Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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I.

Fünf Tage und fünf Nächte lag Nikolaus Kyburg im tiefsten Verließe der Burg Saaleck. Ein irdener Krug mit Wasser ward ihm täglich gereicht und ein halber Laib trockenen Brotes, damit sollte er seinen Durst stillen und sich sättigen. Durch ein kleines, schmales Fenster, das in dreifacher Manneshöhe über ihm die riesige Steinmauer durchbrach, fiel etwas Licht in das unterirdische Gemach, auch vernahm er dadurch manchmal einen fernen Ruf, das Anschlagen einer Glocke, das heisere Gekrächz der Dohlen, die in großen Scharen den Turm umkreisten. Sonst sah und hörte er nichts von der Außenwelt.

Der jähe, furchtbare Sturz aus stolzer Höhe hatte ihn zunächst völlig betäubt. Er lag viele Stunden da, als wäre das Leben aus ihm entflohen, unfähig, sich zu regen, unfähig, einen Gedanken zu fassen. Allmählich aber kehrten ihm Bewußtsein und Leben zurück, und wie ein schwanker Baum vom wilden Sturm wurde nun sein Herz von Wut, Schmerz und Verzweiflung hin und her geschüttelt. So nahe dem glänzenden Ziele war er elendiglich gescheitert. Die Geliebte war ihm verloren, und auf ihn wartete entweder der Tod auf dem Scheiterhaufen oder eine lange, qualvolle und siech machende Kerkerhaft. Denn wen die geistlichen Gerichte einmal in ihren Fingern hatten, den gaben sie selten wieder los.

Mehrmals überkam ihn am ersten Tage seiner Gefangenschaft mit aller Macht die Versuchung, seinem Leben selbst ein Ende zu machen. Man hatte ihm ja, da hier keine Gefahr des Entweichens war, die Fesseln abgenommen. Er dachte an Petrus de Vieneis, des großen Hohenstaufenkaisers unglücklichen Kanzler, der, des Kochverrates bezichtigt, sich an der Wand seines Kerkers die Stirn zerschmettert hatte. Denselben Tod hätte er hier leicht finden können, denn von allen Seiten umschloß ihn das härteste Felsgestein. Aber jedesmal, wenn er zu der Verzweiflungstat schreiten wollte, war es ihm, als hielte ihn eine unsichtbare Hand davon zurück, und nach und nach wurde seine Seele still, und eine wunderbare Ruhe kehrte in sein Herz ein. Er dachte daran, wie oft ihn schon der Himmel beschützt hatte, wie er in Ungarn, in Welschland und auf den Wogen des Mittelmeeres in Todesnot gewesen und doch gerettet worden war. Er dachte an seine abenteuerliche Flucht aus Cordova in Hispanien, wo sein Leben täglich, stündlich an einem Haar gehangen hatte, und seine neuliche Gefangennahme durch die Geißelfahrer, wo er schon auf dem Holzstoße stand und doch dem schrecklichen Tode entging. Sein Schutzpatron, Sankt Jakobus von Compostela, war offenbar ein sehr mächtiger Heiliger, nicht nur auf hispanischem Boden, in dem sein Leib ruhte, sondern überall in der Welt. Zu ihm wandte er sich immer wieder im heißen Gebet, und nicht nur für sich flehte er, sondern noch viel mehr für Gertrudis. Daß er gar nichts von ihr wußte und Schlimmes für sie befürchten mußte, das quälte ihn mehr als die Sorge um das eigene Heil. Als er dem Vogte der Saaleck übergeben wurde, hatte er gehört, daß man ihn bezichtigte, einen Liebestrank gebraut und auch sonst die böseste Zauberei verübt zu haben mit Hilfe des üblen Teufels. Man wußte also auf der Rudelsburg etwas von ihrem Verhältnis zu ihm, so wenig er sich das auch erklären konnte. Da mochte Gott dem armen Mädchen gnädig sein! Der jähzornige Vater würde sie sicher schwer mißhandelt haben, sie lag vielleicht jetzt gleichfalls gefangen da drüben und konnte die Freiheit nur wieder erlangen, wenn sie sich dem väterlichen Willen beugte und das verhaßte Ehejoch mit dem Kevernburger auf sich nahm. Nun war sie ja von starkem und stolzem Geiste, aber sie wußte auch, daß ihres Vaters Sinn von Eisen und daß ihr der Geliebte doch verloren war. Warum sollte sie sich also lange sperren wider ihres Vaters Willen? Tat sie nicht am besten, wenn sie dem werbenden Grafen auf der Stelle ihr Jawort gab?

Bei diesem Gedanken war es ihm, als fasse eine eiskalte Hand sein Herz und drehe es ihm im lebendigen Leibe um. Er fühlte, daß ihm sein Leben wenig wert sein würde, wenn er nur die Freiheit und nicht auch die Geliebte erringen sollte. Deshalb begann er um beides zu beten, und sein Flehen wurde immer inbrünstiger, leidenschaftlicher, und als er in der sechsten Nacht halb entkräftet von der ungewohnten, elenden Kost, dem vielen Ringen und Beten in der Einsamkeit auf dem Stroh seines Kerkers in einen kurzen Schlummer sank, da hatte er wieder einmal ein wunderbares Traumgesicht. Sankt Jakobus selbst erschien ihm, denn der von leuchtenden Strahlen himmlischen Lichtes umflossene Mann konnte wohl kein anderer sein. Er winkte ihm gnädig zu, legte ihm beide Hände aufs Haupt und sprach dabei: »Dir geschehe, was du erbeten hastt« Damit war die Erscheinung verschwunden. Mit einem lauten Schrei sprang Kyburg von seinem Lager empor, und so sehr befand er sich im Banne seines Traumes, daß er meinte, das trübe Licht, das seinen Kerker jetzt erhellte, sei ein Abglanz des von dem Heiligen ausströmenden Lichtes. In Wahrheit ging es von einer Öllampe aus, die ein bischöflicher Soldknecht in die Höhe hielt. Ein anderer befahl dem Erwachenden, die Leiter emporzuklimmen, die man von oben in das Verließ herniedergelassen.

Kyburg gehorchte schweigend, und keine Furcht zog in sein Herz ein. Er war überzeugt, daß jetzt die Erfüllung seines Traumes beginnen werde, und er schien sich nicht zu täuschen. Ein Naumburger Domherr, den er schon zuweilen an der Rudelsburg hatte vorüberreiten sehen, trat ihm entgegen, blickte ihm mit seinen klugen Augen scharf ins Gesicht und sagte dann: »Es ist Befehl Seiner bischöflichen Gnaden, Euch auf der Stelle und in aller Heimlichkeit zu ihm nach Naumburg zu bringen. Werft diese Kutte und diese Kapuze über und verhüllt Euch darin. Dann folgt mir nach ins Freie!«

Eine Minute später stand der Gefangene vor dem Tore des Bergschlosses draußen im Freien. Die Luft einer kühlen Septembernacht schlug ihm entgegen und drang so kräftig auf den der freien Luft Entwöhnten ein, daß er taumelte und beinahe zu Boden gestürzt wäre. Mit Schrecken fühlte er, wie schwach er geworden war durch die kurze unterirdische Kerkerhaft, denn auch in den Sattel mußte er sich heben lassen und konnte sich nur mit Mühe auf dem Gaule aufrecht erhalten.

Es schien jedoch niemand von seinem Zustande Notiz zu nehmen, denn mit einem Male setzten sich die Pferde in Bewegung, der Zug stampfte den engen Burgweg hinab und gewann sehr bald die freie Straße, von der zur linken Hand auf der Höhe die Rudelsburg aufragte. Von dem mit Sternen übersäeten Nachthimmel hoben sich die Konturen der mächtigen Türme und Mauerzinnen deutlich ab. Aber kein Lichtschein grüßte aus einem der Fenster herüber, stumm und schwarz und schweigend lag der ganze ungeheure Bau da.

Ein schneidendes Weh ging durch Kyburgs Seele, und zum ersten Male seit seiner Gefangenschaft rann ihm eine Träne die Wange herab. Er dachte an Gertrudis, die da drüben schlummerte, ohne Ahnung, daß er zur Stunde durch die Nacht an der Burg vorübergeführt werde, als ein Gefangener, der einer Ungewissen Zukunft entgegenging. Ach, sie war selber wahrscheinlich eine arme Gefangene, und selbst wenn sie es geahnt hätte, daß er jetzt hier vorüberzog, so hätte sie ihm kein Lichtlein in ein Fenster stellen können, zum Zeichen, daß sie seiner gedenke. Oder weilte sie vielleicht gar nicht mehr auf der väterlichen Burg? Hatte man sie in ein Kloster gebracht, etwa zu der alten Priorin nach Helfta, damit ihr dort ersprießliche Gedanken kämen in der Einsamkeit der Zelle? Gott mochte wissen, wo sie war und wozu man sie schon gebracht hatte! Die Burg verschwand jetzt im Rücken der Schar, und Kyburgs Gedanken schlugen eine andere Richtung ein. Tiefes Zagen kam über ihn, denn er gedachte dessen, was ihm in Naumburg bevorstand. Der Tag, der schon im Osten schwach zu grauen begann, führte ihn wahrscheinlich vor das geistliche Gericht, denn wozu hätte ihn sonst der Bischof von der Saaleck holen lassen? Er würde sie also wiedersehen, die ihn verklagt und in Haft gebracht hatten, den Ritter Kurtefrund und den alten eifernden Mönch von Pforte, und möglich war's, daß auch die Geliebte erscheinen mußte, um Zeugnis abzulegen. Sein Atem stockte bei diesem Gedanken, und ein heißer Blutstrom schoß ihm zum Herzen. Daran hatte er noch nicht gedacht. Es gab also eine Möglichkeit, ihr Antlitz noch einmal zu sehen auf Erden, und mit einem Male war das Bangen aus seiner Seele verschwunden, und er sehnte die Stunde des Gerichtes geradezu herbei.

Währenddessen war der Zug durch ein schlafendes Dorf geritten, und der holprige Weg senkte sich ins Tal hinab. Das gewaltige Tor der Stadt, auf das man zunächst traf, öffnete sich nicht, und der Domherr und Fähnleinsführer machte auch gar keinen Versuch, die Wächter zum Öffnen zu bewegen. Es wäre das vergebliche Mühe gewesen, denn die Bürger ließen kein bischöfliches Kriegsvolk in die Stadt. Nur in dem Teile Naumburgs, der die Domfreiheit genannt wurde, schaltete der Bischof als wirklicher Herr und durfte reisige Knechte einlagern. Die Stadt aber hatte sich gegen diesen geistlichen Bezirk mit einer gewaltigen Mauer und einem tiefen Graben abgegrenzt, und beide wurden scharf und argwöhnisch bewacht. Erschien der Kirchenfürst im Stadtgebiete, so durfte er von den ritterlichen Herren seines Gefolges nur wenige mitnehmen, er wurde dann durch eine Ehrenwache geleitet, die aus Söldnern der Stadt und Bürgerssöhnen bestand. Die wackeren Bürger fürchteten beständig Angriffe ihrer geistlichen Herren auf ihre schwer errungenen Rechte, Freiheiten und Privilegien und waren daher mächtig vor ihnen auf der Hut.

So mußte denn auch die Reiterschar, die den gefangenen Kyburg geleitete, einen guten Teil der Stadtmauer umreiten, ehe sie durch ein enges, aber sehr festes Tor in die Bischofsresidenz gelangte. Dann ging's an dem Dome mit seinen schlanken, hochragenden Türmen vorüber, und endlich hielten die Gäule an der Seitenpforte eines großen, stattlichen Gebäudes, das einem kleinen festen Schlosse wohl vergleichbar war. Das war die Curia Sancti Aegidii, wo die Bischöfe von Naumburg ihr Quartier zu nehmen pflegten, wenn sie von ihrer gewöhnlichen Residenz in Zeitz oder von ihren Schlössern nach der Stadt kamen. Auch der neuerwählte Bischof Johann war vorgestern eingezogen und gedachte eine Weile hier Hof zu halten.

Kyburg war darauf gefaßt, von neuem in ein unterirdisches Gefängnis gebracht zu werden. Aber zu seinem Erstaunen führte man ihn nach oben. Es ging eine steile, enge Treppe hinauf, einen kleinen Korridor entlang, und dann stand er in einem hohen Gemache, von dessen Decke eine Ampel herabhing. Ihr Schimmer stritt mit dem Schein des Frührotes, das jetzt durch die Fenster hereinfiel. Bei diesem Doppellichte erblickte der Gefangene zu seinem maßlosen Staunen einen gedeckten Tisch, mit allerlei Fleischspeisen besetzt, auf dem auch ein großer Bierkrug nicht fehlte.

Ein feistes Mönchlein trat aus einer Ecke hervor, heftete einen halb neugierigen, halb angstvollen Blick auf den Ankömmling und sagte: »Seine Gnaden will, daß Ihr hier esset und trinket. Dann sollt Ihr warten, was weiter geschieht.« Damit eilte er aus dem Gemache, und Kyburg sah, wie er sich im Weggehen fortwährend bekreuzigte.

Der Gefangene vergaß vor Verwunderung zunächst fast das Niedersetzen. War das ein Traum, der ihn äffte? Statt in ein finsteres Loch, führte man ihn in ein gastliches Gemach, statt des Wassers und Brotes setzte man ihm eine Kost vor, deren bloßer Duft ihn nach der langen Entbehrung fast berauschte! War das vielleicht eine Henkersmahlzeit? Nun, gleichviel – er wollte genießen, was ihm ein günstiges Geschick geboten hatte, und gierig machte er sich über die Speisen her und aß und trank wie einer, der viele Tage lang Hunger und Durst gelitten.

Noch war er im besten Schmausen, da öffnete sich die gegenüberliegende Tür des Zimmers, und der neue Bischof selbst trat ein. Kyburg erkannte den jagenden Domherrn, den er am Tage seiner Ankunft auf der Rudelsburg gesehen hatte, auf der Stelle wieder, obwohl er sich jetzt äußerlich ganz anders darstellte. Er trug ein lang herabwallendes, pelzverbrämtes Gewand von feinem, dunklem Tuchstoff, und um den Hals hing ihm an schwerer, goldener Kette ein reich mit edlen Steinen besetztes goldenes Kreuz. Auch hatte er das schwarze Bärtchen nicht mehr, das damals seine Oberlippe zierte. Aber die lachenden Augen und das spöttische Jucken um den vollen roten Mund ließen den Eindruck priesterlicher Würde, den er anzustreben schien, nicht aufkommen.

Kyburg sprang auf und verneigte sich tief. In dieses Mannes Hand lag ja jetzt sein Schicksal. Der Bischof winkte ihm gnädig zu, daß er sich niederlassen sollte, setzte sich ihm gegenüber und betrachtete ihn einige Augenblicke schweigend und mit ganz unverhohlener Neugier. Dann sagte er: »Ich erinnere mich Eurer wohl. Ihr wolltet den alten Witticho retten mit Eurer ärztlichen Kunst. Dankt Eurem Schutzheiligen, daß Ihr zu spät kamt, denn lebte heute der Alte noch, dann säßet Ihr nicht hier, selbst wenn Ihr ihn dem Tode entrissen hättet. War jemand eines Bündnisses mit dem Teufel angeklagt, so hörte bei dem Alten aller Verstand auf, soweit er davon überhaupt etwas besaß.«

Er schwieg und sah Kyburg an, als ob er eine Antwort von ihm erwarte, aber der verneigte sich nur von neuem, da er nichts zu erwidern vermochte.

Der Bischof musterte ihn noch einmal und sagte dann, indem er sich in seinen Stuhl zurücklehnte: »Erzählt mir Euer ganzes Leben, insbesondere, was ihr bei den maurischen Heiden gelernt habt!«

Kyburg begann erst langsam und stockend zu berichten, aber bald stoß seine Rede dahin wie ein Strom. Er sprach wohl eine halbe Stunde lang. Der Bischof unterbrach ihn nicht ein einziges Mal. Er hielt die Augen beharrlich gesenkt und spielte mit dem goldenen Kreuz auf seiner Brust, aber es war wohl zu bemerken, daß er trotzdem gespannt zuhörte.

Als Kyburg geendet hatte, warf er ihm einen kurzen, blitzenden Blick aus seinen hellen Augen zu und sagte dann: »Was Ihr da erzählt habt, guter Freund, das glaube ich Euch alles aufs Wort. Denn ich will Euch eine tiefe Weisheit künden: Es gibt keinen Teufel! Ich habe einen jungen Mann gekannt, der wollte ihm seine Seele verschreiben und ein Bündnis mit ihm machen, wenn er dadurch zu Macht und Ansehen käme. Aber was er auch tat, er erhielt nie eine Antwort, und der Fürst der Hölle gab ihm nie auch nur das geringste Zeichen. Seitdem glaube ich nicht mehr daran, daß einer in der Welt ist, wie denn wohl alles, was man von einem Himmel und von einer Hölle redet, nichts ist als leeres Gefasel, womit man die große Masse der Dummen im Zaume hält.«

Kyburg blickte ihn verblüfft an. Es war ihm bekannt, daß sich unter den Pfaffen Welschlands viele heimliche Ketzer befanden, beschuldigte man doch sogar einen noch nicht sehr lange verstorbenen großen Papst geheimer schwerer Ketzerei. Den höheren Geistlichen Deutschlands hätte er solches weit weniger zugetraut, und daß nun gar einer seine ketzerische Meinung so dürr und trocken aussprach, das war ihm noch nicht vorgekommen und raubte ihm fast die Fassung.

Der Bischof betrachtete ihn mit stillem Ergötzen und lachte leise auf. Es klang wie ein Girren. »Soll ich Eure Gedanken erraten? Ihr denkt jetzt: Wie kann ein Bischof so dumm sein, so etwas auszusprechen! Nun, guter Freund, er kann es deshalb wagen, weil Ihr keinen Gebrauch davon machen könnt. Denn wer würde Euch das glauben! Aber ich sage es Euch, damit Ihr wißt, wie Ihr mit mir dran seid. Vom Teufel und seinem Wesen soll zwischen uns nicht mehr die Rede sein. Auch Ihr seid dieses Glaubens ledig, denn Ihr seid ein weitgereister und welterfahrener Mann. Dagegen scheint mir das Kraut, das Ihr in Cordova kennen gelernt habt, eine Erfindung des Menschenhirnes zu sein, die vielen großen Nutzen und vielen großen Schaden bringen kann.«

Er machte eine lange Pause und fuhr dann nachdenklich fort: «Vor vier Jahren war ich in Mainz. Da war beim Erzbischof ein Büchsenmeister, der kam aus Toledo in Hispanien und führte uns seine Künste vor. Er zerschoß eine Mauer mit einer Kugel, die mit Blitz und Dampf aus einem Rohre fuhr. Aber Erzbischof Heinrich meinte, für den Ernstfall würde es doch nichts nützen, und ließ den Mann ziehen. Er glaubte wohl auch, der Teufel sei mit im Spiele. Nun haben, wie mir zugetragen ist, im vorigen Jahr die von Nürnberg mit einer solchen Büchse eine ganze Burg in Trümmer geschossen, und die schloßgesessenen Herren im Frankenlande soll ein sonderlicher Schreck befallen haben.«

Er hatte zuletzt sehr leise geredet, als ob er mit sich selbst spräche. Jetzt fuhr er plötzlich empor und sah Kyburg scharf an. »Wie steht Ihr zu Werner Kurtefrund? Meint Ihr noch, sein Eidam zu werden?«

»Mit seinem Willen werd' ich's nimmermehr,« erwiderte Kyburg düster.

Der Bischof lachte: «Da habt Ihr den Nagel auf den Kopf getroffen. Er soll seine Tochter eingesperrt halten und hat geschworen, sie solle nicht frei kommen, bis sie anderen Sinnes wird.«

Kyburg stieß einen dumpfen Laut aus und biß die Zähne knirschend aufeinander.

»Seid Ihr an den Ritter gebunden durch einen Eid?«

»Ich hatte mich ihm als sein Mann gelobt bis zu des Jahres Ende, wenn er sich redlich gegen mich halten wollte. Er hat an mir gehandelt als ein Erzschelm. Der Eid ist null und nichtig. Und wenn ich ihm –«

Er brach ab, aber der Bischof fuhr behaglich fort: »Wenn Ihr ihm an die Kehle fahren könntet, so tätet Ihr's mit Freuden.«

»Ihr sprecht aus, Herr, was ich denke,« versetzte Kyburg mit verbissenem Grimme.

»Nun, dazu kann vielleicht Rat werden. Geht er auf die Sühnung nicht ein, die der Landgraf und ich in Vorschlag bringen – und ich denke, sein unbändiger Stolz wird ihn hindern – so verbinde ich mich mit denen von Naumburg. Und nun hört, was ich Euch sage!« Er trat vor Kyburg hin und sprach gewichtig: »Kraft meiner bischöflichen Vollmacht und Gewalt schlage ich das Verfahren gegen Euch nieder. Auch werde ich Euch als rein und ehrbar hinstellen vor aller Welt, indem ich Euch in mein Gefolge aufnehme. Ihr aber gelobt mir, das Kraut und die Büchse zum Werfen von Kugeln herzustellen, wie Ihr es bei den Heiden gelernt habt, und mir damit zu dienen wider jedermann!«

Kyburg hätte beinah laut aufgeschrien. Das war eine Wendung seines Geschickes, wie er sie kaum noch erwartet hätte. Er taumelte wie trunken vor Freude und hob die rechte Hand hoch empor. ..Herr,« rief er, «ich schwöre – –«

»Was Ihr wollt!« warf der Bischof mit trockenem Lachen ein, »nur wartet damit. Ihr schwört nachher vor dem Kapitel drüben in der Kapelle, aber erst werde ich mit den Herren reden. Wir haben drüben eine große Reliquie, ein Stück vom Schienbein des Heiligen Ägidius. Mir ist ja an dem alten Knochen nichts gelegen, er stammt vielleicht von einem Bauern aus Almerich oder Noßbach. Aber die Sage geht, wer einen falschen Eid darüber schwört, der stirbt binnen zwölf Tagen. Wäre das wahr, so müßten schon viele eines schnellen Todes verblichen sein, aber es gibt doch welche unter den Domherren, die daran glauben. Dort schwört ihr also, damit die Sache eine Art hat. Harret hier, bis ich Euch rufen lasse!«

Er nickte Kyburg gnädig zu und schritt zur Tür. Aber plötzlich kehrte er wieder um und faßte ihn vertraulich am Wamse. »Sagt einmal,« flüsterte er, »habt Ihr der Jungfrau auf der Nudelsburg wirklich einen Liebestrank beigebracht?«

Erstaunt blickte ihn Kyburg an, und ehe er antwerten konnte, fuhr der Bischof mit einem geheimnisvollen Lächeln fort: »Nämlich, wenn's auch mit dem Teufel nichts ist, so gibt es doch wunderbare Kräfte in der Natur. Es wäre, im Vertrauen gesagt, sehr schön, und ich würde es Euch reichlich lohnen, wenn Ihr mir einen solchen Trank brauen könntet. Ich weiß ein Weibsen in der Stadt« – er schnalzte mit der Zunge und verdrehte die Augen –, »die ist ganz und gar nach meinem Geschmack, aber sie ist gegen mich wie ein Stück Holz.«

Kyburg zuckte bedauernd die Achseln. »Es ist mir sehr leid, daß ich Euer bischöflichen Gnaden nicht damit dienen kann, aber ich habe nie erlernt, wie man ein solches Tränklein zusammensetzt.«

»Schade, schade,« sagte der Bischof, und während er das Gemach verließ, murmelte er nochmals vor sich hin: »Schade, schade!«


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