Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

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III

Zwei Tage später ritt die Markgräfin inmitten ihres Zuges die Straße dahin, die von Gotha nach Eisenach führte. Ein prächtiger Sommertag ging mit rotem Leuchten zu Ende. Der Hörselberg, der rechter Hand vom Wege aufragte, flimmerte und gleißte in der Abendglut, als bräche das Feuer hervor aus seinem Innern, wo die schöne Teufelin Frau Venus tief unten verzaubert lebte. Auf dem Anger des kleinen Dorfes Kälberfeld, durch das der Zug ging, sprangen Kinder und halbwüchsige Burschen und Mädchen im Reigen nach dem Klange einer Fiedel, helles Jauchzen und Singen tönte von der Linde herüber. Aber die junge Fürstin wandte nicht einmal den Kopf darnach. Bleich und düster saß sie im Sattel, sprach nur das Nötigste, schaute unausgesetzt vor sich hin, und selten fing ihr Marschalk einen Blick auf aus den großen dunkelblauen Augen, die nach seiner Meinung das Schönste waren, was es in ganz Thüringen gab. Vergebens strengte er sein Hirn an, um sie durch zierliche Scherzrede zu erheitern und zu zerstreuen. Sie gab auf alles, was er fragte und sagte, nur einsilbige Antwort, und die Art, wie sie sprach, ließ unschwer erraten, daß sie lieber ganz geschwiegen hätte.

Der Ritter geriet darob in eine immer verzweifeltere Stimmung, denn er fürchtete, die angebetete Herrin möchte tiefsinnig werden. Er hatte die Fahrt nach dem Kloster sehr gemißbilligt, denn alles, was mit Kutten und Weihrauch zusammenhing, war ihm von Natur zuwider, und er ging ihm, soweit er es vermochte, in weitem Bogen aus dem Wege. Es war ihm unbegreiflich gewesen, was die edle Frau nach Weißenfels getrieben hatte, und das bedenkliche Kopfschütteln seines Herrn, des Markgrafen, war ihm nicht entgangen. Er hatte sich darüber so seine Gedanken gemacht. Nun war die Reise zum vollen Unheil ausgeschlagen. Die Markgräfin sah aus, als wäre sie schwer krank oder sollte es demnächst werden. Was mochten ihr die alten Klostereulen gesagt haben? Womit hatten sie ihr das Herz vergiftet? Oder sollten sie ihr gar einen Trunk beigebracht haben, der ihren blühenden Leib siech machen mußte? Seine Meinung von den Klöstern und ihren Insassen war so schlecht, daß er diesen Gedanken nur mit Mühe zurückdrängte.

Er hätte wohl vor Schrecken und Empörung aufgeschrien, wenn er geahnt hätte, welche Gedanken seine Herrin unablässig hinter ihrer weißen Stirne wälzte.

Ihr ganzes Leben zog an der jungen Martgräfin vorüber, während sie dahin ritt, und über allen den wechselnden Bildern, die vor ihre Seele traten, lag derselbe fahle Schein. Sie sah alles in einem düsteren Lichte, und es schien ihr alles sündig und verfehlt, was sie getan und auf sich genommen hatte.

Das Bild ihres Vaters stieg vor ihr empor, des finsteren Grafen Otto von Arnshaugk. Der hatte durch einen bösen Zufall seinen besten Freund auf der Jagd getötet und fand seitdem nicht Ruhe und Rast in seinem Gewissen. Sein ältestes Kind gelobte er den Heiligen, und die kleine Else wußte es seit frühester Kindheit nicht anders, als daß sie einst im Kloster Himmelskron den Schleier tragen sollte. Sie ward auch schon in ihrem fünfzehnten Jahre in die heiligen Mauern gebracht, um dort von den frommen Schwestern unterrichtet und erzogen zu werden. Aber ihr Aufenthalt war nicht von langer Dauer. Ihr einziger Bruder starb, und sie wurde dadurch die Erbtochter ihres Geschlechts. Da machte der Graf eine große Spende von Hufen und Zinsen und Gefällen an das Kloster Himmelskron, damit die Heiligen es gestatten wollten, daß er seine Tochter wider sein feierliches Gelöbnis in die Welt zurückhole. Sie selbst wäre nicht ungern im Kloster geblieben, denn sie kannte noch nicht viel vom Leben, und was sie kannte, das erschien ihr nicht eben erfreulich. Und es fielen ihr jetzt die Worte wieder ein, die sie damals erlauscht hatte, als zwei Nonnen sich im Klostergarten über ihre Heimholung besprachen: »Es muß die Heiligen kränken, und sie werden es gewißlich rächen!« Schon einmal war ihr das wieder in den Sinn gekommen, damals, als man den Vater tot ins Haus brachte. Er war von einem wilden Pferde aufs Felsgestein geschleudert worden und lag mit einer klaffenden Stirnwunde auf der Bahre. Da bat sie ihre Mutter mit vielen Tränen, sie wieder ins Kloster zu senden, aber Frau Elsbeth widerstand. Sie hielt nicht viel vom Klosterleben, obwohl sie aus dem frommen Orlamünder Grafenhause stammte und zwei ihrer Schwestern den Schleier genommen hatten. Die beiden rieten auch ihr, der vierzigjährigen, nunmehr als Witwe der Welt zu entsagen, aber statt dessen sprang sie mit beiden Füßen hinein in den Strudel des Lebens, indem sie dem tollsten und abenteuerlichsten Manne in Thüringen ihre Hand zum Ehebunde reichte. Das war der Landgraf Albrecht, der höchste Herr des Landes. Er war einst der Gemahl der edlen Kaisertochter Margarete von Hohenstaufen gewesen, aber die hatte ihn voller Gram und Herzeleid verlassen, da sie seiner Untreue inne geworden. Nach ihrem Abscheiden vermählte er sich mit seiner Geliebten, der schönen Kunigunde von Eisenberg, und nachdem er auch die begraben, sandte er der Wittib des Grafen von Arnshaugk seine Freiwerber zu. Frau Elsbeth zögerte eine Zeitlang, denn sie kannte seinen bedenklichen Ruf; aber bei einer Zusammenkunft, die sie ihm gewährte, gewann er sie ganz und gar. Sie hatte viel gelitten unter dem düsteren Wesen ihres Gemahls; darum übte der allezeit lustige Landgraf, der so sorglos ins Leben schaute und so prächtig zu lachen verstand, einen wahren Zauber auf sie aus. So ward sie frohen Mutes sein Weib und hoffte nach schweren Jahren auf eine heitere Zukunft. Aber sie ward bitter enttäuscht, denn bald mußte sie mit Schrecken inne werden, daß er völlig haltlos war – jedem Eindruck hingegeben, jedem Genusse nachgebend und vor allem ein rasender Verschwender. Auch war es ein tief zerrüttetes Haus, in das sie mit ihrer Tochter eintrat. Die Söhne der ersten Ehe, Markgraf Friedrich von Meißen und Diezmann von Osterland und Pleißnerland, lebten in bitterer Feindschaft mit ihrem Vater, und die neue Gemahlin des alternden Fürsten sah mit nagendem Schmerze, daß das Recht auf seiten der Söhne war. Sie gab sich immer wieder alle Mühe, zu vermitteln und zu versöhnen, aber sie erreichte nichts, der Haß und Hader wurden immer ärger. Der Landgraf verbündete sich schließlich mit dem deutschen König, Adolf von Nassau, und trat ihm für vieles Geld die Erbfolge in seinen Ländern ab. Nun wurden die Söhne durch des Königs Macht vertrieben und mußten das Land meiden, bis König Adolf erschlagen ward. Da endlich kam der Friede im Hause Wettin. Friedrich und Diezmann kehrten zurück, nahmen ihre Länder wieder ein, und Landgraf Albrecht gab nach und schwur, daß sie nach ihm auch Thüringen besitzen sollten. Zum ersten Male sah damals Frau Elsbeth ihren ältesten Stiefsohn, den Markgrafen Friedrich, zum ersten Male sah auch ihre Tochter den Mann, dem ihr ganzes Herz fortan gehören sollte. Sie war längst schon begierig gewesen, den zu schauen, der, wie alle Leute sagten, die Züge der Hohenstaufen trug. Und als sie dann vor dem Staufenenkel mit den blonden Locken stand und in seine leuchtenden Augen blickte, da geriet sie in eine Verwirrung, die sie niemandem verbergen konnte, und die dem lebenserfahrenen Manne genug sagen musste. Er erkannte lächelnd, daß ihm hier ein leichter Sieg winke, und er war dessen von Herzen froh. Denn nachdem ihm das Weib seiner Jugend nach kurzem Glücke vor vielen Jahren schon gestorben war, sehnte er sich wieder nach Frauenliebe und häuslichem Glück, und eine adeligere und feinere Jungfrau hatte er seit Jahren nicht gesehen. So kam sehr bald, was kommen mußte: Eine glänzende Hochzeit ward auf der Wartburg gefeiert, und nun waren seitdem schon sieben Jahre vergangen, sieben selige Jahre. Sie war heute noch glücklicher als am ersten Tage, denn ihres Gatten Liebe zu ihr – das wußte sie wohl und empfand es als eine Gnade des Himmels – war mit jedem Jahre gewachsen, war immer tiefer und fester geworden. Immer mehr hatte sich sein Herz ihr aufgeschlossen, sie war seine Vertraute geworden, und er vertraute wenigen, sehr wenigen Menschen. So fehlte ihr nichts an der irdischen Seligkeit des Weibes, sie war eine glückliche Gattin und seit mehr als Jahresfrist auch eine glückliche Mutter, und es war ihr ein geringer Schmerz, daß die kleine Else, die ihres Mannes Ebenbild zu werden versprach, nicht der ersehnte Erbe und Stammhalter war. Sie standen ja beide noch in der Vollkraft ihres Lebens, auch dieses Glück mochte ihnen wohl der Himmel noch bescheren.

Da mit einem Male war ein furchtbares Wetter gegen sie und alle, die sie liebte, herangezogen, ein Wetter, das nach menschlichem Denken und Ermessen ihr ganzes Glück zerschmettern mußte.

Ein kleines mißfarbenes Wölkchen hatte ja immer schon am Lebenshimmel der beiden Gatten gestanden, nur daß sie seiner wenig geachtet hatten. Sie waren niemals darüber gewiß geworden, wessen sie sich eigentlich von dem neuen Könige zu versehen hätten. Er hatte nie die Rechte der Wettiner anerkannt, aber auch nichts getan, sie ihnen streitig zu machen, und sie mussten glauben, er kümmere sich nicht um sie und habe anderswo genug zu tun, um sich zu behaupten und seine Macht fester zu gründen. Er ließ sie vollständig beiseite liegen und sie ihn auch; kaum dachten die fürstlichen Brüder daran, daß noch einmal des Reiches Aar wider sie seine Fänge regen könnte. Aber in der arglistigen und habsüchtigen Seele König Albrechts brannte schon lange der Wunsch, die schönen Länder inmitten des Reiches zu gewinnen, und es kam die Zeit, wo er die Macht dazu besaß. Er hatte alle seine Feinde niedergerungen und stand gewaltiger da, als die beiden Könige vor ihm. Und nun erklärte er, Meißen und Pleißnerland seien des Reiches heimgefallene Lehen, und Thüringen habe sein Vorgänger auf dem Throne nicht für seine Person erkauft, sondern für das Reich. Fast ohne Kampf gewann er Meißen und Pleißen, denn der Schrecken ging vor ihm her und lähmte den Mut der markgräflichen und landgräflichen Vasallen, so daß sie auf ihren Burgen blieben und ihrem Herrn nicht zu Hilfe zogen. Nun stand sein Einbruch in Thüringen bevor, und nur ein Wunder – so schien es – konnte das Haus Wettin vom Untergange retten.

Sowie die Dinge diese Wendung genommen hatten, waren schwere Gedanken eingezogen in die Seele der jungen Markgräfin. Warum ließ Gott das alles geschehen? Warum sollte ihr Gatte, der doch das Vorbild eines tapferen und gerechten und ehrenhaften Fürsten war, nach so vielen heldenmütig bestandenen Prüfungen nun doch noch der Übermacht erliegen? Warum durfte der unkönigliche Mann, der jetzt die Krone trug, das Fürstentum dem entreißen, in dessen Adern das Blut der großen Kaiser rollte? Wenn ein gerechter Gott im Himmel war – warum, warum das alles?

Da hörte sie eines Tages die Predigt des neuen Dominikanerpaters, der in Eisenach mit glühender Beredsamkeit über die Qualen der Verdammten redete. Sie kehrte in der größten Erregung heim nach der Wartburg, mochte nicht Speise und Trank anrühren den ganzen Abend über und fand bis gegen Morgengrauen keinen Schlaf. Und als sie endlich in einen kurzen Schlummer fiel, da hatte sie ein schreckliches Traumgesicht. Sie sah ihren Vater mit glühenden Ketten an eine Steinwand gefesselt, und ihm zu Füßen lag ein Nonnengewand, wie es die frommen Schwestern in Himmelskron trugen. Er konnte sich nicht regen, aber mit flehenden Blicken schaute er ihr unverwandt ins Gesicht, bis mit einem Male die Erscheinung verschwand. Mit einem lauten Schrei fuhr sie empor und lag dann mit verstörten Sinnen da, im tiefsten Herzen erschrocken und lange unfähig, ein Glied zu rühren. Träume kommen von Gott, so hatte man sie gelehrt; der Allmächtige will damit den Menschen Weisungen geben, nach denen sie sich zu richten haben. Ein Zeichen hatte sie empfangen, und wie konnte sie es mißverstehen? Die Seele ihres Vaters war verdammt, weil er sein Gelübde gebrochen hatte, und sie wie ihr Gemahl waren mitschuldig an seiner Sünde. Hier lag wahrscheinlich die Wurzel des Unheils, das jetzt mit einem Male so üppig emporwucherte und jede Blüte im Garten ihres Glückes zu ersticken drohte. Sie hatten ihre Ehe über einem gebrochenen Eide aufgerichtet, dafür traf sie nun der Zorn des Himmels.

In qualvollem Grübeln und Sinnen verbrachte sie die nächsten Wochen, und ihre Beängstigung stieg aufs höchste, als sich der Traum wiederholte. Ihrem Gemahl mochte sie sich nicht anvertrauen, eine unüberwindliche Scheu schloß ihr den Mund. Sie brachte es nicht über sich, ihm das zu sagen, was ihn im Innersten verwunden mußte, und fragte er sie besorgt, warum ihre Wangen so bleich seien und ihr Mund so selten lache, so brauchte sie eine Ausrede.

Aber als ihre geheime Qual allzu groß wurde, da ließ sie den Dominikaner auf die Wartburg kommen, dessen Predigt sie so tief erschüttert hatte, und beichtete ihm. Der riet ihr denn zur Fahrt nach Weißenfels, und sie hatte die Reise unternommen im festen Glauben, daß sie durch den Mund der heiligen Frau die Stimme Gottes vernehmen werde. Und gerade die furchtbare Härte des Spruches überzeugte sie, je mehr sie darüber nachdachte, im innersten Gemüte davon, daß sie auch wirklich die Stimme Gottes vernommen habe. Denn er sollte ja zwar ein Gott der Liebe sein, aber er zeigte den Seinen doch wohl diese Liebe nur dadurch, daß er sie nach ihrem Tode in die Seligkeit des Himmelreiches einführte. Hier auf Erden dagegen verlangte er die härteste Entsagung von ihnen und legte ihnen die schwersten Lasten auf. Seinen Sohn hatte er am Kreuze sterben lassen, der gebenedeieten Gottesmutter waren sieben Schwerter durchs Herz gegangen, und war nicht auch das Leben aller Heiligen voller Qualen und Prüfungen gewesen? War aber die Seligkeit an Opfer geknüpft, warum sollte er da nicht auch eine Hilfe aus irdischer Not abhängig machen von einem Opfer? Und der Größe der Not mußte wohl die Größe des Opfers entsprechen.

Dennoch konnte sie sich nicht entschließen, das Gelübde in ihrem Herzen abzulegen, das Gott von ihr forderte. Es däuchte sie allzu schwer, und es war ihr bei dem Gedanken zumute, als solle sie sich selbst in den Sarg legen und mit eigener Hand den Deckel über sich schließen. Und ein Zittern befiel sie, als sie jetzt den Blick einmal hob und in geringer Entfernung vor sich die Türme des Städtleins Wutha gewahrte. So nahe war man schon an die Wartburg herangekommen! In kaum einer Stunde, noch ehe die Sonne ganz hinter den Höhenkämmen untergetaucht war, stand sie also vor ihrem Gatten, und wie sollte sie ihm begegnen?

»Herrin,« tönte da plötzlich die Stimme ihres Marschalks Helldorf in ihre Gedanken herein, »erlaubet, daß wir Halt machen!«

Sie hob verwundert den Kopf. »Warum hier auf der offenen Landstraße?«

»Sehet dort!« erwiderte er und deutete vorwärts in die Ferne. »Es kommt eine Reiterschar auf uns zu und hinter ihr eine große Zahl von Fußknechten. Ha, was ist das? Sehet, das Banner von Eisenach! Kommen die Pfeffersäcke, um ihre erlauchte Herrin heimzuholen?«

»Meint Ihr, Helldorf?« erwiderte die Fürstin, die wie aus einem Traume erwacht schien. »Das sollte mich freuen um meines Herrn willen. Es ward viel gemunkelt, ehe wir ausritten, daß in Eisenach ein böser Geist sein Wesen treibe. Hermann Goldacker sprach davon, daß einige die Bürger zum Abfall anreizen wollten.«

Der Marschalk antwortete nicht sogleich. Er blickte mit steigender Unruhe nach dem Heerhaufen hin, der ziemlich rasch näher kam. Er war wohl viermal stärker als die Reiterschar, die Frau Else mit sich führte.

»Gnädigste Frau,« sagte er plötzlich, »ich fürchte, die dort kommen nicht in guter Absicht. Sie sind gerüstet wie zum Streite und haben die Helme herabgelassen.«

»Mein Gott, was meint Ihr?« rief die Markgräfin bestürzt.

»Ich meine, man kann dem Ellenritterpack nicht trauen. Meine, sie haben eine Teufelei vor. Der Hellgrave reitet an der Spitze, der lange Schuft, das deutet auf nichts Gutes. – Schließt euch in Reihen!« gebot er den Knechten. Dann neigte er sich vor der Markgräfin. »Erlaubet, daß ich sie befrage.«

Er ritt auf den Harst der Eisenacher zu, der jetzt auch, einige hundert Schritte von den Markgräflichen entfernt, Halt machte. Auch von ihm löste sich ein einzelner Reiter ab und trabte ihm entgegen.

»Heinz Hellgrave!« rief Helldorf. »Was soll das? Wollt Ihr die erlauchte Frau begrüßen oder habt Ihr eine Heerfahrt vor?«

Der Eisenacher schlug sein Visier zurück. Ein hageres Antlitz mit einer großen, geraden Nase und ein paar klugen Augen ward sichtbar.

»Wir wollen Eure gnädige Frau einladen, in unserer Stadt Quartier zu nehmen,« gab er mit einem trockenen Lachen zur Antwort.

»Was fällt Euch ein? Die Frau Markgräfin will mit Untergang der Sonne auf der Wartburg sein.«

»Will sie das?« entgegnete der Eisenacher mit erkünstelter Lässigkeit. »Nun, sie wird sich doch wohl bequemen, auf die Bitten ihrer getreuen Knechte vorher nach Eisenach zu kommen, und ich wette, es wird ihr so gut gefallen, daß sie eine ganze Zeitlang der Stadt geehrter Gast sein wird und Ihr mit.«

»Noch einmal, Hellgrave: Was soll das?« schrie Helldorf mit zornrotem Angesicht.

»Wir wollen's kurz machen, Märten Helldorf,« sagte der lange Bürgermeister; »seit gestern haben wir Briefe von dem Herrn König, daß Eisenach freie Reichsstadt werden soll, was wir ja schon lange wollten. Ihr müßtet dümmer sein, als Ihr wirklich seid, so Ihr's nicht gemerkt hättet. Darum haben wir heute dem Herrn Markgrafen und seinem Vater, dem Landgrafen, abgesagt und nehmen, was ihnen gehört. Macht's uns nicht schwer, wir sind vier oder fünf gegen einen!«

»So würdet ihr tun, Ellenritter, Krämerpack, das von ritterlicher Ehre nichts weiß!« knirschte Helldorf. »Eidbrüchige Schurken von Eisenach! Wisset ihr nicht, daß kein ehrbarer Mann sich an einer edlen Frau vergreift? Nicht einmal die Sarazenen handeln wie ihr.«

»Regt Euch nicht auf,« unterbrach ihn der Lange gänzlich ungerührt. »Wir krümmen Eurer Frau kein Haar, auch Euch nicht und keinem von Eurer Schar, wenn Ihr Euch gutwillig ergebt.«

Helldorf faßte nach seiner Lanze. »Laßt Euren Bratspieß stecken!« riet der andere wohlmeinend. »Ich raufe mich nicht mit einem jungen Hahn. – Aber Mord und Brand – was ist das?« schrie er und wendete sich um.

In seiner Schar war ein Tumult entstanden, lautes Geschrei erklang von hinten her, Pferdegetrampel, das eine Reiterschar ankündigte, ward hörbar. Schon bogen die ersten Geharnischten um die Ecke des nahen Gehölzes, allen voran einer auf einem mächtigen Schimmel in vergoldeter Rüstung.

Helldorf warf sein Roß herum und jagte zu den Seinen zurück.

»Der Markgraf!« schrie er. »Drauf, ihm zu Hilfe auf die Krämer von Eisenach! Knuto, du bleibst mit deinem Fähnlein bei der Herrin! Ihr andern drauf, drauf!«

Ein wildes Ringen begann. Die Eisenacher waren von zwei Seiten gepackt, aber sie waren noch immer weit in der Überzahl und wehrten sich tapfer. Eisen dröhnte auf Eisen, Gebrüll, Fluchen, Stöhnen und Wehegeschrei klang zum Himmel auf, und eine riesige Staubwolke hüllte die Kämpfenden ein.

Die Markgräfin schaute mit schreckensstarren Augen in das Gewühl. Sie spähte nur nach einem. Er war im dichtesten Getümmel. Manchmal sah sie seinen Harnisch und den Pfauenfederbusch seines Helmes auftauchen, dann war er wieder verschwunden. Aber jetzt zerriß ein Windstoß die Wolke von Staub, sie sah, wie sein Tier sich hoch aufbäumte, und wie ein Knecht mit der Hellebarde nach ihm stieß. »Heilige Jungfrau!« schrie sie laut und glitt aus dem Sattel nieder auf den Grund. »Schirme ihn, rette ihn, und ich will mich dir geloben!«

Sie sank vornüber und fiel in eine tiefe Ohnmacht. Ihren laut aufkreischenden Frauen schien es, als wäre sie gestorben, denn sie lag starr und leblos da und war durch nichts zu erwecken. Sie erwachte auch erst eine Stunde später auf der Wartburg, wo sie sich in den Armen ihrer Mutter fand. Vor ihr kniete ihr siegreicher Gemahl, der den Panzer noch nicht abgelegt hatte und nun bei ihrem ersten Lebenszeichen mit einem Jubelruf in die Höhe fuhr und sie umschlang.


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