Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

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VIII.

An diesem und am folgenden Tage blieb vor der Burg alles ruhig, kein Feind ließ sich sehen. Aber am übernächsten Morgen zog der Heerbann der Eisenacher, Mühlhäuser und Nordhäuser heran und lagerte sich auf der Höhe östlich der Burg. Von hier aus mußten sie auch die Beschießung und den Ansturm unternehmen, denn die Berghohe im Süden, die Eisenacherburg, hatte Markgraf Friedrich befestigt und mit Besatzung versehen. Damit hatte er große Klugheit bewiesen, denn das war die einzige Stelle, von der aus die hochragende Feste mit einiger Aussicht auf Erfolg hätte berannt werden können. Daß von den andern Seiten her nichts auszurichten war, zeigte sich bald. Die Geschosse der Katapulte und Ballisten erreichten kaum die untersten Mauern und erregten durch ihr schwaches Auftreffen das laute Hohngeschrei der Belagerten. Sturmleitern nun vollends konnten nirgendwo angelegt werden, und als es einige Wagehälse dennoch versuchten, da rollte ein riesiger Steinblock von der Mauer herab, zerschmetterte zweien den Schädel und riß mehrere in die Tiefe. Darauf wichen die andern entsetzt zurück, und keiner wollte das Wagstück wieder unternehmen. Mit Ergötzen und Schadenfreude sahen die Verteidiger auf der Mauer, wie die Hauptleute der Städter den ganzen Vormittag die Burg umkreisten, Wölfen gleich, die einen Stall umschleichen und doch nirgends eine Lücke oder eine schwache Stelle in der Wand entdecken.

Am Nachmittage hielten die Führer der feindlichen Scharen Kriegsrat, und da platzten die verschiedenen Meinungen hart aufeinander. Die von Mühlhausen waren die Mutigsten. Sie erinnerten immer wieder daran, daß sie im Vereine mit den Erfurtern, die leider hier fehlten, die Burgen des mächtigen Grafen von Kirchberg bei Jena allesamt gestürmt hätten. So müsse man auch hier verfahren. Die Markgräfin könne nur ein paar hundert Mann haben, und man müsse versuchen, mit Balkenwerk auf die Schanze bis vor den Graben zu kommen, die Zugbrücke herunterzureißen oder einzustoßen und so hineinzugelangen.

Nach längerem Hin- und Herreden drangen sie mit ihrem Vorschlage durch, und wenige Stunden später wurde der Angriff auf die Schanze eröffnet. Aber der Erfolg war ein niederschmetternder. Es konnte immer nur ein kleiner Haufe auf einmal vor dem Tore erscheinen, da der enge Weg die Anhäufung einer größeren Menschenmasse unmöglich machte, und unter ihnen räumten die Steinschleudern und Armbrüste der Belagerten furchtbar auf. Zehn Tote und fast hundert Verwundete wurden am Abend ins Tal hinabgetragen, und man hatte eingesehen, daß an eine Eroberung der dem Tore vorgelagerten Schanze nicht zu denken sei. Mit Wut und Niedergeschlagenheit mußten selbst die stolzen Herren aus der Reichsstadt Mühlhausen erkennen, daß die gewaltige Bergfeste doch etwas ganz anderes sei als die zerstörten Schlösser bei Jena, die von Osten her einen bequemen Zugang gehabt hatten.

In der Burg herrschte eitel Freude und Siegesjubel, denn von der ganzen Besatzung waren nur vier Mann leicht verwundet worden. Einer davon war der Marschalk von Helldorf, der sich beim Anfeuern der Knechte zu decken vergessen und einen Streifschuß an der Stirn erhalten hatte. Die Wunde schmerzte tüchtig, aber als ihm Frau Else ihr hohes Lob aussprach und seine Tapferkeit rühmte, da fühlte er davon nichts mehr und blickte hoch beglückt der Herrin nach, wie sie an Hermann Goldackers Seite die ganze Burg durchschritt, um überall den Leuten Freundliches zu sagen und ihnen für ihre Unerschrockenheit zu danken.

Sie selbst wandelte wie verklärt und in wunderbarer Weise gehoben ihres Weges dahin. Alle die düsteren Gedanken, die ihr in der letzten Zeit das Leben verbittert und das Herz verdunkelt hatten, waren in dieser Stunde versunken und vergessen. Als der Kampfruf erscholl, als die Gefahr heranzog, da wallte das Blut ihres kriegerischen Geschlechtes hochauf in ihren Adern. Noch nie hatte sie sich so stolz und froh gefühlt wie am heutigen Tage.

Die hochgemute Stimmung hielt noch an, als sie ihren Rundgang vollendet hatte und nun, an eine Mauerzinne gelehnt, in das Tal hinabblickte. Der Mond stieg groß und strahlend über dem fernen Hörselberge herauf, und dicke weiße Nebelmassen hüllten das feindliche Lager dort drunten in einen undurchdringlichen Schleier ein.

»Meint Ihr,« fragte sie Hermann Goldacker, »daß sie morgen den Kampf wieder aufnehmen?«

Der Riese brummte: »Kampf nennt Ihr das, edle Frau? Dieses elende Werfen und Schießen? Kampf ist, wenn die Speere krachen und die Schwerter aufeinanderklirren, und das lasse mich Sankt Wippertus, mein Schutzpatron, in Bälde erleben!«

Die Markgräfin lächelte: »Nun, nennt's wie Ihr wollt. Meint Ihr, daß sie morgen wieder anfangen?«

»Ich acht', sie werden's wohl bleiben lassen. Sie werden uns nun vor allen Dingen umziehen und sehen, was der Hunger tut. Die Narren! Sie könnten uns viel schaden, wenn sie Verstand hätten.«

Die Fürstin blickte ihn fragend an, und er fuhr fort: »Die Eisenacherburg ist die Stelle, von der aus man die Wartburg angreifen kann. Sie wäre wohl zu gewinnen, wenn auch mit vielem Blute. Von dort aus könnten sie uns großen Schaden tun. Aber wie sollten das die Krämer und Bierbrauer und Metzger erkennen? Umständlich und töricht erscheint dem Volke, was allein zum Nutzen sein könnte.«

»Käme aber jemand darauf, und würde der Eisenacherberg genommen, glaubt Ihr, daß dann die Wartburg verloren wäre?«

»Auch dann noch nicht, gnädigste Frau. Die Wartburg heißt nicht umsonst des Landes Haupt, und nicht umsonst rühmt man sie als Thüringens stärkste Feste. Sie können von dort aus manchen Mann zu Tode treffen, sie können vielleicht einen Teil der Burg in Brand schießen. Aber stürmen können sie nicht und also auch die Burg nicht gewinnen, es sei denn, daß die drinnen den Mut verlören und sich mit freiem Willen ergäben.«

»Das wird nimmer geschehen, Goldacker,« sagte die Markgräfin stolz und richtete sich hoch auf. »Ich halte die Feste, und wenn wir in Kellern hausen müßten.«

Der Ritter neigte achtungsvoll sein Haupt. »Daran zweifelt der Teufel nicht,« versicherte er. »Ihr seid zur Herrin und Fürstin geboren.«

Die Markgräfin durchzuckte ein sonderbarer Schreck. Fast genau dasselbe hatte ihr vorgestern der Abt gesagt, und es berührte sie seltsam, daß es nun einer aussprach, der wohl ein furchtloser und umsichtiger Kriegsmann, aber durchaus kein Herzenskundiger war. Es mußte sich also wohl jedermann aufdrängen, und war es nicht auch in der Tat die volle Wahrheit? Alle ihre Gedanken waren durchaus weltlicher Natur gewesen den ganzen Tag über; an ihr Gelöbnis hatte sie kaum noch gedacht. Jetzt mit einem Male kam ihr die Erinnerung an das alles zurück, und es war ihr, als senke sich ein schwerer, schwarzer Schatten auf ihre Seele herab.

»Ich bin müde, Goldacker,« sagte sie nach einer Weile mit veränderter Stimme, »und möchte mich in meine Gemächer zurückziehen. Ich werde mich wohl früh zur Ruhe niederlegen. Geschieht etwas Absonderliches, so laßt mich wecken.«

»Ach, Euer Gnaden meint wohl, das Pack da unten könnt' einen Überfall wagen? Da dürft Ihr ruhig schlafen, sie wissen sehr wohl, daß sie damit zu gar nichts kämen. Denn wir wachen, und noch dazu scheint der Mond die ganze Nacht. Ich wünsche meiner gnädigen Frau, wohl zu ruhen.«

»Gute Nacht, Marschalk,« sagte Frau Else und wandte sich ihrer Kemenate zu.

Aber ein plötzliches Grauen vor der Einsamkeit überfiel sie, und sie beschloß, ihre Mutter noch auf ein Stündchen aufzusuchen und mit ihr zu plaudern. Der alte Landgraf, so meinte sie, würde wohl schon zur Ruhe gebracht worden sein. Ihre Sehnsucht, ihm zu begegnen, war keineswegs groß, denn es bestand zwischen ihr und ihm ein äußerst kühles Verhältnis. Etwas gesetzter war er ja geworden in den letzten Jahren, seitdem ihn die Gicht plagte und er oftmals schwer seufzen und stöhnen mußte unter den Folgen der früheren lustigen Jahre. Aber er strich noch jedem anmutigen Mägdlein die Wange, das etwa in seine Nähe kam, und seine Augen funkelten unter den schneeweißen Brauen jedes schöne Weib so feurig an, wie sie es einst unter den schwarzen getan hatten. Das war Frau Elsen viel mehr noch ein Greuel als sein schwer zu stillender Durst und seine Freude am Würfelspiel. Sie wußte auch, daß ihre Mutter darunter litt, und hatte ihr darum zwei Hofdamen von so ungeheurer Häßlichkeit besorgt, daß der Schönheitssinn des alten Herrn jeden Tag von neuem dadurch beleidigt wurde und er jede Zärtlichkeit unterließ.

Eine dieser Huldinnen kam ihr jetzt entgegengelaufen, so schnell, daß sie beinahe hart mit ihr zusammenprallte. Trotzdem die Treppe nur schwach beleuchtet war, erkannte die Markgräfin in den Zügen der ältlichen Jungfrau den Ausdruck höchster Bestürzung.

»Was ist geschehen?« rief sie und blieb stehen.

»Der Herr Landgraf ist wie tot vom Stuhle gefallen. Ich soll zu Meister Conrad.« Damit eilte sie weiter, um den weisen Mann herbeizuholen, der als Arzt und Schwarzkünstler seit vielen Jahren in der Umgebung des alten Landgrafen lebte.

Die Markgräfin schritt rasch die Stufen vollends empor, flog durch die Vorgemächer und riß hastig die Tür auf, die zum Zimmer ihres Stiefvaters führte. Ein erschreckliches Bild bot sich ihren Augen dar. Der schwere Körper des alten Herrn lag auf dem Erdboden, sein Haupt ruhte im Schoße seiner Gemahlin. Er gab kein Lebenszeichen von sich, nur die rollenden Augen gaben Kunde davon, daß ihm der Tod noch nicht ans Herz getreten war. Auf dem Estrich schwamm eine breite rote Lache, aber sie war nicht Blut, sondern roter Wein, denn er hatte im Fallen eine Kanne mit herabgerissen. Am Tische saß vor Bechern und Würfeln wie von Schreck erstarrt der feiste alte Ritter Knuto, und der Kaplan Walther war aufgesprungen und sprach beruhigend auf die Landgräfin ein.

»Mutter, was ist das?« schrie Frau Else.

Die Landgräfin sah ihre Tochter mit einem jammervollen Blicke an. »Ein Schlaganfall, vielleicht der Tod.«

»Aber wie konntest du ihn auch trinken lassen?« rief Frau Else. »Das ist doch schlimmer als Gift für ihn!«

»Es erging ihm heute besser als seit langer Zeit, und er wollt's,« sagte die Landgräfin hart. »Er ließ sich von keinem Menschen leiten und befehlen, wenn er seinen Willen haben wollte.«

»Da hast du recht, Mutter. Dich trifft kein Vorwurf,« versetzte die Markgräfin, der ihre schnelle Frage leid tat, denn sie kannte die Ohnmacht ihrer Mutter dem störrischen Eigensinne des Greises gegenüber, der von niemandem zu lenken war, wenn er gerade seinen bösen Tag hatte. »Herr Walther und Ritter Knuto, faßt ihn an und tragt ihn hinüber auf sein Lager!«

Die beiden leisteten dem Befehle schleunigst Gehorsam, und kaum hatten sie den Landgrafen niedergelegt, so erschien auch in großer Hast Meister Conrad mit seinen ärztlichen Instrumenten. Er ließ dem Kranken zur Ader und befahl, ihm kalte, feuchte Tücher auf Kopf und Stirn zu legen. »Wenn's Gott gefällt, so kommt der Herr noch einmal zu Sinnen und lebt noch einige Tage,« erklärte er auf eine Frage der Landgräfin. »Es ist das erste Mal, daß ihn solches betrifft, darum kann ihm noch eine Gnadenfrist gegeben sein.«

Der jungen Markgräfin schoß der Gedanke durch den Kopf, daß es wohl eher eine Gnade Gottes sein würde, wenn er den Kranken nicht wieder aus seiner Besinnungslosigkeit erwachen, sondern ruhig sterben ließe. Aber sogleich verwarf sie ihn wieder, denn es kam ihr in den Sinn, daß ihr ja hier eine vortreffliche Gelegenheit gegeben sei, sich als Dienerin Gottes zu erweisen. Es kostete sie Überwindung, auch nur in der Nähe des Landgrafen zu weilen. Wenn sie nun ihre Mutter in seiner Pflege unterstützte, an seinem Lager wachte, ihm Handreichungen aller Art leistete, dann tat sie, was sie hätte tun müssen, wenn sie eine demütige Braut Christi in Himmelskron gewesen wäre. So kam es, daß sie gleich darauf die Hände faltete und in ihrem Herzen Gott bat, er möge ihren Stiefvater am Leben erhalten und genesen lassen.

Und wunderlich! Dieses Gebet schien Erhörung zu finden, die Prophezeiung Meister Conrads erfüllte sich nicht. Tagelang lag der Landgraf bewußtlos, er schien am ganzen Körper gelähmt zu sein und vermochte kein Glied zu rühren. Dann aber kehrte er langsam ins Leben zurück. An den angstvollen, hilfesuchenden Blicken, die er um sich warf, erkannte man, daß er bei Besinnung war. Er machte qualvolle Anstrengungen, sich zu bewegen und zu reden, aber lange Wochen hindurch gelang ihm das nicht. Erst ganz allmählich erlangte er den Gebrauch seiner Gliedmaßen wieder, am längsten versagte die Zunge ihren Dienst, und als er endlich imstande war zu sprechen, da konnte ihn seine Umgebung nur schwer verstehen und mußte vieles erraten. Erst im November war er wieder so weit, daß er zusammenhängend und für jedermann verständlich zu reden vermochte.

Somit war der jungen Frau eine lange Zeit gegeben, christliche Geduld und Barmherzigkeit zu üben, zumal da ihre Mutter selbst bald krank wurde und der Pflege bedurfte. Und doch war diese Mühe und Arbeit nur der kleinere Teil der Last, die sie auf ihren Schultern trug. Wenig Sorge machten ihr freilich die Belagerer der Burg. Sie hatten auf dem Grunsteig, einer Berghöhe im Osten, eine Befestigung errichtet und versperrten so den Ausgang und Eingang in die Wartburg. Darin bestand eigentlich die ganze Belagerung, und wenn es deshalb auch nicht möglich war, daß jemand bei Tag die Feste verließ oder in sie hinein kam, so gelang es kühnen und ortskundigen Leuten doch leicht, in der Nacht Nachrichten zwischen den Eingeschlossenen und der Außenwelt zu vermitteln. Diese Nachrichten waren meist nicht geeignet, das Gemüt der Fürstin heiterer zu stimmen. Schon um die Mitte des September war es entschieden, daß nicht Heinrich von Kärnten die Krone Böhmens tragen werde, sondern daß das Glück mit den Habsburgern war. Ein böhmischer Großer nach dem andern fiel von dem Herzog ab, eine Burg nach der andern gewann der König, und als der Herbst ins Land gezogen kam, wählten die Stände mit großer Mehrheit des Königs jungen Sohn Rudolf von Österreich zu ihrem Herrn, und der Erzbischof von Prag setzte ihm die Krone des heiligen Wenzel aufs Haupt. Landflüchtig zog Herzog Heinrich nach Süden, und landflüchtig zog Markgraf Friedrich nach Norden, und fast vier volle Wochen hörte die junge Markgräfin überhaupt nichts von ihrem Gemahl.

Mächtiger als je zuvor stand nun König Albrecht da, und seine Hände waren nicht mehr gebunden. Den Feldzug nach Thüringen mußte er zwar verschieben, denn der Winter brach herein, und seine Soldknechte fluchten nach Ruhe und behaglichen Quartieren. Aber Gold und Briefe schickte er ins Land, feuerte die Eisenacher an, die Wartburg kräftiger zu bedrängen, und sandte einen kriegskundigen Führer in die Stadt. Der begann sofort, seine Angriffe auf die Eisenacherburg zu richten, und auch die Umzinglung der Feste wurde ganz anders gehandhabt. Überall wurden Verhaue und Baracken im Walde errichtet, hinter denen die Wachmannschaften der Städter saßen. Man konnte sie von oben gut erkennen, denn der Frost war gekommen, und die Bäume standen blätterlos.

»Es wird jetzt verdammter Ernst,« sagte Hermann von Goldacker, als er wieder einmal mit seiner Herrin an einer Mauerbrüstung lehnte. Sie standen diesmal auf dem Torturm der Schanze.

Frau Else antwortete nur mit einem tiefen Seufzer. Sie war abgespannt und müde und so mutlos wie noch nie in ihrem Leben. In den letzten Wochen hatte sie wieder mit vielen und schweren Gedanken zu ringen gehabt. Eine Zeitlang hatte es ihr geschienen, als habe der Himmel ihr Opfer gnädig aufgenommen und verlange vorläufig nichts mehr von ihr. Aber jetzt, wo alles so finster war wie damals, als ihr Gatte nach Böhmen ritt, hatte sie wieder zu grübeln begonnen, ob sie recht getan hätte, auf der Burg zu bleiben, oder ob die Heiligen sie und ihren Gemahl von neuem mit ihrem Zorne verfolgten, weil sie noch nicht völlig entsagt hatte.

Goldacker schaute teilnehmend auf seine junge Herrin herab. Es fiel ihm zum ersten Male auf, wie blaß und schmal sie aussah, und er hätte ihr gern irgendeinen Trost gespendet. Aber sein mannhaftes Reitergemüt wußte das nicht so recht anzufangen, es fehlte ihm häufig der rechte Ausdruck für seine Gefühle.

Noch suchte er nach Worten, da hob er plötzlich lauschend den Kopf. In den Klang des Mittagsgeläutes, der von Eisenachs Türmen herangeweht wird, mischte sich ein anderer Ton, Pferdegetrappel, das schnell näher kam.

»Hört Ihr's, edle Frau? Donnerwetter, was ist das?« rief er. »Reiter kommen den Berg hinauf. Sie müssen gleich hier sein.«

In dem Momente tauchte im Hohlweg dicht vor der Burg das Haupt eines gepanzerten Ritters auf, hinter ihm andere Helme. »Macht auf!« schrie er herüber. »Schnell, die Eisenacher sind hinter uns!«

»Blitz und Donner! Das ist Wangenheim!« rief Hermann Goldacker, polterte die Treppe hinab und brüllte die Knechte an: »Schnell das Tor auf! Schnell, schnell!«

Eine Minute später stand der Ritter Ludwig von Wangenheim, gewöhnlich Lutz genannt, mit seinen sechs reisigen Begleitern auf der Schanze. Er beugte grüßend das Knie vor seiner Herrin.

»Um aller Heiligen willen, wo kommt Ihr her, Wangenheim? Jetzt am hellen, lichten Mittag?« rief die Markgräfin.

Der Ritter erhob sich und schlug das Visier zurück. Sein stark gerötetes Antlitz strahlte vor Reiterlust und Übermut. »Gerade zu Mittag, gnädigste Frau,« sagte er, »das ist die beste Zeit. Ich kenne die Eisenacher. Wenn sie essen, stört sie der liebe Gott und der Teufel nicht. Ich bin mitten durch ihre Wachen geritten. Sie kamen jedesmal erst gelaufen, wenn ich ein paar hundert Schritte weg war.«

»Und was bringt Ihr mir, Wangenheim?«

»Gute Kunde von meinem Herrn.«

»Er lebt und ist gesund?«

»Er ist beim besten Wohlsein, und großes Heil ist ihm widerfahren. Er hat seinen Schwager, Herzog Heinrich von Braunschweig, für sich gewonnen und mit ihm einen festen Bund geschlossen. Der edle Herzog will nicht leiden, daß der Herr Markgraf von dem Seinen vertrieben wird, und zieht uns zu Hilfe mit dreihundert Helmen und tausend Knechten. Unser Herr ist in Weißenfels und will morgen auf Apolda rücken zum alten Schenk, der ihm die Burg öffnen will. Von dort rückt er auf Gotha und zieht die Bürgerwehr an sich. In zehn Tagen denkt er hier zu sein und die Eisenacher zu überfallen und Euch zu entsetzen.«

Die Fürstin blickte den Boten an, als könne sie kaum den Sinn seiner Worte fassen. Dann ging ein seliges Lächeln über ihr Antlitz, und große Tränen rollten aus ihren Augen. Sie nestelte mit zitternden Fingern eine kostbare Goldspange ihres Mantels los und bot sie dem Ritter. »Ihr habt guten Botenlohn verdient, Wangenheim. Nehmt das und gebt es Eurer Edelgard. Ach Goldacker, wie bin ich froh! Wer hätte das glauben können! Ich gehe, um dem Himmelsherrn zu danken. Ihr aber begebt Euch zu meiner Mutter und bringt ihr die Kunde!«

»Wangenheim,« sagte der große Marschalk und faßte des jungen Ritters Hand mit festem Drucke, »das war ein schönes Reiterstück und soll Euch nicht vergessen werden. Und wißt Ihr, es ist Zeit, daß der Herr kommt, sehr hohe Zeit. – Sie weiß es noch nicht,« fügte er, auf die abgehende Markgräfin deutend, hinzu, »aber es wird knapp bei uns. Heu und Hafer gehen zur Neige, und in vierzehn Tagen hätten wir die Rosse schlachten müssen. Und ich stürbe lieber selbst, als daß ich meinen Wotan totschlagen ließe. Heil uns, daß der Herr endlich kommt! Nun wird Luft!«


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