Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

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XIV.

Am ersten März ließ der ehrbare Rat der Stadt Eisenach an allen Straßenecken ausklingeln, daß ein königlicher Heerhaufen heranziehe. Die Bürgerschaft vernahm das mit großer Freude, denn in der letzten Zeit war sie von ihrem feindlichen Landesherrn stark bedrängt worden. Des Landgrafen Macht reichte zwar nicht so weit, daß er die wohlbefestigte, wehrhafte Stadt mit Aussicht auf Erfolg hätte regelrecht belagern können. Aber seine Reiter und Knechte umschwärmten sie den ganzen Tag, unterbanden den Handelsverkehr mit anderen Städten und zwangen die Bürger, ihre Tore beständig geschlossen zu halten. Auch mußte die Hälfte der kriegstüchtigen Männer jede Nacht abwechselnd unter den Waffen bleiben, denn der rastlose Fürst hatte schon mehrfach versucht, nächtlicherweile in die Stadt zu dringen. Kein Wunder, daß viele in der Bürgerschaft dieses Zustandes müde wurden, und daß die Stimmen immer zahlreicher wurden, die nach Frieden riefen. Die bisherigen Führer waren in großer Verlegenheit und Sorge, denn sie mußten fürchten, daß sie allmählich den Boden unter den Füßen verlieren würden.

Um so größer war ihr Jubel, als sie nun sahen, daß der König endlich Ernst machen wollte, und die Aussicht auf nahe, kräftige Hilfe fachte auch in der Masse die schon halberloschene Kriegslust noch einmal zu hellen Flammen an. Nun sollte es doch noch gelingen, Eisenach zur freien Reichsstadt zu machen. Nun konnte man wieder den Spieß umdrehen, aus Belagerten zu Belagerern werden und dem Landgrafen die Angst heimzahlen, die man in der letzten Zeit seinetwegen hatte ausstehen müssen. So wälzte sich denn eine gewaltige Menschenmenge hinter den Ausrufern her durch die Straßen und rief begeistert: »Heil dem König!« und »Nieder mit dem Landgrafen!«

Zu derselben Stunde stand Dietrich von Werthern auf der Wartburg vor seinem Herrn. Das Hochwasser eines Flusses, das die Brücke weggeschwemmt hatte, und die durch massenhaften Regen aufgeweichten sumpfigen Wege hatten ihn aufgehalten; beim besten Willen war es ihm nicht möglich gewesen, früher heimzugelangen.

Mit großer Spannung hörte der Landgraf den Bericht des getreuen Mannes, und dunkle Zornesröte bedeckte sein Antlitz, als er vernahm, wie König Albrecht seinen Gesandten behandelt hatte, aber er enthielt sich jeder Bemerkung. Des Erzbischofs Botschaft dagegen bewirkte, daß er sogleich erregt von seinem Sitze emporsprang. »Das ist gut, Dietrich!« rief er. »Ich habe sichere Kunde, daß der König noch im März ein starkes Heer nach Altenburg schicken will, wo der Küchenmeister von Nortenberg als sein Statthalter schaltet. Demnach rechnet der Habsburger so: Mich will er hier einschließen und festhalten. Dann will er meinen Bruder in Leipzig mit seiner großen Macht erdrücken. Endlich will er hierher ziehen und die Burg, sollte sie noch nicht gefallen sein, gewinnen und brechen. Wohl überdacht, Herr König! Aber wir wollen ihm die Suppe versalzen! Bei Gott und Sankt Hubertus, das wollen wir! Bitte dir einen Botenlohn aus, Dietrich, du hast ihn wahrlich verdient.«

»Herr, mich lüstet nur nach drei Dingen: einen Stall für mein Pferd, eine große Kanne Wein und ein gutes Bett für mich selber.«

»Das sollst du haben,« rief der Landgraf lachend. »Und wenn du ausgeschlafen hast, so wähle dir ein gutes schwarzes Roß zu deinem hinzu. Goldacker hat Gäule gekauft in Erfurt, die machen einem das Herz im Leibe lachen.«

Der Ritter verneigte sich und ging. Als er draußen war, hörte ihn der Fürst gewaltig gähnen. Er lachte, aber bald wurde sein Antlitz sehr ernst, und er versank in langes Nachdenken.

Endlich raffte er sich auf und schritt hinüber in die Kemenate zu seiner Gemahlin. Sie saß im Kreise ihrer Frauen und spann mit ihnen. Bei seinem Eintritt stockten die Räder, denn alle erhoben sich, um den Herrn zu ehren. »Unterlaßt eure Arbeit nicht um meinetwillen,« sagte Friedrich freundlich. »Dich aber, Else, bitte ich, hier neben mit mir einzutreten.«

Er öffnete ihr die Tür, und die Landgräfin schritt ihm voran. Sie trug ein zartes Rot in ihrem Antlitz, wie immer in der letzten Zeit, wenn sie mit ihrem Gemahl allein sein mußte.

Friedrich erzählte ihr in kurzen Worten, was sich in Frankfurt begeben und welche Botschaft ihm Werthern gebracht hatte. Dann fügte er ernsthaft hinzu: »Wiederum geht es also um die Wartburg. Der König weiß wohl, daß meine Macht in Thüringen zu Ende ist, wenn er sie inne hat, denn dann glaubt niemand im Lande mehr an mein Glück. Und diesmal wird es bitterer Ernst. Weilnau erhält den Befehl, und er ist einer der kühnsten und klügsten Kriegshauptleute, die es in deutschen Landen gibt. Dabei ist er so kalt und grausam, wie der König selbst, das Blut seiner Leute ist ihm gleichgültig. Er treibt Hunderte ruhig in den Tod, wenn er meint, sein Ziel zu erreichen.«

»Und doch wird er die Feste nimmermehr gewinnen,« sagte Frau Else bestimmt.

»Weißt du das so sicher?« gab Friedrich düster zur Antwort. »Auch was unglaublich, unmöglich schien, hat sich manchmal ereignet auf Erden. Wie, wenn ein Brand ausbräche, der die Vorräte zerstörte? Oder wenn sich ein Verräter befände in der Burg?«

»Niemals!« rief Frau Else. »Unsere Leute hängen dir alle treu an, da ist kein Judas darunter.«

»Auch ich hoffe es,« entgegnete Friedrich, »und sicher werde ich nur die Erprobtesten hierlassen. Denn ich selbst schließe mich nicht mit ein, ich setze mich fest in Tenneberg und Gotha, der treuen Stadt, und bedränge von dort aus, die die Burg belagern. Hermann Goldacker mag hier gebieten an meiner Statt.«

Die Landgräfin fuhr auf, und ihr Antlitz erblich. »Und ich?« rief sie, »traust du mir nicht mehr? Habe ich dir die Burg nicht gehalten Monde lang? Soll ich nun unter dem Diener hier leben?«

»Du sollst gar nicht hier bleiben.«

»So willst du mich mit dir nehmen?«

»Das auch nicht! Ich habe keine bleibende Stätte, muß bald hier sein, bald dort, das ist kein Leben für dich und unser Kind. Ich dachte mir: Hier wird mir das Spiel allzu ernsthaft, die Gefahr wird allzu groß. Der König ist ein schlechter Mann, finge er euch, so würde er euch als Geiseln nach Österreich führen, und das wäre noch nicht das Argste, was dir widerfahren könnte. Du solltest dich dieses Mal hinter heiligen Mauern bergen. Am sichersten wärst du da in Erfurt. Die Erfurter haben meinen Vater, der in der Narrheit seines Alters zu ihnen gezogen ist, mit Pauken und Flöten eingeholt und sind mir befreundet. Auch sind sie stark und trotzig und dem Könige zurzeit ganz abgeneigt, weil sie vergeblich gehofft haben, er werde ihnen die volle Reichsfreiheit geben, und weil sie eifersüchtig sind auf Eisenach, das er begünstigt. Dort wärst du fürs erste ganz sicher.«

Frau Else sah ihrem Gatten schweigend ins Gesicht. Ihre Wangen brannten, und aus ihren Blicken sprach Zorn und Schmerz. Langsam füllten sich ihre Augen mit Tränen.

»Was ist dir?« fragte Friedrich befremdet. »Warum weinst du?«

Die Landgräfin fuhr sich hastig mit der Hand über die Augen. »Du hast kein Vertrauen mehr zu mir,« sagte sie gekränkt.

»Kein Vertrauen? Wie kommst du darauf?«

»Hab' ich dir die Burg nicht gut verteidigt? Warum verlangst du von mir, ich solle mich hinter Klostermauern verkriechen?«

»Hast du nicht lange dich ins Kloster gesehnt?«

»Friedrich!« rief Frau Else erzürnt, »das ist nicht edel von dir. Du weißt, daß es nicht aus Furcht geschah!«

»Du hast recht!« erwiderte der Landgraf. »Verzeihe mir, ich sprach unbedacht. Wohl hast du die Burg gut verteidigt, und was du getan, ist des höchsten Lobes würdig. Jetzt aber wird ein anderer Sturm daherbrausen. Du würdest auch dem Stand halten, wie der beste Mann, an Kraft würde es dir nicht fehlen. Aber ich möchte dich gesichert wissen.«

»Nein, Friedrich, nein! Wenn du mir die Kraft zutraust, so laß mich hier. Ich würde wohl elend und krank, säße ich im Kloster der Stadt und müßte immer denken: jetzt berennen sie die Wartburg. Wie wird's dort stehen? Werden sich alle als treue Mannen halten? Solche Gedanken würden mich martern bei Tag und bei Nacht, sie könnten mich wohl zum Wahnsinn treiben.«

Der Landgraf blickte sie nachdenklich an. »Ich bitte dich, Friedrich,« rief sie laut und dringend, »laß mich hier und vertraue mir die Burg an. Du hast keinen, der dir treuer ist!«

»Das weiß Gott!« warf der Landgraf dazwischen.

»Darum laß mich hier! O laß mich hier!« bat sie in leidenschaftlichem Flehen und machte Miene, ihm zu Füßen zu sinken.

Der Landgraf ergriff sie bei beiden Händen und zog sie empor. »Es sei!« sagte er erschüttert.

Frau Else jubelte auf und küßte ihm schnell die Hand. Friedrich entzog sie ihr hastig und errötete dabei wie ein Jüngling, dem eben der erste Flaum zu sprießen beginnt.

»Hast du auch an unser Kind gedacht?« fragte er leise.

»Das Kind gehört in den Adlerhorst, in dem es geboren ist. Und ich fürchte nichts für uns, ich baue auf den hohen und festen Fels, der uns trägt, und auf die starke Treue unserer Mannen. O ich danke dir, Friedrich, von ganzem Herzen, und wahrlich – ich will dir meinen Dank beweisen. Was ich lange bedacht habe, heute will ich's vollenden. Komm!«

Sie zog den Erstaunten an der Hand in ein kleines Nebengemach. Dort nestelte sie aus ihrem Mieder einen kleinen Schlüssel heraus, den sie an einer seidenen Schnur um den Hals trug. Damit öffnete sie einen eisernen Schrank, der in die dicke Wand eingemauert war. Zwei silberne Kästchen gleißten dem Landgrafen aus dem Dunkel entgegen.

Frau Else deutete auf das größere von beiden. »Nimm das und setze es auf den Tisch. Mir ist's zu schwer,« sagte sie.

Verwundert folgte der Landgraf dem Wunsche, und trotz seiner Stärke war es ihm nicht leicht, es mit einer Hand von der Stelle zu bewegen.

»Als in der vergangenen Woche meine Mutter nach Erfurt zog,« begann die Landgräfin, »hat sie mir das geschenkt, was du sogleich erblicken wirst. Manche Gräfin von Orlamünde mag daran gesammelt haben. Sie hat es geerbt von ihrer Mutter und hat es gehütet all die Jahre hindurch vor der wilden Gier deines Vaters, der es sicherlich vergeudet hätte. Sie brauche es nicht mehr, sagte sie, denn sie höre auf, eine Fürstin zu sein, und werde niemals wieder Schmuck an sich tragen bis an ihr Ende. Ich dachte zuerst daran, wir wollten es dem Kloster Himmelskron geben, aber das würde nutzlos sein. Gott hat mein Opfer begehrt; brächt' ich das, so wollte er dir Sieg und Ehre verleihen, das hat die heilige Frau uns verkündet. Hat sie in Wahrheit aus Gott geredet, so nützt keine Spende an die Heiligen, sie wird dir nicht den Sieg erkaufen. Siegst du aber, ohne daß ich meines Lebens Opfer gebracht habe, so ist ihre Rede Trug und Wahn eines kranken Hirns. Zieht König Albrechts Heer geschlagen ab, so gehöre ich dir mit freiem Herzen. Und was ich dir jetzt gebe, das mag dir wohl zum Siege verhelfen, wenn's überhaupt möglich ist, daß du siegst.«

Sie drückte auf einen Knopf an der Seite des Kastens, und der Deckel sprang auf. Mit einem Rufe des Staunens fuhr der Landgraf zurück, denn das Behältnis war bis obenhin angefüllt mit Ringen und Ketten und Spangen von Silber und Gold. An manchen der uralten Stücke glänzten auch noch Edelsteine von hohem Werte.

Fast bestürzt blickte Friedrich seine Gemahlin an. »Das ist dein Muttererbteil, und das willst du mir geben?«

»Mache es zu Geld. Miete Knechte dafür, kaufe Harnische und Rosse! Ich habe genug des Schmuckes!« rief die Landgräfin mit leuchtenden Augen.

»Und hängt nicht dein Herz an der schimmernden Pracht?«

»Mein Herz hängt nur an dir und deiner Macht. Wußt' ich's früher nicht, jetzt hab' ich's erfahren. Selbst wider der Heiligen Gebot zu sündigen, scheue ich nicht um deinetwillen!«

Da beugte der Landgraf ein Knie und küßte ihr schweigend die Hand. Eine Träne fiel darauf hernieder. Dann erhob er sich und floh aus dem Gemache, denn er wollte ihr jetzt nicht noch einmal in die Augen blicken. Dann, das fühlte er deutlich, wäre seine Selbstüberwindung zu Ende gewesen.


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