Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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VIII.

Halb betäubt vor Scham und Wut hatte Frau Jutta in ihrer Kammer gesessen. Es war ihr, als könne sie nicht mehr leben mit der Schmach, die sie erlitten hatte. Zurückgewiesen, beschimpft, aufs tiefste gedemütigt worden war sie von dem Manne, dem sie sich mit Leib und Seele ergeben hätte, wenn es ihm nur gefällig gewesen wäre, die Hand nach ihr auszustrecken. Sie hatte sich vor ihm erniedrigt, wie sich ein Weib nicht tiefer erniedrigen konnte – unmöglich konnte sie mit ihm weiter dahinleben in einem Hause, nicht einmal in einer Stadt. Er mußte fortgebracht, beseitigt werden, am besten, ehe ihr Mann wieder heimkehrte. Denn tat er den Mund auf und erzählte dem Alten, was geschehen war, so verstieß sie vielleicht der erbitterte Greis aus seinem Hause, und was sollte dann aus ihr werden? Aber wie konnte sie ihn veranlassen, aus Naumburg zu entweichen? Kein Gedanke, daß ihr das gelang, am wenigsten jetzt, wo alle Welt ihm ihre Gunst zugewendet hatte und die ganze Bürgerschaft Großes von ihm erhoffte.

Ihn aus dem Leben zu schaffen, daran dachte sie nur vorübergehend. Ihre einzige Waffe wäre da Gift gewesen, und das sich zu verschaffen, war schwierig und gefährlich. Auch hatte sie einmal die schauerliche Hinrichtung einer Giftmörderin mit angesehen, und Entsetzen ergriff sie, wenn sie daran dachte, daß sie ein gleiches Schicksal ereilen könne. Nein, dazu fehlte ihr ganz und gar der Mut. Wenn Wünsche und Gedanken hätten töten können, so wäre er ja keinen Augenblick mehr unter den Lebenden gewesen, aber etwas zu wagen, war sie viel zu feig.

Nein, es blieb ihr nur die Lüge übrig als Mittel, sich zu retten und ihn zu verderben. Sie mußte auf der Stelle aus dem Hause fliehen und einer Freundin anvertrauen, daß sie anders ihre Ehre nicht bewahren könne vor den Nachstellungen des Fremden, den ihr Gatte ins Haus aufgenommen hatte. Dann mußte sie den Domherrn bewegen, Zeugnis abzulegen für sie. Daß es ihr gelingen werde, ihn dazu zu bringen, bezweifelte sie keinen Äugenblick. Sie würde zwar einen entsetzlich hohen Preis dafür zahlen müssen, und sie schauerte zusammen bei diesem Gedanken, aber ihr blieb keine Wahl. Nur wenn sich mit ihren Schwüren und Tränen der feierliche Eid des Domherrn vereinigte, war sie ganz sicher, daß ihr Plan gelingen werde. Dann mußte ihr Mann des Verführers Feind werden und seines Hauses Ehre an ihm rächen, und dabei ging der Schändliche, Verhaßte wahrscheinlich zugrunde, wenn er nicht die eilige Flucht vorzog und also wenigstens aus ihrem Leben verschwand.

So raffte sie denn einige Kleider und Schmucksachen in ein Bündel zusammen und befahl ihrem alten Knechte Matthäus, zwei Pferde zu satteln und sie über Land zu geleiten. Sie wollte zu ihrer Base nach Weißenfels reiten, die des angesehenen Ratsherrn Gerbote Ehegemahl war.

Der wollte sie ihr Leid klagen und dann den Domherrn heimlich zu sich entbieten. Das Weitere würde sich finden.

So ritt sie denn, getrieben von Furcht und Haß, durch das Jakobstor zur Stadt hinaus und die Heerstraße dahin, die nach Weißenfels führte. Als sie des Beuditzklosters ansichtig wurde, das eine kurze Strecke vor Weißenfels an der Saale lag und mit seinen schmucken Ziegeldächern freundlich herübergrüßte, da blitzte ein böser Gedanke in ihrem Hirn auf. Sie kannte gar wohl die Nonne Anna Gerbote, die in diesem Kloster hauste und durch die sie nach ihres Mannes Willen eine Botschaft sollte gelangen lassen an die Tochter des Rudelsburgers, daß Klaus Kyburg noch am Leben sei und in Ehren stehe und ihrer in Treue gedenke. Das sollte heimlich geschehen, damit die Domina nichts davon merke, die Kyburg hasse und dem Gerichte des Bischofs mit übergeben habe. Alles, alles, was er von der Liebesgeschichte Kyburgs wußte, hatte ihr Mann, der gutmütige Narr, ihr erzählt und von ihr verlangt, daß sie seinem jungen Freunde nach Kräften helfe. Laut auflachen mußte sie bei diesem Gedanken. Sie wollte vielmehr hier gleich mit ihrer Rache beginnen, wollte der Domina erzählen, was ihres Mannes sauberer Verbündeter von der Zukunft erwarte, und raten, daß die edle Jungfrau so bald als möglich von ihrem Vater verheiratet werde oder den Schleier nehme. Vielleicht sah sie mit eigenen Augen dieses Geschöpf, das schuld war an ihrem Elend und das sie glühend haßte, ohne es zu kennen. Sie war dabei insgeheim neugierig, wie das Weib aussehen mochte, das eine Jutta von Merkwitz in den Schatten stellen konnte.

So bog sie denn nach dem Kloster ab und hatte es in kurzer Zeit erreicht. Aufs höchste verwundert sah sie, daß das sonst fest verschlossene Tor halb offen stand und daß kein Wächter Obacht darauf hatte.

Ungehindert, von niemandem gemeldet, ritt sie mit ihrem Begleiter in den Klosterhof ein. Nirgends war ein Mensch zu erblicken, von keinem Fenster lugte einer Nonne neugieriges Auge herab. Überall tiefes Schweigen.

Dem jungen Weibe wurde es eigentümlich beklommen ums Herz, das schweigende Kloster schien ihr wie verzaubert. Schon war sie im Begriff, das Roß zu wenden und der Stadt zuzureiten, als sie von der Klosterkirche her die langgezogenen Töne eines feierlichen Gesanges vernahm. Das löste den Zauber. »Ah,« dachte sie, »die Schwestern haben gerade einen Gottesdienst, der Himmel mag wissen, zu welchem Zwecke. Da haben denn die Nachlässigen vergessen, das Tor zu schließen – bei dem vielen umherschweifenden Gesindel allerdings ein sträflicher Leichtsinn! Nun, Frau Sieglinde Kurtefrund wird die Schuldige gewiß hart dafür büßen lassen. – So will ich denn hier im Hofe warten, bis die frommen Schwestern aus der Kirche kommen, und dann der Domina mein Anliegen vortragen.«

Sie stieg vom Pferde und hieß ihren Knecht das Gleiche tun. Der Alte setzte sich neben den Gäulen auf eine Bank an der Mauer. Sie selbst aber war viel zu unruhig dazu, als daß sie sich irgendwo hätte niederlassen mögen. Sie strich überall im Hofe umher, die Wände entlang, betrachtete einen gezähmten Raben, der in seinem Käfig herumhüpfte, warf neugierige Blicke in die offenstehenden Fenster der Küche im Untergeschoß, gelangte vor eine gleichfalls offenstehende niedrige Tür, durch die man in einen breiten, von der Nachmittagssonne erleuchteten Gang hineinblicken konnte, und unternahm es endlich, einige Schritte in diesen Gang hineinzutun.

Noch war sie nicht weit vorgedrungen, da fuhr sie erschrocken zusammen. Denn aus dem Dunkel eines Nebenganges trat die hohe, hagere Gestalt einer ältlichen Klosterfrau heraus, schritt auf sie zu, blieb dann dicht vor ihr stehen und schaute sie mit starren Augen an. Dabei murmelte sie fortwährend leise wirre Worte vor sich hin.

Frau Jutta sah sogleich, wen sie vor sich hatte. Wie sie gehört, lebte im Kloster Beuditz eine Schwester, in deren Haupte das Licht der Vernunft erloschen war. Man sperrte die unglückliche Walburg nicht ein, denn sie tat niemandem etwas zuleide. Aber von den Gottesdiensten und den frommen Übungen der Klosterinsassinnen wurde sie ausgeschlossen, denn sie schwatzte dabei allerlei törichtes Zeug und störte die Andacht. Selten hatte sie lichte Augenblicke und redete vernünftig, nur wenn man ihr bestritt, daß sie die Schwester der Jungfrau Maria sei, wurde sie sehr böse und hatte einmal eine Nonne mit ihren Nägeln beinah des Augenlichtes beraubt.

Frau Jutta hatte eine maßlose Furcht vor Leuten dieser Art und stand deshalb wie gelähmt vor ihr. Die Kranke fuhr fort, sie anzustarren, und sagte dann auf einmal mit sanfter, trauriger Stimme: »Du bist der Erzengel Gabriel. Was willst du im Hause des Todes? Sollst du die Seele der Verstorbenen holen?«

»Was soll das heißen?« stammelte Frau Jutta entsetzt. Sie wäre gern wieder ins Freie gelaufen, aber sie wagte es nicht.

»Wie, schöner Engel, du weißt nicht, daß die Schwester Reichhilde vor einer Stunde gestorben ist? Komm, ich will sie dir zeigen, komm!«

Dabei faßte sie Frau Juttas Hand und suchte sie mit sich fortzuziehen. Die war vor Angst einer Ohnmacht nahe, aber sie wagte weder um Hilfe zu rufen, noch sich ernstlich zu sträuben. Sie murmelte nur mit schwacher Stimme: »Laßt mich, ich bin nicht der Engel, für den Ihr mich haltet.«

»Wie?« fragte die Irrsinnige, argwöhnischen Blickes die vor ihr Stehende musternd, »du wärest nicht der heilige Erzengel Gabriel? Warum leugnest du das ab? Habe ich dich nicht mit deinen blanken Augen und deinem süßen Gesichte stehen sehen vor Gottes Thron, als ich zum letzten Male dort droben war bei meiner gebenedeieten Schwester? Warum verstellst du dich vor mir? Komm, komm, ich will dir die Tote zeigen. Ihre Seele wartet auf dich, daß du sie heimholst!«

Mit noch festerem Drucke als vorher umspannte sie Frau Juttas Hand, und ihre Augen funkelten sie drohend und befehlend an. Da schwand der jungen Frau jeder Mut zum Widerstande. Willenlos, mit zitternden Knien und vor Furcht mit den Zähnen klappernd, ließ sie sich von der Irrsinnigen fortziehen den Gang entlang bis fast an sein Ende. Dort stieß die Nonne eine Tür auf und wies auf ein weißes Laken, das über ein Ruhebett gebreitet war.

»Darunter schläft sie,« raunte die Schwester geheimnisvoll. »Hihi,« kicherte sie, »ziehen wir das Tuch weg – husch – flattert ihre Seele auf und du nimmst sie in deine Arme und trägst sie zum Himmel hinauf!« Und mit einem Ruck zog sie das weiße Laken von dem Leichnam hinweg und warf es Frau Jutta zu.

Die sank mit einem markerschütternden Schrei in die Knie. Denn die, die hier auf dem Bette lag und die sie kannte von früheren Besuchen im Kloster her, war aufs furchtbarste entstellt und ganz unkenntlich geworden. Große blauschwarze Beulen bedeckten das ganze Gesicht und die auf der Brust gefalteten Hände. Sie war an der grauenvollen Seuche gestorben, die seit dem Frühjahr durchs Land ging, hie und da eine Menge von Opfern verschlingend, dann wieder verschwindend und anderswo auftauchend, einem unter der Asche schwelenden Feuer gleich, das nirgendwo recht zum Himmel aufflammen, aber nicht sterben kann.

Ein zweiter Schrei aus Frau Juttas Munde, und sie taumelte empor. Wie von wütenden Hunden gehetzt, floh sie schreiend durch den Gang ins Freie und rief mit gellender Stimme nach ihrem Rosse. Der alte Matthäus, der nicht wußte, was geschehen war, und glaubte, seine Herrin sei wahnsinnig geworden, half ihr in den Sattel, und dann sprengte sie, so schnell ihr Gaul laufen wollte, aus dem Klostertore die Straße zurück, auf der sie vorhin gekommen war.

Die Dunkelheit war längst hereingebrochen, als sie wieder am Jakobstor anlangte. Sie überritt fast den Wächter, der es ihr eilig und beflissen öffnete, jagte durch die Straße, so daß ihr mancher späte Wanderer verwundert nachblickte, und kam vor ihrem Hause an, gerade als ihr Pferd zusammenbrechen wollte. Dort stürzte sie sofort in ihre Kammer und ließ sich vor niemandem sehen, aber Kerhild, die Schaffnerin, hörte sie von außen laut beten und vor sich hinwimmern.

Kyburg vernahm das alles mit großer Verwunderung, als er gegen neun Uhr aus des Rates Trinkstube heimkehrte. Er brachte die weinenden Knaben ins Bett und gebot dem aufgeregten Gesinde, das Lager aufzusuchen. Er tat desgleichen, konnte aber lange nicht einschlafen und sank erst nach Mitternacht in einen Schlaf voll wirrer Träume.

Gegen Morgengrauen klopfte es an seine Tür, und er fuhr eilend empor. »Was gibt's?« rief er schlaftrunken.

»Herr, steht auf, es ist ein großes Unglück geschehen!« antwortete die Stimme des alten Matthäus.

Kyburg fuhr in seine Kleider und öffnete die Tür. »Was ist's?«

»Die Herrin ist schwer krank, sie schreit und jammert in ihrem Gemach.«

»So renne, hole den Medikus aus der Jakobsgasse!«

»Herr, den hat Kerhild schon geholt. Aber er stürzte aus dem Gemache wie der Teufel und schrie, es wär' nichts zu machen, wir sollten alle fliehen. Und die Mägde sind auch schon alle hinweggelaufen, nur Kerhild ist noch im Hause. Denn die Frau, Herr, hat die Pest!«

Kyburgs Gesicht ward leichenfahl. »Dann ist sie verloren, die Unselige!« murmelte er. »Gott sei ihrer Seele gnädig!«

Fünf Stunden später erklang die Totenglocke von Sankt Wenzel und verkündete der Stadt, daß die Frau ihres angesehensten Bürgers, die schöne Jutta von Merkwitz, gestorben sei. Am anderen Tage erklang sie viermal, am dritten siebenmal, und an den folgenden Tagen ward sie nicht mehr angeschlagen. Man hätte sonst unaufhörlich läuten müssen, denn fast zu jeder Stunde raffte der Würgeengel der Pest ein Opfer dahin. Der schwarze Tod war in Naumburg eingekehrt.


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