Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII.

Es war die Nacht zum Gründonnerstag, in der der Überfall stattfinden sollte. Schweres, schwarzes Gewölk jagte am Himmel dahin, ein starker Weststurm trieb die Wolken vor sich her und verhinderte den Regen.

Hermann Goldacker stand in seinem Gemache und vor ihm der Marschalk der Landgräfin. Beide Ritter waren völlig in Eisen gekleidet.

»Merk' wohl auf alles, was ich dir sage, Helldorf,« sprach Goldacker gewichtig. »Schon während wir hier reden, steigen unsere Leute durch die Ausfallpforte ins Tal. Der lange Hopfgarten führt sie, bis ich selber bei ihnen bin. Der Abt wird schon unten halten im Zeisiggrunde. Sowie er den Kampflärm hört von der Eisenacherburg her, setzt er sich in Bewegung und kommt den Berg hinauf. Du erwartest ihn am Tore der Schanze und läßt ihn ein. Er hat die Losung Tenneberg.«

Der junge Ritter nickte. Goldacker ging einige Male schweigend im Zimmer auf und nieder, indem er unablässig seinen gewaltigen Bart strich. Bei dem trüben Lichte des Kienspans erkannte Helldorf, daß der Hüne in seinem Gemüte heftig bewegt war, darum verharrte auch er in achtungsvollem Schweigen.

»Du siehst, wie ich, ein, daß der Herrin Platz hier nicht mehr ist,« hub Goldacker endlich wieder zu reden an. »Wir schaffen heute Luft für einige Tage, aber wenn das heilige Osterfest vorbei ist, wird alles beim alten sein. Die Burg wird beschossen wie zuvor, und wo die Pfeile und Steine fliegen und jeden Tag die Burg brennen kann, da gehört eine Frau nicht hin, auch wenn sie den Mut eines Adlers hat. Nun hat der Landgraf geboten, wie mir der Abt sagte, daß wir sie sollen nach einem Brande von der Burg wegbringen. Darum habe ich Herrn Markwart gerufen, denn keine Nacht kann günstiger sein. Rede ihr ja zu, daß sie nicht widerstrebt.«

»Ich meine, sie wird sich fügen. Sie sieht, daß sie hier nichts schaffen kann, auch hat sie Angst um das Kind. Aber sie wird staunen, wenn sie den Abt sieht. Sie ahnt sein Kommen nicht.«

»Wer überrascht wird, fügt sich um so leichter,« erwiderte Goldacker. »Und nun noch eins, Helldorf: Du reitest auf meinem Wotan aus. Er ist das beste Pferd, das wir hier haben, und ich würde ihn der Herrin geben, aber eine Frau ist für ihn viel zu leicht. Halt' ihn gut und acht' auf ihn. Er ist klüger als mancher Mensch und treuer als die meisten Menschen. Und nun Gott befohlen, Helldorf. Ich gehe jetzt hinunter. Kehrt bald mit dem Herrn zurück und macht uns frei!«

Die beiden Ritter gingen miteinander bis vor zur Schanze und trennten sich mit einem festen Händedruck. Goldacker stieg vorsichtig einen schmalen Pfad hinab, auf dem jeder, der nicht ganz ortskundig war, unfehlbar hätte den Hals brechen müssen. Nach wenigen Augenblicken war er in der Dunkelheit verschwunden, und nur einige Minuten dauerte es, bis sich drüben der Kampflärm erhob. Mit lautem Geschrei stürzten sich die Landgräflichen auf die Verschanzungen der Feinde und gewannen einen leichten Sieg. Die Knechte Weilnaus und die Streiter, die zum Schutze des Lagers zurückgelassen waren, hatten die Abwesenheit des strengen Gebieters dazu benutzt, erst einmal tüchtig zu trinken und dann sich auszuruhen. An einen Überfall hatten sie offenbar gar nicht gedacht, denn ihre Wachen schliefen oder waren nicht auf ihren Posten. So gelang die Überrumplung vollständig, und in Kürze brannten die hölzernen Gerüste und Schutzdächer der Ballisten und Bliden lichterloh. Erst an der Eisenacherburg entstand ein ernster Kampf, aber nach einer Viertelstunde war auch sie erstiegen, und die Feinde wurden niedergemacht oder suchten ihr Heil in der Flucht. Dann ließ der Marschalk auch hier die Brandfackel in das Gebälk schleudern, und da die Befestigung nur bis in Manneshöhe aus Stein, im übrigen aber aus Holz bestand, so loderte bald eine gewaltige Flamme empor. Die Wartburg droben auf ihrem Felsen stand so grell beleuchtet da in dem glühroten Lichte, daß man jedes einzelne Fenster genau unterscheiden konnte und jedes Gesicht sah, das aus den Fenstern herniederblickte.

Frau Else stand, umdrängt von ihren Frauen, auf dem Altan ihrer Kemenate und schaute erst in fieberhafter Spannung und dann mit immer leidenschaftlicherer Freude hin auf das, was ihre Mannen vollbrachten. Da vernahm sie hinter sich die Stimme ihres Marschalks: »Gnädigste Herrin, es begehrt einer mit Euch zu reden.«

Unwillig wandte sie sich um. »Aber jetzt nicht, Helldorf, nachher!«

»Gnädigste Herrin, es hat Eile, größte Eile.«

»Nun, wer ist's, der zu mir will?«

»Herr Markwart von Reinhardsbrunn.«

»Der Abt? Träumt Ihr?«

»Nein, er ist bei vollen Sinnen,« erklang eine tiefe Stimme aus dem dunklen Hintergrunde des Gemaches, und Abt Markwart stand in der Tür. »Ich halte mit hundert Helmen vor der Burg und bin gesandt von Eurem Eheherrn, Euch von der Burg zu führen.«

»Mich? Jetzt? In dieser Stunde? Seht Ihr nicht, was Goldacker getan hat? Der Sieg ist unser!«

»Edle Frau, täuscht Euch nicht. Das alles hilft für vier oder fünf Tage, dann steht Weilnau wieder da, wo er heute morgen stand. Euer Gatte hat mir befohlen, Euch wegzuführen, wenn Hermann Goldacker mir das Zeichen gebe, daß es auf der Burg gebrannt habe. Das Zeichen ward gegeben, ich bin hier, so rüstet Euch, mir zu folgen. Die Rosse werden unten schon geschirrt, es ist alles wohl vorbereitet!«

»Und wenn ich nicht will?!«

»Erlauchte Frau, Ihr werdet wollen. Oder wollt Ihr, daß ich eidbrüchig werden soll vor Eurem Gemahl? Und wollt Ihr im Trotze Euch auflehnen wider den Befehl Eures Eheherrn? Euer Verstand sagt Euch: Ihr seid hier unnütz. Schrift und Kirche gebieten, das Weib sei Untertan dem Manne, wie die Kirche Christi dem Herrn, der ihr Haupt ist.«

»Und mein Gemahl hat Euch das wahrhaftig geboten?«

Der Abt richtete sich hoch auf und blitzte die Fürstin strafend an. »Bedarf es etwa meines Eides?«

»Nein, Abt Markwart, ich glaube Eurem Worte. Nun denn, so muß ich gehen. Luitgard von Beulwitz, Anna von Werthern und ihr andern alle: rüstet euch. Keine Frau bleibt auf der Burg, wenn ich nicht in der Gefahr sein darf. Und Ihr, Helldorf, begleitet mich auch. Wo die Herrin ist, soll der Marschalk sein.«

Eine knappe Viertelstunde später bewegte sich der Zug langsam den Berg hinab. Fünfzig Reiter ritten voraus, dann kam die Fürstin, die selbst ihr Kind im Mantel trug. Ihr zur Seite ritten der Abt und der Ritter von Helldorf. Zehn oder zwölf bepackte Pferde folgten, und fünfzig bis sechzig geharnischte Knechte beschlossen den Zug.

Auch als man die Talsohle erreicht hatte, ließ der Abt die Pferde keine schnellere Gangart anschlagen, denn er wußte, es drohten keine Gefahren. Sie konnten sachte fürbaß traben.

Frau Else sprach zunächst kein Wort. Sie hing offenbar trüben Gedanken nach, und ihre Begleiter wagten nicht, sie zu stören. Plötzlich fragte sie ganz unvermittelt: »Was hättet Ihr getan, Abt Markwart, wenn ich mich geweigert hätte, Euch zu folgen?«

»Euer Gnaden haben mir's ja, gelobt sei Gott, leicht gemacht, und ich bin Euch dafür herzlich dankbar,« antwortete der Abt ausweichend.

»Aber wenn ich's Euch eben nicht leicht gemacht hätte?«

»Dann hätt' ich Euch, edle Frau, so wahr mir Gott helfe, auf diesen meinen Armen aus dem Schlosse getragen.«

Die Fürstin fuhr auf und blickte ihn halb zornig, halb betroffen an. »Das hättet Ihr gewagt?«

»Als ein gutes christliches Werk zu Eurem Besten, als die Folge meines Eides und auf den Befehl meines Herrn und lieben Freundes, der mir lieber ist als alle andern Menschen, die noch auf Erden leben. Habt Ihr nimmer die Sage gehört vom treuen Johannes? Der tat noch anderes mit der Gemahlin seines Herrn, und zum Lohn ward ihm das Haupt abgeschlagen. Aber später ward sein treuer Sinn erkannt, und der König opferte eines seiner Kinder, um ihn wieder lebendig zu machen.

»Und Ihr, Helldorf?« fragte sie nach einer Weile, »hättet Ihr das gelitten?«

»Ich hätte den Herrn Abt durch und durch gerannt, wie ich jeden durch und durch renne, wenn Ihr's befehlt.«

Frau Else sah noch betroffener aus, aber mit einem Male brach sie in ein helles Lachen aus. »Das hätte ja was Schönes geben können zwischen unsern Getreuesten. Dem Herrn des Himmels sei Dank, der meinen Sinn zum schnellen Nachgeben lenkte! Es wird ja wohl auch das beste sein, was mein lieber Gatte befohlen hat.« Dann setzte sie mit einem tiefen Seufzer hinzu: »Gott gebe in seiner Gnade, daß wir bald zurückkehren!«


 << zurück weiter >>