Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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VII.

Am Tage Sankti Simonis und Judä ging ein großer Warenzug von Naumburg nach Erfurt ab. Schon in der ersten Morgenfrühe fuhren die schwerbeladenen Wagen auf dem Markte an, fünfundzwanzig an der Zahl, alle hochbepackt und jeder mit vier starken Gäulen bespannt. Die Stadtknechte in Eisenhauben und Brustharnischen versammelten sich vor der Sankt Wenzelskirche, Söhne der ehrbaren Bürger zu Roß und in ritterlicher Rüstung trabten heran, und obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen war, standen auf dem Markt und in der großen Salzgasse die Leute dichtgedrängt. Der Abgang eines solchen Zuges war ein Ereignis von großer Wichtigkeit für viele in der Stadt, denn nicht nur Waren führte er aus den Mauern hinweg, er bildete auch die einzige ganz sichere und zuverlässige Gelegenheit, Briefe und Nachrichten nach Erfurt zu befördern, und groß war die Zahl derer, die dort Verwandte und Gefreundete hatten.

Herr Dietrich von Merkwitz, dem sieben der abfahrenden Wagen gehörten, sollte heute der Reiseführer sein. Noch hielt er vor der Tür seines Kaufes auf seinem hohen, starkknochigen Pferde und verhandelte leise mit Klaus Kyburg, der in seinenm Hause zurückbleiben sollte. »Sagt mir im Vertrauen,« fragte er ihn und beugte sich dabei nahe an sein Ohr heran, »habt Ihr einen Zwist oder Streit gehabt mit meiner Frau?«

Kyburg blickte ihn verwundert an. »Wie könnte mir's geziemen, mit der Herrin des Hauses zu streiten? Wie kommt Ihr darauf?«

»Ich sagte ihr diese Nacht, daß sie durch ihre Muhme in Weißenfels der Tochter des Ritters Kurtefrund im Kloster Beuditz möge ein Zeichen geben lassen, daß Ihr lebet. Da gab sie zuerst gar keine Antwort, dann begann sie heftig zu weinen und sagte, sie wolle nicht gern etwas für Euch tun, denn niemals hättet Ihr ein freundlich Wort für sie, und sie möge Euch gar nimmer leiden.«

Kyburg biß sich auf die Lippen. Er hätte am liebsten geantwortet: Seid froh, Herr, daß ich ihr aus dem Wege gehe, wo ich immer kann! Aber warum sollte er in das arglose, vertrauensvolle Gemüt dieses Mannes das Gift des Zweifels an der Treue seines Weibes träufeln? Der Greis brauchte nichts zu erfahren von den verzehrenden Blicken, die sie ihm oftmals zugeworfen hatte, denn er, Klaus Kyburg, war seiner selbst vollkommen sicher. Wohl war ihm der Gedanke drückend, jetzt zwei Wochen lang mit der schönen Frau allein zusammen zu hausen, während ihr Eheherr in der Ferne weilte und nur die Kinder und Dienstboten außer ihnen beiden im Hause waren. Aber nur davor graute ihm, daß das leidenschaftliche junge Weib eines Tages aller Zucht vergessen und ihm mit Worten sagen könne, was ihm bisher nur ihre Augen verraten hatten. Das mußte dann einen häßlichen Auftritt geben, denn er war entschlossen, sie ernst und fest an ihre Pflicht zu gemahnen. Sonst fürchtete er nichts. Ihm konnte kein Weib mehr gefährlich werden, und wäre es schöner gewesen als die glutäugigen Sklavinnen, die er einst zu Cordova im Palaste Muley Hassans des Mauren geschaut hatte. In seinem Herzen lebte nur das Bild der Einen, die ihm ihre Liebe gegeben hatte und an die er sich festgekettet fühlte für alle Ewigkeit. And seit der Unterredung mit seinem alten Gönner war in seiner Seele die Hoffnung mächtig emporgeflammt, er könne sie vielleicht doch noch erringen, sie könne doch noch die Seine werden. Was galten ihm da Frau Juttas sengende Blicke? Nein, der Greis, der nicht ahnte, daß ihm sein junges Weib schon in ihren Wünschen und Gedanken untreu war, mochte ruhig über Land fahren und bleiben, so lange er wollte. Er würde sein Haus rein vorfinden, wenn er wiederkehrte.

Darum erwiderte er gelassen: »Ich bin mir nicht bewußt, der edlen Frau Jutta je mit einem Worte zu nahe getreten zu sein. Gefällt ihr aber mein ernstes Wesen nicht – nun, Herr, so wißt Ihr ja wohl, weshalb ich nicht scherzen und fröhlich sein mag, und nun weiß sie es auch, nachdem Ihr mit ihr geredet habt über das, was mir das Herz beschwert.«

»Das ist wahr, und sie wird Euren Trübsinn eher zu entschuldigen wissen,« entgegnete Merkwitz. »Übrigens habt Ihr noch gar keine Ursache, den Kopf hängen zu lassen, wie ich Euch schon sagte. Es kann alles gut werden. Nun aber muß ich reisen. Seid meinem Weibe zur Hand, wenn sie Eures Rates oder Eurer Hilfe in irgendeiner Weise begehrt. In vierzehn Tagen längstens denke ich zurückzukommen. Bis dahin Gott befohlen!«

Er schüttelte ihm vom Pferde herab die Hand und gab dann das Zeichen zum Aufbruch. Unter Hüteschwenken, Zurufen und lautem Peitschengeknall setzte sich der Wagenzug in Bewegung.

Klaus Kyburg trat ins Haus zurück und suchte sogleich sein Gemach auf. Der Ratsherr hatte ihn gebeten, Rechnungen für ihn durchzusehen und mancherlei für ihn zu schreiben. Dieser Arbeit widmete er sich mit allem Eifer, aber ein leises Unbehagen wich nicht von seiner Seele. Vernahm er einen Schritt auf der Treppe oder auf dem Korridor, so zuckte er zusammen und meinte, Frau Jutta werde im nächsten Augenblick eintreten und unter irgendeinem Vorwand seine Gesellschaft suchen. Aber er sollte sein blaues Wunder erleben. Bis Mittag blieb sie ganz unsichtbar für ihn, und als dann die gemeinsame Mahlzeit alle Hausgenossen vereinigte, da streifte sie ihn mit keinem Blicke, richtete auch nicht ein einziges Wort an ihn und gab auf seine Anrede nur kurz und hochfahrend Antwort. Sie beschäftigte sich in mütterlicher Weise mit ihren beiden Stiefsöhnen, sprach mit dem oder jenem vom Gesinde – daß ein Klaus Kyburg am Tische saß, schien sie nicht zu bemerken.

Er war über diese Wendung froh, obwohl ihn ihr Verhalten auch wieder verdroß. Seine Stellung zu den Dienstboten wurde sicherlich nicht dadurch gehoben, daß ihm die Herrin des Hauses kühle Nichtachtung bezeigte. Daher nahm er für den Abend eine Einladung an, die ihm der Ratsherr Hans von Marschall zugesandt hatte, und kehrte erst sehr spät am Abend mit einem ziemlich schweren Kopfe von dem Gelage heim.

Am anderen Mittag gestaltete sich die Sache noch viel wunderlicher. Als er eintrat, um seinen Platz an der Tafel einzunehmen, da saß auf diesem Platze ein jüngerer geistlicher Herr, den er in der Umgebung des Bischofs gesehen hatte. Es war Otto von Langen, der jüngste der Domherren, ein entfernter Vetter der Frau Jutta, der aber sonst nie ins Haus kam. Dietrich von Merkwitz liebte ihn nicht, denn sein Ruf war nicht fein. Er galt als Spieler und Weiberjäger und gehörte zu den Vertrautesten des Bischofs schon seit Jahren. Darum hatte er ihn gleich nach seiner eigenen Erhebung zum Domherrn gemacht, obwohl das Kapitel ihn gar nicht gern haben wollte und in der Bürgerschaft ein großes Flüstern und Lachen anhub, als man ihn zum ersten Male im Schmucke seiner neuen Würde erblickte. Daß ihn Frau Jutta eingeladen hatte, war trotz ihrer Verwandtschaft mit ihm eine grobe Ungehörigkeit und mußte ihr viel üble Nachrede schaffen, auch ihren Mann heftig verdrießen, wenn er nach seiner Rückkehr davon hörte.

Mit gefurchter Stirn und einer steifen Verbeugung begrüßte daher Kyburg den sonderbaren Gast. Der aber erhob sich sofort und überschüttete ihn mit einem Schwall honigsüßer Worte, nannte ihn den Mann, der dem Himmel Blitz und Tonner geraubt habe und den man gar nicht genug bewundern und preisen könne. Auch bot er ihm sofort an, von dem Ehrenplatze zu weichen, der ihm, dem bedeutenderen Gaste, zukomme, was Kyburg höflich dankend ablehnte. Dann freilich glaubte der Domherr wohl, genug der Liebenswürdigkeit an ihn gewendet zu haben, denn er wandte sich ausschließlich Frau Jutta zu. Zunächst unterhielt er sie mit zierlichen Worten, aber als erst der Wein seine Zunge gelöst hatte, da wurden seine Reden mit jeder Viertelstunde dreister, seine Scherze plumper und vertraulicher, und zuletzt sagte er ihr Schmeicheleien, die ihr das Blut in die Wangen trieben und sie zu häufigem Augenniederschlagen und Kichern veranlaßten. Dabei glänzten seine schwarzen Schlehenaugen wie die eines lüsternen Fuchses, der das feiste Huhn, das er sich zur Beute erlesen, schon aus dem sicheren Stalle herausspazieren sieht.

Kyburg wurde es übel und weh, als er dieses Gebaren des geistlichen Herrn sah. Er schämte sich in die Seele des leichtfertigen Weibes hinein, das die frechen Zweideutigkeiten nur mit einem leisen Auflachen erwiderte und sich unter glatten und versteckten Worten Dinge sagen ließ, die sie als verheiratete Frau und nun gar als Frau eines Ratsherrn nimmer hätte anhören dürfen. Hätte er geahnt, daß sie den Fremdling nur eingeladen hatte und sich nur deshalb von ihm schöntun ließ, um seine Eifersucht zu reizen, so hätte er auf der Stelle Tisch und Gemach verlassen. Aber er wäre niemals auf diesen Gedanken verfallen, und so blieb er, um Schlimmes zu verhüten, und war froh, daß die Knechte und Mägde sowie die beiden Knaben sogleich, nachdem sie abgespeist hatten, aus dem Zimmer gegangen waren. Erst eine Stunde später verabschiedete sich der Domherr, nachdem er dem gewürzten Konfekt des Nachtisches und dem süßen Malvasier überaus reichlich zugesprochen hatte. Er küßte seiner schönen Base, wie er Frau Jutta unaufhörlich nannte, mehrmals die Hand und verabschiedete sich mit einem Blicke, den eine ehrbare Frau eigentlich mit einer Ohrfeige beantworten mußte. Aber Frau Jutta hatte dafür nur ihr girrendes, leises Lachen.

Finster und ohne sie eines Wortes zu würdigen, schritt Kyburg nach dem Domherrn zur Tür hinaus. Wenn er des trefflichen Dietrich von Merkwitz, seines väterlichen Freundes und Gönners, gedachte, so kochte der Zorn über dieser Frau zuchtloses Gebaren in ihm empor. Am liebsten hätte er sie mit harten Worten zurechtgewiesen und den glatten, lüsternen Domherrn mit Fußtritt und Faustschlag zum Hause hinausgeworfen. Aber Herr Dietrich hatte ihn wohl gebeten, seiner Frau mit Rat und Tat zu helfen, wenn sie darnach begehren würde, doch zum Wächter seiner Hausehre und Hüter ihrer Tugend hatte er ihn nicht eingesetzt. Er hatte kein Recht, sich in ihre Angelegenheit zu mischen, und hätte sich eine scharfe, höhnische Abfertigung gefallen lassen müssen, wenn er dennoch als Präzeptor aufgetreten wäre. Das wollte er dem Weibe nicht gönnen, das er zu verachten begann, diesem Weibe, das ihm gestern die verliebtesten Augen gemacht hatte und heute in seiner Gegenwart einem andern unziemliche Vertraulichkeiten erwies und, wie es schien, aller fraulichen Würde vergessen hatte. Meiden wollte er sie noch mehr als bisher, kein Wort mit ihr reden, was nicht um der Leute willen gesprochen werden mußte, und sich in keiner Weise um sie kümmern.

Zu diesem Entschlusse war er gekommen, als er in seinem Gemache angelangt war. Ein unerwartetes Ereignis aber zwang ihn, seinen Plan auf der Stelle fallen zu lassen.

Frau Jutta hatte seine finstere Miene wohl bemerkt, und als er zur Tür hinausgeschritten war, hatte sie ihm mit einem Lächeln des Triumphes nachgeblickt. Ihr törichtes Herz frohlockte, denn ihr Plan schien ihr gelungen zu sein. Sie hatte den Domherrn, der ihr gleichgültig war, nur deshalb eingeladen, um Klaus Kyburgs Sinne zu erregen. Sie war es gewöhnt, daß die jungen Männer der Stadt sich nach ihr umdrehten und ihr bewundernde Blicke nachsandten, wenn sie auf der Straße erschien. Vom ältesten Ratsherrn bis zum halbwüchsigen Bäckerjungen huldigte alles in Naumburg ihrer Schönheit, nur dieser Fremdling schien sie nicht zu beachten. Das war ihr zunächst wie schlaue Verstellung erschienen, bis sie einsehen mußte, daß ihr Liebreiz hier wirklich nicht verfing. Nicht nur ihre Eitelkeit wurde dadurch aufs empfindlichste verwundet, sondern ihr Herz litt die grimme Pein verschmähter Liebe und litt sie doppelt, seit sie durch ihren Mann wußte, daß er eine andere im Herzen trug. Die mußte sie daraus verdrängen um jeden Preis, sie mußte ihn für sich gewinnen, seine Sinne entzünden, sein Blut in Wallung bringen, und dazu sollte ihr der Domherr dienen. Sie wußte im voraus, daß der ihr in jeder Weise den Hof machen würde, und sie wußte auch, daß durch solches Gebaren eines Mannes ein anderer, der das mit ansieht, oft zu gleichem Tun gereizt wird. Es ist, als würden ihm dadurch erst die Äugen aufgetan für die Schönheit einer Frau, die er bis dahin nicht beachtet hat, und es erwacht allsogleich die Eifersucht in ihm, der andere könne den Schatz davontragen, der ihm selbst wohl erreichbar fei. Da beginnt denn nun ein Ringen und Rennen zwischen den beiden, und die Frau, der es gilt, verteilt den Preis nach ihrer Gunst und Laune.

So hatte Frau Jutta von Merkwitz gerechnet, und ihre Rechnung schien ihr zu stimmen. Kyburgs finstere Miene, die drohenden Blicke, die er zuweilen nach dem Domherrn schoß, waren doch nur dahin zu deuten, daß er mit einem Male einen Nebenbuhler in ihm sah. Es war ihr also gelungen, den Feuerbrand in seine Seele zu werfen, und daß die Flamme weiterbrenne und immer mehr um sich greife, dafür wollte sie mit aller Kunst sorgen. Mit leichtbeschwingtem Fuße und ein lustiges Liedlein vor sich hinträllernd, begab sie sich nach dem Oberstocke des Hauses, wo ihre Kleiderkammer lag, um ein Gewand für den Abend auszusuchen, das sie möglichst vorteilhaft kleidete, denn man mußte das Eisen schmieden, so lange es warm war.

Sie hatte nicht beachtet, daß der Domherr zwar das Gemach, aber nicht das Haus verlassen hatte, sondern in dem halbdunklen Torbogen stehen geblieben war. Sie hatte auch keine Acht darauf, daß er ihr leise nachgeschlichen kam, und so erschrak sie aufs heftigste, als sie plötzlich oben im Korridor zwei Männerarme umschlangen und ein heißer Mund den ihren suchte.

Sie stieß einen gellenden Schrei aus, und diesen Schrei hörte Klaus Kyburg in seinem Gemache, da es nur wenige Schritte von dem Schauplatze der Tat entfernt war. Er stieß die Tür auf und sah, wie der Domherr die sich heftig Sträubende umfangen hielt und sie zu küssen suchte.

»Was ist das?« rief er laut und trat mit lodernden Augen auf die beiden zu.

Der Domherr ließ sogleich von der heftig zitternden Frau ab und sagte mit süßlichem Lächeln, während Ärger und Wut aus seinen Augen blitzten: »Nichts von Belang. Ich wollte nur meiner schönen Base noch einmal unter vier Augen Lebewohl sagen. Es kam ihr wohl unvermutet, und deshalb schrie sie auf.«

Kyburg blickte verächtlich auf Frau Jutta nieder und sprach mit schneidender Kälte: »So verzeihet, daß ich störte.«

Er wandte sich, zu gehen, aber sein Blick und der Ton, in dem er redete, brachten das junge Weib zur Raserei. »Nein!« schrie sie wild auf. »Nein, er lügt, der Bube! Er hat mich überfallen!«

Sogleich drehte sich Kyburg um und trat dicht an den Domherrn heran. »Ist dem so?« fragte er drohend.

»Was geht das Euch an, guter Freund?« erwiderte der Geistliche in hochfahrendem Tone, aber seine Augen flackerten unruhig, und sein Gesicht ward bleich.

»Jeden ritterlichen Mann geht das an, wenn er sieht, wie einer ein Weib belästigt, und zudem ist Herr Dietrich von Merkwitz mein günstiger Freund.« Er wies mit einer befehlenden Handbewegung nach der Treppe. »Entfernt Euch auf der Stelle!«

Des Domherm Augen funkelten, und sein Gesicht bedeckte sich mit Scharlachrot. »Denkt an diesen Tag! Ihr werdet ihn bereuen! – Rührt mich nicht an!« kreischte er, als Kyburg noch näher an ihn herantrat. »Rührt mich nicht an! Hütet Euch!«

«Noch schützt Euch Euer geistliches Kleid vor meiner Faust, aber nicht lange mehr. Ich zähle bis drei. Seid Ihr dann noch im Hause, so trifft Euch meine Hand, und wahrlich, Männlein, sie wird Euch zerschlagen!«

Da raffte der Priester sein Gewand zusammen und stoh mit einem heiseren Gelächter die Treppe hinunter.

Die beiden standen allein einander gegenüber. Frau Jutta lehnte mit wogender Brust, an allen Gliedern zitternd an der Wand und wagte nicht, die Augen aufzuschlagen.

Als sie aber endlich den Blick zu ihm erhob, da schrie sie von neuem auf, denn in seinen Augen stand kalte Verachtung. Sie bäumte sich unter diesen Blicken auf wie unter einem Peitschenhiebe und stöhnte: »Ihr sollt mich nicht so ansehen! Habe ich das verdient? Bin ich eine Dirne? Was kann ich dafür, daß dieser Mensch mir nachschlich und mich umfing?«

»Wohl könnt Ihr dafür, Frau!« erwiderte Kyburg kalt. »Habt Ihr ihm nicht Mut gemacht mit Worten und Blicken, seine frechen Augen zu Euch zu erheben? Wundert Ihr Euch, daß die Saat schnell aufgeht, die Ihr selber ausgestreut habt? Täte solches eine Unvermählte, ich möchte sie nicht achten. Und nun tut Ihr so, das Weib des besten Mannes, der in Naumburg lebt? O pfui der Schande!«

Wieder blickte er sie an wie vorher, und nun verlor Frau Jutta alle Gewalt über sich. Wie eine wilde Katze fuhr sie auf, und ihre Augen sprühten. »Den besten Mann nanntet Ihr ihn? Nennt ihn den besten Greis, dann habt Ihr recht. Mein Vater könnt' er sein, fast mein Großvater. Neben ihm lebe ich dahin – ein schönes Leben! Bin ich nicht jung und schön? Hab' ich Fischblut in den Adern? Soll ich allein nicht haben, was alle Frauen haben, Lust und Liebe? Ist's Sünde, daß ich das suche? Und Ihr wollt mich verdammen? Ihr? Bin ich nicht erst recht zum Leben erwacht, seit ich Euch gesehen? Seitdem leb' ich im Fieber! Was ist mir dieser Otto von Langen? Der elende Narr! Aus Wut und Ärger hab' ich mit ihm gespielt, weil Ihr mich verschmäht! Aber Ihr allein – –«

»Nicht weiter, Frau!« rief Kyburg mit starker Stimme. »Ihr tut mir leid, denn Ihr seid von Sinnen. Aber ich bin frei von Schuld, nie habe ich Euch zu solchen Gedanken gereizt. Euer Mann ist mein Freund, hat mir Gutes getan, nimmer täusch' ich sein Vertrauen. Und wollt' ich's, so könnt' ich's nicht, denn ich liebe nur eine und kann nie ein anderes Weib lieben. Das wißt Ihr ja!«

Er wandte sich um und trat in sein Gemach. Hinter sich hörte er noch ein wildes Auflachen und sah, wie Frau Jutta in ihre Kammer taumelte.

Mit düsterer Miene ließ er sich vor seinem Tische nieder und stützte das Haupt in die Hand. Was er eben gehört hatte, das war ihm über die Maßen peinlich, und die Frau, die sich ihm an den Hals werfen wollte, stieß ihn ab trotz ihrer bestrickenden Schönheit. Aber zugleich stieg ein Mitleid mit ihr in ihm empor, das ihm selbst verwunderlich erschien. Eheliche Untreue war in seinen Augen frevelhafter Eidbruch, also höchst verabscheuungswert. Aber manches sprach doch zu ihren Gunsten und entlastete sie wenigstens zum Teil. O, der alte kluge Merkwitz hatte eine große Torheit begangen, als er dieses lebensgierige junge Weib an sein Alter kettete! Eine große Torheit – nicht vielleicht auch ein großes Unrecht? Ein unbemitteltes Mädchen mochte es ja in den meisten Fällen als ein Glück empfinden, wenn es Gelegenheit erhält, sich durch ein kurzes »Ja« Reichtum, Ehre und eine hochangesehene Stellung zu gewinnen. Aber ein weltkundiger, lebenserfahrener Mann mußte wissen, daß dieses Glücksgefühl selten lange anhält. Eine junge Frau ist auf die Dauer nicht damit zufrieden, daß man sie mit schönen Kleidern behängt und ihr Schmuck und Tand in den Schoß wirft. Jugend gehört zur Jugend, und wessen Blut noch heiß ist, der denkt und fühlt anders als einer, dem das Blut schon langsam und kühl durch die Adern fließt. Sie, die so verschieden sind, können einander in vielen Dingen kaum noch verstehen, und schon aus dem Grunde ist eine Liebe, wie sie zwischen Mann und Weib bestehen soll, zwischen zwei solchen Menschen fast unmöglich. Diese gemeine Weisheit hatte der alte Ratsherr übersehen, er hätte eine Vierzigerin in sein Haus führen sollen, statt dieses blutjungen Weibes. Ohne es zu wollen, ja sicherlich ohne es auch nur zu bedenken, hatte er ihrer Natur Gewalt angetan, und einigermaßen wenigstens entschuldigte sie das.

Aber was sollte nun werden? Konnte er noch fürder in dem Hause seines Gönners bleiben? Es dünkte ihm fast unmöglich, daß er zwei volle Wochen lang mit ihr noch unter einem Dache leben könne. Ihm mußte jede Begegnung eine Unannehmlichkeit sein und ihr eine qualvolle Demütigung. Zog er aber aus dem Merkwitzschen Hause hinweg, so gab er ohne Zweifel der ganzen Stadt einen Anlaß, neugierige Vermutungen anzustellen, und wie sollte er seinen Abzug Herrn Dietrich erklären, wenn er von Erfurt und Mühlhausen heimkehrte?

Lange dachte und grübelte er darüber nach und kam zu keiner Entscheidung. Da hörte er drunten vor der Tür ein Stampfen wie von Pferdehufen, und als er ans Fenster trat, sah er, wie Frau Jutta, begleitet von einem bewaffneten Knechte, über den Topfmarkt ritt und dann hinter der Wenzelskirche verschwand. Was war das? Kam die Frau ihm zuvor? Verließ sie das Haus, ehe er es verließ? Hatte sie irgendeine Teufelei vor? Wollte sie ihn vielleicht bezichtigen, er sei ihr zu nahe getreten, und das dadurch glaubhaft machen, daß sie jetzt vor ihm floh? Er traute ihr das wohl zu, denn von ihrer Wahrhaftigkeit dachte er nicht hoch, und ihm schwante, daß ihre Liebesleidenschaft zu ihm sich jetzt in den glühendsten Haß verwandelt habe. An dem Domherrn fand sie dann, wenn sie wollte, ganz gewiß einen gefälligen Zeugen. Drehten die beiden aber den Spieß um und beschuldigten ihn arger Untat, so konnte es ihm nach des Ratsherrn Heimkehr ergehen wie jenem israelitischen Manne Joseph, von dem er einst vor langen Jahren im Kloster gehört hatte.

Großer Unruhe voll eilte er hinab in den Unterstock und fragte die beiden Knaben, die in dem Wohngemache miteinander rauften, nach ihrer Mutter, aber sie konnten ihm keine Antwort geben. Er fragte dann die Knechte, er fragte Kerhild, die Schaffnerin, aber niemand im ganzen Hause wußte, wohin Frau Jutta geritten war.


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