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Neunzehntes Kapitel.

Die Gegenwart der Gräfin vertrieb die abergläubischen Gefühle, die für einen Augenblick sich der Einbildungskraft Julians bemächtigt hatten, und nöthigte ihn, Gegenständen des gewöhnlichen Lebens seine Aufmerksamkeit zu widmen. »Hier sind Eure Creditive,« sagte sie, indem sie ihm ein kleines, sorgfältig in ein Futteral von Seehundsfell eingeschlagenes Packet gab; »Ihr thut besser, sie vor Eurer Ankunft in London nicht zu öffnen. Lasset es Euch nicht befremden, ein oder zwei Briefe an Männer meines eignen Glaubens darunter zu finden. Ihr werdet, um unser Aller Sache willen, bei Abgabe derselben besonders vorsichtig sein.«

»Ich gehe in Eurem Auftrage, gnädige Gräfin,« versetzte Peveril, »und was Ihr mir anvertrauen möget, dessen Besorgung übernehme ich. Doch verzeihet mir den Zweifel, ob eine Unterredung mit Katholiken in diesem Augenblick den Zweck meiner Sendung befördern werde.«

»Ihr seid schon von dem allgemeinen Argwohn dieser gottlosen Sekte angesteckt,« sagte die Gräfin lächelnd, »und um so tüchtiger, unter die Engländer in ihrer gegenwärtigen Stimmung Euch zu begeben. Aber, mein vorsichtiger Freund, diese Briefe sind so adressirt, und die Personen, an die sie adressirt sind, sind so unkenntlich gemacht, daß Ihr keine Gefahr laufen werdet, mit ihnen Verkehr zu haben. Wirklich werdet Ihr ohne ihre Hülfe nicht fähig sein, den genauen Unterricht zu erhalten, den Ihr suchet. Ueberdieß, ob ihr Protestanten gleich unserer Priesterschaft die Unschuld der Taube absprecht, so seid ihr doch bereitwillig genug, uns ein volles Maaß von der Klugheit der Schlange zuzugestehen; – mit andern Worten, ihre Mittel der Belehrung sind ausgedehnt, und es fehlt ihnen auch nicht an dem Vermögen, sie anzuwenden. Ich wünsche Euch daher, daß Ihr, wo möglich, ihre Kenntniß und ihren Rath benutzen möget.«

»Was Ihr auch immer mir als einen Theil meiner Pflicht auflegen möget, gnädige Gräfin, verlaßt Euch darauf, es soll pünktlich vollzogen werden,« entgegnete Peveril. »Und nun, da der Aufschub der Ausführung eines einmal gefaßten Vorsatzes wenig nutzen kann, so lasset mich Eure Wünsche in Ansehung meiner Abreise wissen.«

»Sie muß plötzlich und geheim geschehen,« sagte die Gräfin; »die Insel ist voll Spione, und ich wünsche nicht, daß einer derselben erführe, daß ein Abgesandter von mir von Man nach London zu reisen im Begriff wäre. – Könnt Ihr in Bereitschaft sein, morgen an Bord zu gehen?«

»Diese Nacht – diesen Augenblick,« erwiederte Julian, »wenn Ihr es wünschet; mein kleines Reisegeräth ist völlig in Ordnung.«

»So seid denn in Eurem Zimmer zwei Stunden nach Mitternacht bereit. Ich will Jemand schicken, der Euch ruft, denn unser Geheimniß muß für jetzt so wenig als möglich mitgetheilt werden. Eine fremde Schaluppe wird gemiethet, Euch überzufahren, dann nehmt Ihr den kürzesten Weg nach London bei dem Schloß Martindale, oder anders, wie Ihr es am rathsamsten findet. Wann es nöthig ist, Eure Abwesenheit bekannt zu machen, will ich sagen, Ihr wäret zum Besuch Eurer Eltern gereist. Aber halt – Ihr reiset zu Pferde, folglich über Whitehaven. Ihr habet zwar Wechsel, seid Ihr aber mit baarem Gelde versehen, um Euch ein gutes Pferd anzuschaffen?«

»Ich habe Geld genug, gnädige Frau,« antwortete Peveril, »und gute Pferde gibt es die Menge in Cumberland. Man kann sie da wohlfeil erhalten.«

»Verlasset Euch darauf nicht,« sagte die Gräfin. »Hier ist, womit Ihr das beste Pferd an der Gränze kaufen könnet. – Könnet Ihr so unklug sein, es abzuschlagen?« setzte sie hinzu, indem sie ihm eine schwere Börse aufnöthigte, die er annehmen mußte.

»Ein gutes Pferd, Julian,« fuhr sie nun fort, »und ein gutes Schwert sind, nächst einem guten Kopfe und Herzen, das Beste eines Edelmannes.«

»Ich küsse Euch die Hände, gnädige Gräfin,« sprach Peveril, »und bitte Euch ergebenst, zu glauben, daß, was auch in meinem gegenwärtigen Unternehmen fehlschlagen mag, mein Vorsatz, Euch, meiner edlen Verwandtin und Wohlthäterin, zu dienen, wenigstens niemals wanken oder weichen kann.«

»Ich weiß es, mein Sohn, ich weiß es; und Gott mag es mir verzeihen, wenn meine Aengstlichkeit für Euren Freund Euch in Gefahren sendet, die er hätte übernehmen sollen. Reiset glücklich, die Heiligen und Engel mögen Euch schützen. Fenella soll meinem Sohne sagen, daß Ihr auf Eurem eigenen Zimmer zu Abend speiset. Das will ich auch, denn diese Nacht würde mir's unmöglich sein, meinem Sohn in's Gesicht zu sehen. Wenig Dank wird er mir's wissen, daß ich Euch statt seiner in Aufträgen reisen lasse; und Viele werden fragen, ob es der Lady Latham ähnlich sähe, den Sohn ihres Freundes in eine Gefahr zu stürzen, die ihr eigener hätte übernehmen sollen. Aber ach, Julian, ich bin jetzt eine verlassene Wittwe, die der Kummer selbstsüchtig gemacht hat.«

»O nein, meine gnädige Gräfin,« versetzte Peveril, »es sieht der Lady von Latham noch weniger ähnlich, Gefahren zu besorgen, die gar nicht vorhanden sein mögen, und denen ich, wenn sie wirklich entständen, weniger unterworfen bin, als mein edler Verwandter. Lebet wohl! aller Segen sei mit Euch, gnädige Frau. Grüßet den Grafen, und entschuldiget mich bei ihm. Ich will die Abrufung zwei Stunden nach Mitternacht erwarten.«

Sie nahmen zärtlich Abschied von einander, um so zärtlicher allerdings von Seiten der Gräfin, da sie ihr edles Gemüth nicht ganz mit dem Gedanken aussöhnen konnte, Peveril zum Besten ihres Sohnes der Gefahr auszusetzen, und Julian begab sich auf sein einsames Zimmer.

Sein Bedienter brachte ihm bald darauf Wein und Erfrischungen, welchen er, ungeachtet der mancherlei Dinge, die seinen Geist beschäftigen mußten, doch ihr Recht widerfahren zu lassen wußte. Als aber dieß nothwendige Geschäft verrichtet war, begannen seine Gedanken wie eine unruhige Fluth herbeizuströmen – sie suchten zugleich das Vergangene zurückzurufen, und die Zukunft sich vorzumalen. Es war umsonst, daß er sich in seinen Reisemantel hüllte, und auf das Bett gestreckt, zu schlafen suchte. Die Ungewißheit der Aussicht vor ihm – der Zweifel, wie Bridgenorth über seine Tochter in seiner Abwesenheit verfügen würde – die Furcht, daß der Major selbst der rachgierigen Gräfin in die Hände fallen könnte, nebst einer Menge unbestimmter Befürchtungen bewegten sein Blut, und machten den Schlummer unmöglich.

Endlich nach langem, peinlichem Wachen kam der Zeitpunkt zur Abreise – auf einen Schlag an seine Thüre folgte ein leises Murmeln, welches ihn vermuthen ließ, daß die Gräfin wieder ihre stumme Dienerin, als die sicherste Vollzieherin ihres Willens bei dieser Gelegenheit, gebraucht habe. Er fühlte etwas Unschickliches in dieser Wahl, und mit einem, dem natürlichen Edelmuth seines Charakters fremden Gefühle von Unmuth erblickte er, als er die Thüre öffnete, das stumme Mädchen vor sich. Die Lampe, die er in der Hand hielt, zeigte seine Züge deutlich, und ließ Fenella wahrscheinlich den Ausdruck, der sie belebte, bemerken. Sie schlug ihre großen, dunkeln Augen zu Boden, und gab ihm, ohne ihm wieder in's Gesicht zu sehen, ein Zeichen, ihr zu folgen. Er zögerte nicht länger, als nöthig war, die Pistolen in seinem Gurt zu verwahren, wickelte sich dichter in seinen Mantel, und nahm seinen kleinen Mantelsack unter den Arm. So gerüstet folgte er ihr aus dem bewohnten Theile des Schlosses durch eine Reihe dunkler Gänge, die zu einer Hinterthüre führten, welche sie mit einem Schlüssel (aus dem Bunde, den sie am Gürtel trug,) aufschloß.

Sie standen nun in dem Schloßhofe, im Mondschein, welcher weiß und schauerlich über die mancherlei seltsamen und verfallenen Gegenstände schimmerte, und der Scene mehr das Ansehen eines Kirchhofes, als des Innern einer Festung gab. Der runde, hohe Thurm – das alte Befestigungsstück (Katze genannt), mit seinen viereckigen Seiten nach den verfallenen Gebäuden gerichtet, die ehemals den Namen einer Kathedralkirche trugen – schienen von noch antikerer und regelloserer Gestalt in dem bleichen Lichte. Nach einer dieser Kirchen nahm Fenella jetzt die gerade Richtung, und Julian folgte ihr, ob er gleich den Pfad, den sie ihn führen wollte, wohl errieth, und abergläubisch genug war, zu scheuen. Auf einem geheimen Gange durch diese Kirche stand in vorigen Zeiten die Wachstube der Besatzung, welche an den tiefern und äußern Befestigungswerken lag, mit den Wohngebäuden des Schlosses in Verbindung, und durch diesen Gang wurden jede Nacht, sobald die Thore verschlossen und die Wachen ausgestellt waren, die Schlüssel dem Kommandanten gebracht. Die Gewohnheit wurde zu Jakob des Ersten Zeit aufgegeben, und der Gang verlassen, wegen der wohlbekannten Sage vom Manthe-Dog – einem bösen Feinde oder Dämon, in Gestalt eines großen, zottigen, schwarzen Kettenhundes, der in der Kirche hausen sollte. Man glaubte fest, in vorigen Zeiten sei dieß Gespenst so vertraut mit den Menschen geworden, daß es fast jede Nacht in der Wachtstube erschienen sei, und sich bei Tagesanbruch zurückgezogen habe. Die Soldaten wurden zum Theil mit seiner Gegenwart vertraut, doch nicht so sehr, um sich eine ausgelassene Rede zu erlauben, so lange die Erscheinung sichtbar war; ein durch Erfahrung dreist gemachter Kerl schwur endlich, er wolle wissen, ob es Hund oder Teufel wäre, und mit gezogenem Schwert verfolgte er das Gespenst, bis es sich in den gewohnten Gang zurückzog. Der Mann kehrte in wenig Minuten zurück, durch den Schreck nüchtern gemacht, mit offenem Munde und sich sträubendem Haar; aber zum Unglück für die Liebhaber des Wunderbaren, war er außer Stande, über das gesehene Schreckensbild einen Aufschluß zu geben. Wegen des bösen Gerüchts von dieser Wundergeschichte wurde die Wachtstube verlassen und eine neue gebaut. Gleichfalls hielten die Wachen nach dieser Zeit eine andere Verbindung mit dem Gouverneur oder Seneschall des Schlosses, und diejenige, welche durch die verfallene Kirche ging, wurde gänzlich aufgegeben.

Trotz dieser Sagen durchkreuzte nun Fenella, dem Peveril vorangehend, kühn die verfallenen Gewölbe, innerhalb welcher sie sich befand – bald nur von dem dürftigen Licht der Lampe über Haufen und Ruinen geleitet – bald einen Schimmer des Mondlichts benutzend, das in die traurige Tiefe durch die Fenster oder durch die von der Zeit gemachten Spalten herabfiel. Da der Weg gar nicht gerade fortging, so mußte Peveril die vertraute Bekanntschaft seiner Führerin mit seinen Windungen nicht weniger bewundern, als die Dreistigkeit, womit sie dieselben durchkreuzte. Er selbst war nicht so ganz frei von den Vorurtheilen der Zeiten, daß er nicht mit einiger Besorgniß die Möglichkeit gedacht hatte, auf das Lager des gespenstischen Hundes zu stoßen, von dem er so oft gehört hatte, und in jedem entfernten Säuseln des Windes unter den Ruinen glaubte er ihn bei den Fußtritten bellen zu hören, die sein finstres Reich beunruhigten. Jedoch solche Schrecknisse unterbrachen ihre Wanderung nicht, und im Verlaufe weniger Minuten erreichten sie das verfallene und nun verlassene Wachthaus. Die zerbrochenen Mauern des kleinen Gebäudes dienten, sie vor den Schildwachen zu verbergen, von denen eine an dem untern Thore des Schlosses schläfrig Wache hielt, während eine andere auf den, mit dem Parapet und der Gränz- und Außenmauer verbundenen, steinernen Stufen sitzend, die Muskete friedlich an die Seite gestellt, eingeschlummert war. Fenella machte Peveril'n ein Zeichen, still und behutsam zu gehen, und zeigte ihm dann zu seiner Ueberraschung aus dem Fenster der verlassenen Wachtstube ein Boot (denn die Fluth ging nun hoch) mit vier Ruderern, unter dem Felsen, auf den das Schloß gebaut war; auch machte sie ihm ferner verständlich, daß er zu demselben mittelst einer Leiter von beträchtlicher Höhe, die an das Fenster der Ruine gestellt war, gelangen müßte.

Julian war nicht weniger unwillig, als unruhig über die Sicherheit und Sorglosigkeit der Schildwachen, die solche Vorbereitungen unbemerkt und ohne sich zu rühren hatten machen lassen, und er war unschlüssig, ob er nicht den wachhabenden Offizier rufen, ihm seine Nachlässigkeit verweisen, und zeigen sollte, wie leicht Holm-Peel, trotz seiner natürlichen Stärke, und obgleich für unbezwingbar ausgegeben, von wenigen entschlossenen Männern überrumpelt werden könnte. Fenella schien seine Gedanken mit der ausnehmenden Schärfe der Beobachtung zu errathen, welche die Entbehrung des Gehörs und der Sprache sie hatte erlangen lassen. Sie legte die Hand an seinen Arm, und einen Finger der andern an ihre Lippen, als wenn sie ihm Nachsicht geböte, und Julian, wohl wissend, daß sie auf unmittelbaren Auftrag der Gräfin handelte, gehorchte ihr diesem gemäß, aber mit dem innern Entschlusse, dem Grafen unverzüglich über die Gefahr, welcher das Schloß in diesem Punkt ausgesetzt wäre, seine Gedanken mitzutheilen.

Unterdessen stieg er die Leiter mit einiger Vorsicht hinab, denn die Sprossen waren ungleich, abgenutzt, feucht und schlüpfrig; und nachdem er sich in den Hintertheil des Boots gesetzt hatte, gab er den Leuten ein Zeichen, abzustoßen, und wandte sich mit einem Lebewohl an seine Führerin. Zu seinem größten Erstaunen sah er Fenella die gefährliche Leiter mehr herabgleiten als ordentlich herabsteigen; und als das Boot schon vom Lande gestoßen war, that sie mit unglaublicher Gewandtheit einen Sprung von der letzten Stufe, und setzte sich neben Peveril, eh' er noch Vorstellungen dagegen machen oder sein Befremden ausdrücken konnte. Er befahl den Leuten, wieder an den einstweiligen Landungsplatz zurückzurudern, und ihr durch seine mißfällige Miene die Nothwendigkeit ihrer Rückkehr zu ihrer Gebieterin begreiflich zu machen. Fenella faltete ihre Arme, und sah ihn mit einem stolzen Lächeln an, welches ganz die Bestimmtheit ihres Vorsatzes ausdrückte. Peveril war äußerst verlegen; er fürchtete, die Gräfin zu beleidigen, und durch erregten Lärm, wozu er außerdem in große Versuchung kam, ihren Plan zu stören. Bei Fenella konnte offenbar keine Vorstellung den geringsten Eindruck machen, und es blieb die Frage, wie er, wenn sie mit ihm fortreiste, einer so sonderbaren und unschicklichen Gesellschafterin los werden, und zugleich hinlänglich für ihre persönliche Sicherheit sorgen sollte.

Die Bootsleute brachten die Sache endlich zur Entscheidung; denn nachdem sie ihre Ruder einige Augenblicke beiseite gelegt, und mit einander heimlich plattdeutsch gesprochen hatten, fingen sie an, tüchtig fortzurudern, und waren bald in einiger Entfernung vom Schlosse. Daß die Schildwachen eine Musketen- oder selbst eine Kanonenkugel ihnen nachschicken könnten, war einer von den Zufällen, welche Peveril auf einen Augenblick beunruhigten; aber sie verließen die Festung, so wie sie sich ihr hatten nähern müssen, unbemerkt, oder wenigstens unangerufen – eine Sorglosigkeit von Seiten der Garnison, welche, ungeachtet die Ruder verdeckt waren, und die Leute wenig und nur leise sprachen, nach Peveril's Meinung, eine große Nachlässigkeit der Schildwachen bewies. Sobald sie eine Strecke vom Schlosse entfernt waren, fingen die Leute an, stark auf ein kleines Fahrzeug los zu rudern, das in einiger Entfernung lag. Peveril hatte unterdessen Muße zu bemerken, daß die Bootsleute bedenklich mit einander sprachen, und unruhige Blicke auf Fenella warfen, als wären sie ungewiß, ob sie recht gethan, sie mit fort zu nehmen.

Nach einem fast viertelstündigen Rudern erreichten sie die kleine Schaluppe, wo Peveril von dem Kapitän auf dem Hinterverdeck mit geistigen Getränken oder Erfrischungen empfangen wurde. Einige Worte von den Seeleuten entzogen den Kapitän seinen gastfreundlichen Geschäften, und er eilte auf die Seite des Schiffs, um, wie es schien, Fenella vom Einsteigen in dasselbe abzuhalten. Die Männer sprachen eifrig plattdeutsch, und sahen unruhig auf Fenella, und Peveril hoffte, das Mädchen werde wieder an's Land gebracht werden. Aber sie vereitelte jeden Widerstand; und als die Einsteigeleiter weggezogen wurde, erhaschte sie das Ende eines Seils, und kletterte mit der Gewandtheit eines Matrosen an Bord. Einmal auf dem Verdeck, nahm sie den Kapitän am Arme und führte ihn an das Vordertheil des Schiffs, wo sie auf eine Beiden verständliche Art sich einander mitzutheilen schienen.

Peveril vergaß bald die Gegenwart der Stummen, als er über seine eigne Lage und über die Wahrscheinlichkeit nachzudenken anfing, daß er von seiner Geliebten einige Zeit getrennt werden wurde. »Beständigkeit,« wiederholte er sich, »Beständigkeit.« Und, wie im Zusammentreffen mit dem Gegenstande seiner Betrachtungen, heftete er seine Augen auf den Polarstern, der in jener Nacht mit mehr als gewöhnlichem Glanze funkelte, – ein Sinnbild reiner Leidenschaft und festen Vorsatzes; die Gedanken, die bei dem Anblicke seines hellen und unveränderten Lichts in ihm aufstiegen, waren uneigennützig und edel. Seines Vaterlandes Wohlfahrt zu suchen, und die Segnungen des häuslichen Friedens zu sichern – eine kühne und gefährliche Pflicht für seinen Freund und Gönner zu vollziehen – seine Leidenschaft für Alexie Bridgenorth als seinen Leitstern zu edlen Thaten zu betrachten – waren die Entschließungen, die sich ihm aufdrängten, und seinen Geist zu jenem Zustande romantischer Schwermuth erhoben, welche man selbst für Gefühle freudigen Entzückens nur ungerne vertauscht.

Aus diesen Betrachtungen wurde er von Etwas geweckt, das sich leise und dicht an seine Seite drängte; ein weiblicher Seufzer ward so nahe bei ihm laut, daß er in seinen Träumen gestört wurde, und als er den Kopf umdrehte, sah er Fenella neben sich sitzen, die Augen auf denselben Stern geheftet, der eben die seinigen beschäftigt hatte. Julian beschloß, die gegenwärtige Gelegenheit zu ergreifen, und Fenellen ihr sonderbares Betragen zu verweisen, so gut es nur dem armen Mädchen begreiflich gemacht werden könnte. Er nahm sie mit großer Freundlichkeit bei der Hand, zeigte aber zugleich mit viel Ernst auf das Boot und auf das Schloß, dessen Thürme und ausgedehnte Mauern nunmehr in der Entfernung kaum noch sichtbar waren, und gab ihr so die Nothwendigkeit ihrer Rückkehr nach Holm-Peel zu verstehen. Sie blickte niederwärts und schüttelte den Kopf, als wollte sie seinen Vorschlag bestimmt verweigern. Julian erneuerte seine Forderung mit Blick und Geberde – wies auf sein eigenes Herz, die Gräfin anzudeuten – und faltete seine Stirne, das Mißvergnügen anzuzeigen, das sie empfinden müßte. Auf alles dieß antwortete das Mädchen nur mit Thränen. Endlich, wie durch seine wiederholten Gegenvorstellungen getrieben, faßte sie ihn plötzlich bei dem Arme, um seine Aufmerksamkeit fest zu halten – warf ihr Auge hastig umher, gleichsam um zu sehen, ob sie Jemand belauerte – zog dann die andere Hand seitwärts um ihren schlanken Hals – wies auf das Boot und das Schloß, und nickte.

Diese Reihe von Zeichen konnte Peveril nicht anders auslegen, als daß er mit irgend einer persönlichen Gefahr bedroht wäre, vor welcher Fenella's Gegenwart, wie sie glaubte, ihn beschützen würde. Was auch immer ihre Meinung sein mochte, ihr Vorsatz schien unabänderlich entschieden; wenigstens war er offenbar nicht im Stande, sie davon abzubringen. Er mußte also bis zu Ende ihrer kurzen Fahrt warten, um sich von seiner Begleiterin los zu machen; und indem er unterdessen glaubte, daß sie eine übel angebrachte Anhänglichkeit an ihn hegte, fand er es für sie und sich am besten, sich so viel, als die Umstände erlaubten, von ihr entfernt zu halten. Mit diesem Vorsatze machte er das Zeichen, das sie für's Schlafengehen gebrauchte, indem er den Kopf auf seine flache Hand legte, und nachdem er so ihr die Ruhe empfohlen hatte, verlangte er selbst, nach seinem Schlafort geführt zu werden.

Der Kapitän zeigte ihm sogleich ein Hängebett in der Hinterkajüte; in dieses begab er sich, um die Ruhe zu genießen, welche die Bewegung und Unruhe des vorhergegangenen Tages sowohl, als die späte Zeit wünschenswerth machten. Ein tiefer und schwerer Schlaf sank in wenigen Minuten auf ihn, aber er dauerte nicht lange. Er wurde durch ein weibliches Geschrei geweckt, und hörte am Ende, wie er glaubte, deutlich die Stimme Alexiens ihn beim Namen rufen.

Er erwachte, und indem er auffuhr, sein Bette zu verlassen, merkte er aus der Bewegung des Schiffes, und aus der Schwingung des Hängebettes, daß sein Traum ihn getäuscht hatte. Doch wurde er noch immer durch seine außerordentliche Lebhaftigkeit erschreckt. »Julian Peveril, hilf! Julian Peveril!« Diese Töne klangen noch in seinen Ohren, – es waren Laute von Alexiens Stimme – und er konnte sich kaum überreden, daß seine Einbildungskraft ihn getäuscht habe. Konnte sie auf dem nämlichen Schiffe sein? Der Gedanke war nicht ganz unvereinbar mit ihres Vaters Charakter, und mit den Intriguen, in die er verwickelt war; aber, wenn dem so war, welcher Gefahr war sie ausgesetzt, daß sie seinen Namen so laut rief?

Entschlossen, sogleich sich zu erkundigen, sprang er, halb angekleidet, wie er war, aus seiner Hängematte, und in der kleinen Kajüte, die pechfinster war, umhertappend, erreichte er endlich mit beträchtlicher Schwierigkeit die Thüre. Die Thüre jedoch aufzumachen, war er ganz unfähig; er war daher genöthigt, laut nach der Wache auf dem Verdeck zu rufen. Da der Kapitän, wie er genannt wurde, die einzige Person am Bord war, welche englisch sprechen konnte, antwortete dieser dem Ruf, und erwiederte auf Peveril's Frage: Was das für ein Geräusch wäre? – »Daß ein Boot mit dem jungen Frauenzimmer abgegangen sei, – daß sie ein wenig gewimmert habe, als sie das Schiff verlassen, – und das sei Alles gewesen.«

Diese Erklärung befriedigte Julian, der es nicht unwahrscheinlich fand, daß ein gewisser Grad von Gewalt schlechterdings nöthig gewesen sein mochte, Fenella zu entfernen, und ob es ihm gleich lieb war, nicht Zeuge davon gewesen zu sein, so war es ihm doch nicht leid, daß sie angewandt worden war. Ihr hartnäckiges Verlangen, am Bord zu bleiben, und die Schwierigkeit, wenn er an's Land käme, einer so sonderbaren Gefährtin los zu werden, hatte ihm in der vorigen Nacht viele Unruhe gemacht, und diese sah er nun durch den kühnen Streich des Kapitäns gehoben.

Sein Traum war so völlig erklärt. Die Phantasie hatte das unartikulirte und heftige Geschrei, womit Fenella Widerstand oder Mißvergnügen auszudrücken gewohnt war, aufgefaßt – hatte es in Sprache ausgeprägt, und ihm Ton und Stimme Alexiens gegeben.

Der Kapitän öffnete nun die Thüre, und erschien mit einer Laterne, ohne deren Hülfe Peveril kaum sein Lager wieder gefunden hätte, wo er nun ruhig und fest schlief, bis der Tag schon weit vorgerückt war, und der Kapitän ihn zum Frühstück rief.



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