Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

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XIX.

In derselben Stunde, in der Hermann Goldacker seinen großen Fang vollbrachte, ritt Landgraf Friedrich mit einer stattlichen Reiterschar in das Schloß Tenneberg ein. Er hatte nun mit den Knechten, die dort unter des Abtes Befehl geblieben waren, so viele Leute zusammen, daß er an eine Entsetzung der Wartburg denken konnte, und er war fest entschlossen, schon am nächsten Tage einen Versuch zu wagen. Wohl wußte er, daß seine Gemahlin von dort hinweggeführt war, aber es drängte ihn, seinen treuen Mannen Hilfe zu bringen und die stolze Feste von der Umlagerung frei zu machen.

Der Abt und der Fürst fielen einander in die Arme, als sie sich wiedersahen. »Markwart,« sagte der Landgraf, »man sollte dich in Gold fassen lassen. Du hast mir den größten Dienst erwiesen. Ich weiß nicht, wie ich dir das lohnen soll!«

»Sprich nicht von Lohn zwischen uns. Du weißt, wie wir stehen!« brummte der Abt. »Übrigens war es kein schweres Werk, denn Frau Else hat sich nicht lange gesträubt.«

»Wie geht es ihr und der Kleinen?«

»Sie sind beide gesund und leben verborgen drunten im Schutze der Klostermauern. Ob der Feind weiß, daß sie nicht mehr auf der Burg sind, weiß ich nicht. Wo sie sind, davon hat er sicherlich keine Kunde. Es mangelt den Belagerern an Spähern, sie finden keine zuverlässigen Leute im Lande.«

»Und wie steht es auf der Wartburg?«

»Ich fürchte, schlecht!« erwiderte der Abt. »Gestern Abend war dort ein großer Brand, die Flammen konnte man überall sehen. Da werden wohl viele Vorräte verbrannt sein. Es ist hohe Zeit, daß du kommst.«

»Konnte ich eher kommen?« entgegnete Friedrich düster. »Mein Bruder lebt noch, wie du weißt, aber er ist ganz krank, hohläugig, gelb, ein Gerippe. Nichts war in Ordnung, du kannst dir denken, was ich zu tun hatte.«

»Und ist der Mörder noch immer unbekannt?« fragte der Abt dazwischen.

»Mancherlei wird gemunkelt, aber niemand weiß etwas.«

»Und wie steht's mit dem Juden, der die Sache schon vorher gewußt hatte?«

»Der war schon fünf Tage gestorben und lag in seinem Grabe, als das Messer meinen Bruder traf. Mit dem war's nichts. Es war wohl auch ein Zufall, daß sein Spruch in Erfüllung ging. Doch davon jetzt nichts mehr. Ich bin nun da, und es ist hohe Zeit, daß ich gekommen bin, wie du selber sagst. So müssen wir unverzüglich handeln. Wir sind heute in der Frühe von Erfurt aufgebrochen, die Bürger hatten mich gestern mit großer Freundlichkeit empfangen. In Gotha haben wir eine kurze Mittagsrast gehalten. Menschen und Tiere bedürfen der Ruhe und sollen sie haben. Bis Mitternacht kann alles schlafen, und dann brechen wir auf nach der Wartburg und sehen, ob ein Überfall tunlich ist. Auch ich muß mich jetzt einige Stunden niederlegen, ich bin zu erschöpft. Hernach reite ich hinab ins Kloster zu meinem Weibe.«

»Tu tätest besser, du ruhtest wie die andern, denn was vorzubereiten ist, das bereite ich vor. Kannst du den Besuch bei Frau Else nicht aufschieben, bis der Überfall geglückt und die Wartburg frei ist? Du würdest sie durch nichts so sehr erfreuen, als durch diese Kunde. Sie ist mit ihren Sorgen und Gedanken immer auf der Burg, und daß es dort gebrannt hat, haben wir ihr verheimlicht, damit sie sich nicht allzusehr errege.«

»Es brennt mir auf dem Herzen, mit ihr zu reden über eine Sache, die sich ereignet hat,« erwiderte der Landgraf düster. »Du magst es wissen, wird es doch in wenigen Tagen ruchbar sein im ganzen Lande. Die Nonne Elisabeth von Orlamünde ist gestorben.«

Der Abt fuhr erstaunt empor. »Wann ist dies geschehen?«

»Vorgestern in der Frühe. Sie haben sie gefunden vor dem Altare des heiligen Franz entseelt am Boden liegend. Die Schwester, die sie fand, liegt schwer darnieder wegen heftiger Erschütterung des Gemütes, denn sie behauptet, sie habe ein Gesicht gesehen. Zwei Engel mit weißen Lilien in den Händen hätten zu Füßen der Toten gestanden, und so große Klarheit sei von ihnen ausgegangen, daß sie fast erblindet sei. Die Schwestern haben sie sogleich aufgebahrt in der Klosterkirche, und Scharen von Menschen aus der Gegend umlagern wehklagend und betend den Leichnam. Einer, der stumm war von Geburt an, soll die Sprache wieder erhalten haben, als er die Bahre der Verstorbenen berührte. Ich selbst habe sie liegen sehen, als ich ehegestern durch Weißenfels zog.«

»So werden wir bald eine neue Heilige haben,« sagte der Abt nach einer Weile. »Da die heilige Landgräfin Else in Hessen ihr Grab hat, ist das dem Thüringerland sehr zu gönnen. Möchte doch auch in Reinhardsbrunn einmal ein Heiliger erstehen! Aber in dieser Generation geschieht das schwerlich, denn die Brüder sind grobe Klötze und trinken zu viel des Frankenweines, den wahrscheinlich der böse Feind zur absonderlichen Versuchung der Klosterleute hervorgebracht hat. Auch ich unwürdiges Gefäß des Zornes unterliege dieser Versuchung oft und stark. Mögen die Heiligen mir das verzeihen! Doch was ich noch sagen wollte: dir muß ja dieser Todesfall sehr gelegen kommen. Frau Else wird wenig mehr an sie denken, da sie nun tot ist.«

»Meinst du?« erwiderte der Landgraf. »Machen nicht die Toten unseren Gedanken oft mehr zu schaffen, als die Lebenden? Weiß mein Weib ihre Tante in der Glorie des Himmels, so wird es ihr um so schwerer aufs Herz fallen, daß sie ihren Worten nicht gefolgt ist. Und überdies hat die Abgeschiedene ihr ein Andenken hinterlassen, und ich fürchte ein übles.«

»Ein Andenken? Welcher Art?«

»Ein Brieflein, das sie selbst mühsam geschrieben. Meine Base von Landsberg gab mir's.«

»Und was steht darin?«

»Es ist versiegelt, und niemand soll es öffnen als meine Frau ganz allein.«

»Gib es her!« rief der Abt eifrig. »Gib es her und ins Feuer damit! Laß dein Weib gar nichts davon erfahren! Der Mensch soll etwas Ganzes sein in der Welt. Deine Frau ist ganz und gar eine Fürstin und könnte nur eine halbe Heilige werden. Darum taugt ihr der Ruf zum Heiligsein nicht. Verstöre ihr Gemüt nicht von neuem, sie war auf dem Wege, zu gesunden. Das aber muß sie wieder krank machen.«

»Trotzdem kann ich ihr's nicht vorenthalten,« sagte der Landgraf finster. »Ich kann mein Leben nicht aufbauen auf Lüge und Heimlichkeit. Es könnte meiner Frau zu Ohren kommen, daß ich das Brieflein unterschlagen hätte, und sie würde mir nicht mehr trauen. Und wenn ihr's immer verborgen bliebe, so will ich doch nicht erröten und die Augen zu Boden niederschlagen, wenn einmal von der Nonne geredet wird.«

»Auch nicht, wenn das zum Besten deines Weibes wäre? Weißt du nicht, daß der meisten Menschen Glück nur deshalb besteht, weil sie manches nicht wissen?«

»Meinem Weibe bin ich die Wahrheit schuldig,« versetzte der Landgraf stolz. Dabei beharrte er unbeugsam, und selbst die nochmaligen Bitten und Vorstellungen des Abtes brachten ihn nicht davon ab, daß er in der Abendstunde mit dem Briefe der Nonne zu Frau Else ins Kloster ritt.

Die Landgräfin, die von seiner Ankunft nichts wußte, saß allein in einem weiten Gemache und stickte. Als er eintrat, sprang sie auf und flog ihm mit einem Freudenschrei entgegen. Sie warf ihre Arme um seinen Hals und bot ihm die Lippen, und vor Freude errötete sie über und über.

Was zwischen ihnen stand, schien ausgelöscht aus ihrem Gedächtnisse, sie tat ganz wie jede junge Frau, die den geliebten Gatten nach längerer Trennung unvermutet wiedersieht.

Aber als er dann zu erzählen anhub, erblaßte sie mehr und mehr und wand sich leise und scheu aus seinen Armen, und als er endlich das versiegelte Pergamentstreifchen hervorholte, war sie bleich geworden bis in die Lippen.

Sie nahm es mit zitternden Fingern aus der Hand ihres Gemahles entgegen und sah lange darauf hernieder, als ob sie sich nicht entschließen könne, es zu öffnen. Sie war im Kloster wohl unterrichtet worden in der Kunst des Lesens und Schreibens, und so entzifferte sie ohne Mühe die kraus und kritzlich geschriebenen Worte der Aufschrift: An Frau Elsen, meiner Schwester Kind, die Landgräfin von Thüringen heißt.

Endlich riß sie das Siegel auf und entfaltete den Zettel. Lange starrte sie auf das Blatt hernieder, als könne sie den Sinn nicht fassen. Dann ließ sie es zu Boden fallen, schrie laut auf und lief, ihres Gemahles nicht achtend, mit gerungenen Händen auf und nieder. »Grausame,« stöhnte sie, »warum verfolgst du mich. Was habe ich dir getan? Warum zielst du noch aus dem Sarge nach meinem Herzen? Konntest du mich nicht in Frieden lassen? Bist du unerbittlich? Gott im Himmel? Soll wirklich der Fluch sich erfüllen?«

Sie sank auf eine Bank nieder, verhüllte ihr Antlitz und brach in wildes Weinen aus. Der Landgraf redete ihr liebevoll zu, aber sie schüttelte den Kopf und fuhr fort zu schluchzen.

Betroffen und erschrocken über diesen Ausbruch, den er in solcher Heftigkeit bei weitem nicht erwartet hatte, stand der Landgraf eine Weile schweigend da. Dann bückte er sich und hob den Zettel auf. Ihm kostete es große Mühe, das Geschreibsel der Nonne zu lesen, denn er pflegte sich mit Tinte und Pergamenten nur selten zu befassen. Aber er buchstabierte doch zusammen, was da geschrieben stand. Es lautete:

Vor dem Ende des Maien
der Aar wird zerfleischen den Leuen,
und alle Sünde, die du getan,
wird auf freier Heide den Lohn empfahn.

Er knüllte das Pergament zusammen, warf es zu Boden und setzte den Fuß darauf. Ein kochender Zorn stieg in seiner Brust empor. Er war fast ganz frei von dem Glauben an Wunder und übernatürliche Dinge, die ihn überall umgaben. Er war seinem Ahn, dem großen Freigeiste Friedrich von Hohenstaufen, sehr ähnlich in seinem Denken über alle diese Fragen, wenn er es auch weit vorsichtiger verbarg, weil er wußte, wie einsam er in seiner inneren Freiheit stand. Selbst seine Frau, die er liebte mit aller Kraft seines Herzens und die die Vertraute aller seiner Pläne war, kannte sein inneres Gesicht von dieser Seite nicht. Er hatte ihr's nie gezeigt, er wußte, daß sie ihn nicht verstehen, daß sie sich entsetzen würde. Er hatte ihre kindlich fromme, etwas schwärmerische Gläubigkeit geschont, wie er nur irgend vermochte, und sie nie durch ein spöttisches Wort verletzt. Aber jetzt überkam ihn ein Ekel und ein rasender Arger darüber, daß das blöde Gefasel einer alten Nonne sein Leben in dieser Weise beeinflussen durfte. Er lachte so schneidend und höhnisch auf, daß Frau Else ihr Weinen unterdrückte und scheu zu ihm aufblickte.

»Wie?« rief er, »diese Narrethei bringt dich zum Weinen? Du tust, als ob du verzweifeln müßtest, weil eine alte Nonne sich einen albernen Vers ausgedacht hat?«

»Friedrich!« rief Frau Else. »Lästere nicht! Sie war eine heilige Frau!«

»Eine Närrin war sie, die sich mit Geißeln und Fasten um den Verstand gebracht hat. Ein überspanntes Weib, das auch andere verrückt macht! Wunder? Das dumme Volk sieht überall welche, weil es überall welche sehen will. Da fällt von irgendwoher ein Lichtschein in die Kirche – gleich sieht die erhitzte Phantasie eine Erscheinung der Engel. Ich habe in Erfurt einen durchpeitschen sehen, der zum fünften Male vor einem Heiligtum seine Krücken fortgeworfen und sich als geheilt ausgegeben hatte. Schon lag das Volk auf den Knien, da erkannte ihn einer aus Cöln. Sonst war's wieder ein Wunder! Ein Wunder, ein Wunder!«

Das Antlitz der Markgräfin war starr geworden vor Schrecken. »Friedrich!« schrie sie, »du leugnest die Wunder? Du lästerst!«

»Das fällt mir nicht ein. Christus unser Herr und seine hohen Apostel und die allerseligste Mutter Gottes und sonst noch einige große Heilige mögen Wunder getan haben. Aber an die Wunder der Nonne von Orlamünde glaube ich noch lange nicht.«

»Warum nicht, Friedrich? Hat sie nicht wie eine große Heilige gelebt?«

»Warum nicht?« erwiderte der Landgraf spöttisch. »Ich selbst habe sie als Jüngling im Reigen geschwenkt auf der Burg des alten Grafen in Weimar. Sie war zehn oder zwölf Jahre älter als ich und schon eine säuerliche Jungfrau, aber sie tanzte mit einem Eifer, der Jüngere beschämte. Wahrscheinlich dachte ihre Seele damals noch nicht an den himmlischen Bräutigam. Wen ich so gesehen habe, den kann ich mir nicht denken unter dem Chore der Heiligen, die Gottes Thron umstehen.«

Die Landgräfin erwiderte zunächst nichts. Etwas wie Verblüffung malte sich in ihren Zügen. Was ihr Gatte sagte, das zeigte ihr offenbar die Nonne von Weißenfels in einem ganz neuen Lichte und verwirrte sie nicht wenig. Die Heilige, die abgezehrte Büßerin und Beterin, sich als festlich geschmückte, tanzende Jungfrau vorzustellen, das war ihr nie in den Sinn gekommen. Und doch war sie ohne Zweifel einst eine solche gewesen, und ihr Gemahl hatte sie so gekannt. Wunderlich, wie der Gedanke ihre Seele ernüchterte! Sie fühlte mit einer Art von Schrecken, daß in diesem Augenblicke viel von dem Nimbus verblaßte, der in ihren Augen das Haupt der Nonne umgeben hatte, und sie sagte zögernd und unsicher: »Die Torheiten ihrer Jugend liegen weit dahinten. Sie hat gebüßt und gute Werke getan und ist durch Gottes Gnade heilig geworden. Du wirst auch anders von ihr denken, wenn sie der heilige Vater unter die Heiligen erheben wird.«

»Vor der Hand sind wir noch nicht so weit,« versetzte der Landgraf störrisch. »Jetzt gebietet die Kirche noch nicht, an ihre Wunder zu glauben. Ich zweifle daran. Vor allem aber streit' ich ab, daß sie eine Prophetin war. Sie hat wohl das Hungerjahr richtig vorausgesagt, aber die Pest, die sie dann prophezeite, ist ausgeblieben. Das eine trifft zu, das andere nicht. Das können andere alte Weiber auch! Und nun die kindische Faselei hier! Der Aar ist natürlich der Kronräuber Albrecht von Österreich, der Leu bin ich nach meinem Wappentier. Der Aar soll mich zerfleischen auf freier Heide vor Ende des Maien. Das sind noch sechs Wochen. Ehe vier Wochen vergangen sind, kann er gar nicht im Felde erscheinen. Wie leicht also könnt' ich den törichten Spruch zu nichte machen, wenn ich ihm dann noch vierzehn Tage auswiche.

Aber ich will dir zeigen, daß ich das Geschwätz der Nonne für eitel Torheit und nichtige Trügerei halte. Schon lange sehne ich mich nach einem Treffen. Ich will eine Schlacht, und ich brauche eine Schlacht. Siege ich, so erhebt sich alles gegen diesen König, sieg' ich nicht, so kann ich mich noch in meinen starken Festen halten. Und so gelobe ich dir: Ich suche mit Fleiß ein Treffen noch vor Ende des Maien. Da wird sich zeigen, ob des Reiches Aar den Löwen von Thüringen zerfleischt oder ob es nicht ganz anders kommt.«

»Um der Heiligen willen!« schrie Frau Else auf. »Das hieße Gott versuchen!« Sie umklammerte ihn mit beiden Armen und schaute angstvoll zu ihm empor. »Das tust du nimmermehr, Friedrich!« flehte sie.

»Das tu' ich, weil es mir nutz ist und weil es dir Frieden bringt. Endlich wird dann der Bann genommen werden von deiner Seele, daß du freien und frohen Herzens mein Weib sein kannst.«

Da polterten schwere Tritte die Treppe herauf. Es war der Abt, der Herrn Friedrich nachgeritten und unten im Hofe vom Pferde gesprungen war. Er riß die Tür des Gemaches auf und stand mit hochgerötetem Antlitz und blitzenden Augen auf der Schwelle. »Viktoria!« rief er laut. »Gute Botschaft von der Wartburg! Hermann Goldacker hat den Weilnau bei einem Ausfalle gefangen. Die Königsmänner sind abgezogen und haben ihr Lager verlassen!«

Zwei Jubelrufe zu gleicher Zeit, und die Gatten lagen einander in den Armen.

»Siehst du,« sagte der Landgraf freudig, »das Zerfleischen des Leuen fängt schon an. Nimm die Kunde als ein Zeichen, daß Gott mit mir sein will. Morgen früh reiten wir alle nach der Wartburg.«


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