Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

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V.

Am andern Morgen früh zelebrierte Abt Markwart in der Burgkapelle eine Dankesmesse. Der Markgraf und die Markgräfin wohnten ihr bei und mit ihnen alle ritterlichen Vasallen, die sich auf der Burg befanden. Nur das landgräfliche Paar fehlte, denn der alte Landgraf hatte wieder einmal, wie in letzter Zeit häufig, einen bösen Anfall seiner Fußgicht, und seine Frau mußte ihn pflegen, da er niemand sonst um sich litt.

Nach der Feier trat der Markgraf an den Abt heran und bat ihn, in der Kapelle zurückzubleiben. »Ich will dir beichten, Markwart,« sagte er. »Seit dreißig Jahren bist du mein Freund, du warst es dem Knaben, der keinen andern hatte, du bist es dem Manne geblieben. Wem sollt' ich lieber mein Herz öffnen als dir? Zudem bist du der klügste aller Menschen, die ich kenne, und deine Weisheit sieht auch Wege und Stege, wo andern Menschen alles verbaut erscheint.« Und er erzählte ihm getreulich alles, was in den letzten Tagen geschehen war, und was sich in der verflossenen Nacht zwischen ihm und seiner Frau ereignet hatte.

Als er seinen Eid erwähnte, fuhr der Abt empor und schlug heftig mit den Händen auf die beiden Lehnen des Chorstuhles, in dem er saß. »So hast du deinem Weibe entsagt?« rief er. »Du? Nimmermehr hätte ich das von dir gedacht. Du sagtest doch, sie sei krank, und bei Gott, so däucht mir's auch. Wie konntest du ihr nachgeben? Was trieb dich dazu?«

Der Markgraf starrte düster vor sich nieder. »Was mich trieb? Ich hatte eben von dir gehört, mit welcher Macht der König kommen wollte. Da verzweifelte ich daran, daß ich ihm widerstehen könne, und dachte, daß ich wohl bald sterben müßte. So gab ich ihr das Gelöbnis, weil ich ihr zuletzt nicht mehr widerstehen wollte.«

Er hielt inne und fuhr dann tief aufseufzend fort, und seine Stimme wurde immer leiser, während er sprach: »Es war noch etwas anderes, was mich trieb. Ich sah sie knien, wo meine Mutter kniete vor langen Jahren, und ich gedachte mit Schrecken der vielen Sünde, die in unserm Hause seither begangen ist, begangen auch von mir. Ich habe mit meinem Bruder gehadert und gestritten um Land und Leute und Burgen, und ich habe mit meinem Vater oftmals gekämpft, und es ist viel Blut geflossen. Auch habe ich meinen Vater lange gefangen gehalten, bis er sich meinem Willen fügte.«

»Und ich,« rief der Abt und schlug mit der Rechten gegen seine breite Brust, »ich, Markwart von Reinhardsbrunn, habe dir das geraten! Und bei Gott, ich würde dir's immer wieder raten, denn dein Bruder ist ein Schwächling und dein Vater ein Verschwender. Hättest du ihm nicht widerstanden, der sich und euch zu Bettlern machen wollte, so hättest du größere Sünde getan.«

»Ich würde jederzeit wiederum so handeln, wie ich gehandelt habe,« erwiderte der Markgraf und faßte seine Hand. »Dessen sei gewiß. Aber ich kann's nicht hindern, daß mich oft schwere Gedanken änstigen, und daß mir die Welt furchtbar erscheint, wo man Sünde tun muß, um größere Sünde zu vermeiden. Wir werden in Sünden verstrickt und müssen Übles tun, wir mögen wollen oder nicht.«

»Und weil es so ist und nicht anders sein kann in der Welt, so hat der Herr des Himmels seiner Kirche den unermeßlichen Schatz der Gnade gegeben,« versetzte der Abt. »Unser Erlöser hat ihn angefangen, und alle Heiligen haben ihn noch gemehrt, und wenn wir beichten und büßen und gute Werke tun, so haben wir teil daran und können nicht verderben.«

»Ja, das ist auch mein Trost,« erwiderte der Markgraf. »Was wäre der christliche Glaube, wenn der Sünder nicht durch die Bitten der Jungfrau und der Heiligen Gnade erlangen könnte?«

Der Abt nickte. »Warum also quälst du dich um Sünden, die dir doch längst vergeben sind und die weit dahinten liegen? Jetzt bist du ja schon seit sieben Jahren im Frieden mit deinem Vater.«

»Die große Gefahr, in der ich stand, ließ mich zweifeln, ob Gott auch wirklich vergeben habe. Wundert's dich, daß ich einmal schwach und müde ward? Auch der Stärkste hat eine schwache Stunde. Jetzt aber sehe ich wieder klar und erkenne mit Freuden, daß du den Wahn meines Weibes ansiehst, wie ich ihn ansehe. Ich glaube nimmermehr, daß ihr Gott die Seele ihres Vaters im Traume gezeigt hat, sondern daß dieses Gesicht ein Trug des höllischen Teufels war.«

»Einerlei,« erwiderte der Abt, »ob jene Träume von Gott oder vom Teufel waren. Der heilige Vater der Christenheit hat von unserm himmlischen Herrn die Macht erhalten, zu binden und zu lösen. Ist Frau Else in Angst um ihres Vaters willen, so kann sie Ruhe finden, wenn sie sich an den Herrn Papst wendet. Gehen ein paar mit Silber bepackte Maultiere mit über die großen Berge nach Rom, so wird die Seele des Grafen von Arnshaugk nicht lange mehr in den Flammen schmachten, wenn anders sie überhaupt darinnen ist. Und sagt ihr das der heilige Vater, so wird sie, eine gehorsame Tochter der Kirche, ihm glauben. Nur die ruchlosen Ketzer leugnen, daß in der Christenheit ein ewig fließender Born der Gnade steht, und weigern sich, daraus zu schöpfen. Viel schlimmer ist der Spruch jener heiligen Frau, und ich sinne vergebens, wie wir die Gedanken der edlen Fürstin dahin wandeln, daß sie wieder mit dir lebt, wie seither.«

»Wie wäre es,« fragte der Markgraf, »wenn ich selbst gen Weißenfels führe?«

»Wozu?«

»Um die Nonne zu bewegen, daß sie einen andern Spruch tue.«

»Das würde dir schwerlich gelingen.«

»Sollte eine Nonne nicht zu gewinnen sein durch Geld und Versprechungen, wenn doch der Vater der Christenheit, wie du selber sagst, ein Ohr hat für den Klang des Silbers?«

»Vermenge diese Dinge nicht,« versetzte der Abt unwillig. »Der Herr Papst hat die Welt zu regieren und braucht dazu Geld und mehr Geld als ein andrer Fürst. Er ist in die weltlichen Händel verstrickt in allen Landen und muß zusehen, wie er die Macht behält. So muß er vielfach handeln, wie wir alle tun, nach Gunst und Vorteil, und das kann nicht anders sein. Die Heiligen aber kümmern sich nicht um die Welt und fragen nur nach der Stimme, die in ihnen redet.«

»Dabei läuft manchmal viel Betrug und Torheit unter,« wandte der Markgraf ein.

»Ohne Zweifel,« bestätigte der Abt. »Es gibt solche, die sich einen Schein der Heiligkeit zu geben wissen und mit ihren Sprüchen die Leute narren und äffen. Die Nonne von Orlamünde aber hat Wunder getan, und ihre Frömmigkeit ist unbestreitbar. Niemand darf von ihr glauben, daß sie anders, als aus dem Geiste redet.«

Der Markgraf hob überrascht und erschrocken das Haupt. »Du meinst, ihr Spruch könnte von Gott kommen?«

»Daran habe ich nimmer gezweifelt,« versetzte der Abt.

»Beim Strahl!« entfuhr es Herrn Friedrich trotz des heiligen Ortes, an dem er sich befand. »Denkst du also, wie kannst du dann meinen, mein Weib sei krank in ihrem Geiste, wenn sie dem Spruche der Nonne folgt? Dann müßtest du sagen, sie tue ja Gottes Willen, wenn sie mich verließe und im Kloster betete und büßte.«

Der Abt richtete seine scharfen grauen Augen fest auf das Gesicht des Markgrafen und erwiderte langsam: »Wisse: den Willen Gottes können nur wenige erfüllen, und die nicht dazu berufen sind, denen ist es besser, sie erfüllen ihn nicht, ja sie fragen gar nicht erst darnach.«

Der Markgraf sah ihn verwundert an. »Ich verstehe dich nicht,« sagte er kopfschüttelnd.

»Der Wille Gottes,« fuhr der Abt fort, »geht immer dahin, daß wir sollen heilig sein und in der Nachfolge Christi wandeln. Arm sollen wir sein und ohne Heimat, wie er war, sollen alle weltliche Lust in uns ertöten, sollen Schmach und Pein und Schmerzen leiden, wie er sie litt. Und alles das sollen wir tun aus Liebe zu unserm himmlischen Erlöser, und weil es uns dazu drängt. Was erzwungen werden muß, ist Gott leid. Wer kann also Gottes Willen wirklich tun? Die Wenigen, die dazu berufen sind, die Heiligen. Frau Else ist nicht dazu berufen, denn sie ist zur weltlichen Herrin geboren, könnte ein Fürstentum regieren, wenn's sein müßte. Darum sage ich: ihr Geist war getrübt von Sorgen und Kummer, daß sie die Heilige fragte, und daß sie sich nun darauf versteift, Gottes Willen zu tun. Sie hätte gar nicht fragen sollen.«

»Hätte ich gewußt, was sie in Weißenfels wollte, so hätte ich die Reise verhindert!« rief der Markgraf.

»Bewege sie, mir zu beichten, wie sie früher so manchmal getan hat,« versetzte der Abt. »Dann werde ich ihr sagen: Meine Tochter, der Herrgott hat zwei Stände der Menschen geschaffen, Heilige und Weltleute. Zur Heiligen hat dich der Himmelsherr nicht bestimmt, da hätte er dich anders schaffen müssen. Wer aber in der Welt soll leben, der soll auch den ehrlichen Mut haben und bei sich selber sprechen: hier muß ich manchmal Sünde tun, und es geht nicht anders. Aber ich brauche nicht zu verzagen, denn alle, alle meine Sünde kann mir vergeben werden durch den Schatz der Gnade, der in den Händen der heiligen Kirche ist.«

»Rede mit ihr, und möge dir's glücken, ihren Sinn zu ändern,« gab der Markgraf zur Antwort. »Nur fürchte ich, sie begehrt den Stand der Heiligen für sich, denn ihr Gemüt ist ganz verdüstert.«

»Es wird bald wieder heiter werden, nun, da die große Angst vorüber ist, und dann wird sie mit Schrecken inne werden, wohin sie sich verstiegen hat wider ihre Natur. Vor allen Dingen suche zu hindern, daß sie die Burg sogleich verläßt.«

Der Markgraf nickte. »Das wird sie, so hoffe ich, nicht tun. Ich denke, ich habe ein Mittel, sie vor der Hand hier zu halten. Komm nachher, wenn die Glocke tönt, hinüber in den Festsaal. Ich versammle dort die Mannen, und ich meine, du wirst hören, was du nicht vermutet hast.«

Er reichte dem Abte die Hand, und während Herr Markwart in tiefem Sinnen zurückblieb, begab er sich in seine Gemächer. Dort wartete im Vorzimmer der Marschalk von Helldorf, der sich ehrerbietig verneigte und offenbar mit einem Auftrage seiner Herrin gekommen war. Aber der Markgraf schnitt ihm das Wort ab und sagte: »Melde sofort Frau Elsen, daß ich sie bitten lasse, mit ihren Frauen in den Festsaal zu kommen. Und auf dem Wege zu ihr befiehl dem Wächter, daß er das Zeichen zur Versammlung gibt.«

Einige Minuten später erscholl ein scharfes, feines Glockengebimmel, das weithin zu hören war, aus den oberen Mauerluken des Bergfrieds. Es war für alle, die in der Burg den Rittergurt trugen, das Zeichen, sich möglichst unverzüglich im großen Saale einzufinden.

Der Markgraf wartete absichtlich noch eine Weile, ehe er sich hinunterbegab, denn er wollte nicht vorher befragt werden, was er vorhabe. Als er eintrat, waren schon alle versammelt. Die Ritter und die edlen Frauen standen, nur der Abt hatte es sich in einem Lehnstuhle bequem gemacht, und Frau Else saß, wie es der Fürstin gebührte, auf ihrem Thrönlein. Sie sah sehr bleich aus und blickte ihn erwartungsvoll an, als er die Stufen zum Herrensitz schnell emporstieg.

Friedrich ließ sich nicht erst auf seinem Thronsessel nieder, sondern blieb stehen und überflog mit seinen Blicken die Versammelten. Ach, es war ein kleines Häuflein Getreuer, nicht viel über zwanzig, aber mehrere der besten Namen Thüringens waren unter ihnen und einige Kriegsleute von hohem Rufe und vielerprobter Tapferkeit. Alle überragte die Gestalt seines Marschalks Hermann Goldacker, dem der breite kohlschwarze Bart bis zum Schwertgurte herniederwallte, während der mächtige Schädel wohl manche Narbe, aber kaum ein Härlein trug.

»Liebe und Getreue!« begann der Markgraf, »ihr alle habt gehört, daß König Wenzel von Böhmen von Mörderhand gefallen ist. Ihr alle wißt auch schon längst, daß König Albrecht Böhmen für sich begehrt und seinen Sohn Rudolf dort einsetzen möchte, wie denn der Habsburger alles Land haben will, von dem er hört.

Das beste Recht auf Böhmen hat nun mein Schwäher, Herzog Hinrich von Kärnten, und König Wenzel selbst hat ihn zum Nachfolger bestimmt, falls er ohne Leibeserben stürbe. So wird denn der Krieg zwischen den beiden entbrennen, und dort in Böhmen wird auch um unser Geschick gekämpft. Unterliegt der König, so ist er so geschwächt, daß wir ihn nicht mehr zu fürchten brauchen. Siegt er, so wird er stärker, denn zuvor. Somit kommt alles darauf an, ihn dort zu Boden zu ringen, und darum bin ich entschlossen, zu meinem Schwäher nach Böhmen zu ziehen und dort gegen den König zu streiten.«

Er sprach die letzten Worte, die jedermann unerwartet kamen, mit lauter Stimme, und sie hatten eine starke Wirkung. Der Abt stieß einen Laut der Überraschung aus, Frau Else fuhr von ihrem Sitze vor Schrecken empor, die Ritter aber riefen Heil und stießen rasselnd ihre Schwerterscheiden auf den Estrich.

»Dietrich von Werthern und Lutz von Wangenheim, ihr werdet mich mit dreißig Knechten begleiten,« fuhr der Markgraf fort. »Ihr andern freilich müßt hierbleiben, denn noch ist die Wartburg in Gefahr. Mir ist Kunde geworden, daß die Mühlhäuser und Nordhäuser, vom König aufgestachelt, den Eisenachern wollen zu Hilfe fahren, und ein paar hundert Knechte wird ihnen wohl auch der König senden. So werden sie sicher die Burg berennen und schon in wenigen Tagen vor den Mauern stehen. Und nun hört mich: Einer gebietet, solange ich fern bin, in der Burg, die mir mein Vater übergeben hat, und in der er nicht selbst gebieten kann und will wegen der Schwachheit seines Leibes. And dieser eine soll mein Gemahl sein, Frau Else, und von euch fordere ich, daß ihr die Hand hebt und schwört, ihr treu und dienstwillig zu sein wie mir selbst, so wahr euch Gott helfe und alle seine Heiligen.«

Aller Hände reckten sich in die Höhe, und aller Lippen sprachen laut den verlangten Eid.

»Ich danke euch, meine Getreuen!« rief der Markgraf und schaute wieder mit blitzenden Blicken im Kreise umher. »Ehe ich abreise, trinken wir noch einen Becher zusammen beim frohen Mahle. Du, Hermann Goldacker, bist unter meiner Frau der oberste Hauptmann der Burg. Gehe hinüber in mein Gemach und harre mein! Ich habe mit dir zu reden. Ihr andern – auf Wiedersehen!«

Er machte eine entlassende Handbewegung, und der Saal leerte sich allmählich. Auch Abt Markwart schritt mit hinaus, denn er war der Meinung, daß er Herrn Friedrich und sein Gemahl jetzt am besten allein ließe.

Frau Else lehnte in ihrem Stuhle, blaß und unfähig zu sprechen. Erst als sie eine Weile mit ihrem Gatten allein war, fand sie Worte. »Du hast mich überrumpelt,« sagte sie vorwurfsvoll.

»Ich habe dich nur bei deinem Worte gehalten. Du wolltest bleiben, solange die Burg belagert würde, und sie wird belagert, dessen sei sicher, wenn auch erst in etlichen Tagen.«

»Und warum bleibst du nicht hier, Friedrich?« rief die Fürstin, und ein helles Rot ergoß sich über ihr Antlitz. »Warum läßt du nicht die Macht des Königs sich in Böhmen verbluten – – ?«

»Wie?« unterbrach sie der Margraf, »du fragst noch? Kennst du mich so wenig? Ich gehe dahin, wo ich am nötigsten bin, und ich bin dort sehr nötig. Denn Hinrich, mein Schwäher, ist diesem König an Rat und Tatkraft nimmermehr gewachsen, zögert und zaudert und braucht einen, der ihn zu Taten fortreißt. Ich bin ihm soviel wert wie ein Heer. Und dann – auch um deinetwillen gehe ich, Else. Sollen wir leben, wie ich's gelobt, so ist's leichter für dich und mich, wenn ich fern bin.«

Sie sah zu ihm empor mit einem Blicke, in dem der tiefste Schmerz und die rührendste, hingebendste Liebe lag, und heiß wallte in seinem Herzen die Sehnsucht auf, sie in seine Arme zu nehmen und ihren Mund zu küssen. Aber er bezwang sich. »Komm,« sagte er in kühlem Tone, »ich habe dir und Goldacker noch vieles zu sagen.«


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