mit welcher Wahrscheinlichkeit, mag Eure eigene Erklärung zeigen. Ihr wagt nicht, das Verhältniß Eurem eigenen Vater zu entdecken; wie solltet Ihr Euch getrauen, es dem meinigen zu eröffnen?«

»Darüber sollt Ihr bald entscheiden können. Major Bridgenorth ist, nach der Angabe meiner Mutter, ein rechtschaffener und ein achtungswürdiger Mann. Ich will ihn daran erinnern, daß er der Sorgfalt meiner Mutter den theuersten Schatz und Trost seines Lebens verdankt, und ich will ihn fragen, ob es eine gerechte Vergeltung sei, diese Mutter kinderlos zu machen. Laßt Ihr mich nur wissen, wo ich ihn finde, Alexie, und Ihr sollt bald erfahren, ob ich mich fürchte, meine Sache bei ihm zu führen.«

»Ach!« rief Alexie, »Ihr wißt ja wohl meine Ungewißheit über meines Vaters Aufenthalt. Wie oft hab' ich ihn inständig gebeten, mich seinen einsamen Aufenthalt, oder seine verborgenen Wanderungen mit ihm theilen zu lassen! Aber die kurzen und seltenen Besuche, die er in diesem Hause macht, sind Alles, was er mir von seiner Gesellschaft vergönnt. Etwas vermöcht' ich doch gewiß zu thun, wenn auch wenig, um ihm die Schwermuth, die ihn niederdrückt, zu erleichtern.«

»Etwas vermöchten wir beide zu thun,« sagte Peveril. »Wie gern würde ich Euch in einem so angenehmen Geschäft unterstützen! Aller frühere Kummer sollte vergessen werden, – alle alte Freundschaften sollten wieder aufleben. Meines Vaters Vorurtheile sind die eines Engländers, – freilich stark, doch der Vernunft nicht unüberwindlich. Sagt mir also, wo Major Bridgenorth ist, und überlaßt mir das Uebrige; oder laßt mich nur wissen, unter welcher Adresse ihn Eure Briefe treffen, und ich will sofort seinen Aufenthalt zu entdecken suchen.«

»Versucht es nicht, ich bitte Euch,« sprach Alexie. »Er ist schon ein bedrängter Mann; und was würde er denken, wenn ich fähig wäre, ein Gesuch zu unterstützen, das wahrscheinlich seinen Kummer noch vermehren würde? Ueberdieß könnte ich, auch wenn ich wollte, Euch nicht sagen, wo er jetzt zu finden wäre. Meine Briefe erreichen ihn von Zeit zu Zeit durch meine Tante Christian; aber seine Adresse ist mir gänzlich unbekannt.«

»Nun, beim Himmel,« rief Julian, »so will ich seine Ankunft auf dieser Insel und in diesem Hause abwarten; und ehe er Euch in seine Arme geschlossen hat, soll er mir über den Gegenstand meines Gesuchs Antwort geben.«

»So verlangt diese Antwort jetzt!« – tönte eine Stimme außerhalb der Thür, welche zu gleicher Zeit langsam sich öffnete. »Verlangt diese Antwort jetzt; denn hier steht Ralph Bridgenorth.«

Indem er so sprach, trat er mit seinem gewohnten langsamen und ruhigen Schritte in's Zimmer, – nahm seinen niedergekrämpten, thurmförmigen Hut ab, und betrachtete abwechselnd seine Tochter und Julian mit einem festen und durchdringenden Blick.

»Vater!« begann Alexie, durch seine plötzliche Erscheinung unter solchen Umständen höchst überrascht und erschreckt, – »Vater, ich verdiene keinen Vorwurf.«

»Davon nachher, Alexie,« sagte Bridgenorth; »indeß begib dich auf dein Zimmer. – Ich habe diesem jungen Mann Etwas zu sagen, was deine Gegenwart nicht vertragen wird.«

»Wahrhaftig, Vater, wahrhaftig,« sprach Alexie, betroffen über den vermeinten Sinn dieser Worte; »Julian verdient eben so wenig Vorwürfe, als ich! Es war Zufall, es war Ohngefähr, was uns hier zusammenbrachte.« Dann eilte sie aber plötzlich auf ihren Vater zu, umschloß ihn mit den Armen und sprach: »O thue ihm kein Unrecht – er hatte keine schlechten Absichten gegen mich! Vater, du warst immer ein vernünftiger, und frommer, friedlicher Mann.«

»Und warum sollt' ich es jetzt nicht auch sein, Alexie?« sagte Bridgenorth, indem er seine Tochter vom Boden aufhob, wo sie in der Innigkeit ihres Flehens fast niedergesunken war. »Weißt du Etwas, Mädchen, was meinen Zorn gegen diesen jungen Mann mehr entflammen müßte, als Vernunft oder Religion denselben bezähmen könnte? Geh', geh' auf dein Zimmer. Beruhige deine eignen Leidenschaften – lerne diese beherrschen, und überlass' es mir, mit diesem eigensinnigen jungen Mann mich zu besprechen.«

Alexie stand auf und begab sich mit niedergesenkten Augen langsam aus dem Zimmer. Julian folgte mit seinen Blicken ihren Schritten, bis der letzte Streifen ihres Gewandes an der Thüre sichtbar war. Dann richtete er seine Augen auf Bridgenorth und senkte sie wieder nieder. Der Major fuhr fort, ihn in tiefem Stillschweigen zu betrachten; seine Züge waren schwermüthig und selbst finster; aber doch war nichts darin, was heftige Unruhe oder bittere Empfindlichkeit anzeigte. Er hieß Julian Platz nehmen und setzte sich selbst. Hierauf eröffnete er die Unterredung auf folgende Weise:

»Ihr schienet, junger Herr, soeben begierig, zu erfahren, wo ich anzutreffen wäre. Dieß vermuthete ich wenigstens aus den wenigen Aeußerungen, die mir zufällig zu Ohren kamen; denn ich war so kühn, einige Augenblicke zu horchen, um zu vernehmen, über was für einen Gegenstand ein so junger Mann, wie Ihr, und ein so junges Mädchen, wie Alexie, unter vier Augen sich unterhielten.«

»Ich bin versichert, Herr Major,« sagte Julian, der im Gefühl des Dranges der gegenwärtigen drängenden Lage sich wieder zu sammeln suchte, »Ihr habt von meiner Seite nichts gehört, was einen Mann beleidigen könnte, den ich so hoch zu verehren gedrungen bin.«

»Im Gegentheil,« versetzte Bridgenorth mit demselben feierlichen Ernste, »es ist mir lieb, zu finden, daß Eure Angelegenheit mehr mich, als meine Tochter, betrifft, oder zu betreffen scheint. Ich glaube nur, Ihr hättet besser gethan, Euch sogleich unmittelbar an mich zu wenden, da die Sache mich allein angeht.«

Julian konnte mit der schärfsten Aufmerksamkeit nicht entdecken, ob Bridgenorth dieß im Ernst oder spottweise in Bezug auf den obigen Gegenstand sagte. Er war jedoch scharfsinniger, als seine noch beschränkte Erfahrung vermuthen ließ, und hatte bei sich beschlossen, zu versuchen, ob er Etwas von dem Charakter und Temperament des Mannes, mit dem er sprach, ausforschen könnte. In dieser Absicht richtete er seine Antwort nach Bridgenorth's Aeußerung ein und sagte: da er nicht so glücklich sei, den Ort seines Aufenthalts zu wissen, so habe er sich deßhalb an seine Tochter gewandt, um darüber Erkundigung einzuziehen.

»Mit welcher Ihr jetzt zum ersten Mal bekannt geworden seid,« sagte Bridgenorth, »wenn ich Euch recht verstehe?«

»Keinesweges,« antwortete Julian, indem er die Augen niederschlug; »ich bin mit Eurer Tochter schon seit vielen Jahren bekannt, und was ich zu sagen wünschte, betrifft sowohl ihr Glück, als das meinige«

»Ich muß Euch so verstehen,« sprach Bridgenorth, »wie fleischliche Menschen einander über Dinge dieser Welt verstehen. Ihr seid an meine Tochter durch die Bande der Liebe geknüpft; ich habe es lange gewußt.«

»Ihr, Herr Major,« rief Peveril aus, »Ihr habt es lange gewußt?«

»Ja, junger Mann, glaubt, daß ich, als der Vater eines einzigen Kindes, Alexie, – das einzige lebende Pfand von der, die nun ein Engel im Himmel ist – hätte in dieser Abgeschiedenheit lassen können, ohne die sicherste Kenntniß von allen ihren wesentlichen Handlungen zu haben? Ich habe in Person mehr von ihr und von Euch gesehen, als Ihr Euch einbilden konntet; und wann ich körperlich abwesend war, hatte ich die Mittel, dieselbe Oberaufsicht fortzuführen. Junger Mann, solche Liebe, als Ihr zu meiner Tochter heget, lehrt, wie man sagt, viel Verschlagenheit; aber glaubt nicht, daß diese die Zärtlichkeit überlisten kann, mit der ein Vater an seinem einzigen Kinde hängt.«

»Wenn Ihr,« entgegnete Julian mit hochklopfendem und frohem Herzen, »wenn Ihr diesen Umgang so lange gewußt habt, darf ich hoffen, daß er nicht Euch Mißfallen erregt habe?«

Der Major hielt einen Augenblick inne und antwortete dann: »In einigen Rücksichten gewiß nicht. Wäre es der Fall gewesen – hätte Etwas von Eurer Seite, oder von Seiten meiner Tochter Eure Besuche hier bei ihr gefährlich oder mir mißfällig zu machen geschienen, so würde sie nicht lange die Bewohnerin dieser Einsamkeit oder dieser Insel geblieben sein. Aber seid nicht so voreilig, vorauszusetzen, Alles, was Ihr in dieser Sache wünschen möget, sei so leicht oder so schnell auszuführen.«

»Ich sehe freilich Schwierigkeiten voraus,« versetzte Julian; »aber mit Eurer gütigen Erlaubniß, es sind solche, die ich zu entfernen hoffte. Mein Vater ist edelmüthig – meine Mutter ist aufrichtig und wohlgesinnt. Beide liebten Euch einst, und ich glaube sicher, sie werden Euch wieder lieben. Ich will der Vermittler zwischen Euch sein – Friede und Eintracht soll von Neuem unsere Nachbarschaft bewohnen, und –«

Bridgenorth unterbrach ihn mit einem finstern Lächeln; denn so schien es auf einem Gesichte voll tiefer Melancholie. »Meine Tochter sagte nur vor einer kleinen Weile ganz recht, Ihr wäret ein Träumer schöner Träume, ein Bildner von Plänen und phantastischen Hoffnungen, gleich den Erscheinungen der Nacht. Es ist eine große Sache, die Ihr von mir verlangt; – die Hand meines einzigen Kindes – die Summe meines weltlichen Bestandes; doch ist das nur ein Schatten in Vergleichung. Ihr verlangt den Schlüssel zu der Quelle, aus welcher ich noch hoffen kann, einen Labetrunk zu thun; Ihr verlangt, der einzige und unumschränkte Bewahrer meiner irdischen Glückseligkeit zu sein – und was habt Ihr dargeboten, oder was habt Ihr darzubieten zum Ersatz der Uebergabe, welche Ihr von mir fordert?«

»Ich fühle nur zu wohl,« entgegnete Peveril, betroffen über seine raschen Schlüsse, »wie schwierig es sein mag.«

»Nein, unterbrecht mich nicht,« sprach Bridgenorth, »bis ich Euch den Betrag desjenigen zeige, was Ihr mir für den Austausch eines Gutes darbietet, welches, was auch immer sein innerer Werth sei, eifrig von Euch gewünscht wird, und Alles in sich begreift, was ich Schätzbares auf Erden darzubringen habe. Ihr könnt gehört haben, daß ich in den letzten Zeiten der Gegner von Eures Vaters Grundsätzen und seiner profanen Partei, jedoch nicht von seiner Person, war.«

»Ich habe immer gerade das Gegentheil gehört,« antwortete Julian; »und eben jetzt erwähnte ich gegen Euch, daß Ihr sein Freund gewesen waret.«

»Ja. Als er in Bedrängniß und ich im Wohlstande war, war ich weder abgeneigt, noch ganz unfähig, mich als solchen zu beweisen. Wohl, das Blatt hat sich gewendet – die Zeiten haben sich geändert. Ein friedliebender und Niemand beleidigender Mann hätte von einem nunmehr mächtig gewordenen Nachbar einen solchen Schutz bei seinem Wandeln auf dem Wege des Rechts erwarten können, als alle Unterthanen desselben Reichs selbst von Fremden zu erwarten berechtigt sind. Was geschah aber? Ich verfolgte, mit der Vollmacht des Königs und des Gesetzes, eine Mörderin, die an ihrer Hand das Blut meines nahen Verwandten trug, und ich hatte in solchem Falle ein Recht, jeden Lehnsherrn zum Beistande in der Vollziehung aufzurufen. Mein ehemaliger freundlicher Nachbar, als Mensch und als obrigkeitliche Person verbunden, zu einer rechtlichen Handlung bereitwillig Beistand zu leisten – als ein dankbarer und verpflichteter Freund verbunden, meine Rechte und meine Person zu achten – wirft sich zwischen mich – mich, den Rächer des Bluts – und meine gesetzlich Gefangene; schlägt mich zu Boden, indem er zugleich mein Leben gefährdet und in bloß menschlichen Augen meine Ehre befleckt; und unter diesem Schutz erreicht das midianitische Weib, gleich einem Seeadler, das Nest, das sie sich auf dem Felsen gebaut hat, und bleibt daselbst, bis gehörig am Hofe überreichtes Gold alles Andenken an ihr Verbrechen auswischt, und die dem Gedächtniß des besten und wackersten der Menschen gebührende Rache vereitelt. – Aber,« (setzte er hinzu, indem er sich an Christian's Bildniß wandte) »du bist noch nicht vergessen! die Rache, die deiner Mörderin auf dem Fuße folgt, kommt langsam – aber sie bleibt nicht aus!«

Hier trat eine Pause von einigen Augenblicken ein, welche Julian, im Verlangen nach dem Schlusse, zu dem Bridgenorth endlich gelangen würde, nicht zu unterbrechen suchte. – »Diese Dinge,« fuhr Bridgenorth fort, »rufe ich nicht mit Bitterkeit in's Andenken zurück, sofern sie mich persönlich angehen – nicht mit einem innern Groll, wiewohl ich dadurch aus meinem Wohnorte verbannt worden bin, wo meine Vorfahren lebten, und wo meine irdischen Hoffnungen begraben liegen. Allein jene öffentliche Angelegenheit brachte Streit zwischen Eurem Vater und mir. Wer war so thätig, als er, das feindselige Edict des schwarzen St. Bartholomäustages in Ausführung zu bringen, da so viele hundert Prediger des Evangeliums von Haus und Hof – von Herd und Altar – von Kirche und Pfarre vertrieben wurden, um den Bauchgötzen und Dieben Platz zu machen? Wer war, als ein kleiner Haufe vom Volke des Herrn sich vereinigte, die gesunkene Fahne aufzurichten, und noch einmal die gute Sache zu befördern, wer war da am behendesten, ihr Vorhaben zu vereiteln – sie auszuspüren, zu verfolgen, und zu ergreifen? Wessen Athem fühlt' ich warm an meinem Halse – wessen bloßes Schwert wurde einen Fuß breit von meinem Körper geschwungen, während ich im Dunkeln, wie ein Dieb im Verborgenen, lauerte, im Hause meiner Väter? Es war die Nähe Gottfried Peverils – es war das Schwert Eures Vaters! Was könnt Ihr auf dieß Alles antworten, oder wie könnt Ihr es mit Euren gegenwärtigen Wünschen vereinbaren?«

Julian konnte hierauf zur Erwiederung bloß bemerken, »daß diese Beleidigungen schon lange her wären – daß sie im Drange der Zeiten und in der Hitze der Leidenschaft ausgeübt worden, und daß Major Bridgenorth aus christlicher Liebe keine bittere Empfindlichkeit über dieselben unterhalten sollte, da eine Thüre der Versöhnung sich öffne.«

»Still, junger Mensch,« sagte Bridgenorth, »du sprichst von Etwas, das du nicht verstehst. Unsere menschlichen Beleidigungen zu vergeben, ist christlich und löblich; aber wir haben keinen Auftrag, diejenigen zu vergeben, welche der Sache der Religion und der Freiheit zugefügt worden sind; wir haben kein Recht, Befreiungen zu gewähren, oder denen die Hand zu schütteln, die das Blut unsrer Brüder vergossen haben.« Er blickte auf Christian's Bildniß und schwieg einige Minuten, als fürchte er, in seiner Heftigkeit zu weit fortgerissen zu werden, und nahm dann das Gespräch in einem mildern Tone wieder auf.

»Diese Dinge führe ich Euch an, Julian, um Euch zu zeigen, wie unmöglich, in den Augen eines bloß weltlichen Menschen, die von Euch gewünschte Verbindung sein würde. Allein der Himmel hat zu Zeiten eine Thüre geöffnet, wo der Mensch kein Mittel zum Ausgange siehet. Eure Mutter, Julian, ist, obwohl eine Person, welcher nach der Sitte der Welt die Wahrheit unbekannt ist, doch eine der besten und weisesten Frauen; und die Vorsehung, welche ihr eine so holde Gestalt gab, und dieser Gestalt ein so lauteres Gemüth verlieh, als nur die ursprüngliche Gebrechlichkeit unserer geringen Natur verstatten will, hat – ich habe das Vertrauen – nicht die Absicht, daß sie bis an's Ende ein Gefäß des Grimmes und Verderbens bleiben soll. Von Eurem Vater sag' ich nichts – er ist, was die Zeiten und das Beispiel Anderer, und die Rathgebungen seines gebieterischen Priesters aus ihm gemacht haben; und von ihm, ich wiederhole es, sage ich nichts, ausgenommen, daß ich Macht über ihn habe, welche er ehemals empfunden haben möchte, wenn nicht Jemand innerhalb seiner Zimmer wäre, der bei seinen Leiden würde gelitten haben. Auch wünsche ich nicht, Eure alte Familie auszurotten. Wenn ich gleich Euren Stolz auf Ahnenruhm und Stammbaum nicht schätze, so würde ich doch nicht diese Dinge absichtlich zerstören, eben so wenig, als man einen moosbewachsenen Thurm niederreißen oder eine alte Eiche fällen würde, es sei denn, um die gemeine Straße gerade zu machen, und zum Vortheil des Publikums. Ich habe daher keine Erbitterung gegen das gedemüthigte Peverilische Haus – nein, ich achte es in seiner Erniedrigung.«

Hier machte er eine zweite Pause, als erwarte er, daß Julian Etwas sagen würde. Aber ungeachtet des Eifers, mit dem der junge Mann seine Bewerbung betrieben hatte, war er doch zu sehr in Ideen von der Bedeutung seiner Familie, und in der bessern Sitte der Ehrerbietung gegen seine Eltern aufgezogen, um ohne Mißvergnügen diesen Theil von Bridgenorth's Rede anhören zu können.

»Das Peverilische Haus,« entgegnete er, »ist nie gedemüthigt worden.«

»Hättet Ihr gesagt, die Söhne dieses Hauses sind nie demüthig gewesen,« sprach Bridgenorth, »so würdet Ihr der Wahrheit näher gekommen sein. – Seid Ihr nicht gedemüthigt? Lebt Ihr nicht hier, als der Diener einer hochmüthigen Frau, als der Spielkamerad eines leichtsinnigen Jünglings? Wenn Ihr diese Insel verlasset, und nach England an den Hof geht, so seht Ihr, was für Achtung man da dem alten Stammbaum erweisen wird, der Eure Abkunft von Königen und Eroberern herleitet. Ein possenhafter oder zweideutiger Scherz, ein unverschämtes Betragen, ein verbrämter Mantel, eine Hand voll Gold, und die Bereitwilligkeit, es in Karten oder Würfeln auf's Spiel zu setzen, wird Euch besser an Carls Hofe befördern, als der alte Name Eures Vaters und sklavische Aufopferung von Blut und Vermögen für die Sache seines Vaters.«

»Das ist freilich nur zu wahrscheinlich,« sagte Peveril. »Aber der Hof soll nie mein Element sein. Ich will, wie meine Vorfahren, unter meinen eignen Unterthanen leben, für ihre Zufriedenheit sorgen, ihre Streitigkeiten schlichten.« –

»Maibäume pflanzen, und um sie herum tanzen,« fiel Bridgenorth mit einem finstern Lächeln ein. »Nein, Julian, dieß sind keine Zeiten, in welchen durch das träumerische Walten eines Ortsvorstehers, und durch die kleinlichen Geschäfte eines Landeigenthümers ein Mann seinem Vaterlande dienen kann. Es sind gewaltige Pläne im Werke, und die Menschen aufgefordert, zwischen Gott und Baal zu wählen. Der alte Aberglaube – der Gräuel unserer Vorfahren – ist im Begriff sein Haupt zu erheben, seine Schlingen, unter dem Schutz der Fürsten der Erde, auswärts umher zu legen; aber er erhebt sein Haupt nicht unbemerkt oder unbewacht; der wahren englischen Herzen gibt's Tausende, welche nur auf ein Zeichen warten, wie ein einziger Mann aufzustehen, und den Königen der Erde zu zeigen, daß sie sich vergebens verbunden haben! Wir werden ihre Fallstricke von uns werfen – den Kelch ihrer Gräuel wollen wir nicht kosten.«

»Ihr sprecht, als wäret Ihr hierin über mich im Dunkeln, Herr Bridgenorth,« sagte Peveril. »Da Ihr so viel von mir wißt, so könnt Ihr vielleicht auch begreifen, daß ich wenigstens so viel von Roms Blendwerken gesehen habe, um zu wünschen, daß sie in unserer Heimath nicht verbreitet werden möchten.«

»Weßhalb denn sonst rede ich zu Euch so freundschaftlich und so frei?« versetzte Bridgenorth. »Weiß ich nicht, mit welcher Gewandtheit eines frühzeitigen Verstandes Ihr die listigen Versuche jenes Weibes vereiteltet, Euch vom protestantischen Glauben abwendig zu machen? Weiß ich nicht, wie Ihr gedrängt wurdet, als Ihr auswärts waret, und daß Ihr dennoch sowohl Euren eigenen Glauben festhieltet, als auch den schwankenden Glauben Eures Freundes sicher stelltet? Sagt' ich nicht, das war gehandelt, wie Margarethens Sohn handeln mußte? Sagt' ich nicht, er hält bis jetzt nur am todten Buchstaben – aber der Samen, welcher gesäet ist, wird einmal keimen und gedeihen? – Jedoch genug hiervon. Für heute ist dieß Eure Wohnung. Ich will in Euch weder den Diener jener Tochter Ethbaals, noch den Sohn dessen sehen, der meinem Leben nachstellte und meine Ehre beschimpfte, sondern Ihr sollt mir für heute das Kind derjenigen sein, ohne die meine Familie verloschen sein würde.«

Mit diesen Worten streckte er seine dünne knöcherne Hand aus, und faßte Julian's Rechte; aber es war so ein trauernder Blick in dieser Bewillkommnung, daß, – was für Freude auch immer der junge Mann im Voraus empfand, so lange Zeit in der Nähe, vielleicht in der Gesellschaft Alexiens zuzubringen, oder so stark ihm auch die Klugheit befahl, ihres Vaters Wohlwollen zu gewinnen – er doch das Gefühl sich nicht verläugnen konnte, als wenn in Bridgenorths Gesellschaft sein Herz kälter geworden wäre.



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