Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

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XXI.

Am Tage des heiligen Adalbert zog das landgräfliche Paar mit mehr als zweihundert Geharnischten zu Roß in Leipzig ein. Die Fußknechte folgten einen Tag später unter der Führung Hermann Goldackers. Der Marschalk hatte flehentlich gebeten, ihn diesmal ins Feld mitzunehmen, und Friedrich hatte seinen Bitten gewillfahrt. Eine Gefahr für die Wartburg bestand zurzeit nicht, da der König kein Belagerungsheer entsenden und die Eisenacher allein ihr nichts anhaben konnten. Die Kraft Hermann Goldackers war droben jetzt entbehrlich und mochte im Felde mehr nützen. Darum hatte Friedrich den alten Teutleben zu ihrem Vogt ernannt, von dessen unbedingter Treue und Vorsicht er überzeugt war.

Am anderen Tage musterte Friedrich auf dem Markte alle Streitkräfte, die er um sich gesammelt hatte, und es ergab sich, daß er außer den Leipziger Bürgern ungefähr vierhundert Geharnischte zu Pferde und gegen tausend Knechte zu Fuß besaß. Die Bürger der Stadt konnte er für eine Feldschlacht nicht rechnen, denn sie mußten daheim bleiben und die Mauern behüten. Das war keine große Macht, und er wußte wohl, daß unter des Königs Bannern gegen neunhundert gepanzerte Reiter und drei bis viertausend Knechte gegen ihn heranzogen.

Sein siecher Bruder Diezmann, der sich in einer Sänfte zur Musterung hatte tragen lassen, verfiel, als er von der Anzahl der königlichen Streiter hörte, in die tiefste Hoffnungslosigkeit. »Du kannst gegen sie im freien Felde nimmermehr aufkommen,« sagte er. »Bleibe hinter den Mauern der Stadt, es wird dir selbst hier schwer werden, der großen Macht zu widerstehen!«

»Hörst du, Friedrich,« fiel Frau Else ein, »dein Bruder rät dir, was ich dir immer geraten habe. O lasse deinen starren Sinn erweichen!«

»Ich suche die Schlacht, sobald es möglich ist,« erwiderte Friedrich bestimmt.

»Und verlierst Land und Leute,« murrte der Kranke.

»Oder sogar Freiheit und Leben!« rief die Landgräfin mit bebender Stimme. »Ach Friedrich, laß dich warnen!«

»Ich sage dir, was ich dir neulich schon sagte: Nicht tollkühn stürze ich mich in die Gefahr, aber ich kann nur siegen, wenn ich das Heer des Königs im Felde schlage, und deshalb suche ich die Entscheidung. Er vernichtet mir sonst mein Land, denn er brennt die Dörfer nieder und erweckt von neuem so große Furcht, daß sich auch die ihm anschließen, die ihn hassen und verfluchen. Ich besorge, aus schnöder Angst vor diesem Könige wird noch mancher von mir wieder weglaufen, der mir zugezogen ist.«

»Ich hoffe eher, daß viele dir zufallen werden, wenn sie sehen, wie böse und grausam er ist,« entgegnete Frau Else, und merkwürdigerweise behielt sie recht. Die Furcht, die das heranrückende Heer des Königs erregte, schlug bald in Erbitterung und in wilde Rachsucht um. Denn die Kriegführung dieser zuchtlosen Söldnerhaufen sprach aller Menschlichkeit Hohn. Mit unendlicher Langsamkeit wälzten sie sich vorwärts. Jedesmal, wenn sie einen Tagemarsch hinter sich hatten, schlugen sie ein Lager auf und brandschatzten und raubten von dort aus in allen Dörfern und Städten der Umgebung. Nichts war sicher vor ihrer wilden Gier, nicht die Kirchen und Kapellen, ja nicht einmal die Ruhestätten der Toten, denn vielfach brachen sie die Grüfte auf, um nach Schmucksachen zu wühlen. Greulich waren die Roheiten, die sie an Frauen und Jungfrauen verübten, und mit Entsetzen erzählte sich das Volk, daß sie sogar die Gottesbräute in den Klöstern nicht verschonten. Das Getreide führten sie auf Wagen mit sich fort, die Herden trieben sie hinweg, und in die leeren Ställe und Scheunen warfen sie die Brandfackeln. Oft war die ganze Gegend erfüllt von dem Dunst und Rauch, der von den eingeäscherten Höfen emporstieg.

Da bemächtigte sich des geschundenen und bis aufs Blut gequälten Landvolkes eine grenzenlose Wut. Sie bargen Weiber und Kinder in den Wäldern, so gut sie's vermochten; die Männer aber griffen zu den Waffen und lauerten denen auf, die sich etwa einzeln oder in kleinen Trupps von dem Heere des Königs der Plünderung wegen entfernten. Mit Harken, Sensen und Heugabeln fielen die Bauern über sie her, stachen und schlugen sie zu Tode wie die tollen Hunde. Die Kräftigsten und Verwegensten aber liefen nach Leipzig und verstärkten des Landgrafen Heer. Ja selbst ritterbürtige Mannen zogen ihm freiwillig zu, weil sie hofften, daß er dem Greuel ein Ende setzen werde.

Wie zum Hohne auf das Treiben der eigenen Leute emeuerte der König in diesen Tagen seinen Achtbrief wider die Gebrüder von Wettin, worin er sie Verderber, Verwüster und Verstörer des Reiches nannte. Er setzte sie noch einmal aus allem Frieden, drohte jedermann die schwersten Strafen an, der sich zu ihnen halte und ihnen beistehen würde, sicherte jedem Straflosigkeit zu, der sich an ihren Gütern sowie an ihrem Leib und Leben vergriffe.

Friedrich lachte, als ihm ein solcher Achtbrief gebracht ward, den eine unbekannte Hand nächtlicherweile an das Grimmaische Tor geheftet hatte. Aber er gab doch den strengen Befehl, Frau Else davon nichts zu sagen, und er entschloß sich, ein feines Panzerhemde unter seinen Kleidern zu tragen, wenn er ausging.

Es stammte aus der Erbschaft seiner Mutter, und es ging die Sage, der Rotbart habe es getragen, als er in Italien wider die Städte kämpfte.

Das gedieh ihm zu großem Heile und rettete ihn aus der schwersten Gefahr, in der sein Leben jemals geschwebt hatte. Eines Abends nämlich, als er von einem Rundgange um die Stadtmauer kam, lüstete es ihn, noch einzutreten in die Kirche zu Sankt Thomae und dort vor dem Hochaltare ein stilles Gebet zu verrichten. Er ließ sein Gefolge vor der Tür stehen und schritt über die Schwelle des Gotteshauses, dessen riesiges Gewölbe durch die seitwärts einfallenden Mondesstrahlen und die Lichtstrahlen der ewigen Lampen bei den Altären nur notdürftig beleuchtet war. Auf den Stufen des Hochaltares ließ er sich auf die Knie nieder und betete so andächtig und inbrünstig, daß er die Zeit und alles um sich her vergaß. Plötzlich aber hörte er ein paar auf den Steinfließen des Bodens scharf widerhallende, schnelle Tritte hinter sich, und ein so furchtbarer Stoß traf seinen Rücken, daß er vornüber auf die Stirn siel.

Ohne einen Laut stürzte der Meuchler von dannen und suchte durch die Seitentür den Ausgang zu gewinnen, aber hier prallte er mit dem Marschalk von Helldorf zusammen; der hatte nebst Friedrich und Günther von Schlotheim den Fürsten begleitet und wollte nun sehen, wo der Herr so lange verweilte.

Helldorf wurde durch den unvermutet Anstürmenden ein paar Schritte zur Seite geschleudert, aber er sprang ihm nach und warf sich mit einem lauten Schrei auf ihn, denn er hatte sofort begriffen, was geschehen war. Da hob der Fremde den rechten Arm hoch empor und stieß seinem Verfolger das Messer mit voller Wucht in die Brust.

Mit einem schrillen Weheruf sank Helldorf nieder, aber die beiden Schlotheim waren nun auch zur Stelle, und Günther streckte mit einem Faustschlage den Mörder zu Boden, so daß er regungslos liegen blieb. Dann sprang er aus der Tür und schrie nach den Knechten. Sofort eilten die mit zwei Windlichtern herbei.

Friedrich hatte sich inzwischen von seinem Fall erholt und kam nun langsam auf die Männer zugeschritten. Von seiner Stirn rieselte das Blut, denn er hatte sich an einer Kante das Haupt verletzt. Tief erschüttert blickte er auf Helldorf nieder, der blaß und stumm am Boden lag, ohne sich zu rühren.

»Sofort mit ihm hinüber ins Chorherrnstift!« gebot er. »Holt einen Wundarzt und einen Priester, daß er beichte, wenn's etwa zu Ende geht. Mein Gott, welch ein Geschick! Der blühende Mann! Hebt ihn auf! Schnell, ich gehe selber mit hinüber!«

»Um Gottes willen. Euer Gnaden bluten ja auch!« rief Friedrich von Schlotheim aufs höchste erschrocken.

»Eine Schramme! Das hat nichts zu sagen. Der Allmächtige hat mich vor Schlimmerem beschützt.« Er stieß mit dem Fuße an den Mörder, der noch immer bewußtlos lag. »Den Schuft hier verwahrt wohl. Hat er seine Sinne wieder, so wollen wir ihn auf der Stelle peinlich befragen.« Noch im Heraustreten fügte er hinzu: »Schlotheim, sorge, daß meine Frau es von niemandem erfährt, bevor ich selbst es ihr erzähle.«

Der verwundete Helldorf lag einige Minuten später auf dem Bette eines der Thomanerchorherren, und ein Arzt untersuchte die Wunde. Aber als er die kleine Öffnung sah, der nur wenige Blutstropfen entquollen waren, schüttelte er kummervoll den grauen Kopf. »Da ist gar nichts zu machen. Er verblutet sich innerlich. Hier ist nur noch ein Beichtiger von Nöten, wenn er noch zur Besinnung kommt.«

»Ist das zu denken?« fragte der Landgraf.

»Es ist möglich, Herr!«

»Dann werde ich mich an sein Lager setzen und harren,« sagte der Abt des Thomasklosters, ein feiner, stattlicher Greis mit einem überaus gütigen und würdevollen Antlitz.

»Und ich warte im Nebenraume,« versetzte Friedrich. »Ich will zusehen, ob ich noch ein Wort mit ihm reden kann. Er stirbt in meinem Dienst und war mir ein treuer Mann.«

Er setzte sich in dem dunklen Gemache auf eine niedere Bank und versank in kummervolle Gedanken. Das Schicksal Helldorfs ging ihm sehr zu Herzen, denn er schätzte den jungen Ritter um seiner ehrlichen Gradheit und seines Mutes willen. Seine Schwärmerei für Frau Else war ihm nicht entgangen, aber er war stets weit davon entfernt gewesen, ihm deshalb zu zürnen. Er hatte darüber gelächelt, denn seines Weibes war er ganz sicher, und einem edlen jungen Degen stand es wohl an, einer erlauchten Dame Herz und Leben zu weihen. Das taten ja so viele, die sich hohen Rittertumes für würdig erachteten und nichts gemein haben mochten mit dem großen Haufen jener sogenannten Adeligen, die ihren Kohl daheim auf ihren Sitzen bauten, Hasen und Füchse hetzten oder gar vom Stegreif lebten. Der Frauendienst gab ihrem Leben Schwung und erhielt sie in ritterlicher Zucht und höfischem Wesen; sonst war er ein Spiel der Phantasie und artete nur dann in etwas anderes aus, wenn die erwählte Herrin zu großen Gefallen an ihrem Ritter fand. Nun, davon war bei Frau Else nicht die Rede gewesen, das wußte er genau. Sie hatte für den Sterbenden dadrinnen nichts anderes empfunden, als ein herzliches, freundliches Wohlwollen – und doch, wie furchtbar mußte sie die Kunde erschüttern! Ihr erster Diener unter dem Messer eines Mörders verblutet, ihr Gemahl selber mit genauer Not wie durch ein Wunder demselben Messer entgangen! Er, der kraftstrotzende Mann, um ein Haar dem Schicksale verfallen, das seinen Bruder Diezmann getroffen hatte, oder jetzt schon tot und kalt! Mit welchem Gegner kämpfte man da? Von wem ging der im Finstern schleichende Mord aus? War das die Folge der Acht, die der Habsburger gegen ihn geschleudert hatte? Feile, tückische, ruchlose Gesellen suchten Lehn und Ehren beim Könige, der ihn verfehmt hatte, wenn sie ihn heimlich aus dem Wege räumten, und nirgendwo war das leichter als in einer Stadt mit ihrem Gewirr von Gassen und Gäßchen und Durchgängen, ihren Kirchen und Klöstern, Kolonnaden und unterirdischen Gängen. Die Bürgerschaft mochte wohl treu sein, aber wer kannte alle die Leute, die in der Stadt waren? Was für Gesindel mochte sich da verborgen halten oder sich gar unter denen befinden, die seinen Sold genommen hatten? Und konnte sich nicht auch einmal ein Mordstahl gegen die Brust seines Weibes richten? Und war er mit den Seinen vor Gift sicher? Er sprang auf und blickte wild um sich, und mit einem Male reute es ihn heftig, daß er Frau Else nicht auf der Wartburg gelassen hatte. Dort auf dem steilen Felsen, hoch über der Welt und inmitten ihrer Getreuen wäre sie sicherer gewesen als an jedem anderen Orte.

Da klang von der Türe her die Stimme des alten Abtes an sein Ohr: »Herr, er will mit Euch reden.«

Mit hastigen Schritten eilte der Landgraf in das Gemach, wo der Sterbende lag. Helldorfs Antlitz war bleich wie Schnee, seine Augen waren schon umflort, und Friedrich mußte sich tief zu ihm herniederbeugen, um zu hören, was er flüsterte.

»Ihr seid gerettet, Herr?« fragte der Ritter.

»Ja.«

»Und die Wunde auf Eurer Stirn?«

»Sie hat nichts zu bedeuten, kommt von einem Falle.«

»Das ist gut. Herr, hört mich: Der Stich, der mich traf, ging durch den Handschuh Eurer Frau. Ich trug ihn immer auf dem Herzen.«

»Das wußt' ich wohl,« erwiderte der Landgraf lächelnd.

»Sie war meine Herrin, ich ihr getreuer Knecht. Ich ehrte und liebte sie, so wie die Menschen die Sonne lieben, ohn' alles Begehren.«

»Auch das ist mir bewußt. Daran ist kein Tadel,« sagte Friedrich mild.

»So sagt der Herrin meinen letzten Gruß! Und Herr« – hier trat der Ausdruck einer großen Angst in seine Züge – »bringt sie fort von hier. Bringt sie auf die Wartburg. Hier lauert der Mord – auch Euer Bruder– –«

Er konnte den Satz nicht vollenden, denn ein Röcheln setzte ein, und er sank schwer in die Kissen zurück.

»Wahrlich!« rief der Landgraf laut, »das gelobe ich dir, Martin Helldorf, noch morgen geht sie zurück nach der Wartburg!«

Ob der Sterbende sein Wort verstanden hatte oder nicht, war nicht zu erkennen, denn gleich darauf brach ein Blutstrom aus seinem Munde. Er bäumte sich noch einmal auf, richtete die verglasenden Augen nach oben und war tot.

Der Abt sank sogleich vor seinem Lager in die Knie und sprach die Worte des heiligen Pater noster. Friedrich blieb mit gefalteten Händen stehen, bis sie verklungen waren. Dann trat er rasch an den Toten heran und drückte ihm die Augen zu.

»Du warst ein treuer Mann, Martin Helldorf,« sagte er bewegt. »Mögen die Engel deine Seele in den Himmelssaal tragen! Und ob du mich gehört hast oder nicht: ich halte meinen Eid!«

Darauf verließ er mit festen Schritten das Gemach.


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