Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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IV.

Noch am Abend desselben Tages traten die Sieger den Rückweg an, denn in der brennenden Burg gab es nichts mehr zu rauben. Die feurige Lohe, die den ganzen Abendhimmel blutigrot färbte, beleuchtete die Straße und trug vor ihnen her die Kunde, daß der große Schlag gelungen sei. Das wurde den Bürgern Naumburgs auch bald ausdrücklich bestätigt. Reitende Boten, abgesandt von den beiden Bürgermeistern, trafen in der Stadt ein und riefen in allen Straßen mit schallender Stimme aus, die Rudelsburg sei erstiegen und stehe in Flammen, die Kurtefrunde habe man gefangen. Eine ungeheure Menschenmenge wogte in den engen und krummen Gassen auf und nieder, und als nun endlich der Zug, von Glockengeläut und unermeßlichem Jubelgeschrei begrüßt, durch das Salztor einbog, da konnte er sich nur mit Mühe seinen Weg durch die dichtgedrängte Volksmasse bahnen.

Bischof Johann war mit seinen Rittern und Mannen vor dem Tore nach links abgebogen und zog still in seine Domfreiheit ein. Dort mochten die Seinen bei Bier und Wein den Sieg feiern – er begab sich mit einigen Vertrauten in seine Kuria, denn er war schwer geärgert und tief verstimmt. Ein Streit hatte sich erhoben zwischen ihm und den Städtern noch vor der brennenden Burg der Feinde, und nur sein schnelles Nachgeben hatte es verhindert, daß es von bitteren Worten zu Tätlichkeiten kam. Es erhub sich die Frage, was mit den Gefangenen geschehen sollte. Die Bürger verlangten, daß sie im Triumph in die Stadt eingebracht und dann ins Gefängnis geworfen würden. Herr Johann hatte nichts dagegen, daß solches mit den Kurtefrunden und ihrem Anhange geschehe. Im Gegenteil, das konnte ihm nur gelegen kommen, da wurde dem dummen Volke einmal so recht deutlich sichtbar vor Augen geführt, wie rasch sich ein bischöflicher Fluch erfüllte und wie er nicht nur das ewige, sondern auch das zeitliche Verderben zur Folge hatte. Aber den Kevernburgern wollte er diese Demütigung ersparen. Sie gehörten doch nun einmal zu den edelsten Familien des Reiches, ihre nahen Geschlechtsvettern waren die Schwarzburger, deren Haupt, Graf Günther, überall in höchstem Ansehen stand. Eine üble Behandlung der gefangenen Grafen mußte ihn tief erbittern und den ganzen hohen Adel Thüringens wider die übermütigen Sieger reizen und aufbringen. Das alles stellte er den Naumburger Ratsherren und Viertelsführern eindringlich vor. Vergebens. Es war, als hätten die Bürger allen Verstand verloren. Nur der allzeit kluge und kühle Dietrich von Merkwitz trat ihm bei, aber auch er hielt bald den Mund und raunte ihm zu: »Austoben lassen, gnädigster Herr! Die Leute sind jetzt trunken! Da ist gar nichts zu machen!« Und es war auch gar nichts zu tun, der Bischof mochte bitten oder drohen. Im Innersten wütend mußte er endlich nachgeben, denn er besaß ja nicht den geringsten Rechtsanspruch auf die Gefangenen, die seine Verbündeten gemacht und nur einstweilen in sein Schloß untergebracht hatten. So lieferte er sie denn aus und behielt nur die wenigen zurück, die seine eigenen Leute eingebracht hatten, darunter Kurtefrunds Sohn. Hätten die Städter gewußt, daß er in seiner Hand war, sie wären wohl imstande gewesen, ihn mit Gewalt zu nötigen, daß er auch den Jüngling ihrer Rache überantworte. Denn mit Schrecken hörte der Bischof, daß man ein Blutgericht halten wolle über alle Gefangenen und daß keiner der Landbeschädiger mit dem Leben davonkommen dürfe. Das konnte ein übler Handel werden, der keinem der daran Beteiligten Nutz und Ehre brachte. Es beruhigte ihn nur wenig, daß Merkwitz ihm wiederum zuflüsterte: »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, Euer Gnaden!« Auf keinen Fall wollte er mit dabei sein, wenn die Gefangenen in die Stadt gebracht wurden und das über die Maßen erbitterte Volk eine Untat an ihnen beging, die er doch nicht abwenden konnte.

In der Tat war es fast ein Wunder zu nennen, daß sie lebend und unversehrt das Rathaus erreichten. Denn als das Volk die beiden Kurtefrunde erblickte, die mit gefesselten Händen zwischen speertragenden Soldknechten dahinschritten, da begann es vor Wut zu rasen. Wildes Geschrei, Flüche und Verwünschungen erschollen von allen Seiten, mehrmals schien es der Menge zu gelingen, sich ihrer zu bemächtigen, und dann wären sie ohne Frage in Stücke gerissen worden. Aber immer vermochten es die Knechte, die Tobenden zurückzudrängen, und als endlich der Zug vor dem Rathause angelangt war, stießen sie die Gefangenen in die feuchten, halbdunklen Gefängnisse, die sich unter dem dunklen Gebäude in großer Zahl befanden. Die drei Grafen und die beiden Ritter wurden, jeder einzeln, in eine der kleinen gewölbten Steinzellen geschoben, nachdem man ihnen die Handschellen abgenommen, dagegen ihre Füße in Eisen geschlossen hatte. Dort mochten sie ihr Schicksal erwarten.

Es schwante einem jeden unter ihnen, daß dieses Schicksal wahrscheinlich ein sehr übles sein werde. Die Kevernburger hatten vorher auf ihren Stand gepocht und gemeint, es könne ihnen das Ärgste doch nimmermehr geschehen. Aber nach dem Schrecken des Einzuges ließen sie trübselig die Köpfe hängen, und es dämmerte ihnen der Gedanke auf, daß Erwägungen der Klugheit und des Rechtes für eine aufgeregte Volksmenge nichts mehr bedeuten, sondern daß sie nur nach ihren wilden Trieben handelt.

Denselben Gedanken sprach droben im Rathaussaale einer offen und furchtlos aus: Dietrich von Merkwitz. Der Rat hatte sich nämlich sogleich zur Aburteilung der Gefangenen versammeln müssen. Viele seiner eigenen Mitglieder verlangten das, und noch mehr forderte es das Volk, das wie ein in seinen Tiefen aufgewühlter See das Rathaus umbrandete und brüllend und heulend den Todesspruch über die Gefangenen begehrte.

Droben unter den Ratsverwandten war der Fürsprecher und Wortführer der Menge kein Geringerer als der zweite Bürgermeister Heinz Edelste. Er sprach mit laut tönender Stimme: »Liebe Gesellen und Freunde! Die da unten haben ganz recht, wenn sie von uns verlangen, daß wir unverzüglich über die Schelme ein Urteil sprechen. Denn sie fühlen und wittern, daß es auch diesmal gehen soll, wie es schon oft gegangen ist. Die Stadt wird von Räubern und Plackern bedrängt. Fangen wir aber einmal einen, dann heißt es: Er ist mit dem verwandt oder mit jenem verschwägert, er hat dem gute Dienste geleistet oder jener ist sein hoher Gönner – und was geschieht? Man läßt den Galgenvogel fliegen, nachdem man ihm etwas die Federn gestutzt hat. Er zahlt eine Buße und schwört Urfehde, und fort ist er. So soll's auch diesmal wieder gehen, das merken die Bürger wohl. Schon hat der Bischof angefangen, dieses Liedlein zu pfeifen. Aber wir wollen danach nicht tanzen. Gott hat uns der Stadt alte Feinde, die Kurtefrunde, in die Hand gegeben. So sollen sie büßen, was sie gefrevelt haben. Sie haben beide zehnmal den Tod verdient und ihre ganze Rotte mit ihnen. So sollen sie ihn kosten. Und nun die Kevernburger! Aus reinem Frevelmuts haben sie sich in den Handel eingemischt, denn die Stadt hat nichts mit ihnen zu tun. Schlagt ihnen allen die Köpfe ab! Das wird allen im Lande, die der Stadt Feinde sind, einen sonderlichen Schrecken einjagen, und alle Welt wird Achtung bekommen vor unserer harten Hand.«

Damit setzte er sich. Von vielen Seiten erklang Beifall, aber Dietrich von Merkwitz rief mit blitzenden Augen: »Du irrst, Heinz Edelste! Alle Welt wird vielmehr sagen: Die Naumburger haben, berauscht von ihrem Siege, das Recht wie die Vernunft vergessen. Und das muß ich auch sagen, und wenn mich das vom Volke nicht wundert, das stets das Unvernünftige will, wenn es losgelassen dahinrast, so wundert's mich um so mehr von Euch. Zuvörderst: Wo bleibt das Recht? Wir haben hier nur zu Gericht zu sitzen über Hals und Hand, wenn des Bischofs Schultheiß unter uns ist. Aber wo ist er? Sein Platz steht leer!«

Allgemeines Murren. »Wie?« rief Heinz Edelste, »so redest du, der immer die Rechte der Stadt vertreten hat gegen die Domfreiheit?«

»Die Rechte der Stadt! Das ist wahr, die vertrete ich. Ihr aber wollt Unrecht üben. Und ganz unklug ist Euer Beginnen. Daß Ihr die Schwarzburger, Hohnsteiner, Gleichen gegen uns aufbringt, wenn Ihr Hand legt an die von Kevernburg, das hat euch der Bischof schon gesagt. Und wie steht es nun mit dm Kurtefrunden?« – –

»Was? Auch die willst du schonen?« schrie der alte Christian Abesser zornig. »Daraus wird nichts!«

»Hast du vergessen, was sie deinem Sohne getan?« erklang's von einer anderen Seite.

»Ich habe nichts vergessen, aber ich suche nicht meine Rache, sondern der Stadt Bestes. Halten wir Werner Kurtefrund in unserem Turm mit seinem Bruder, so kann uns niemand schelten. Knüpfen wir seine Gesellen vor seinen Augen auf, so kräht kein Hahn nach diesen. Die Ritter aber sind des Herrn Landgrafen Lehnsmannen, wenn sie auch in ihrer Frechheit nicht nach ihm fragten. Aber das Blutgericht über sie steht ihm zu; wir müssen uns, wenn wir sie richten wollen, einen Schöppen von ihm erbitten, der unsere Sitzung leitet. Tun wir das nicht, so ziehen wir uns seinen Zorn und seine Ungnade zu!«

Wieder Murren und Geschrei von allen Seiten. »Wir brauchen den Fürsten nicht! Was fragen wir nach des Landgrafen Gnade!«

»Ich wollte, wir brauchten nichts danach zu fragen,« sprach Dietrich von Merkwitz mit starker Stimme. »Aber noch sind wir nicht freie Stadt, so viele Rechte wir uns auch schon erkauft haben. Noch steht uns das Blutgericht nicht zu über unsere eigenen Leute, viel weniger über des Landgrafen Leute, auch wenn wir sie gefangen haben. Freunde und Ratsgesellen! Der Fürst kommt morgen nach seiner Stadt Jena, wo er eine Tagung hat mit den Reußen und Lobedaburgern. Er ist also nicht fern. Schickt eine Gesandtschaft an ihn ab, daß er einen seiner Räte zu uns entsende. Schiebt bis dahin das Urteil auf, und laßt uns jetzt heimgehen!«

»Nein!« schrie Heinz Edelste. »Wollt Ihr die Kevernburger einstweilen schonen – meinetwegen, in des Teufels Namen! Aber die Kurtefrunde – –«

Seine Stimme wurde übertönt durch ein donnerndes Gebrüll, das von unten heraufklang. Alles eilte an die Fenster. Bei dem Schein der zahlreichen Fackeln, Laternen und Windlichter, die den Platz erhellten, war zu sehen, daß Kyburgs große Donnerbüchse auf dem Platze auffuhr. Hier sollte sie, von Knechten bewacht, die Nacht über stehen bleiben.

Kyburg war mit seinem schweren Geschütze fast eine Stunde später als das übrige Heer in Naumburg angekommen. Als die Pferde durch das Tor keuchten, war in der großen Salzgasse kein Mensch mehr zu sehen. Alles war vor dem Rathause zusammengeströmt. Das berührte ihn sehr angenehm, denn auf dem einen der Kugelwagen saßen die Mägde, die er gerettet hatte, und vor sich auf dem Pferde trug er Gertrudis. In seinen Mantel gewickelt hielt er sie fest in seinen Armen und hatte sie so gehalten den ganzen langen Weg bis zur Stadt. Meist war sie halb ohnmächtig, dann wieder sah sie ihn mit jammervollen Blicken an und flüsterte: »Laß mich doch sterben! Was willst du mit mir? Meine Schönheit ist dahin! Willst du ein Weib freien, das entstellt bleibt sein Leben lang?«

»Ich liebte dich noch, und wenn du dein Augenlicht verloren hättest, dich und keine andere,« gab er zurück.

Dann sah sie ihn mit leuchtenden Augen an, aber gleich darauf stöhnte sie: »Wird mein Vater gerichtet, so kann ich dein Weib nicht werden!«

»Sei ruhig, Liebste! Sie werden ihn nicht richten. Er gehört unter des Landgrafen Gericht,« erwiderte er, aber er glaubte nicht recht, was er sagte. Die schwergereizten Bürger dürsteten nach dem Blute des verhaßten Feindes. Würde die Besonnenheit den Sieg davontragen über die Rachsucht? Sie hatten sich von dem Bischof nicht belehren lassen, würde der Gedanke an den Landgrafen die Wütenden zur Besinnung bringen? Die Hoffnung darauf schien ihm sehr gering. Schleppten aber die Naumburger Herrn Kurtefrund aufs Schafott – was sollte dann mit Gertrudis werden? Sie konnte doch nie und nimmermehr unter einer Bürgerschaft leben, die ihren Vater hatte hinrichten lassen, sie konnte nicht täglich an der Stätte vorübergehen, die sein Blut getrunken hatte.

Böser Ahnungen voll brachte er die Geliebte mit ihren Dienerinnen in Dietrich von Merkwitzs Haus, denn der Bürgermeister gedachte an das, was sie an seinem Sohne getan, und wollte sich dafür erkenntlich zeigen. Dann eilte Kyburg hinter seinem Geschütze dem Rathause zu und dort erfuhr er sogleich, daß man droben im Rate über der Gefangenen Schicksal verhandle. Wie das Urteil ausfallen würde, das ward ihm alsbald klar, denn bei der Stimmung des Volkes hätten statt eines einzigen zehn oder zwölf Merkwitze im Rate sitzen müssen, wenn der Spruch gegen den Willen der Masse hätte ausfallen sollen.

Er wich tief in den Schatten zurück und zog seine Eisenhaube noch mehr ins Gesicht als vorher, damit ihn niemand erkennen möge. Dann schlüpfte er durch eine Seitentür ins Rathaus hinein, denn er war entschlossen, in die Ratsversammlung zu dringen und für Herrn Kurtefrunds Leben zu bitten. Aber nach altem Brauch war schon die Tür des Vorgemaches, das zum Saal führte, verschlossen, und wie er auch rüttelte und pochte, kein Mensch hörte ihn dadrin, wo die Meinungen eben wieder hart aufeinander platzten. Unverrichteter Sache mußte er abziehen, und da ihm jetzt vor dem Volke geradezu graute, schlich er sich still zurück in des Bürgermeisters Haus.

Dort trat ihm Gertrudis entgegen, deren Stirn von einem Schleier verhüllt war. »Was ist mit meinem Vater?« rief sie ihm entgegen.

»Sie handeln im Rate über ihn!« entgegnete Kyburg trübe.

»Er ist nicht tot? Sie haben ihn noch nicht umgebracht?«

»Nein, so schnell geht das nicht!«

Er faßte ihre Hand und zog sie neben sich nieder auf eine Bank. Leise legte er den Arm um ihre Schulter. Sie litt es, aber jede andere Zärtlichkeit wehrte sie sanft ab, und er schonte ihr Weh.

Plötzlich fuhr sie auf: »Verdammen sie ihn zum Hochgericht, so muß ich bei ihm sein in seiner letzten Stunde. Ich kann meinen Vater nicht mehr lieben, denn er hat zu böse an mir getan. Aber er ist mein Vater, und Blut bleibt Blut, und Pflicht bleibt Pflicht!«

Er nickte. Ihr abzuraten, das wußte er, war ganz vergeblich.

Wieder saßen die beiden in düsterem Schweigen. Da ging die Tür auf, und Merkwitz trat ein. Als er sie erblickte, fuhr ein dunkler Schatten über sein Gesicht.

»Sie töten ihn?« schrie Gertrudis auf.

»Noch ist es nicht so weit. Wohl haben sie ihren Spruch über ihn gefällt, aber noch gibt es vielleicht einen Weg, ihn zu retten. – Ihr müßt«, wandte er sich an Kyburg, »sogleich aus der Stadt gebracht werden. Dazu verhelfe ich Euch. Dann begehrt Ihr Einlaß in der Domfreiheit und lasset Euch zum Bischof führen. Dem sagt, die blinden, tollen Naumburger hätten beschlossen, ihre Gefangenen allesamt zu richten, morgen abend nach dem Abendläuten. Dann laßt Ihr Euch Briefe von ihm geben und reitet unter seinem Geleit morgen in aller Frühe nach Jena, wo der Landgraf heute abend eintreffen wollte. Ist er dort, so wird er Euch einen mitgeben, der das Volk von seiner Torheit abbringen wird. Ist er nicht dort, so will es Gott, daß die Naumburger sich in einen schlimmen Handel verwickeln! Seid Ihr bereit?«

»Gewiß! Sogleich!« rief Kyburg. »Führt mich. Und du, Gertrudis, leb wohl! Gott gebe Glück zu meiner Reise!«

Sie hing an seinem Halse. »Ja, Gott und die Heiligen seien mit dir!« flüsterte sie mit erstickter Stimme. »Denn als eines Gerichteten Tochter kann ich dein Weib nicht werden!«


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